von Helmut Heiber
Goebbels
Reden
1932-1945
Herausgegeben
von Helmut Heiber
Gondrom
Nr. 18 15.11.33 — Berlin, Großer Saal der Philharmonie —
Eröffnung der Reichskulturkammer.131
Nr. 19 6. 5. 34 — Zweibrücken, Turn- und Festhalle — Saar¬
kundgebung der „Deutschen Front”.142
Nr. 20 10. 7. 34 — Rundfunkansprache (»Der 30. Juni im Spiegel
des Auslandes”).156
Nr. 21 30. 9. 34 — Bückeberg bei Hameln — Eröffnung der
Kundgebung zum 2. Erntedanktag.166
Nr. 22 5.11. 34 — Berlin, Sportpalast — Eröffnung der .Woche
des deutschen Buches”.168
Nr. 23 18.11.34 — Berlin, Sitzungssaal des ehemaligen Preu¬
ßischen Herrenhauses — 1. Reichspressetag des Reichsver¬
bandes der Deutschen Presse.174
Nr. 24 6. 4. 35 — Danzig, Heumarkt — Kundgebung vor der
Wahl des Danziger Volkstages.206
Nr. 25 17. 6. 35 — Hamburg, Musikhalle — Eröffnung der
2. Reichs-Theaterfestwoche.219
Nr. 26 30. 8. 35 — Berlin, Lustgarten — Trauerfeier für die
Opfer des Einsturzunglücks am Brandenburger Tor .... 229
Nr. 27 16. 9. 35 — Nürnberg, Apollo-Theater — Sondertagung
der Gau- und Kreispropagandaleiter anläßlich des
7. Reichsparteitags der NSDAP.230
Nr. 28 31.10. 35 — Berlin, Theater am Horst-Wessel-Platz —
Trauerfeier für den verstorbenen Präsidenten der Reichs¬
theaterkammer, Ministerialrat Otto Laubinger..265
Nr. 29 4.12. 35 — Saarbrücken, »Wartburg" — Eröffnung des
Reichssenders Saarbrücken.269
Nr. 30 6. 6. 37 — Donaustauf, Walhalla — Aufstellung einer
Anton-Bruckner-Büste.281
Nr. 31 28.9.37 — Berlin, Maifeld (Reidjssportfeld) — Begrü¬
ßung auf der Großkundgebung anläßlich des Besuches
Mussolinis in Berlin_287
Nr. 32 19. 3. 38 — Berlin, Krolloper — Tagung der Partei¬
führerschaft. .289
Nr. 33 9. 4. 38 — Wien, Hotel Imperial — Reportage vom Be¬
such Hitlers.299
Nr. 34 28. 7. 38 — Breslau, Schloßplatz — Appell des Deutsch¬
tums im Ausland anläßlich des Deutschen Turn- und
Sportfestes 1938. 304
Nr. 35 19.11.38 — Reichenberg, Messehalle — Eröffnung des
Wahlkampfes für die Ergänzungswahlen zum Großdeut-
sdien Reichstag..309
Nr. 36 1.5.39 — Berlin, Lustgarten — Eröffnung des Staats¬
aktes am „Nationalen Feiertag des deutschen Volkes" .... 332
Nr. 37 17.6.39 — Danzig, Balkon des Staatstheaters — An¬
sprache an die Danziger Bevölkerung anläßlich der Dan¬
ziger Gaukulturwoche.333
VI
Vorbemerkung des Verlages
Die Werke von Joseph Goebbels, auch die hier vorgelegten Reden, sind
urheberrechtlich geschützt. Die Werknutzungsberechtigten haben ihre Zu¬
stimmung zum Abdruck der hier edierten Texte nur unter dem Vorbehalt
gegeben, daß der Verlag „an erster Stelle den nachfolgenden Vorbericht
,Wieso und warum schreibe ich das folgende Vorwort' ungekürzt dem
Vorwort von Dr. Heiber voranstellt"
Dieser Vorbericht steht außerhalb der Verantwortung von Heraus¬
geber und Verlag.
Vorbericht
Wieso — und warum — schreibe ich das folgende „Vorwort"?
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurde in Deutschland
eine Ausnahme-Gesetzgebung aufgestellt, die nicht nur das Korps der
„Führer", sondern auch deren Erben entrechtete. Es blieb jedodi eine
Lücke: das unaufhebliche Recht von Personen auf geistiges Eigentum,
das Urheberrecht.
Dieses Recht, das damals und in der Folge gewissenlos und gewinn¬
bringend mißachtet wurde, suchte ich für einige der Betroffenen zu schüt¬
zen: Hitler, Bormann, Goebbels. Was Goebbels anlangt, so bedurfte es
eines zehnjährigen Kampfes — bis zum Bundesgerichtshof —, um dieses
moralische Recht, das Urheberrecht, in Kraft zu setzen.
Mir lag jedoch nicht nur am Schutz dieses Rechtes, sondern auch
daran, daß das Gedankengut dieser Männer, die so durchgreifend und
groß auf den Gang der Weltgeschichte eingewirkt haben, Editoren fand,
die diesem Rang entsprachen. Infolgedessen habe ich z. B. bis heute
gezögert, Hitlers letzte Betrachtungen an Bormann (Februar/April 1945)
in Deutschland erscheinen zu lassen, habe sie jedoch für eine französisdie
und eine englische Ausgabe freigegeben und die „Einleitung" dem Oxfor-
der Historiker Trevor-Roper anvertraut.
Nur mit großem Bedenken stimme ich der vorliegenden Ausgabe der
beiden Bände von Goebbels-Reden zu. Ihr Herausgeber, Helmut Heiber,
hat zugleich die Einleitung zu diesen Bänden geschrieben. Herr Heiber
weist zu Beginn seiner Einleitung darauf hin, daß Hitler und die Seinen
nicht mehr lange Gegenstand der „Zeitgeschichte" bleiben, sondern dem¬
nächst der Geschichte als solcher angehören werden, also einer Instanz, die
frei von Ressentiments ihre Analysen durchführt und ihre Urteile fällt.
Nach der Ansicht Herrn Heibers — und deutlicher noch nach der Praxis
VII
Einleitung des Herausgebers
Wenn in Schillers „Don Carlos" der Philipp einigermaßen passabel be¬
setzt ist, spielt er die pathetischen Deklamationen des Titelhelden und
seines Posa glatt an die Wand. Noch eindeutiger in Heinar Kipphardts
„Joel Brand": der positive Wortführer der verfolgten Juden hat, wer¬
den die Rollen wirklich ausgespielt, gegen die SS-Bösewichte Eichmann
und Becher kaum eine Chance. In der Münchner Aufführung von
1965/66 spielte — es war dies wohl sein letztes Auftreten auf der Bühne
— der vorzügliche Robert Graf die Titelrolle; trotzdem war man
nahezu erleichtert, als Grafs fortschreitende Erkrankung einen Anlaß
gab, das Stück abzusetzen. Gewann doch der Zuschauer (und mußte
dagegen verzweifelt Realität, ratio und Moral zu Hilfe rufen) unweiger¬
lich den Eindruck, daß den einfältigen, schwätzenden Juden letzten
Endes ganz recht geschehen und es eigentlich schade war, daß den beiden
charmanten Schurken das Handwerk gelegt wurde.
Der Rezensent einer Münchner Zeitung meditierte damals sehr tref¬
fend über die „Brillanz des Bösen". Ihr sieht sich auch konfrontiert, wer
sich mit Joseph Goebbels beschäftigt, dem Propagandaminister des natio¬
nalsozialistischen Regimes. Welche Wertung dieses Regime erfahren
wird, wenn es nicht mehr der Zeitgeschichte angehört, wenn es Ge¬
schichte geworden ist, läßt sich heute noch schwer absehen, ist diese doch
im Gegensatz zu jener amoralisch. Leid und Schmerz, Gewalt und Ver¬
brechen pflegt sie nur wenig mehr zu berücksichtigen; Tränen liegen
leicht in ihrer Waagschale und sind zwischen welthistorischen Erwägun¬
gen, welcher Art auch immer, nur schwer mehr auszumachen. Wenn die
Weltgeschichte das Weltgericht sein soll, so kann das nur bedeuten, daß
der Erfolg des Tages oder der Zeit die Maßstäbe setzt, nach denen ge¬
messen und geurteilt wird, und nicht etwa — wie man das vor allem in
XI
einmal, in der hier gebotenen Kürze, seine Vita'. Geboren am 29. Okto¬
ber 1897 im linksrheinischen Rheydt, stammte Paul 1 Joseph Goebbels aus
gutkatholischem Hause, aus einer jener nicht seltenen Familien, die sich
damals, in den Jahren der „Gründerzeit", gerade aus handwerklicher
Lohnarbeit sozial „hinaufzuarbeiten" begannen: der Vater diente sich in
einer kleinen Dochtfabrik vom Laufburschen zum Buchhalter und wohl
sogar Prokuristen empor. Goebbels hatte zwei ältere Brüder und zwei
jüngere Schwestern. Obwohl auch die Geschwister eine gute Schulbil¬
dung erhielten, war der begabte Joseph der einzige, der das Abitur
machen und dann studieren konnte. Inzwischen schrieb man 1917; bei
Kriegsausbruch hatte sich auch Joseph Goebbels, wie es sich so gehörte,
als Kriegsfreiwilliger gemeldet. Ob das bei seinem Körperfehler, jenem
berühmten „Klumpfuß", der wohl tatsächlich eine Deformierung des
Fußes und nicht des Hüftgelenks oder des Beines war, nun Pose bedeu¬
tete oder Selbstbetrug: der musternde Arzt sah ihn sich kaum an. Es war
jedenfalls nicht seine Schuld, daß er die Universität beziehen konnte,
während seine Schulkameraden in die Schützengräben zogen, und der
spätere Vorwurf „Drückeberger" stimmt ganz und gar nicht. Anderer¬
seits freilich hätte es wohl nichts geschadet, wenn der Inhaber eines so
gearteten Militärpasses sich im heroischen Bramarbasieren und in der
Glorifizierung des „Kriegserlebens" etwas zurückgehalten hätte, — gerade
das aber fällt solchen nach Kompensation gierenden Menschen ja so be¬
sonders schwer.
Bevor Goebbels sich in Bonn immatrikuliert, darf er noch als Verfasser
des besten deutschen Abituraufsatzes die Abgangsrede seines Jahrgangs
halten, und sein Ordinarius, so erzählt man, habe ihm danach auf die
Schulter geklopft: „Talentiert sind Sie ja, aber zum Redner leider nicht
geboren." Dem Irrtum sollte abgeholfen werden.
Zunächst aber studiert Goebbels, Altphilologie im Hauptfach. Bald
sattelt er auf sein bisheriges Nebenfach Germanistik um, in dem er im
Frühjahr 1922 mit einer Arbeit über einen mindestens halbvergessenen
Romantiker promoviert. Die politischen Gags dieses Studiums: ein jü¬
discher Doktorvater und ein katholisches Stipendium. Letzteres braucht er,
da das Elternhaus bei allem bescheidenen sozialen Erfolg so betucht nun
auch wieder nicht ist. Und so appelliert der einst in frühen Jahren zum
Priesteramt bestimmte junge Mann an die „Mildtätigkeit meiner katho¬
lischen Glaubensgenossen". Nicht vergebens: der Kölner Diözesan-
verband des Albertus-Magnus-Vereins gibt ihm vier Semester lang zinslose
Darlehen und muß später die Gerichte bemühen, um seine Außenstände
beim Gauleiter Goebbels wieder einzutreiben.
1 Ausführlich in einer vom Hrsg, verfaßten Biographie: Joseph Goebbels, Ber¬
lin 1962.
XIV
In diese Universitätsjahre fällt der ideologische Bruch: bei der katho¬
lischen „Unitas" war er die ersten Semester eingeschrieben, als er aber
die Alma mater verläßt, ist er — ja, was ist er eigentlich? Mehrere Seme¬
ster hindurch hat er unter dem dominierenden Einfluß eines kommunisti¬
schen Freundes gestanden, — einen sozialistischen touch hat er davon zu¬
rückbehalten und wird ihn auch zeitlebens nicht mehr los. Inzwischen
aber hat sich die Tradition wieder durchgesetzt, hat er nationalistische
Neigungen entwickelt, ist er bereit, den nun verlorenen Krieg zu bejahen
und zu verherrlichen. Als Revolutionär fühlt er sich (das war bei der
unruhigen Jugend von damals, die überwiegend aus der Kriegskamerade-
rie zurückgekehrt war und der diese anscheinend nur noch von Interes¬
sen- und Profitdenken regierte Heimat so gar nicht gefiel, en vogue) und
ein bißchen als Sozialist dazu, aber natürlich eben auch und in erster
Linie als wackerer Deutscher — oh Deutschland hoch in Ehren! Und es
war eine solche Mixtur beileibe nichts Außergewöhnliches zu seiner Zeit,
auch sie war durchaus ä la mode.
Nach der Promotion kehrt er ins Elternhaus zurück, schreibt Gedichte,
Stücke, Artikel, — kaum etwas wird gedruckt, nichts wird aufgeführt.
Er gibt Nachhilfestunden und macht ein bißchen Buchführung, hat ein
dreiviertel Jahr lang eine Stelle bei der Filiale Köln der Dresdner Bank.
Er bewirbt sich beim (linksliberalen!) Berliner Tageblatt als Redakteur,
— man lehnt ihn ab. Er bewirbt sich bei Theatern als Dramaturg — mit
demselben Ergebnis. In jener Zeit der Ziellosigkeit und — so ist wenig¬
stens zu vermuten — Unzufriedenheit mit sich selbst zieht ihn ein
Freund, der schon 1922 in die NSDAP eingetreten ist, in seinen Kreis.
Man schreibt jetzt Frühjahr 1924, ein Österreicher namens Adolf Hitler
hat seine erste Partei bereits hinter sich, an der Münchner Feldherrnhalle
hat man seinen dilettantischen Staatsstreichversuch zusammengeschossen,
man hat ihn vor Gericht gestellt, verurteilt, jetzt sitzt er auf der
Festung Landsberg. Gehört hat Goebbels sicher schon von ihm, mehr
jedoch kaum. Doch nun beginnt seine Parteikarriere — Karriere im
verwegensten Sinne des Wortes. Andere betreiben Politik aus Überzeu¬
gung, als staatsbürgerliche Pflicht, vielleicht auch als Hobby, — Joseph
Goebbels gehört zu denen, die daraus einen Beruf machen. Er hat nie einen
anderen gehabt und er wird auch nie einen anderen haben.
Erst wirkt er als Redakteur an einem lokalen völkischen Blättchen in
Elberfeld, bald schon, nach der Neugründung der bisher verbotenen
NSDAP Ende Februar 1925, wird er Geschäftsführer der NSDAP-Gau-
leitung Rheinland-Nord ebenfalls in Elberfeld und bleibt es anderthalb
Jahre. Sein Mentor in der Partei ist anfangs der seinem politischen Ver¬
ständnis nahestehende Gregor Straßer, der Mann der „antikapitalisti¬
schen Sehnsucht", der Protagonist der nord- und westdeutschen „linken"
XV
darin: er verfügte über einen scharfen Intellekt, über Esprit und eine —
meist bösartige — Ironie, und er besaß — sofern dieser Ausdruck gestat¬
tet ist im Zusammenhang mit einem Regime, dessen spärliche literarische
Helden bekanntlich ihren Browning entsicherten, wenn sie das Wort
bloß hörten — Kultur. Das bezog sich nicht nur auf Bildung und Wis¬
sen, das drückte sich ebenfalls nicht nur im Lebensstil, in der zwar gewiß
nicht weniger aufwendigen, aber doch weniger protzigen und ge¬
schmackvolleren Lebenshaltung aus, sondern solche Diskrepanz zu sei¬
nesgleichen äußerte sich im ganzen Wesen. Goebbels war stets rational,
er ließ sich nie in jenen irrationalen und mystischen, meist um Volk,
Blut, Boden oder Rasse kreisenden Spinnereien gehen, wie sie damals im
Schwange waren und zu deren Adepten die meisten seiner Kollegen zähl¬
ten. Dazu war er zu romanisch, zu klar, zu sehr Mensch des Verstandes.
Und dieser Verstand arbeitete vorzüglich. Goebbels konnte vor Geist nur
so sprühen, konnte beeindrucken und brillieren.
Man kann sich gut vorstellen, wie er alles, aber auch alles kalkuliert
hat. Er war ideologisch neutral und hätte wohl auch in etablierten Hier¬
archien Chancen gehabt, wäre vielleicht auch katholischer Kirchenfürst
oder Mitglied eines kommunistischen Politbüros geworden. Man kann
sichjedenfalls ausmalen, wie er seine politische Lebensentscheidung ganz
kühl nach den gebotenen Karrieremöglichkeiten getroffen hat (wenn
man einmal den Zufall, der ihn — und nicht nur ihn — mit gelenkt hat,
aus dem Spiele läßt), wie er dann sich selbst ebenso berechnend aufge¬
baut hat wie die Sache, der er sich — nicht aus Leidenschaft, sondern
aus Kalkül — nun einmal verschrieben hatte, wie er dabei aber stets über
den Dingen stand, über den Geschichten, Lehren, Dogmen, die er selbst
verkündete und verbreitete, wie er sich gar insgeheim über all das amü¬
sierte, weil es ihm letzten Endes Hekuba war. Das alles kann man sich
leicht vorstellen, und da wäre er also, der Mephistopheles aus dem Bil¬
derbuch, ausgestattet mit der Souveränität des Amoralischen, mit Konse¬
quenz in der Verworfenheit, mit der Brillanz des Bösen. Und was man so
gemeinhin weiß, scheint sich zu einem solchen Bild zusammenzufügen.
Indes, wie im Falle Heydrich, so zeigt auch dieses Bild Risse. Und
zwar ist es hier Goebbels persönlich, dem das zuzuschreiben ist. Er hatte
nämlich die nicht ungewöhnliche Eigenheit, Tagebuch zu führen. Und
dieses Tagebuch war, so zumindest in der ersten Zeit, kein bloßes Merk¬
buch der Ereignisse und Geschehnisse als Itinerar oder als Material für
spätere literarische Verwertung, sondern eine Ablagerungsstätte für Ge¬
fühle, so ganz wie bei all den Herzblättchen und Trotzköpfchen. Und im
gleichen Stil war denn auch jenes Diarium gehalten, das noch die Blüten
ahnen läßt, die vermutlich darin gepreßt wurden. Denn aus zwei fahren
sind diese Notizen erhalten geblieben, — nicht aus fahren der Pubertät,
XVII
wie man nach dem darin entblätterten sanguinischen Gefühlswirrwarr,
nach all dem backfischhaften Oberschwang meinen möchte, sondern aus
der Zeit rund um des Verfassers 28. Geburtstag. Wer das liest 2 , reibt sich
die Augen und erinnert sich ziemlich ratlos der gängigen Goebbels-
Klischees. Wie paßt das alles zusammen? Welches ist der echte Goebbels?
Offenbar doch der aus dem Tagebuch, denn wer mit achtundzwanzig noch
so ist, wird auch mit achtunddreißig kaum viel anders sein. Mithin, dieser
Schluß zwingt sich auf, muß all das andere nur Kompensation gewesen
sein, all die Souveränität, die kühle, ironische Distanziertheit nur wenn
auch höchst kunstvoll aufgetragene Maquillage eines im Grunde ewigen
Jünglings.
Die Situation ist also kompliziert genug. Wer hinter Goebbels' rhetori¬
schen oder journalistischen Überschwang zu sehen meinte und meint, sah
und sieht in Wirklichkeit an ihm vorbei und weit weniger als der, der in
schlichter Einfalt die der Qualität nach minderen Volksdarbietungen des
Propagandisten für bare Münze nahm. Wo Joseph Goebbels sich noch so
künstlich zu exaltieren und die Register des Propagandisten für das emp¬
findliche Ohr schmerzhaft zu überanstrengen schien, war er genau¬
genommen echter und mehr er selbst als da, wo er im engeren Kreise den
„Volksaufklärer" ablegte und als homme de lettres und dezenter Plaude¬
rer mit abgewogenen Urteilen und geistreichen Sottisen bestach. Solche
Verkehrung trifft auch auf den Redner Goebbels zu, mit dem wir es in
diesem Buche zu tun haben. Er ist, ohne es vielleicht zu wissen, mehr er
selbst und echter, wo er nach entsprechender Einstimmung zuckende
Volksmassen mit rührseligem Schwulst und primitivsten Gefühlsappellen
in Ekstase versetzt, als dort, wo er in gekonnter Brillanz einen kleinen
Kreis von Menschen beeindrucken will.
Er konnte freilich beides. Denn Joseph Goebbels war der beste Red¬
ner, den die Partei hatte. Er war auch ein besserer Redner als selbst
Hitler, denn obwohl sein Führer größere rhetorische Erfolge verbuchen
konnte, waren diese doch weniger der Gewalt oder gar der Kunst seiner
Rede zuzuschreiben als vielmehr der Gewaltsamkeit seiner Persönlich¬
keit, seinem teils echten, teils und immer mehr auch manipulierten Cha¬
risma. Goebbels hingegen hatte so gar kein Charisma, eher das Gegenteil
davon. Seine Erfolge als Redner wiegen um so schwerer, wenn man be¬
denkt, daß er praktisch bei jedem Auftreten gegen seine äußere Erschei¬
nung und gegen das, was man heute sein „Image" nennen würde, „anzu¬
reden" hatte. Er war klein, geradezu mickrig, dunkelhaarig und hinkte
zu allem Überfluß auch noch zum Rednerpult empor, — jeder wußte von
seinem „Klumpfuß", jeder hielt ihn für einen ererbten „Makel" (obwohl
2 Das Tagebuch von Joseph Goebbels, Stuttgart 1960.
XVIII
dies sehr wahrscheinlich nicht der Fall gewesen ist). Er war also so unge¬
fähr der genaue Gegentyp dessen, was damals als schön und hochwertig
propagiert wurde: des großgewachsenen, blonden, erbgesunden und rasse¬
reinen Neo-Germanen. Nun, „nordisch" in jenem Amtswalterverständnis
und nach Heinrich Himmlers „wissenschaftlichen" Erkenntnissen waren
allenfalls ihre Leibgardisten, jedoch keine der NS-Größen selbst (bei dem
hier gern als Ausnahme genannten Heydrich verdarben die Augen das
Bild). Keiner jedoch entsprach so wenig der Zuchtvorlage wie Joseph
Goebbels.
Zudem aber war er im Volke weitgehend unbeliebt. Wo Hitler ver¬
göttert, die scheinbar joviale Bonbomie des dicken Göring gemocht und
einem solchen „Kerl" sein Ordenstick, sein Uniformspleen und sein
Prasserleben großmütig nachgesehen wurde: ein Typ wie Goebbels war
wenig geeignet, weite Sympathien zu wecken. Und dann war er gar noch
„Propagandaminister", welche wenig glückliche Nomenklatur zwar nicht
seine Erfindung, sondern Hitlers Einfall gewesen war, — er aber hatte es
auszubaden. Denn wer nicht gerade süchtiger, in der Wolle gefärbter Nazi
war, für den war Propaganda ein Synonym für Lüge und Goebbels also
der Mann, der diese Lügen fabrizierte. Ein Minister war etwas Feines,
etwas Respektables, ein Propagandaminster jedoch war etwas Unseriöses,
Halbseidenes, ein Schandfleck der ganzen Gilde.
So hatte denn Joseph Goebbels, ein negativer Typ selbst unter Natio¬
nalsozialisten, meist, wenn er an ein Rednerpult trat, zunächst einmal
eine Mauer wenn zum Teil auch unbewußter Abwehr zu durchbrechen,
bis er die Zuhörer in seinen Bann geschlagen hatte. Er verdankte seine
rednerischen Erfolge keinem hilfreichen Nimbus, sondern einzig und
allein seiner Technik, wenn man den Ausdruck Redekunst vermeiden
möchte. Denn eine „Redekunst" etwa im klassischen Sinne war das
natürlich nicht. Die freilich wäre wohl auch kaum zweckmäßig gewesen, —
sollte man jedenfalls meinen. In einer längeren Auslassung über eine (oder
genauer: anläßlich einer) Publikation von Hitler-Reden hat allerdings
ein renommierter Rezensent, der noch dazu Professor ist, und zwar merk¬
würdigerweise für Rhetorik, nicht etwa für Ästhetik, die entgegenge¬
setzte Auffassung vertreten und Hitler als schlechten Rhetor entlarvt: er
hat bei ihm den „harmonischen Wechsel von Parataxe und Hypotaxe"
vermißt, hat ihm meist mißlungene Metaphern angekreidet, die spürbare
Verlogenheit seiner Diktion, die Verbindung von Kargheit und Kitsch,
die klägliche Sophisterei, die hanebüchene Logik kritisiert und den „Füh¬
rer" als Kolportage-Autor mit schlechtem Hofpredigerstil abgetan. Ab¬
schließend zog dann der Rhetorikprofessor sein Fazit: Gorgias und
Quintilian hätten den Rhetor Hitler wegen Unfähigkeit zum Teufel ge¬
jagt!
XIX
Wir müssen es dahingestellt sein lassen, was Gorgias und Quintilian
getan hätten, wären sie in den Genuß einer Rede Hitlers gekommen.
Sehr wahrscheinlich jedoch ist etwas anderes: daß nämlich (und das
wäre zwar objektiv äußerst vorteilhaft, jedoch kaum in seinem Sinne ge¬
wesen) den Rhetor Hitler seine Zuhörer zum Teufel gejagt haben wür¬
den, hätte er so geredet, wie der Rhetorikprofessor meint, daß er habe
reden sollen. Welch ein Unsinn, die Reden Hitlers an denen des Gorgias
(von denen übrigens wahrscheinlich gar keine überliefert ist) oder auch
des älteren Pitt messen zu wollen! Sinn und Zweck einer Rede liegen
schließlich nicht darin, das Entzücken eines Ästheten zu wecken, sondern
sie sollen einzig und allein die Leute, zu denen gesprochen wird, in dem
gewünschten Sinne beeinflussen. Ob einer ein guter Redner gewesen ist,
darüber entscheidet nicht die philologische Kritik überlieferter Rede¬
texte, sondern das belegen allein die Berichte der Zeitgenossen über den
beim Publikum erzielten Erfolg. Darauf aufbauend erst erhält die Ana¬
lyse, warum das wohl so und nicht anders gewesen sein mag, einen Sinn.
Ja, es ist sogar denkbar, daß eine Rede, die zu einer bestimmten Zeit, vor
dem und dem Publikum und in jener ganz spezifischen Atmosphäre
großartig angekommen, die also eine gute Rede gewesen ist, zu einer an¬
deren Zeit, vor einem anderen Publikum und in einer anderen Atmo¬
sphäre gehalten, völlig erfolglos geblieben, mithin eine schlechte Rede
gewesen wäre.
Es gibt daher, strenggenommen, gar keine an sich gute Rede. Ist ein
Redner ein erfolgreicher Redner gewesen, so war er auch ein guter Red¬
ner, — beides läßt sich nicht voneinander trennen. Wenn die Reden des
erfolgreichen Gorgias den Rhetorikprofessor Jens begeistern und die des
gewiß nicht weniger erfolgreichen Adolf Hitler ihn entsetzen, so sagt das
viel weniger über die beiden Redner aus als über beider Publikum: das,
zu dem Gorgias sprach, bestand offenbar aus Intellektuellen, aus in der
Regel kultivierten Zeitgenossen, während Hitler — und Goebbels — es
nicht mit griechischen Politikern, nicht mit römischen Senatoren und nicht
mit britischen Peers zu tun hatten, sondern mit Leuten, die weder Gorgias
noch Quintilian noch Pitt zu überzeugen brauchte, weil sie zu deren Zeit,
sofern sie nicht überhaupt noch Sklaven waren, jedenfalls keine politi¬
schen Faktoren darstellten.
Ich glaube daher, daß man Gorgias und Quintilian, Parataxe und
Hypotaxe. Trikola und Klimax getrost aus dem Spiele lassen kann,
wenn es um die Beurteilung und Benotung der rhetorischen Fähigkeiten
des Joseph Goebbels geht. Dabei ist es allerdings gar nicht an dem, daß
einzig und allein sein Erfolg für den Redner Goebbels zeugen könnte, —
es existierte ganz abgesehen davon ein unleugbarer, erheblicher qualitati¬
ver Abstand zu zeitgenössischen Konkurrenten. Das gilt auch für gegne-
XX
rische Weimarer Parlamentarier, das gilt noch mehr natürlich für die
Redner seiner eigenen Partei. Wer entsprechende Tonaufnahmen kennt,
wer etwa, wie es dem Verfasser dieser Zeilen oblag, eine stattliche An¬
zahl Reden abgehört hat, die Goebbels einst in Versammlungen hielt
und wo er dann sehr oft nicht der einzige Redner war, sondern seltener
nach, meist vor ihm irgendein anderer Parteipotentat am Mikrofon
stand, — der wird wissen, was damit gemeint ist. Keiner von diesen an¬
deren, so scheint es, vermochte noch annähernd normal zu reden. Sie
spulten quälend ihre Suada ab oder spien förmlich die Brocken meist
sinnlos zerhackter Sätze ihrem Publikum ins Gesicht, überboten einander
in dem, was man damals als „militärisch", als „zackig" schätzte und was
stets unangenehm wirkt und den Ohren wehtut, was jedoch geradezu zur
Groteske wird, wenn — wie es nicht selten der Fall war — der betref¬
fende Parteigenosse in einer Stimmlage herumfistelte, welche die rnani-
rierte Markigkeit jedenfalls da besonders peinlich und lächerlich macht,
wo der Flörer nicht von hysterischen Massenemotionen umfangen ist,
sondern die Distanzierung in Ort und Zeit Nüchternheit ermöglicht. Von
einigen Ausnahmen abgesehen, besteht der Redner Goebbels solchen Test,
und es ist fast immer wohltuend, ja manchmal geradezu ein Vergnügen,
wenn einer dieser sich überschlagenden rhetorischen Flackepeter von der
wohlklingenden und gepflegten Stimme des Propagandaministers abge¬
löst wird.
Goebbels sprach beileibe nicht durchweg gut, — wir werden darauf
noch zurückkommen. Aber er sprach, selbst wenn er schlecht war, immer
noch besser als die, die vor ihm an der Reihe waren. Meist jedoch war er
nicht nur relativ gut, und oft war er sogar vorzüglich. Will man dies,
das heißt den schlechten wie den guten wie den exzellenten Redner
Goebbels sowie seine Variationsformen, zeigen, so ist eine möglichst
reichhaltige Auswahl geboten. Die Frage der Auswahl aber ist das Zen¬
tralproblem jeder Edition dieser Art. Auch in unserem Falle stand ein
Berg von Material zur Verfügung. Es gibt keine statistischen Unterlagen
darüber, jedoch dürfte Joseph Goebbels zu den Menschen zu zählen sein,
die — auf die Jahre ihrer Wirksamkeit bezogen — am häufigsten vor
einem Hörerpublikum gesprochen haben. Als zunächst lokaler, sehr bald
indes allerorts geschätzter und viel aufgeforderter Starredner der
NSDAP, dann als Propagandaleiter dieser Partei und schließlich als
Propagandaminister des Reiches hat Goebbels es zwanzig Jahre hindurch
als eine seiner wichtigsten, wenn nicht überhaupt als wichtigste Aufgabe
angesehen, Reden zu halten. Wie er in einer der hier abgedruckten An¬
sprachen sagt (und wie dies auch sonst mehrfach angemerkt wurde und
wie es völlig richtig ist), hatte die NSDAP nicht durch die Schrift, nicht
durch einen überzeugenden oder brillanten Journalismus der Parteipresse
XXI
oder der Partei nahestehender Zeitungen die Massen gewonnen, sondern
durch den unermüdlichen Einsatz ihrer Redner, — was gewiß kein Zufall
ist, muß doch das geschriebene Wort immer noch mehr mit dem Verstand
und der Kritik des vereinzelten und daher denkfähigen Empfängers rech¬
nen als die an eine gewöhnlich hilf- und kritiklose, dafür aber emotions¬
bereite Summe von Menschen gerichtete Rede. Und obschon Goebbels bei¬
des virtuos beherrschte, hat er aus Neigung wohl den direkten, persön¬
lichen Kontakt mit den seiner Überredungsgabe ausgelieferten Massen dem
noch so schönen und geschliffenen Zeitungsartikel vorgezogen, — wie er
denn auch zwar kontinuierlich Reden gehalten hat, jedoch zwischen
1933 und 1940, das heißt also zwischen dem „Angriff" und dem
„Reich", offenbar schmerzlos ohne eigenes Blatt als Forum für regelmä¬
ßige Leitartikel ausgekommen ist.
So hat denn Goebbels öfter gesprochen als jeder andere Parteiführer,
Hitler vermutlich nicht ausgenommen. Daß von Hitler streckenweise
mehr überliefert ist, beweist nicht das Gegenteil, denn natürlich sollte
von den stets epochalen Auslassungen des größten Deutschen aller Zeiten
mehr, wenn nicht alles der Nachwelt überliefert werden und selbstver¬
ständlich verlangten seine Worte eine noch weitere Publizität als die
Darbietungen der zweiten Garnitur, wo man sich im übrigen in nicht
wenigen Fällen die Rundfunkminuten und Zeitungsspalten nachrechnete
und eifersüchtig darüber gewacht wurde, daß ja keiner sich mit zuviel
Wind in Szene setzte. Das Zentralorgan der Partei, der „Völkische Beob¬
achter", ist trotzdem voll von Goebbels-Reden; es verging wohl kaum
eine Woche, in der er nicht mindestens einmal, gewöhnlich zweimal und
manchmal sogar öfter aus irgendeinem Anlaß irgendwo gesprochen hat.
Die Art der Wiedergabe freilich variiert sehr: von der bloßen Meldung,
daß er geredet habe, über die referierende Inhaltsangabe und das durch
eingestreute Zitate erweiterte Referat bis zu der mehr oder weniger ge¬
kürzten und schließlich der im vollen Wortlaut abgedruckten Rede.
Von einigen dieser Reden sind Plattenaufnahmen erhalten geblieben,
die meisten davon aus dem Archiv der ehemaligen Reichsrundfunkgesell¬
schaft. Wenn man nun diese Aufnahmen mit den Abdrucken vergleicht,
so ergibt sich, daß der Leser so gut wie nie vorgesetzt bekam, was der
Hörer gehört und was der Redner tatsächlich gesagt hatte. Für die Zu¬
sammenfassungen und die gekürzten Wiedergaben versteht sich das von
selbst, aber auch die abgedruckten Teile und die im vollen Wortlaut
publizierten Ansprachen weichen — und manches Mal ganz erheblich —
vom gesprochenen Text ab. Das konnte zwei Gründe haben. Handelte es
sich, erstens, um so etwas wie eine „Staatsrede", daß heißt also um eine
wichtigere Veranstaltung oder um „richtungweisende" Ausführungen, so
hatte Goebbels ein Manuskript vorbereitet, das er nun vor sich liegen
XXII
hatte. Ebenfalls aber lag dieses Manuskript, von einer der beiden amt¬
lichen Nachrichtenagenturen verbreitet, bereits — mit „Sperrfrist" — in
den Redaktionen, war möglicherweise auch schon gesetzt, vielleicht gar
ausgedruckt, bevor die Rede überhaupt gehalten worden war. Goebbels
aber folgte nicht sklavisch diesem Manuskript, hier und da extemporierte
er, ließ er sich auch von der Zuhörerschaft beeinflussen und inspirieren,
— und schon entstand streckenweise etwas ziemlich anderes.
Oder aber es war eine Rede, für die er nur Stichworte oder eine Dis¬
position entworfen, die er vielleicht auch ganz aus dem Stegreif gehalten
hatte. Sie war dann mitgeschnitten oder stenografiert worden, und
so hatte man sie schließlich vor sich liegen gehabt: sehr lebendig, aber keine
„Schreibe", in der Form ungeeignet, wie man meinte, für eine Veröffent¬
lichung. Und dann war sie überarbeitet, war sie „geschönt" worden, war
sie auch (ohne daß man das freilich irgendwie anzumerken für erforder¬
lich gefunden hätte) gekürzt worden, oft bis auf die Hälfte oder gar
noch mehr. Hier und da wurde sie sogar in ihrem Aufbau umgestellt,
sollte damit der rote Faden verdeutlicht werden; und der unbekannte
Redakteur, sei es nun Goebbels selbst oder einer seiner jungen Feute,
glaubte, daß es so logischer sei. Und das war es manchmal auch, nur war
es eben nicht mehr die Rede, die tatsächlich gehalten worden war, die
die Zuhörer gehört und die sie mit Beifall und Begeisterung quittiert hat¬
ten.
Damit war der Weg der Auswahl eigentlich schon vorgezeichnet.
Wenn man den Redner Goebbels richtig zeigen wollte, mußte man sich
an das noch gesprochen vorliegende Wort halten. Dieser Entschluß
wurde dadurch erleichtert, daß einerseits die wichtigsten seiner Reden,
andererseits aber auch einige im kleineren oder vertrauteren Kreis gehal¬
tene und daher recht aufschlußreiche Ansprachen seinerzeit mitgeschnit¬
ten wurden und erhalten sind, selbstverständlich neben manchem inhalt¬
lich Belanglosen. So sind denn hier von den Plattenaufnahmen die poli¬
tisch bedeutenden, die für Goebbels typischen oder auch die für eine
bestimmte „Masche" seiner facettenreichen Rhetorik besonders bezeichnen¬
den ausgewählt, transskribiert und abgedruckt worden. Gekürzt wurde
— auch da, wo es Wiederholungen gab — nichts, sondern im Gegenteil
wurden Lücken, die manche Aufnahmen aufweisen, soweit möglich nach
etwa vorhandenen Abdrucken ergänzt (jeweils in spitzen Klammern);
wo dies nicht möglich war, sind sie durch mehrere Punkte angezeigt
worden.
Nicht aus Beckmesserei, sondern um der Erhaltung der Lebendigkeit
willen wurden die Texte wortgetreu wiedergegeben, zwar nicht mit
jedem Versprechen, aber doch mit — wo es sie gab — falscher Syntax,
mit manchmal bezeichnenden oder doch für den rhetorischen Eifer typi-
XX11I
sehen Schnitzern und mit den Holzwegen, auf die auch der versierte
Redner ab und an gerät und von denen er sich dann wieder zurückfinden
muß. Ebenfalls wurde die Reaktion der Hörerschaft vermerkt, wobei
freilich auf damals beliebte Superlative wie „nichtendenwollend" und
ähnliches verzichtet wurde, — „langanhaltend" allerdings doch hin und
wieder gebraucht werden mußte, um dem Leser eine Differenzierung zu
ermöglichen. Gelegentlich ist zu hören, wie Goebbels mehrere Worte
oder auch jedes betonte Wort eines Satzes, manchmal auch einiger Sätze
hintereinander, dadurch unterstreicht, daß er auf sein Pult klopft. Dies
wurde angemerkt, und ebenso sind vom Redner mit besonderem Nach¬
druck betonte Worte durch Kursivdruck hervorgehoben worden, damit
auch der Leser sich die Satzmelodie wenigstens annähernd rekonstruieren
kann.
Natürlich sind dies alles nur Hilfsmittel. Genaugenommen dürften
Reden gar nicht in Büchern, sondern nur auf Tonträgern veröffentlicht
werden, kann doch die gedruckte Wiedergabe lediglich ein Notbehelf
sein. Dies ist besonders bedauerlich im Hinblick auf die Variationsbreite
der Goebbelsschen Rhetorik, die der Druck nun einmal nicht wiederge¬
ben kann. Da ist erstens etwa die Rundfunkansprache: Goebbels liest sie
vom Blatt ab, in gleichbleibendem Tempo und fast ohne Betonungen
oder Stimmhebungen. Er hat nicht oft solche Ansprachen gehalten, er
hat sich offenbar allein mit dem Mikrofon nicht wohlgefühlt, er
brauchte wohl sein Publikum vor sich, benötigte dessen Reaktionen, über¬
haupt ein Echo, um selbst „in Fahrt" zu kommen. Im vorliegenden Band
sind — neben den nicht näher zu identifizierenden, aber offenbar auch im
Studio entstandenen Aufnahmen Nr. 1 und Nr. 8 — zwei solche Rund¬
funkansprachen abgedruckt worden: die eine (Nr. 5) gehalten noch vor
der „Machtübernahme", als den Parteien in einem der vielen Wahl¬
kämpfe des Jahres 1932 Sendezeiten zur Verfügung gestellt wurden, die
andere (Nr. 20) eine Rechtfertigung der skandalösen, bei allen noch
Sehenden Erschrecken auslösenden Vorkommnisse des 30. Juni 1934. Zu¬
sammen mit den Endsiegreden des Kriegsendes stellt sie das Verlogenste
dar, was Goebbels überhaupt geboten hat, — in beiden Fällen kannte er
die Wahrheit, die er nicht nur nicht sagen durfte, sondern die er in ihr
genaues Gegenteil verkehren mußte.
Als Sonderform der Rundfu'nkansprache finden wir weiter die Repor¬
tage, für die sich auch der Minister keineswegs zu vornehm war und die
Goebbels vor allem 1933, im frischen Besitz des Funks, offenbar gern
von irgendwelchen „historischen" Ereignissen, die sich natürlich nur um
die Person des „Führers" drehen konnten, geliefert hat. Von ihnen sind
eine Sportpalast- und eine Hamburger Kundgebung aus jenem Jahre
(Nr. 11 und Nr. 12) sowie — aus späterer Zeit — ein Bericht vom Be-
XXIV
such Hitlers im frisch „angeschlossenen" Wien (Nr. 33) aufgenommen
worden. Eine Äußerung am Tage der „Machtübernahme" (Nr. 9) kann
man ebenfalls unter dieser Rubrik nennen.
Kaum differenzierter in Tempo, Lautstärke und Betonung erweist sich
der Rechenschaftsbericht, hier praktisch ausschließlich die Goebbels
obliegende und von ihm alljährlich abgelegte Ergebnismeldung des letz¬
ten Winterhilfswerks. Da diese Zahlenkolonnen von Mehltüten und
Wollsocken vor allem in den ersten Jahren meist ebenso lang wie ermü¬
dend sind, wird man erst im zweiten Band die Wiedergabe einer solchen
— nun kürzer gewordenen — Bilanz finden.
Anders schon hören sich die vielen von Goebbels gehaltenen Festreden
an, meist anläßlich irgendeiner Eröffnung und vor irgendwelchen Hono¬
ratioren, aber auch aus dem einen oder anderen sonstigen Anlaß gehal¬
ten. Hier spricht der „Staatsmann" Goebbels, der kompetente Parteifüh¬
rer oder auch der Mäzen und Schutzherr der schönen Künste. Und es
präsentiert sich dementsprechend ein zwar nicht langweiliger und durch¬
aus modulierender, aber doch abwiegender und beherrschter Redner,
humorvoll gelegentlich und auch ironisch, aber ohne Witzchen in kleiner
Münze, nachdrücklich, wo es ihm nötig erscheint, aber ohne Geschrei
und Gegeifer. Im vorliegenden Band findet der Leser einige solcher
Reden aus unterschiedlichen Anlässen: bei der berüchtigten Bücherver¬
brennung am 10. Mai 1933 (Nr. 14) — denn auch das war eine Feier,
eine Sonnwendansprache aus dem gleichen Jahre (Nr. 16), vom Novem¬
ber 1933 dann die Eröffnung seiner Reichskulturkammer (Nr. 18 — mit
der bestechenden, auch später noch einmal gebrauchten Rechtfertigung
der nationalsozialistischen Exzesse: Man dürfe das Licht nicht ausblasen,
um den Schatten zu beseitigen!), ein Jahr später die Eröffnung der
„Woche des deutschen Buches" (Nr. 22) und kurz darauf die des
1. Reichspressetages (Nr. 23) — eine nicht allein wegen der in der Samt¬
pfote gezeigten Krallen, sondern auch insofern bemerkenswerte Rede, als
ihr düsterer, auf Durchhalten gestimmter Tenor überrascht. Das Regime
sah sich damals in einer vor allem wirtschaftlichen Krise, und Goebbels ent¬
wickelt hier schon ein Krisenkonzept, das er später, als Hitlers mutwillig
angezettelter Krieg verlorenging, bloß zu übernehmen brauchte: Nur
nicht schlapp machen, nicht müde werden, nach dem Sieg sind all diese
Quisquilien vergessen, er wird alle Probleme lösen. Weiter hört man
Goebbels die „Reichs-Theaterfestwoche" von 1935 eröffnen (Nr. 25),
wobei er am Ende ein perfektes Beispiel von Hybris liefert, und im selben
Jahre den neuen Reichssender Saarbrücken (Nr. 29) in einer Rede, die
eigentlich schon mehr der nächsten Gruppe angehört, die schon mehr der
Demagogie gewidmet ist, wo man seine Zynismen findet (etwa über die
Dummheit der Weimarer Demokratie, „uns Meinungsfreiheit" gegeben
XXV
zu haben, — man sollte sich solcher Offenheiten erinnern, wo Leute sei¬
nes Schlages, noch nicht „an der Macht" befindlich, in edler Entrüstung
aufheulen, wenn der liberal-demokratische Staat sich ihrer auch noch so
sanft zu erwehren versucht). Ganz anders schließlich — das letzte Bei¬
spiel einer Feierrede — der „gute Schutzpatron der deutschen Kultur",
der im Juni 1937 in der Walhalla bei Regensburg die Laudatio auf den
Komponisten Bruckner hält (Nr. 30). Gern benutzt Goebbels bei solchen
Anlässen eine pastorale Weihesprache mit altertümelnden Wortformen
(lasset, liebet, habet) und biblischen Interpolationen, etwa: „Ich aber
sage Euch oder — besonders oft — die Verkündung: „Wir sind
nicht gekommen . . (vgl. vor allem Nr. 17, aber auch etwa Nr. 15,
Nr. 24 und Nr. 29). Wie hätte man freilich auch ohne Anleihen beim
Sakralbereich dieser einmaligen Zeit gerecht werden können!
Was in solchen Feierstunden gewöhnlich nur anklingt, wird auf einer
politischen Kundgebung zum beherrschenden Moment: Goebbels' Rede
ändert im Verlauf völlig ihren Charakter. Er setzt ruhig und langsam
ein, um sich immer mehr in wechselnder Betonung und Lautstärke zu
steigern bis zum gelegentlichen Brüllen, er flicht Witzchen und sonstige
Gags ein, die seine meist unbedarften, jedenfalls aber als Masse reagie¬
renden Zuhörer begeistert mitgehen lassen. Von derartigen Veranstaltun¬
gen findet man — abgesehen von dem „Kampfzeit"-Fragment Nr. 6 —
im vorliegenden Band erstens eine Kundgebung der für die bevorstehende
Abstimmung einzuschwörenden Saarbevölkerung am 6. Mai 1934 (Nr. 19).
Sie ist in die Sammlung aufgenommen worden als Beispiel für eine
„schlechte" Rede, besteht sie doch lediglich aus leerem Geschwätz. Goeb¬
bels scheint nur zu reden, um die Zeit auszufüllen. Unerträglich wieder¬
holt er noch die banalsten Phrasen, und der Schwulst, den er bei solchen
Gelegenheiten gern an den Mann bringt, wirkt hier besonders übel, weil
der Redner sich dabei offensichtlich selbst langweilt und nur ein Pflicht¬
pensum erledigt. Man scheint die miserable Qualität auch damals schon
bemerkt zu haben: es unterblieb die Verbreitung in der Presse, wo nur
kurz die „große Rede" des Ministers registriert wurde — eine durchaus
unübliche Bescheidenheit. Ganz anders wirkt eine Wahlrede vor den ins
Reich heimgekehrten Sudetendeutschen in ihrer „Gauhauptstadt" Rei¬
chenberg am 19. November 1938 (Nr. 35), die ein Beispiel gekonnter
Demagogie bietet. Obschon ein dankbares Publikum leidenschaftlich
applaudiert, zeigt diese Rede doch auch deutlich die Begrenztheit des
Goebbelsschen Repertoires: Jahre hindurch hat er die nun einmal als
wirksam erwiesenen Mätzchen zu stets neuer Verwendung aufbewahrt,
— man kann sich danach vorstellen, wie ungefähr seine „Gesammelten
Werke" aussehen würden.
Noch anders hört sich eine Goebbels-Rede an, wenn eine Massenkund-
XXVI
gebung im Freien stattfindet, wofür hier die folgenden Anlässe Beispiele
liefern: eine Wahlkundgebung im Berliner Lustgarten am 9. Juli 1932
(Nr. 4), ein Jahr danach eine Kundgebung aus Anlaß eines Besuches des
nunmehrigen Reithspropagandaministers in Hamburg (Nr. 15), wo sein
Hang zum Prahlen kulminiert und billiger Triumph verkündet: „Der Staat
ist unsere Beute!"; dann eine weitere Wahlkundgebung aus späterer Zeit,
abgehalten in dem unter Völkerbundsverwaltung stehenden Danzig am
6. April 1935 (Nr. 24), eine Kundgebung der Auslanddeutschen auf dem
Breslauer Turn- und Sportfest von 1938 (Nr. 34) sowie eine offenbar
improvisierte Ansprache wiederum in Danzig, diesmal während der von
Hitler zubereiteten und schließlich zum Kriege führenden Danzig- und
Polenkrise von 1939 (Nr. 37). Gerade die beiden Danzig-Reden sollte
man miteinander vergleichen, da sich Goebbels hier bei ähnlichen Anläs¬
sen recht unterschiedlich gibt. Die von 1939 entfesselt — was der Leser
leider nicht beobachten kann — die gewaltigste Massenhysterie, die eine
von ihm im Ton überlieferte Rede der Friedensjahre überhaupt zustande
gebracht hat. Seine Zuhörer sind schon bald nahezu von Sinnen, und man
muß dem Demagogen Goebbels zugestehen, daß er sie auch gekonnt auf¬
zuputschen versteht, rein aus der Situation des Tages heraus und ohne
Anwendung billiger Tricks. Diese benutzt er hingegen reichlich in der
Rede von 1935. Er setzt, wie üblich, getragen ein, wird dann einigerma¬
ßen witzig, ist aber bald schon nur noch albern. Er bringt dünne Spä߬
chen und Clownerien, abgegriffene Kalauer wie ein drittklassiger Confe¬
rencier, ein Büttenredner minderer Güte. Und doch: den Danzigern ge¬
fällt es so, sie amüsieren sich königlich. Auch das also ist, Walter Jens
zum Trotz, eine gute Rede gewesen, und man kann annehmen, daß
Goebbels sein Niveau nicht so verloren haben würde, hätte ihn das Ver¬
gnügen seiner Zuhörer nicht die Zügel schießen lassen.
Was die Redetechnik anlangt, ist zu diesen Reden auf Massenkund¬
gebungen unter freiem Himmel noch ein Hinweis für den Leser nötig. Mit
Rücksicht auf das Nachhallen des Echos der verschiedenen Lautsprecher
nämlich (von einem Techniker habe ich mir sagen lassen, daß das heute
ausgeglichen werden kann und solche Rücksichtnahme nicht mehr nötig
ist) zerhackt hier Goebbels vor allem in den ersten Jahren seine Sätze in
lauter kleine Portionen von je drei oder vier Worten, die er in seine Zu¬
hörerschaft hineinschreit. Wenn er so brüllt, ist er am schlechtesten.
Seine Stimme scheint nur aus dem Kopf zu kommen, man spürt beinahe
schmerzhaft, wie er sich abquält und überanstrengt, — es wirkt peinlich
und unangenehm. Das konnte Hitler besser, der gewissermaßen aus dem
Unterleib zu reden schien und dessen — im Gegensatz zu Goebbels — an
sich häßliches, heiser-kehliges Organ im Schreien eine Faszination aus¬
übte, der — viele verwechselten das mit Dämonie — die Menschen ein-
XXVII
fach verfallen sind. Wenn jemand dem Freiluftredner Goebbels verfallen
sein sollte, so kann das eigentlich einzig und allein auf das — in allen
solchen Fällen ja maßgeblich beteiligte — merkwürdige Phänomen des
Massenerlebnisses zurückgeführt werden. Denn in normalem Zustande
konnte ein Mensch eigentlich nur den innigen Wunsch haben, daß der da
vorn oder da oben doch möglichst bald aufhören möchte.
Das, wie gesagt, gilt nur für die Kundgebungen unter freiem Himmel.
Im Raum wirkte Goebbels objektiv unzweifelhaft besser, — Hitlers
„Nimbus" einmal unberücksichtigt gelassen, der bewirkte, daß er sich
auch auf allen vieren hätte niederlassen und bellen können: die Leute
wären trotzdem vor Begeisterung auf die Stühle gestiegen. Am besten
aber wirkte und sprach Goebbels, wenn er vor einem kleineren Kreise
auftrat, den er nicht als „Masse" behandelte, sondern wo er zu jedem
einzeln zu reden schien. Bei solchen Gelegenheiten benutzte er dann
einen Plauderton, der ihm außerordentlich gut gelang und der ihm auch
lag. Er war geistreich und witzig, gern ironisch (was in den großen Mas¬
senkundgebungen — stürmisch bejubelt, also richtig — zu jenen
Kalauern und oft ziemlich albernen Witzeleien heruntergestuft wurde),
gab sich den Anschein, froh zu sein, mit Leuten sprechen zu können,
mit denen er gemeinsam — wie er das an anderer Stelle so hübsch gesagt
hat — „den Problemen ohne Zucken in die mitleidlosen Augen hinein¬
schauen". denen gegenüber er endlich einmal völlig offen sein, denen er
alles sagen konnte (und tatsächlich war er auch gelegentlich erstaunlich
offenherzig, das gehörte wohl zu dieser Behandlungsmethode), so ganz
Kamerad unter Kameraden, alter Kämpfer unter alten Kämpfern, Fach¬
mann unter Fachleuten. Solche Vorträge hielt er stets aus dem Stegreif;
er sprach dann sehr schnell, manchmal, vor allem bei Pointen, sich über¬
schlagend, im lässigen Erzählton, streckenweise direkt leise, nur gelegent¬
lich plötzlich ein lautes, meist bösartig betontes Wort in den eleganten
Redefluß — ja, man muß schon sagen: hineinknallend, die etwa verges¬
sene Kralle im Samtpfötchen in gebührende Erinnerung bringend, so daß
sich der vermutlich nicht selten erschrocken zusammenfahrende Zuhörer
sagen mochte: Schon gut, daß ich dazugehöre, — Gegner möchte ich lieber
nicht sein!
Drei gute Beispiele für solche Ansprachen sind hier wiedergegeben. Die
eine stammt aus den Wochen nach der „Machtübernahme", vom
25. März 1933 (Nr. 13), wo Goebbels — wie in ähnlichen Adressen auch
die führenden Leute von Presse und Film — die Rundfunkintendanten
mit einer raffinierten Mischung von Zuckerbrot und Peitsche, von Ver¬
lockungen und Drohungen vor den Karren der siegreichen NS-Bewegung
zu spannen versucht. Ihnen bietet er, der mit schwarzem Humor für sich
und seine Genossen bekennt, „schlimmer als die Faschisten" zu sein.
XXVIII
eine unzerstörbare Kameraderie „auch im Bösen" an, — und wer diese
akzeptiert hat (sehr viele waren das freilich nicht, denn der Beifall war
trotz rhetorischer Bravourleistungen dünn und Entlassungen folgten),
der sollte Gelegenheit bekommen zu erfahren, wie bitterernst das ge¬
meint war. Weiter findet man eine Befehlsausgabe an die Propaganda¬
leiter anläßlich des Reichsparteitages von 1935 (Nr. 27), auf dem soeben
die berüchtigten „Nürnberger Gesetze" verkündet worden waren. Dies
ist eine der besten Reden, die Goebbels gehalten hat, sehr wirksam, aber
auch sehr infam, in ihrem Inhalt ein ziemlich unverhüllt dargebotenes
Bild nationalsozialistischer Politik. Und schließlich haben wir drittens
noch eine Vergatterung der gesamten Parteiführerschaft für den nach
dem Anschluß Österreichs anberaumten Reichstags-,, Wahlkampf"
(Nr. 32), der nicht mehr zu überbietende Spitzenergebnisse an Wahl¬
beteiligung und Ja-Stimmen erbringen sollte und dann auch erbracht hat.
Hier ist Goebbels allerdings nicht in Form, er ist offenbar nervös oder
schlecht vorbereitet, in vielen Sätzen stimmen Syntax oder Grammatik
nicht, er verspricht sich auch immer häufiger und wird immer unpräziser,
— wieweit diese Unkonzentriertheit etwa mit seinen damaligen persön¬
lichen Kalamitäten zusammenhängt, muß dahingestellt bleiben.
Gut gelangen — um nun noch einige rhetorische Spezialia anzuführen
— Goebbels ebenfalls die Trauerreden, für den Volksgebrauch mit kit¬
schigem Schwulst überladen, aber auch literarisch für gehobenere An¬
sprüche, das gepflegte Organ effektvoll tremolierend. Dieses vor allem in
der ganz vorzüglichen Trauerrede für den im Oktober 1935 verstorbenen
Theaterkammer-Präsidenten Laubinger (Nr. 28), die vielleicht am ehe¬
sten antike Ansprüche erfüllen und auch einen Rhetorikprofessor zufrie¬
denstellen könnte. Hier sehen wir Goebbels offensichtlich ehrlich ergrif¬
fen (und warum soll es das schließlich nicht auch bei ihm gegeben
haben?). Die rauhe Stimme zwar könnte von Heiserkeit herrühren,
manchmal jedoch versagt sie ihm direkt den Dienst, bricht. Gerade diese
Ansprache müßte man eigentlich unbedingt hören, gewiß wirkt sie ge¬
lesen weit weniger eindrucksvoll. Jedenfalls kommt er hier, mit Aus¬
nahme einiger nicht sehr störender Ansätze, ohne jene sentimentale Thea-
tralik aus, in der er sich sonst bei Traueranlässen gern ergeht, ohne jene
kitschige Masche, die er um tote Hitler-Jungen oder verblutende SA-
Leute häkelt. Auch dafür, für die mehr oder weniger gemimte Trauer,
kann man Beispiele nachlesen: das Begräbnis des in der Jubelnacht der
„Machtübernahme" Überfallenen SA-Sturmführers Maikowski (Nr. 10),
die „Einweihung" von Horst Wessels Sterbezimmer im Oktober dessel¬
ben Jahres (Nr. 17) und schließlich die Trauerfeier für die Opfer eines
Einsturzunglücks beim Bau des Berliner S-Bahn-Tunnels im August 1935
(Nr. 26). Auch die (Studio-?)Aufnahme Nr. 7 gehört in diese Reihe.
XXIX
Der Trauerrede thematisch entgegengesetzt, in der Pathetik jedoch ihr
nahekommend, ist Goebbels' Huldigungsrhetorik. Da sie fast ausschlie߬
lich auf die Person des einzigartigen Führers bezogen war, fand Goeb¬
bels hier letzte Erfüllung und Steigerung erst in der Kriegszeit, — der
zweite Band dieser Sammlung wird ihn in diesem Metier und in der
Vollendung seines ungeheuerlichen Byzantinismus zeigen. Für die Frie¬
densjahre mögen drei kurze Begrüßungen vor Hitler-Reden genügen, die
eine bei einem der jährlichen Erntedankfeste auf dem Bückeberg
(Nr. 21), die zweite beim Mussolini-Besuch von 1937 (Nr. 31), die dritte
schließlich bei der letzten Maifeier im Frieden (Nr. 36).
Zu nennen blieben endlich noch zwei Reden, die Goebbels im Reichs¬
tag der Weimarer Zeit gehalten hat, — die einzigen überlieferten Ton¬
dokumente, in denen er vor einem Publikum spricht, das nicht nur aus
gläubigen Anhängern besteht, sondern das seine Einwände noch artiku¬
lieren kann und dies auch tut. Es handelt sich um eine Debatte über die
1932 fällige Reichspräsidentenwahl vom 23. bis 25. Februar jenes Jahres
(Nr. 2 und 3). Das Material ist zu knapp für ein gültiges Urteil, aber zu¬
mindest hier zeigt sich Goebbels — der später gern damit kokettierte, die
„Kampfzeit" mit ihren politischen Auseinandersetzungen genossen zu
haben und ihr als einem ihm eher gemäßen Turnierfeld nachzutrauern —
eigentlich ziemlich unbeholfen: er hält seine — wohl schriftlich fixierten
— Reden, ohne, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf Einwürfe und
Zwischenrufe schlagfertig einzugehen.
Die Register, die Goebbels zur Verfügung standen, waren also, wie
man sieht, bedeutend weit gefächert, — ganz anders als etwa bei Hitler,
der eigentlich nur eine einzige Art von Ansprache oder Rede kannte, ob
er nun zu zwanzig Parteiführern oder zu 20 000 SA-Männern sprach, ob
er zwei Dichter im Klubsessel oder zwei Millionen Berliner auf dem
Tempelhofer Feld vor sich hatte. Joseph Goebbels beherrschte sein Fach,
das konnte ihm keiner bestreiten. Kleine Eigenheiten und Unzulänglich¬
keiten werden dieses Gesamturteil über den Rhetor Goebbels kaum be¬
einträchtigen. Daß er zum Beispiel am Ende von Fragesätzen nie die
Stimme hob, mag darin eine Rechtfertigung finden, daß es sich eben um
rhetorische Fragen handelte. Es gab da im Grunde nichts zu fragen, seine
Fragen waren stets Aussagen oder Befehle. Wenn hier trotzdem Frage¬
zeichen gesetzt worden sind, so ist also zu berücksichtigen, daß diese
kaum je artikuliert wurden. Den empfindlicheren Hörer stören indes an¬
dere Kleinigkeiten. Einmal sind da einige gespreizt wirkende Anleihen
beim Deutsch des 19. Jahrhunderts, etwa „Hülfe" oder „Düten". Oder
die — sofern er nicht abliest — ständige Aussprache „tuen" statt „tun",
die ihm abzugewöhnen seine Mitarbeiter vergeblich versucht haben; das
wollte er nicht anders.
XXX
Was er anders wollte, was ihm jedoch Schwierigkeiten bereitete, die er
nur gelegentlich überwinden konnte, war der Buchstabe e nach Diph¬
thongen, insbesondere nach au. Manchmal schaffte er es, meistens jedoch
gelang es daneben, und es hieß dann — der Leser wird es des öfteren an¬
gemerkt finden — „Bauren", „Mauren", „daurend" und ähnlich. Hin
und wieder geschieht dieses Vertauschen von e und nachfolgendem r
auch sonst, — da heißt es dann etwa „versichren" statt „versichern",
„andren" statt „andern", „beteuren" statt „beteuern" und dergleichen
mehr.
Nicht weniger irritierend ist Goebbels' Verhältnis zur englischen Aus¬
sprache. Er hat Englisch nicht im Gymnasium gelernt und ist sein Leben
lang nicht damit zurechtgekommen. Während er französische Wörter
fehlerfrei und selbst den schwierigen Potemkin noch richtig Patjomkin
ausspricht, wurstelt er mit englischen Vokabeln und Namen zum Gott¬
erbarmen herum. Der Daily Herald gelingt ihm ebensowenig wie der
Manchester Guardian, Dawes ebensowenig wie Young, — er spricht zwar
Bluff tapfer deutsch aus, anglisiert jedoch völlig überflüssig den Prinzen
Hamlet und so weiter und so fort, man wird genügend Beispiele dafür
finden. Daß der Jahrgangsprimus seltsamerweise im Gebrauch von „als"
und „wie" nicht sattelfest war (vgl. etwa Nr. 35) und bei mehreren Sub¬
jekten das Verbum sehr oft im Singular brachte, sei in diesem Zusam¬
menhang noch am Rande bemerkt.
Wichtiger als das jedoch ist die bemerkenswerte Kargheit des Reper¬
toires, mit dem Goebbels vor allem seine Kundgebungsreden bestritten
hat. Daß ein Redner beispielsweise in einem Wahlkampf, in dem er viele
Reden in verschiedenen Städten hält, nun nicht überall Neues bringen
kann und wird, sondern die gleiche Rede mit jeweils etwas Lokalkolorit
aufbereiten wird, ist selbstverständlich. Goebbels freilich hat Jahre hin¬
durch dasselbe Gericht geboten, die gleichen Ingredienzen benützt,
manchmal leicht geändert und anders zusammengestellt, hin und wieder
aber auch nahezu identisch, — getreu der Erkenntnis, die er hier seinen
Leuten vermittelt: daß nämlich das Volk nicht ständig etwas Neues
hören möchte, sondern das bewährte Alte in höchstens abgewandelter
Form. Und wenn man beobachtet, mit welcher Begeisterung solche
Klischees immer wieder aufgenommen werden — ob es sich nun 1932 um
die offenbar unentbehrliche Hundepeitsche des Polizeipräsidenten Grze-
sinski handelt oder 1939 um die Drewitzschen Bäckereifilialen an den
Reichsautobahnen —, so möchte man Goebbels eigentlich recht geben.
Sein Zettelkasten in den Friedensjahren, bis er sich dann im Kriege
neue Bausteine für seine rhetorischen Gebäude einfallen lassen mußte,
war mithin kaum mehr als ein Kästchen. Die folgenden gängigen Stereo¬
typen lassen sich aus diesen Reden herausfiltern:
XXXI
1. Die nationalsozialistische Revolution kam von unten, nicht von
oben; alle Schichten sind im Nationalsozialismus vereint.
2. Wir haben zwar auch hin und wieder einen Fehler gemacht, aber man
darf nicht das Licht ausblasen, wenn man den Schatten beseitigen will.
3. Wir sind klüger gewesen als unsere Gegner, wir sind kühn (wer
nichts einsetzt, gewinnt nichts), und wir tun nicht nur das Richtige,
sondern das auch im richtigen Augenblick.
4. Deshalb haben wir Erfolg, aber auch Glück, weil Glück eben nur der
Tüchtige hat.
5. Unsere großen Taten wären in der Demokratie unmöglich gewesen.
6. Diese Taten sind vor allem: Arbeitsbeschaffung, WHW und Wieder¬
bewaffnung.
a) Wir sind die wahren Sozialisten; wir haben zwar keine Theorie,
geben aber Brot statt Steine.
b) Wir sind die wahren Christen, obwohl wir Gott nicht als Frak¬
tionskollegen reklamiert haben.
c) Wir haben die Deutschen wieder zu einem Weltvolk gemacht; wir
sind bis an die Zähne bewaffnet, aber nur für unser Recht und für
den Frieden.
7. Deshalb mag man uns im Ausland natürlich nicht; aber die Deut¬
schen, die mögen uns — bis auf einige ganz wenige Kritikaster, die
sich schon selbst nicht mögen.
8. Gewiß gibt es noch kleine Mängel und Mangelerscheinungen, doch
darf, wer Weltgeschichte machen will, nicht den Standpunkt des
Buttereinkäufers einnehmen.
9. Nationalsozialismus und Antisemitismus sind keine Exportartikel, —
im Gegenteil: wir wollen das gar nicht.
10. Meinungsfreiheit gibt es auch in der Demokratie nur für wenige, —
außerdem war es dumm, sie uns zu gewähren.
11. Die Partei ist nicht überflüssig, weil Deutschland jetzt nationalsozia¬
listisch ist, wie sich ja auch die Katholische Kirche nicht auflöst in
einem Land, das katholisch ist.
12. Die Führer des Dritten Reiches haben es nicht etwa einfacher als die
der Demokratien, sondern schwerer: sie müssen die Verantwortung
allein tragen.
13. Alles ist möglich, wenn man nur will!
All dies tischt er mit schöner Regelmäßigkeit auf. — manches davon
stimmt, das meiste ist gelogen oder doch zumindest übertrieben oder
irgendwie verfälscht. Denn natürlich lügt Goebbels. Etwa, wenn er be¬
hauptet, ausgerechnet das Dritte Reich wolle den Kirchen seinen starken
Schutz angedeihen lassen, ausgerechnet das Dritte Reich wolle nur den
Frieden, ausgerechnet das Dritte Reich treibe eine verantwortungsbe-
XXXII
wußte Politik und so weiter und so fort. Das alles kann hier nicht im
einzelnen jeweils per Fußnote erörtert und widerlegt werden, — es ver¬
steht sich von selbst.
Aber schließlich gehörte das Lügen ja nun einmal zu seinem Beruf,
und wer irgendwo und irgendwann eine ähnliche Aufgabe hat, wird mit
dem achten Gebot vermutlich so seine Schwierigkeiten haben. Es wirkte
grotesk, als mich vor nicht allzu langer Zeit ein amerikanischer Student
aufsuchte, der an seiner thesis saß (die wohl „Goebbels als Lügner" oder
so ähnlich geheißen haben muß) und nun allen Ernstes und mit der ganzen
herrlichen Naivität des Mittelwestens oder des Jahres 1945 Belege dafür
sammelte, daß mit diesem bösen Goebbels quasi etwas völlig Neues auf
der Welt in Erscheinung getreten sei, daß mit ihm in einer honorigen
Gesellschaft nur der Wahrhaftigkeit verpflichteter Politiker nun plötzlich
der ja auch tatsächlich hinkende Leibhaftige erschienen sei.
Selbstverständlich ist das Unfug. Ja, man könnte beinahe sagen, daß es
sich umgekehrt verhält. Denn genaugenommen lügen mehr als der kleine
Mann aus Rheydt mindestens alle jene Kollegen vor, neben und nach
ihm, die „Informationsämter" oder dergleichen leiten und damit jeden¬
falls den Anschein erwecken, objektiv zu informieren. Goebbels hingegen
war (wie immer die Bezeichnung entstanden sein mag, sie war da) Mini¬
ster für Propaganda, trat also gewissermaßen vor die Leute bereits mit
der Ankündigung, er werde lügen, — setzt das doch nun einmal jeder bei
„Propaganda" oder „Reklame" als gegeben voraus. Wer aber derart vor
sich selbst warnt, der kann zwar faktisch noch Unwahrheiten sagen —
aber lügen? Joseph Goebbels war, wenn man es richtig betrachtet, nicht
mehr und nicht weniger ein Lügner als etwa der Baron v. Münchhausen.
Und wer dem Baron seine Geschichten abgekauft, wer sie als bare Münze
genommen hat, ist eigentlich selbst daran schuld gewesen.
„Schuld" in dem Sinne waren die Menschen, die Goebbels so gern
glauben wollten, und „schuld" war die Zeit, in der das geschah. Sie und
weniger seine obschon bedeutenden Fähigkeiten haben ihm den Erfolg
beschert, haben den Rattenfängereffekt erzeugt. Joseph Goebbels selbst
war ein kompetenter Propagandist und — meist — ein hinreißender
Redner, aber kein Genie und schon gar nicht (man kann das über Hitler
und seine Paladine offenbar nicht oft genug sagen) der Dämon, zu dem
man ihn so häufig stilisiert. Er war nicht Beelzebub, mag er sich auch
noch so gut für diese ungemein dankbare Rolle eignen. Man besetzt sie
ebenso oft wie gern und gestaltet sie mit liebevollem Gruseln aus. Denn
das Böse ist gewöhnlich attraktiv, ist interessant, ist abwechslungsreich,
wo das Gute meist langweilig und allenfalls erbaulich wirkt. Wie denn ja
auch nicht zufällig dem menschlichen Geist in einigen tausend Jahren
zwar mehrere recht eindrucksvolle und ungemein plastische Darstellun-
XXXIII
gen der „Hölle" gelungen sind, jedoch keine des „Himmels", ohne daß
diese Spielwiese der Seligen um ein Mehrfaches übler sein müßte als die
schlimmste Bratküche der Sünder.
Man darf sich von Joseph Goebbels nicht bestechen lassen, — nicht
positiv im Guten und schon gar nicht negativ im Bösen. Sein Handwerk
verstand er, verstand er sogar blendend, — als Mensch war er allenfalls
Mittelmaß: ein Pfahlbürger mit der alle Hemmungen überrollenden Gel¬
tungssucht des körperlich kleinen Mannes, ein mit scharfem Verstand ge¬
schlagener Kitschier, ein sich wendig gebender Intellektueller, der in
Wirklichkeit ein romantischer Schwärmer und ein gefühlsseliger, treuer
ewiger Jüngling war, letzteres zwar zu verbergen und zu kompensieren
trachtete, das aber nicht oder nur unvollkommen konnte und deshalb
immer wieder zwischen diesen beiden Polen hin- und hergerissen wurde.
Das ist die Wirklichkeit. Sie ist wohl stets banal oder zumindest ambi¬
valent. Erst Distanz und Legende schaffen dann die Holzschnitte: das
Gute, das Böse, das Große, das Brillante par excellence. Der wirkliche
Eichmann — du lieber Himmel! Da bleibt dann nichts, aber auch gar
nichts mehr übrig von der Brillanz des Bühnen-Eichmann, da ist dann
nur noch — Hannah Arendts — Banalität.
Entsprechend muß, wer hinter den Schein zu kommen trachtet, den
wirklichen Goebbels hinter dem Bühnen-Goebbels suchen. ET brauchte
keinen Kipphardt wie der schlichte Eichmann. Sein Kipphardt — das
war er selbst. Seine Bühne — schließlich war das sein Fach — hat er
selbst hergerichtet, seine Legende selbst geschneidert.
Seine Reden sind ein Teil auch davon.
XXXIV
Nr. 1
Datum und Ort unbekannt 1 — „Appell an die Nation"
Das deutsche Volk ist ein Sklavenvolk. Es rangiert heute völkerrechtlich
hinter der letzten Negerkolonie am Kongo. Man hat uns alle Souveräni¬
tätsrechte genommen, und nun sind wir dem internationalen Börsenkapi¬
tal gerade gut genug, seine Geldsäcke mit Zinsgeldern und Prozenten zu
füllen. Darum fordern wir, daß man den Kampf proklamiert gegen die¬
sen Zustand der Schmach und Not und daß den Männern, denen wir un¬
ser Schicksal in die Hand geben, jedes, aber auch jedes Mittel recht ist,
diese Ketten der Sklaverei zu zerbrechen.
In unserem Volk gibt es drei Millionen Menschen, denen man Arbeit
und Brot verweigert. Zwar bemühen sich die amtlichen Männer, über
diesen Jammer hinwegzutäuschen: Sie reden von Sanierung und Silber¬
streifen 2 , und während es ihnen von Tag zu Tag besser geht, geht es uns
1 Das DRA führt diese Aufnahme unter dem Jahr 1932 an. Dem widerspricht
jedoch die von Goebbels genannte Zahl von 3 Millionen Arbeitslosen. Drei
Millionen Arbeitslose gab es im Januar und Februar 1929 und dann wieder
von Dezember 1929 bis Dezember 1930. Im gesamten Jahr 1931 lag die Ar¬
beitslosenzahl stets über 4 Millionen, im Sommer nur ganz geringfügig dar¬
unter; 1932 gar waren es mindestens 5 Millionen bis über 6 Millionen. Schließt
man ein unwahrscheinliches Versprechen des Redners bei dieser ihm gewiß
geläufigen Angabe aus, müßte der »Appell" etwa aus dem Jahr 1930 stammen,
mithin also die früheste Aufnahme sein, die von Goebbels existiert. Dazu paßt,
daß die für alle Goebbels-Reden von 1932 charakteristische Note des Trium¬
phes und der Verheißung des bevorstehenden Sieges hier völlig fehlt. Dazu
passen auch Aussprachefchler, wie man sie später bei Goebbels nicht mehr
findet: er spricht das n und das g in „Kongo" ohne Assimilation (Kon-go) und
„Engländer" mit betontem g (Enk-länder) aus. Freilich handelt es sich offen¬
sichtlich um eine Studioaufnahme, während Goebbels (vgl. Nr. 5, Anm. 1)
erst am 18. Juli 1932 erstmalig im Rundfunk gesprochen hat. Möglicherweise
war die Aufnahme für eine Schallplatte bestimmt.
2 Der „Silberstreif am Horizont", dieser oft zitierte und — von der Rechten verhöhnte Ausspruch Gustav
Stresemanns, war auf einer völlig abseitigen
1
von Tag zu Tag schlechter. Immer mehr schwindet die Illusion von Frei¬
heit, Frieden und Brot, die man uns einmal vorgaukelte, als wir unser
Geschick selbst in die Hand nehmen wollten. Darum fordern wir für
jeden schaffenden Deutschen das Recht auf Arbeit.
Während der Frontsoldat draußen in den Schützengräben sein Vater¬
land mit dem Leben verteidigte, kam irgendein Schieber und nahm ihm
Haus und Hof. Nun sitzt der Schieber triumphierend in den Palästen,
und der Prolet, der Frontkämpfer, haust in Löchern, für die das Wort
Wohnung zu schade ist. Eine Regierung, die da stillschweigend zuschaut,
taugt nichts. Sie muß verschwinden — je eher, desto besser für uns.
Darum fordern wir Wohnung für deutsche Soldaten und Arbeiter. Fehlt
es an Geld zum Bauen, dann treibt die Eindringlinge zum Land hinaus,
damit Deutsche auf deutschem Boden wohnen können!
Unser Volk vermehrt sich, andere Völker verschwinden. Es bedeutet
das Ende unserer Geschichte, wenn man uns durch eine feige, faule
Moral den Nachwuchs nimmt, der doch einmal dazu berufen sein soll,
unsere Mission vor der Geschichte zu vollenden. Darum fordern wir
Schaffung und Gewinnung von Raum, auf dem wir unser wachsendes
Volk ansiedeln können, Grund und Boden, auf dem Getreide wächst, das
unsere Kinder ernähren soll.
Während wir träumten und schliefen oder fremden, unerfüllbaren
Phantomen nachjagten, hat man uns unseren Besitz an barem Geld ge¬
stohlen. Man nannte das Inflation und behauptet heute, das sei ein Ele¬
mentarereignis gewesen. Aber dem ist nicht so. Das Geld ist nur aus den
Taschen der Armen in die der Reichen gewandert. Das ist Betrug —
schamloser, gemeiner Betrug*! Darum fordern wir: Gebt heraus, was Ihr
uns gestohlen habt! Wir wollen keine Aufwertung 4 , heraus mit dem
zen Raub!
Über diesen Zustand der Verelendung triumphiert eine Regierung, die
man im Interesse von Ruhe und Ordnung nicht näher charakterisieren
darf. Ob sie deutsche Belange vertritt oder nicht vielmehr die Belange
unserer kapitalistischen Peiniger, darüber zu entscheiden überlassen wir
jedem einzelnen. Wir aber fordern eine Regierung der nationalen Arbeit,
Versammlung entstanden: am 17. Februar 1924 in Elberfeld auf dem Parteitag
des 25. Wahlkreisverbandes (Düsseldorf-Ost) der Deutschen Volkspartei. Stre-
semann sprach von der Stabilisierung der Währung und der erfolgreichen Ab¬
wehr der französischen Aspirationen auf die besetzten deutschen Gebiete und
fügte hinzu: „Zum ersten Male sehen wir jetzt einen Silberstreifen am sonst
so düsteren Horizont."
3 Die Inflation war weder ein „Elementarereignis" noch — obschon einige Leute
daran recht gut verdient hatten — ein „Betrug", sondern einfach die Bezah¬
lung der Kosten des verlorenen Krieges.
4 Vgl. Nr. 3, Anm. 42.
2
Staatsmänner, die Männer sind und denen die Schaffung eines deutschen
Staates Zweck und Sinn ihrer Politik ist.
Jeder hat in Deutschland mitzureden: der Jude, der Franzose, der
Engländer, der Völkerbund, das Weltgewissen und weiß der Teufel wer.
Nur der deutsche Arbeiter nicht, er muß kuschen und arbeiten. Wir
haben das Recht, zu verlangen, daß in Deutschland nur mitredet, wer als
Deutscher an diesem Staate mitschafft und dessen Schicksal mit dem
Schicksal des Vaterlandes auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet
ist. Darum fordern wir: Vernichtung des Systems der Ausbeutung, her
mit dem deutschen Arbeiterstaat, Deutschland den Deutschen!
DRA Nr. C 1081 (3’ 30").
Nr. 2
23. 2. 32 — Berlin, Reichstag — 57. Sitzung der V. Wahlperiode (Tages¬
ordnung: Beschlußfassung über den Wahlgang für die Wahl des Reichs¬
präsidenten 1 )
Die nationalsozialistische Bewegung hat diese Gelegenheit herbeige¬
wünscht, um mit dem Kabinett Brüning 1 3 und der von ihm repräsentier¬
ten Politik eine grundsätzliche Abrechnung zu halten. Es ist nicht an
dem, als wenn die Situation, in der wir uns gegenwärtig befinden und
die mehr und mehr zur wirtschaftlichen, finanziellen und politischen
Katastrophe treibt, — als wenn diese Situation von ungefähr käme. Sie
ist das zwangsläufige Ergebnis einer Entwicklung, die in Deutschland
mit dem 9. November 1918 eingesetzt hat [Zuruf 1 ] und die auch durch
die Übernahme von Macht und Verantwortung durch das Kabinett Brü¬
ning nicht abgebrochen worden ist.
Der hervorstechend-, das hervorstechendste Merkmal der politischen
Entwicklung in den letzten zwei Jahren in Deutschland ist der 14. Sep¬
tember 1930 4 . An diesem Tage zeigte sich zum ersten Male, daß aus dem
Verfall der bürgerlichen Parteien sich eine Sechseinhalbmillionen-Armee
herauskristallisiert hatte, mit einem festen Willen, einem politischen Pro¬
gramm und einer klar umrissenen politischen Idee [Heiterkeit]. Wenn es
nach den Spielregeln — [Gelächter und Zwischenrufe], wenn es nach
den Spielregeln der Demokratie gegangen hätte, dann mußte die natio-
1 Die siebenjährige Amtszeit des am 26. April 1925 gewählten Reichspräsidenten
v. Hindenburg lief ab und eine Neuwahl war fällig.
2 Reichskanzler Dr. Heinrich B. befand sich seit Seine Regierung war die erste ohne
parlamentarische Majorität und stützte dem20.Märzl930imAmt.
sich auf das Vertrauen des Reichspräsidenten v. Hindenburg und die To-lerierur
durch die SPD.
3 Nach dem Protokoll von den Sozialdemokraten: .Die mit dem Krieg einge¬
setzt hat!"
4 In der Reichstagswahl vom 14. September 1930 hatte die NSDAP 6,4 Millionen
Stimmen und 107 Mandate errungen (gegenüber 809 500 Stimmen und 12 Man¬
daten bei der letzten Reichstagswahl am 23. Mai 1928).
4
nilsozialistische Bewegung nach dem 14. September 1930 mit der Über¬
nahme von Macht und Verantwortung betraut werden. Wenn demgegen¬
über aber das Kabinett Brüning in den dem Wahltag folgenden Tagen
erklärte, es habe sich durch die Wahl nichts geändert und es bleibe des¬
halb beim alten Kurs, so stellte diese Erklärung eine Verfälschung des
Wahlergebnisses dar [Zwischenruf: „Sehr wahr!" Unruhe], Denn sechs¬
einhalb Millionen Wähler, die uns und unserer Partei ihre Stimme und
ihr Vertrauen gegeben hatten, hatten das nicht getan in dem Glauben
und in der Hoffnung, daß wir die von Brüning betriebene Politik weiter
fortsetzten, sie hatten uns gewählt in Oppositionsstellung gegen Brüning,
und sie konnten deshalb mit Fug und Recht von uns verlangen, daß wir
entweder die Macht übernahmen mit einem Programm, das dem Pro¬
gramm des Kabinetts Brüning diametral entgegengesetzt war, oder daß
die nationalsozialistische Bewegung weiterhin in der Opposition ver¬
harrte. Da uns keinerlei Möglichkeit geboten wurde, das erste zu tuen,
mußten wir beim zweiten bleiben. Aber es durfte auch der Regierung
von vornherein klar sein, daß, wenn die nationalsozialistische Bewegung
weiterhin in der Opposition verharrte, sie auch alle Rechte, die nun ein¬
mal nach den Spielregeln der Demokratie der Opposition zustehen, für
sich in Anspruch nehmen mußten [Zwischenrufe].
Es ist die Pflicht der Regierung zu regieren, dafür hat sie die Macht
und dafür trägt sie die Verantwortung. Das aber kann und darf nicht
Pflicht der Opposition sein. Die Opposition kann sich damit begnügen,
die Regierung, ihre Taten und ihre Leistungen vor der Öffentlichkeit un¬
ter die kritische Lupe zu nehmen, und die Entscheidung darüber, wem
die Macht gebührt, der Regierung oder der Opposition, steht allein und
ausschließlich im demokratisch-parlamentarischen Regime dem Volke zu
[Gelächter und Zwischenrufe]. Es ist doch nicht an dem, als hätten nun
Parteien oder Männer ein absolutes, unabänderliches und göttliches An¬
recht auf die Macht. Es ist doch nicht an dem, als wenn bankrotte Par¬
teien, die das Vertrauen des Volkes verloren haben, ihnen nachfolgenden
Parteien Vorschriften darüber zu machen hätten, wie sie die Macht ge¬
brauchen müssen [Rufe: „Sehr richtig!"]. Wer die Macht hat, der ge¬
braucht sie [Rufe: „Hört, hört!"], und wer in der Opposition steht [Un¬
ruhe], der hat das Recht, den Gebrauch der Macht durch die Regierung
zu kritisieren.
Man hat es sich nach dem 14. September seitens der Regierung in
Deutschland sehr leicht gemacht. Man glaubte, die nationalsozialistische
Bewegung stelle nur eine Fieberkrise dar und sie werde ebenso jäh, wie
ihre Kurve hochgestiegen sei, eines Tages wieder heruntersinken [Zwi¬
schenrufe: „Sehr wahr!" Unruhe], Diese Annahme hat sich als trüge¬
risch erwiesen. Die dem 14. September 1930 nachfolgenden lokalen Wah-
5
len zeigten, daß die nationalsozialistische Bewegung weiterhin in einem
unaufhaltsamen Aufstieg begriffen war. Hamburg, Anhalt, Mecklen¬
burg: das waren beredte Zeichen unseres weiteren Vorwärtsschreitens,
und das Ergebnis in Hessen hat bewiesen, daß die nationalsozialistische
Bewegung [Zwischenrufe] sich in rund einem Jahr um hundert Prozent
vermehren konnte 5 . Das aber hatte auch für die amtliche Politik ihre
unvermeidlichen Folgen. Denn es war klar, daß so, wie die Verhältnisse
im Volke sich selbst verschoben, auch die Machtverteilung in der Regie¬
rung umgeändert werden mußte und daß, solange die Regierung sich
dagegen zur Wehr setzte, sie es in Kauf nehmen mußte, daß in wachsen¬
dem Maße ihr Kredit vor dem Lande und vor der Welt gefährdet wurde.
Es ist nicht unsere Schuld, daß der deutsche Kredit im Ausland ins Wan¬
ken geraten ist [lebhafter Protest: „Doch, doch! Eure Schuld! Nur Eure
Schuld!"], es ist nicht unsere Schuld, daß hier in Deutschland eine kata-
strophische Panikstimmung hereingebrochen ist. Schuld daran trägt die
Tatsache, daß man es zur —, bis zu dieser Stunde hat verhindern kön¬
nen, daß die nationalsozialistische Bewegung auch den [Gelächter, große
Unruhe] Anteil an der Macht bekäme, den das Volk ihr geben wollte
[Unruhe, Gelächter und Beifall], Im Jahre 1931 ist in Deutschland diese
Entwicklung unaufhaltsam vorgeschritten [anhaltende Unruhe und
Zwischenrufe]. Das Jahr 1931 war im Volke das Jahr der politischen
Frontabgrenzung; das Jahr 1932 wird nun, das wissen wir alle, für
Deutschland die endgültige große politische Entscheidung bringen.
Da ist es wohl angebracht, jene politische, wirtschaftliche und finan¬
zielle Situation zu umreißen, in der Deutschland sich augenblicklich be¬
findet. Die Finanzpolitik in Deutschland bietet das Bild grauenhaftester
Verwüstung. Man hat versucht, mit [Zwischenrufe] drakonisch-mechani¬
schen Eingriffen von Notverordnungen das Geldsystem in Deutschland
in die Balance zu bringen*. Nachdem dieser Versuch zwei Jahre lang
vorgenommen worden ist. kann man die Feststellung treffen, daß er auf
5 Bei der Wahl der Hamburger Bürgerschaft hatte die NSDAP am 27. Septem¬
ber 1931 43 statt bisher 3 Sitze erhalten, die Kommunalwahlen in Mecklenburg
am 16. November 1930 und in Anhalt am 25. Oktober 1931 zeigten die gleiche
Tendenz, und in den hessischen Landtagswahlen vom 15. November 1931
hatte die NSDAP ihre 138 000 hessischen Stimmen vom 14. September 1930
auf 291 000 steigern können und war quasi „aus dem Stand" zur weitaus
stärksten Partei geworden (27 von 70 Mandaten, im alten Landtag nicht
vertreten).
6 Die deutsche Finanz- und Kreditwirtschaft war nach anfänglichen Erfolgen
der Brüningschen Deflationspolitik im Sommer 1931 in eine katastrophale
Lage geraten, als im Verlauf der Weltwirtschaftskrise in großem Umfang
kurzfristiges Auslandskapital abgezogen wurde und eine Anzahl großer und
sich lawinenartig fortpflanzender Bankrotte (Nordwolle, Danat-Bank) die
gesamte Wirtschaft bedrohte, worauf die Regierung Brüning den Zahlungs¬
verkehr mit einer Serie von Notverordnungen reglementiert und beschränkt
hatte.
6
der ganzen Linie mißlang. Selbst wenn der Reichskanzler heute darauf
verweisen wollte, daß die öffentlichen Finanzen sich in der Balance be¬
finden, so beweist das gar nichts. Der Etat ist kein Selbstzweck, sondern
ein Mittel zum Zweck. Eine Finanzsanierung durchzuführen auf Kosten
der Gesundheit des Volkes, das ist dasselbe, wie wollte ein Operateur
eine Operation zwar wissenschaftlich richtig durchführen, der Patient
aber leider bei der Operation zu Tode kommt [Zurufe: „Sehr gut!" Bei¬
fall und Zwischenrufe].
Wir stellen fest [weiter Unruhe, Zwischenruf: „So'n Bart hat der...,
uralter Witz!" Gelächter], daß die drakonischen Notverordnungsein¬
griffe, die seitens der Regierung in den letzten zwei Jahren auf dem Ge¬
biet des Steuer- und Finanzwesens vorgenommen worden sind, in
Deutschland die Substanz bis zum letzten Rest aufgezehrt [Zwischen¬
ruf: „Sehr richtig!"] und aufgefressen haben. Die zwangsläufige Folge
dieser Tatsache ist, daß die Wirtschaft mehr und mehr in Leerlauf gerät.
Befindet sich der Blutkreislauf der Wirtschaft, das Geldwesen, nicht
mehr in Ordnung, dann werden allmählich die Hochöfen stillgelegt wer¬
den müssen, dann wird sich das Heer der Arbeitslosigkeit bis ins Unge¬
messene vermehren. Nahezu sieben Millionen Menschen ohne Beschäfti¬
gung füllen heute die Straßen der großen Städte mit ihrer Verzweiflung
und ihrem Jammer, und die Regierung weiß keinerlei Ausweg, um die¬
sem Fiasko irgendein wirksames Mittel entgegenzusetzen [Unruhe, Zwi¬
schenruf 7 : „Italien, Ihr Idealland!"].
Darf man sich da wundern, daß im Inneren die Gegensätze sich mehr
und mehr verschärfen, daß die politischen Fronten in erbitterter Feind¬
schaft gegeneinander und gegenüber aufmarschieren und daß die Gefahr
eines latenten Bürgerkriegs von Tag zu Tag mehr wächst? Der Herr
Reichskanzler hat bei seinem Amtsantritt die Theorie aufgestellt, es sei
seine erste Aufgabe, die Finanzen zu sanieren und dann die großen [Zwi¬
schenruf: „...waren nicht so langweilig!" Gelächter, Glocke] außenpo¬
litischen Probleme der Tribute und der Abrüstung 8 in Angriff zu neh-
7 Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle: Zurufe von den Kommunisten.
8 Die im Versailler Vertrag versprochene allgemeine Abrüstung und die „Tri¬
bute", d. h. die Reparationsleistungen, waren die Hauptthemen der deut¬
schen revisionistischen Agitation. Die Reparationen, die ein Problem nicht
nur für die deutsche, sondern auch für die internationale Finanzwirtschaft dar¬
stellten, waren 1924 durch den Dawes-Plan (mindestens 2 Milliarden Mark
jährlich auf unbestimmte Zeit), 1929/30 durch den von den erstarkten deut¬
schen Rechtsparteien mit größter Erbitterung bekämpften Young-Plan (etwas
verringerte Annuitäten auf 57 Jahre) zu regeln versucht worden. Vergebens:
Im Juli 1931 waren unter dem Druck der Wirtschaftskrise mit dem „Hoover-
Moratorium" die gesamten Reparationen formal zunächst auf ein Jahr aus¬
gesetzt, praktisch jedoch — wie sieh heraussteilen sollte — für immer beseitigt
worden.
7
men. Diese These war von vornherein ein Fehlschluß! Sie verwechselte
Ursache und Wirkung. Denn die deutschen Finanzen befanden sich in
Unordnung, weil sie ewig und ewig bedroht wurden durch eine Tribut¬
politik, die sich nicht nur vor Deutschland, sondern vor der ganzen Welt
als weiter undurchführbar erwiesen hat. Es ist (ein Irrtum zu glauben,
man könne eine aktive Außenpolitik betreiben, ohne daß man im Rük-
ken ein geschlossenes, einiges und einsatzbereites Volk habe [Zustim¬
mung]. Die Regierung ist diesem Trugschluß unterlegen, und sie mußte
deshalb auf dem Gebiete der Außenpolitik eine katastrophale Niederlage
nach der anderen einstecken [Zuruf: „Sehr wahr!"]. Ich kann mich mit
den Worten begnügen: Zollunion, Memel', Tribute, Abrüstung [an¬
dauernde Unruhe, Präs.: „Ich bitte um etwas Ruhe!"] — ein Reihe von
katastrophalen Mißerfolgen, wie sie in der deutschen Außenpolitik bis
dahin noch nicht gesehen wurde.
In zunehmendem Maße wird nun die Regierung selbst von den breiten
Massen des Volkes isoliert. Sie steht heute noch auf einer wankenden, in
sich zerbröckelnden parlamentarischen Majorität, kann sich aber nicht
mehr der Mehrheit des deutschen Volkes erfreuen. Das Volk selbst aber
hat dieses Dilemma längst erkannt. Das Volk lebt in Hoffnungslosigkeit,
in Verzweiflung, daß ihm die starke führende Hand fehlt [große Un¬
ruhe, Präs.: „Meine Herren, ich bitte, jetzt die Zwiegespräche nicht so
laut zu führen!"]. Die Autoritäten des amtlichen Deutschland sind gesun¬
ken, und in demselben Maße, in dem sie in den breiten Volksmassen an
Rang verloren, wurden sie im Lager der Opposition aufs neue aufgebaut.
Wundert man sich dann, wenn Deutschland vor der Welt jede Bündnis¬
fähigkeit verloren hat, wundert man sich dann, daß eine Regierung, die
sich auf keine feste Mehrheit des Parlaments mehr verlassen kann, mehr
und mehr dazu gezwungen ist, unter Inanspruchnahme des Artikel 48
9 Der im Frühjahr 1931 entstandene Plan einer deutsch-österreichischen Zoll¬
union war am Mißtrauen insbesondere Frankreichs, wo man eine Vorstufe des
in den Pariser Friedensverträgen verbotenen „Anschlusses" zu erblicken
glaubte, daneben audi an den Auswirkungen der Wirtschaftskrise gescheitert.
Im September verneinte dann ebenfalls der angerufene Internationale Ge¬
richtshof in Den Haag mit knappen 9:8 Stimmen die Vereinbarkeit einer
solchen Zollunion mit österreichischen Zusagen von 1922. — Im Memelgebiet
hatte der litauische Gouverneur am 6. Februar 1932 das memeldeutsche Direk¬
torium Böttcher wegen direkter Verhandlungen mit dem Berliner Reidis-
ernährungsministerium abgesetzt und Böttcher verhaftet.
10 Der Artikel 48 (hier—u. a.—falsch wiedergegeben, denn Goebbels sagte scecs
„Paragraph 48") der Reichsverfassung vom 11. August 1919 gab dem Reichs¬
präsidenten das Recht, bei erheblicher Störung oder Gefährdung der öffent¬
lichen Sicherheit und Ordnung die „nötigen Maßnahmen" zu treffen. Hieraus
hatte sich ein außerparlamentarisches Notverordnungsrecht abgeleitet, das —
in den Wirren nach dem Kriege vorübergehend angewandt — zum einzigen
Regierungsinstrument der Präsidialkabinette ab 1930 wurde (Brüning, v. Pa-
pen, v. Schleicher), die über keine parlamentarische Mehrheit verfügten.
S
und einer kalten Anwendung der Diktatur das Programm zur Durchfüh¬
rung zu bringen, von dem sie sich verspricht, daß es in Deutschland
Finanz, Wirtschaft und Politik wieder in Ordnung bringen werde?
Die Entwicklung, die seit der Machtübernahme durch Brüning in
Deutschland eingesetzt hat, kam nicht von ungefähr. Sie stellt das
zwangsläufige Ergebnis der Entwicklung dar, die in Deutschland seit
dem 9. November 1918 Platz gegriffen hat. Von dem Augenblick an, als
das deutsche Volk in den verhängnisvollen Irrtum verfiel, es könne auf
Grund der 14 Wilsonschen Punkte 11 sein neues politisches Dasein be¬
gründen, von dem Augenblick an, als das deutsche Volk sich dazu ver¬
führen ließ, auf Grund dieser vagen Versprechungen praktisch die Ent¬
waffnung durchzuführen, von dem Augenblick an, als die deutsche
Regierung Versailles und die Kriegsschuldlüge 12 unterschrieb, hat es in
Deutschland keinen Aufstieg mehr gegeben, sondern der Weg ging weiter
und weiter nach unten [Unruhe, Präs.: „Ich bitte um Ruhe!"]. Es kam die
Inflation, es kamen die Tributdiktate der ehemaligen Kriegsgegner, es
kam der Dawes-Vertrag, von dem das amtliche Deutschland annahm,
das sei endlich ein silberner Streifen am Horizont. Tatsächlich) haben wir
seit Annahme dieses Verdiktes Milliarden über Milliarden Kredite nach
Deutschland hereingenommen, um damit den aussichtslosen Versuch zu
unternehmen, eine Tributpolitik zur Durchführung zu bringen, die in
keiner Weise dem wahren Tatsachenverhalt der deutschen Lage gerecht
zu werden vermochte. Man hat versucht, den Dawes-Plan durch das
sogenannte Young-Verdikt abzulösen. Wir haben uns damals aufs leiden¬
schaftlichste gegen die Annahme dieses Vertrages zur Wehr gesetzt [Zwi¬
schenruf: „Haben Sie's ...?"]. Damals trat das amtliche Deutschland uns
entgegen. Minister standen am Radio und prangerten die Führer der
nationalen Oppositionsbewegung als wirtschaftliche und politische Lan¬
desverräter an [Zwischenrufe: „Ganz mit Recht!", „Ganz mit
Recht!"], die nichts anderes getan hatten, als das Volk [anhaltende Un¬
ruhe] über die furchtbare Tragweite des hier zur Annahme kommenden
11 Die in der Botschaft des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson an dea
Kongreß aufgestellten Grundsätze für einen allgemeinen Weltfrieden, auf
die sich die Reichsregierung berief, als sie am 3. Oktober 1918, nachdem der
militärische Zusammenbruch drohte, um Waffenstillstands- und Friedensver¬
mittlung bat. Sie bildeten — freilich zugunsten der Interessen der Sieger, ins¬
besondere Frankreichs, in mehrfacher Hinsicht aufgehoben oder abgeschwächt
— die Grundlage der Friedensverträge.
12 Gemeint ist der schon vor der Unterzeichnung heftig bekämpfte, in der Wei¬
marer Zeit dann nicht nur von rechtsradikaler und rechter Seite immer wieder
angegriffene Artikel 231 des Versailler Vertrages, in dem Deutschland zum
Urheber des Krieges erklärt worden war. In seiner Plazierung ursprünglich
nur als Begründung für die Reparationen gedacht, war dieser politisch nicht
sehr kluge Paragraph zum Zentralpunkt der Revisionsbestrebungen und zu
einem jederzeit wirksamen Agitationsinstrument der Rechten geworden.
9
Tributdiktats aufzuklären. [Präs.: „Meine Herren, ich muß noch einmal
um Ruhe bitten!" Weiterhin lebhafte Unruhe, Lärmen. Proteste, Zwi¬
schenrufe: „Reden Sie nicht so dummes Zeug!", „Wie lange noch sollen
die Frechheiten dauern?" Präs.: „Meine Herren, ich bitte noch einmal,
Ruhe zu halten!" Die Unruhe hält an.] Am 14. September 1930 erhielt
das amtliche Deutschland für diese zwölfjährige Politik des Verfalls und
des Verzichtes vom Volke aus die Quittung [Zwischenruf: „Sehr rich¬
tig!"]. Damit war die Möglichkeit geboten, in Deutschland ein nationales
Regiment ans Ruder zu bringen und jenem verhängnisvollen Kurs ein
Ende zu bereiten, der von der amtlichen Politik seit zwölf Jahren einge¬
schlagen wurde und Deutschland von einer politischen Niederlage in die
andere hineingeführt hatte. Die Regierung Brüning hat diese Möglichkeit
unterbunden. Sie befindet sich jetzt nahezu zwei Jahre an der Macht.
Das nationale Deutschland hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht,
von dieser Regierung Bilanz zu verlangen über das, was sie versprach,
und über das, was sie tatsächlich einlösen konnte.
Die Regierung hat sich in weitestgehendem Maße des Paragraph 48
bedient. Aber die Regierung mußte dabei die Feststellung machen, daß
man mit dem Paragraph 48 zwar nationale Bewegungen niederknüppeln
kann, daß man mit dem Paragraph 48 [Unruhe, Zwischenruf: „... Hin-
denburg stimmen, für die Unterzeichner dieser Notverordnung! Wenn sie
nur mehr dafür bekommen hätten!"],.. . ls das Reden verbieten kann,
daß man mit dem Paragraph 48 zwar Zeitungen am Erscheinen verhin¬
dern kann, daß man, rundheraus gesagt, mit dem Paragraph 48 alles
machen kann, nur kein Geld! [Unruhe. Beifall, Zwischenrufe: „Und in
Braunschweig die Notverordnungen? Ihr Herr Klagges 14 ?" Glocke.]
Man hat versucht, die Mechanik der Gesetze gegen den Aufbruch des
deutschen Volkes in der nationalsozialistischen Bewegung in Anwendung
zu bringen, und man muß heute feststellen [Unruhe, Zwischenruf: „Der
führt doch die Notverordnungen durch!"], daß dieser Versuch auf der
ganzen Linie mißlungen ist [Zwischenruf: „Ich will Euch bloß daran er¬
innern!" Unruhe],
Neue Steuerarten — [Unruhe, Zwischenruf: „Heuchle nur noch.
Du. . ."], neue Steuerarten haben keine neuen Steuereingänge gebracht;
die Substanz wurde durch das Finanzsystem der Regierung aufgezehrt
[Zwischenruf: „Bloß die Großbanken. . . Die gehen kaputt!"]. — die
Sanierung der Finanzen ist auf der ganzen Linie mißlungen. Wenn man
versuchte, unter Zuhilfenahme des Paragraph 48 und der Notverord-
13 Nach dem Protokoll lautete diese im Lärm unverständliche Steile: „zwar
nationalsozialistischen Abgeordneten".
14 Dietrich K., seit 15. September 1931 nationalsozialistischer braunschweigischer
Innenminister.
10
nungspraxis in Deutschland den innenpolitischen Frieden wiederherzu¬
stellen, so muß man heute vor der Nation feststellen, daß Deutschland
vor dem Bürgerkrieg steht, daß, mehr gesagt, der Bürgerkrieg latent in
Deutschland bereits vorhanden ist [Unruhe], Es muß daran erinnert wer¬
den [Unruhe], daß die Notverordnungen, mit denen man heute [Zwi¬
schenruf: „Euer Klagges führt sie doch durch!"] die nationale Bewegung
schlägt, daß sie anfangs geplant waren [Zwischenruf: „Ach ja, die Not¬
verordnungen!"] als Gesetzeseingriffe gegen die sogenannten Gottlosen¬
bewegungen. In Wirklichkeit hat man die Geißel der Notverordnungen
[Unruhe, Zwischenruf] in die Hände marxistischer Länderregierungen
hineingelegt und dort — [Beifall, Unruhe, Zwischenruf: „Das war ein
jüdisches Angebot, Herr Goebbels!" Glocke], dort dient sie ausschlie߬
lich dazu, die nationalsozialistische Bewegung niederzuschlagen und im
Blute zu ersticken.
Es ist in einem Jahre das Berliner Kampforgan der nationalsozialisti¬
schen Bewegung Der Angriff zwölfmal verboten worden [Pfui-Rufe,
Unruhe], achtmal haben die dem Berliner Polizeipräsidium Vorgesetzten
Reichsbehörden uns bestätigen müssen, daß diese Verbote vollkommen
unhaltbar gewesen sind [Unruhe], Wir haben [Zwischenruf: „Und die
Zeitungsverbote des Herrn Klagges?"] im Verlauf von anderthalb Jah¬
ren in Deutschland eine Verbotsdauer von über acht Jahren insgesamt
für die nationalsozialistische Presse erleben müssen [Unruhe, Zwischen¬
ruf: „Viel zu wenig!"]. Am heutigen Tage noch ist die illustrierte Zei¬
tung der nationalsozialistischen Bewegung, der Illustrierte Beobachter,
bis zum 15. März, also für die ganze Wahlzeit, verboten worden [Pfui-
Rufe, Unruhe], lediglich — [Unruhe, Zwischenruf: „Bravo!"], lediglich
weil dieses Blatt ein Bild Hindenburgs brachte [Zwischenruf: „..., sol¬
che Heuchelei"] mit der Unterschrift, daß heute Kriegsdienstverweigerer
[Zwischenruf: „Sehr richtig!"] und Landesverräter sich bereit gefunden
hätten, ihm ihre Stimme zu geben! [Unruhe, Beifall, Zwischenrufe:
„Sehr richtig!", „Sehr richtig!"] Gegen 28 nationalsozialistische Reichs¬
tagsabgeordnete sind im Verlauf eines halben Jahres Redeverbote erlas¬
sen worden [fortdauernde Unruhe]. Wenn man demgegenüber die Tatsa¬
che hält, daß wir auf Grund unserer Rückendeckung im Volke jeder auf
unseren Kopf 120 000 bis 150 000 Wähler vertreten, dann kann man sich
einen Begriff davon machen, in welcher rigorosen und rechtsbrüchigen
Art und Weise seitens marxistischer Länderregierungen die Notverord¬
nungen der Reichsregierung gegen die nationalsozialistische Bewegung
zur Anwendung gebracht werden! [Unruhe. Zwischenrufe: „Braun¬
schweig, Braunschweig!"]
Unter unseren nationalsozialistischen SA-Kameraden sind im Verlauf
von drei Monaten 24 Tote zu verzeichnen [Pfui-Rufe], und in zwanzig
11
Fällen [Zwischenrufe] hat man bis zur Stunde — [Tumult, Zwischen¬
rufe: „Proletarier . . Arbeiter 15 !", „Nieder mit den Mördern! Nieder mit
den Mördern!" Weiterer Lärm, Glocke], in zwanzig von diesen Fällen
hat man bis zur Stunde die Täter noch nicht gefunden [Rufe: „Flört,
hört!" Zwischenruf: „Es werden wohl Nazis sein!"]. Man hat in Berlin
auf offener Straße einen sechzehnjährigen Flitlerjungen feige hingemor¬
det [Pfui-Rufe, Zwischenrufe, lebhafte Unruhe], ohne daß das [weiterer
Lärm, Rufe, u. a.: „Eure Mörderhand!"] Polizeipräsidium bis jetzt in der
Lage gewesen wäre, die Täter zu eruieren 1 '! [Große Unruhe, Zwischen¬
ruf: „Fleuchler! Du feiger Hund..." Weitere Rufe, Präs.: „Ich bitte
doch um etwas mehr Ruhe!" Zwischenruf: „Hier ist doch kein Sportpa¬
last, Goebbels, — ist doch keine Sportpalast-Rede hier 17 !" Weitere Un¬
ruhe.]
Von seiten der sogenannten Eisernen Front 18 [weitere Unruhe] wird
der nationalsozialistischen Bewegung nach der Methode „Nicht der Mör¬
der, der Ermordete ist schuldig" die Verantwortung für dieses blutrün¬
stige Treiben zuzuschanzen versucht [Zwischenruf: „Wie können Sie sol¬
che ... Schriftsteller zitieren!" Gelächter], Vor einigen Tagen trat in
Leipzig der amtierende Berliner Polizeipräsident Grzesinski 18 auf [Zwi¬
schenruf: „Unerhört!"], und er bot dem Führer unserer Bewegung, der
heute in sich fünfzehn Millionen Deutsche verkörpert, den Affront, daß
er in aller Öffentlichkeit erklärte, er könne nicht verstehen, daß Adolf
Hitler nicht mit der Hundepeitsche aus Deutschland gejagt würde! [Leb¬
hafte Pfui-Rufe, Tumult, Rufe, u. a.: „Sehr wahr!", „Frechheit!", „Ge-
15 Nach dem Protokoll ein Zwischenruf des Abg. Torgier (KPD): »Und die
toten Proletarier, die toten Arbeiter, Herr Goebbels?"
16 Herbert Norkus, mit einigen anderen Hitler-Jungen am 24. Januar 1932 beim
Austragen von Versammlungseinladungen von Kommunisten überfallen und
im Verlauf der Händel durch Messerstiche getötet. Die Täter wurden wenig
später von der Politischen Polizei ermittelt, waren jedoch flüchtig.
17 Nach dem Protokoll Zwischenruf des Abg. Schulte (KPD). — Der Sportpalast
war die Stätte der Berliner Großkundgebungen der NSDAP.
18 Am 16. Dezember 1931 hatten sich das „Reichsbanner", der Allgemeine Deut¬
sche Gewerkschaftsbund (ADGB), Arbeitersportvereine und andere republika¬
nische Verbände unter maßgeblicher Beteiligung der SPD-Führung in einer
„Eisernen republikanischen Front zur Abwehr des Faschismus" zusammen¬
geschlossen, die mit Kundgebungen dem rechtsradikalen Straßenterror ent¬
gegenzuwirken suchte.
19 Albert G. (SPD), bereits 1925/26 Polizeipräsident von Berlin, seitdem zeitweise
auch preußischer Innenminister, war im November 1930 vom preußischen
Innenminister Severing erneut auf seinen alten Posten berufen worden. Die
von Goebbels hier mehrfach erwähnte Äußerung war am 7. Februar 1932 auf
einer SPD-Versammlung im Leipziger Volkshaus gefallen: „Wie blamabel ist
es für das deutsche Volk, daß dieser Ausländer Hitler . . . vor Vertretern der
Auslandspresse über Deutschlands Zukunft und Deutschlands außenpolitische
Krise sprechen kann, ohne daß man diesen Mann mit der Hundepeitsche
davonjagt."
12
meinheit!" Präs.: „Meine Herren, ich bitte um Ruhe 20 !"] Das sagte
nicht ein x-beliebiger Feld-, Wald- und Wiesenredner, — das sagte der
Mann, der in Berlin dazu betraut ist, die Notverordnungen gegen uns
zur Anwendung zu bringen! [Pfui-Rufe, weiter große Unruhe, weitere
Rufe, u. a.: von Herrn Brüning!"]
Führende Sozialdemokraten, ich brauche da nur an den Präsidenten
dieses Hohen Hauses selbst zu erinnern 11 [Unruhe], haben in aller
öffentlich- [Unruhe], haben in aller Öffentlichkeit erklärt, daß auch
eine legale Machtübernahme durch uns für Deutschland den Bürgerkrieg
bedeuten würde! [Unruhe, Rufe: „Hört, hört!", „Pfui!", „Das sind De¬
mokraten!"] Was ist das anderes als eine blutrünstige Hetze zu Mord
und Totschlag! [Zwischenruf: „Sehr richtig!" Unruhe.] Die Herren, die
nun zu merken beginnen, daß sie, auch nach den Spielregeln der Demo¬
kratie, die Macht abgeben müssen, wollen sich nun darauf vorbereiten,
die Macht, wenn nötig mit Gewalt, zu verteidigen. Aber sie täuschen
sich! Sie treffen im Jahre 1932 nicht wie im Jahre 1918 auf ein feiges
Bürgertum [Zwischenrufe], ihnen steht das erwachende Deutschland ge¬
genüber! [Beifall, Unruhe, Präs.: „Ich bitte um Ruhe, meine Herren!"]
An demselben Abend, an dem in Berlin ein im Amt befindlicher Regie¬
rungsrat zum Bürgerkrieg hetzte unter den Augen des Polizeivizepräsi¬
denten von Berlin, — an demselben Abend wurde im Sportpalast unsere
Versammlung aufgelöst, bloß weil der Name des Polizeivizepräsidenten
genannt wurde 22 [Unruhe, Zwischenruf: „Bravo!"]. Daß Sie Bravo
rufen, ist ein Beweis dafür, wie verheuchelt Ihre Phrasen von Meinungs¬
und Gewissensfreiheit sind! [Unruhe, Beifall, Zwischenruf: „Wer heu¬
chelt hier?" Präs.: „Ich bitte um Ruhe, meine Herren!" Die Unruhe hält
an.]
Glaubt der Herr Reichskanzler, daß er mit einem Volk, das innerlich
in Streik und Bürgerkrieg verfällt, eine aktive Außenpolitik betreiben
könne? Glaubt er, daß man seinem Wort in der Welt überhaupt noch
Gehör schenkt? Glaubt er, daß seine Position vor dem Ausland begrün-
211 Im Protokoll heißt es an dieser Stelle: Stürmische Pfui-Rufe bei den National¬
sozialisten. Abg. Dr. Kleiner: „Das sind hohe Beamte unter dieser Regierung!
Pfui Teufel! So ein Polizeipräsident!" — Zuruf: »Das sind Hindenburg-
Wähler! Unerhört!"
21 Paul Lobe (SPD).
22 Bernhard Weiß, als Jude („Isidor") Zielscheibe einer unflätigen Hetz- und
Verhöhnungskampagne der Berliner Nationalsozialisten unter Goebbels. —
Die betreffende Sportpalast-Kundgebung hatte am 8. Januar stattgefunden
und war nach heftigen Angriffen, die Goebbels gegen Weiß gerichtet hatte,
von dem überwachenden Polizeioffizier aufgelöst worden. Am gleichen Abend
hatte in den „Germaniasälen" auf einer Kundgebung der „Eisernen Front"
(vgl. Anm. 18) ein der SPD angehöriger Regierungsrat Mühle ausgeführt, bei
der politischen Lage in Deutschland bedürfe es vielleicht nur eines Funkens,
um den Bürgerkrieg auszulösen.
13
det sei, wenn er im Rücken nicht mehr von einem großen und geeinigten
Volk gedeckt ist? [Unruhe.] Die deutsche Politik ist zwangsläufig zur
Unfruchtbarkeit verdammt, das große Nein ist in den Wind gesprochen.
Die Zollunion war von vornherein verfehlt. Der Fall Litauen hat zur
Evidenz erwiesen, wie tief das deutsche Ansehen in den letzten zwölf
Jahren in der Welt gesunken ist [Unruhe], Die ganze Welt weiß, daß die
Tributfrage nur durch eine Befreiung Deutschlands von der Reparations¬
last gelöst werden kann. Trotzdem verschiebt man den Tag der Entschei¬
dung von Monat zu Monat — warum? Weil Sie, Herr Reichskanzler,
vor der Welt keine Aktivlegitimation mehr besitzen! [Rufe: „Sehr rich¬
tig!" Unruhe, Beifall.] Weil man — [Unruhe, Glocke], weil man— [Un¬
ruhe], weil man mit Ihnen, Herr Reichskanzler, keine Verträge mehr ab¬
schließen will! [Unruhe, Beifall.] Weil man von Ihnen weiß, Herr
Reichskanzler: Sie sind der Mann von gestern — und der Mann von
morgen kommt! [Beifall, Unruhe.]
Bei jeder Notverordnung hat die Regierung Brüning erklärt, damit sei
die Grenze des Erträglichen erreicht 2 ', und immer wurde diese Grenze
aufs neue überschritten. Bei der letzten Notverordnung hat der Herr
Reichskanzler sich sogar dazu verführen lassen, am Rundfunk [Präs.:
„Ich bitte um Ruhe!"] die nationalsozialistische Bewegung mit einem
Affront zu bedenken 24 , wie er bis dahin in der deutschen Innenpolitik
noch nicht dagewesen ist [Pfui-Rufe]. Wie, Herr Reichskanzler, haben
Sie sich das vorgestellt? Glauben Sie, daß wir, von Ihnen am Rundfunk
als illegale Hochverräter angeprangert, uns dazu hergeben, für Sie die
höchste Spitze der Verfassung auf parlamentarischem Wege in der Amts¬
zeit zu verlängern 25 ? [Ständige Unruhe.] Glauben Sie, Herr Reichskanz¬
ler, daß wir ebenso gerne von Ihnen die Peitsche wie wir von Ihnen das
23 Was selbstverständlich in erster Linie an die Adresse des Auslands, vor allem
Frankreichs, gerichtet war.
24 Am 8. Dezember 1931 anläßlich der „Vierten Notverordnung zur Sicherung
der Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens", wo
Brüning gesagt hatte: „Wenn der Parteiführer der Nationalsozialisten die
legalen Wege und Ziele seiner politischen Absichten betont hat, so stehen in
grellem Kontrast dazu die heftigen Beteuerungen sich nicht weniger verant¬
wortlich dünkender Führer, die zu sinnlosem Bruderkampf und außenpoliti¬
schen Torheiten auffordern. Wenn man erklärt, daß man, auf legalem Weg
zur Macht gekommen, die legalen Schranken durchbrechen werde, so ist das
keine Legalität, und sie ist es noch weniger, wenn zu gleicher Zeit im engeren
Kreise Rachepläne verfaßt und vorgetragen werden."
25 Um die Jahreswende hatte Brüning, da der 84jährige Reichspräsident die in
dieser politischen Situation vorauszusehende Schmutzkampagne eines Wahl¬
kampfes scheute, sich bemüht, eine zweijährige Verlängerung der Amtszeit
Hindenburgs durch Reichstagsbeschluß zu erreichen, wozu allerdings eine für
Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit nötig war. Der Plan
scheiterte an dem nach einigem Zögern ausgesprochenen Nein der Deutsch¬
nationalen und der Nationalsozialisten.
14
Zuckerbrot nehmen? [Zwischenrufe.] Jahrelang hat man die National¬
sozialisten in Deutschland als Staatsbürger zweiter Klasse behandelt,
aber dann, wenn man uns nötig hat, dann möchte man gerne, daß die
nationalsozialistische Bewegung sich für jedes Ansinnen dieser Regierung
bereit finden läßt, — nicht, um den Reichspräsidenten in der Amtszeit
zu verlängern, sondern um das System zu verankern, um Ihre Macht,
Herr Reichskanzler. weiter aufrechtzuerhalten! [Zurufe: „Sehr
richtig!"]
Man hat versucht, die nationalsozialistische Bewegung auf amtlichem
Wege abzudrängen; man hat versucht, ihr mit Lüge und Verleumdung
entgegenzutreten; man hat ihr den Terror der Straße in den Weg gesetzt
—, in den Weg gestellt. Trotzdem ist unsere Bewegung triumphal dar¬
über hinweggeschritten [Heiterkeit], und nun verlangen Sie von uns, daß
wir auf parlamentarischem Wege ein System weiter am Leben erhalten,
das auch der Reichspräsident selbst sieben Jahre lang durch seine Politik
gedeckt und verantwortet hat! [Unruhe, Zwischenruf" 6 : „Herr Goeb¬
bels, wie ist denn das mit der Tagung in Düsseldorf 27 ?"] Man ruft den
Führer einer illegalen Hochverratspartei dazu herbei, um die Amtszeit
— [ständig anhaltende Unruhe, Zwischenruf" 8 : „...rufen Sie Herrn
Litke zur Ruhe, er stört dauernd!" Präs.: „Herr Litke, ich bitte um
Ruhe!"], um die Amtszeit des Reichspräsidenten zu verlängern [Präs.:
„Herr Meier 29 , ich bitte um Ruhe!"], und es ergibt sich der groteske
Umstand — [Unruhe, Zwischenrufe, Präs.: „Meine Herren, ich bitte um
Ruhe, der Redner kann sprechen, wohin er will 30 !"], und es ergibt sich
der groteske Umstand, daß der Führer dieser Partei in seiner Tasche
nicht einmal einen Staatsbürgerschein trägt 81 . Das ist vielleicht die pla¬
stischste Darstellung dessen, was wir in Deutschland „System" nennen.
26 Nachdem Protokoll des Abg. Carl Litke (SPD).
27 L. spielte auf die im Monat zuvor, am 27. Januar, gehaltene berühmte Rede
Hitlers vor dem Industrieklub in Düsseldorf an, deren geschickte Formulierung
der NSDAP die finanziellen Quellen der deutschen Großindustrie erschlossen
hatte.
28 Laut Protokoll Zwischenruf des Abg. Dr. Frick (NSDAP).
29StefanM. (SPD).
30 Nach dem Protokoll war ein Zuruf aus den Reihen der Sozialdemokraten
vorausgegangen, der Redner solle geradeaus sprechen.
31 Hitlers Einbürgerung, für die Präsidentschafts-Kandidatur erforderlich, stand
damals gerade zur Debatte: am Anfang des Monats war nach einer Indiskre¬
tion hitlerfeindlicher Rechtskreise der Versuch des ehemaligen nationalsoziali¬
stischen thüringischen Ministers Frick bekanntgeworden, Hitler im Sommer
1930 durch Bestellung zum Gendarmeriekommissar in Hildburghausen die
mit der Beamtenernennung automatisch verbundene deutsche Staatsbürger¬
schaft zu verschaffen. Gerade am Tage dieser Reichstagssitzung meldete die
Presse neue Versuche, diesmal in dem von einer deutschnational-national¬
sozialistischen Koalition regierten Braunschweig: das Angebot einer a. o.
Professur an der Technischen Hochschule Braunschweig oder die Ernennung
zum Bevollmächtigten Braunschweigs im Reichsrat (vgl. Nr. 3, Anm. 45).
15
Ein System [Zwischenruf], das charakterlos genug ist, seine Feinde zu
schlagen, und dann, wenn es sie gebraucht, sie anzuwinseln! [Zurufe:
„Sehr gut!" Unruhe, Beifall.] Die nationalsozialistische Bewegung hat
das Ansinnen des Reichskanzlers abgelehnt, aus verfassungsrechtlichen
Gründen: Der Präsident wird vom Volk, nicht vom Reichstag gewählt,
— vor allem dann nicht, wenn der Reichstag gar nicht mehr dem Willen
des Volkes entspricht! [Unruhe.] Sie hat es abgelehnt aus politischen
Gründen: Es handelte sich nicht um die Amtszeitverlängerung Hinden-
burgs, sondern um die Verankerung des Systems! Sie hat es abgelehnt aus
moralischen Gründen [Unruhe, Heiterkeit]: Sie wies weit von sich den
Versuch, eine Bewegung, die vor dem ganzen Lande vom amtlichen
Deutschland gebrandmarkt wurde, — eine solche Bewegung für eine
amtliche Handlung mit heranziehen zu lassen. [Zwischenrufe: „Herr
Goebbels, wie ist das mit dem Scheck aus Düsseldorf!", „Hugenbergs
Club des Besserwissens!" Präs.: „Meine Herren, ich bitte um Ruhe!"
Weitere Zwischenrufe.]
Man hat sich auf andere Weise zu helfen versucht: der sogenannte
Sahm-Ausschuß 52 trat in Aktion [Heiterkeit], Warum man in der Wil¬
helmstraße den Berliner Oberbürgermeister für diesen Auftrag aus¬
wählte, ist bis zur Stunde unerfindlich geblieben, — wahrscheinlich, weil
er wenigstens unter den Zeitgenossen körperlich der größte ist [Geläch¬
ter, Beifall], Uralte Exzellenzen aus der Steinzeit [Heiterkeit] tauchten
auf und spielten das Schauspiel „Volk", nur daß der Hauptdarsteller
fehlte. Offiziere ohne Mannschaften, Generäle ohne Armeen! Klingende
Namen haben ihre Unterschrift gegeben. Ich lese unter anderen den
Namen des Stuttgarter Großindustriellen Dr. Robert Bosch. Ein günsti¬
ger Wind bläst uns die Frankfurter Zeitung vom 21. April 1925 auf den
Tisch. Dort steht unter der Spitzmarke „Für Marx" [Zwischenruf:
„Natürlich!"] ein Leitaufsatz. Darin lesen wir folgende Sätze: „Brauche
ich noch zu sagen, daß mich die Aufstellung Hindenburgs als Präsident¬
schaftskandidat traf wie ein Schlag vor den Kopf? [Gelächter.] Sicher
denken so wie ich Tausende der mit der Wirtschaft Vertrauten, und
wahrscheinlich denken Millionen: Wie kann man den alten, greisen Feld¬
marschall hier vorschieben [lebhafte Unruhe], anstatt ihm die selbstge¬
wollte, ängstlich gewahrte Zurückgezogenheit, den ruhigen Lebensabend
zu gönnen? Ich kann mir nicht helfen: Es ist ein Verbrechen an unserem
Volke." Der Verfasser dieses Aufsatzes heißt: Dr. Robert Bosch aus
Stuttgart! [Unruhe, Zwischenrufe, u. a.: „So sind sie alle, alle ehrenwerte
32 Von dem Berliner Oberbürgermeister Dr. Sahm war Ende Januar ein (sich
dann am 1. Februar konstituierender) überparteilicher „Hindenburg-Ausschuß"
organisiert worden, der die Wiederwahl des Reichspräsidenten propagierte und
dem dieser am 16. Februar seine Bereitschaft zur Kandidatur erklärt hatte.
16
Männer!"] Das ist die Charakterlosigkeit eines Systems, dem wir den
Kampf angesagt haben [Zwischenruf: „Sehr richtig!"], — das ist die
pazifistisch-demokratische Heuchelei [Zwischenruf: „Sehr richtig!], die
wir aus Deutschland mit Stumpf und Stiel entfernen wollen! [Unruhe,
Beifall.] Angesichts dieses Beweisstückes glaube ich behaupten zu dürfen,
daß dieser Ausschuß in der Tat einen „Ausschuß" darstellt! [Beifall,
Unruhe, Zwischenrufe.]
Der Reichspräsident hat sich dann selbst an das deutsche Volk ge¬
wandt. Wir wurden bei seinem Aufruf in peinlichster Weise an jenen
Aufruf erinnert, den er erließ nach der Unterschrift unter den Young-
Plan. Damals schrieb er, er habe diese Unterschrift im besten Wissen und
Gewissen [Unruhe], nach ernster, reiflicher Prüfung geleistet und er ver¬
spreche sich von dieser Unterschrift Wiederbelebung der Wirtschaft und
progressive Beseitigung der Arbeitslosigkeit [Rufe: „Hört, hört!"]. Als
Hindenburg das schrieb, zählten wir in Deutschland drei Millionen,
heute zählen wir in Deutschland nahezu sieben Millionen Arbeitslose!
[Anhaltende Unruhe 38 .] Angesichts dieser Tatsache kann ein solcher
Aufruf bei den entrechteten Massen des deutschen Volkes [Zwischenruf]
keine Wirkung mehr ausüben. Es ist auch ein verhängnisvoller Irrtum,
wenn der Reichspräsident erklärt, er dürfe seinen Platz nicht eigenmäch¬
tig verlassen. Er ist auf seinen Platz für sieben Jahre gestellt [Zwischen¬
ruf: „Sehr richtig!], und wenn die sieben Jahre umgelaufen sind, verläßt
er seinen Platz nicht eigenmächtig, sondern pflichtgemäß! [Beifall.] Und
wenn er weiterhin Anspruch auf unsere Stimmen erhebt, dann muß er es
sich gefallen lassen, daß die von ihm verantwortete und gedeckte Politik
vom Volke einer kritischen Oberprüfung unterzogen wird [Zwischen¬
rufe] und, wenn sie dieser Überprüfung nicht standhält, das Volk ihm
den Stimmzettel verweigert [Bravo-Rufe, Unruhe, Zwischenruf: „Sehr
gut über die großen Leute!" Weitere Zwischenrufe].
Ich verwahre mich dagegen, wenn der nationalsozialistischen Bewe¬
gung der Vorwurf gemacht wird, sie habe Hindenburg im Stich gelassen.
Nein, Hindenburg [Unruhe] hat die Sache seiner Ehemaligen selber im
Stich gelassen! [Beifall.] Wir haben ihn mit dem höchsten Amt der
Republik betraut in dem Glauben, daß er wenigstens in den Grundsätz¬
lichkeiten die Politik vertrete, die das nationale Deutschland erforderte.
Er hat aber das Gegenteil von dem getan [Zwischenruf 84 : „Unerhört!"],
er hat sich eindeutig auf die Seite der Mitte, er hat sich eindeutig auf die
Seite der Sozialdemokratie gestellt. Es gibt — [große Unruhe, Zwischen¬
rufe, u. a.: „Da sitzen die Generäle und lassen ihren Feldmarschall so be-
daran?"
33 Das Protokoll verzeichnet noch einen Zuruf in der Mitte: „Wer ist schuld
34 Nach dem Protokoll bei der Deutschen Volkspartei.
17
leidigen — allerhand!" Glocke], es gibt unter uns Nationalsozialisten ein
Wort, das bisher immer noch seine Richtigkeit erwies: Sage mir, wer dich
lobt, und ich sage dir, wer du bist! [Unruhe, Beifall.]
Gelobt von der Berliner Asphaltpresse [Zwischenruf: „Sehr richtig!"],
gelobt von der Partei der Deserteure 15 — [großer Tumult, wiederholtes
Glockenzeichen, Präs.: „Herr Abgeordneter Goebbels, Sie haben eine im
Hause anwesende Partei .Partei der Deserteure' genannt, das ist —"
Weiterer minutenlanger Tumult, Sprechchöre, Rufe; Präs., ständig die
Glocke läutend: „Meine Herren, ich bitte um Ruhe!" Noch weiter wach¬
sender Lärm, wildes Geschrei und Rufe, u. a.: „Ausgerechnet Sie!", „Ab¬
treten 16 !" Präs.: „Herr Abgeordneter Goebbels, es ist Ihnen wahrschein¬
lich auch bekannt, daß in der Partei, auf die Sie hingewiesen haben, eine
ganze Menge Kriegsteilnehmer und Kriegsverletzte sind. Ich nehme des¬
halb an —" Unruhe, Zwischenrufe, „ich nehme deshalb an, daß Sie
diese Beschuldigung zurücknehmen werden"]. Es ist mir weiterhin be¬
kannt — [Unruhe, Präs.: „Ich bitte um Ruhe!" Zwischenruf: „Wo
waren Sie im Feld?" Präs.: „Ich bitte um Ruhe!"], es ist mir weiterhin
bekannt, daß — [Präs.: „Herr Abgeordneter, Sie wollen also meine
Frage nicht beantworten?"]. Ich kann eine Antwort darauf geben,
jawohl, Herr Präsident [Präs.: „Aber ich bitte es kurz zu tun, denn ich
bin mit meiner Ordnungsmaßnahme noch nicht am Ende"]. Es ist mir
weiterhin bekannt — [Präs.: „Sie haben die Partei .Partei der Deser¬
teure' genannt —" Zurufe, Unruhe], es ist mir weiterhin bekannt, daß
aus dieser Partei, aus ihrem Reichstagsbüro, eine amtliche Schrift kam, in
der stand, daß der Landesverrat kein Verbrechen darstelle! [Tumult,
wiederholtes Läuten der Glocke, Rufe: „Sie Feigling!", „Sie feiger
Hund!", „Du feiges Etappenschwein' 7 !" Präs.: „Da der Herr Abgeord¬
nete Goebbels seinen Vorwurf gegen die Partei nicht zurückgenommen
hat, rufe ich ihn hiermit zur Ordnung!" Lärm, Präs.: „Ich bitte jetzt um
Ruhe!" Zwischenruf 38 : „Das Wort hat der Kriegsteilnehmer Goebbels!"
Gelächter, Präs.: „Ich habe den Redner zur Ordnung gerufen, ich bitte
jetzt um Ruhe!" Rufe, Präs.: „Herr Abgeordneter Mierendorff 19 , ich
35 Von Goebbels mit einer Handbewegung zu den Sitzen der Sozialdemokraten
gesprochen.
36 Das Protokoll verzeichnet aus diesem Tumult folgende Zurufe der Sozial¬
demokraten: „Wer hat desertiert?" „Wo waren Sie? Sagen Sie das!" und (Abg.
Dr. Schumacher): „Sie waren keinen Tag an der Front!"
37 Das Protokoll verzeichnet folgende Zurufe der Sozialdemokraten: „Vorlegen!
Das ist keine Antwort, das ist Fälschung! Nur nicht ausweichen!"
3s Laut Protokoll des Abg. Torgier (KPD). — Im Protokoll weiter verzeichnet
ein Zuruf von den Sozialdemokraten: „Jetzt desertiert Goebbels!"
39 Carlo M. (SPD), Kriegsteilnehmer; später von 1933—1938 im Konzentrations¬
lager (nach illegaler Tätigkeit gestorben am 4. Dezember 1943 beim Luft¬
angriff auf Leipzig).
18
bitte um Ruhe!" Weitere Rufe, Präs.: „Herr Abgeordneter Leber 40 , ich
bitte um Ruhe!" Anhaltender Lärm. Präs.: „Meine Herren, mit dem
Ordnungsruf ist die Angelegenheit erledigt!" Der Tumult hält an, Zuruf:
„Das lassen wir uns nicht gefallen 4 '!" Präs.: „Herr Abgeordneter Mie¬
rendorff, ich rufe Sie zur Ordnung!" Zwischenruf: „Wir waren an der
Front, er war der Drückeberger!" Lärm, Rufe, Präs.: „Das habe ich
durch den Ordnungsruf festgestellt, nunmehr ist Ruhe!" Unruhe, Zu¬
ruf 42 : „So ein politischer Krüppel wie Goebbels!" Präs.: „Herr Abge¬
ordneter Künstler, ich rufe Sie zur Ordnung!" Lärm, weitere Zurufe,
Präs.: „Ich bitte die Abgeordneten, ihre Plätze einzunehmen!" Fortge¬
setzter Tumult; Präs., ständig die Glocke läutend: „Ich bitte die Abge¬
ordneten, ihre Plätze einzunehmen!" Zwischenrufe: „Du feiger Hund!",
„Und er hält seine ... aufrecht!" Lärm, Präs.: „Herr Abgeordneter Mie¬
rendorff, ich bitte die Plätze einzunehmen; Herr Abgeordneter Schuma¬
cher 4 ', ebenfalls!" Rufe: „Zurücknehmen!", „Abtreten!" Lärm; Präs.,
unter ständigem Läuten der Glocke: „Ich bitte jetzt um Ruhe, meine
Herren!"]
Die Juden der Berliner — [Protestgeschrei, Rufe: „Zurücknehmen!"
Präs.: „Herr Abgeordneter Mierendorff, ich rufe Sie zur Ordnung!"
Rufe: „Zurücknehmen!" Lärm, Präs.: „Meine Herren, der Redner ist ge¬
rügt, damit ist die Sache erledigt!" Zurufe: „Der Frontsoldat Goebbels!
Der Frontsoldat Goebbels!" Anhaltender starker Lärm, in den hinein der
Redner fortfährt], die Juden der Berliner Asphaltpresse heben heute den
Feldmarschall auf den Schild. Es sind dieselben Juden — [der Lärm hält
an, Präs.: „Ich bitte um Ruhe!" Anhaltende Zwischenrufe], es sind die¬
selben Juden [Rufe] und Sozialdemokraten [ständig Rufe: „Zurückneh¬
men!", „Abtreten!"], die im Jahre 1925 [ständig weitere Rufe] den Ge¬
neralfeldmarschall mit Kübeln von Spott und Hohn übergössen 44 . Jetzt
plötzlich, da sie glauben, keine Angst mehr von ihr —, vor ihm haben zu
brauchen, machen sie ihn zum preußischen Pflichtmenschen. Vor Tische
las man's anders! [Ständige Unruhe, Zurufe, Präs.: „Ich bitte um Ruhe!"
40 Julius L. (SPD), Kriegsteilnehmer; später von 1933—1937 im Konzentrations¬
lager, dann nach illegaler Tätigkeit am 4. Juli 1944 erneut verhaftet, vom
Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 5. Januar 1945 in Plötzensee
hingerichtet.
41 Laut Protokoll Zurufe der Sozialdemokraten: „Nein! Das lassen wir uns
nicht gefallen! Er soll zurücknehmen oder abtreten!"
42 Laut Protokoll des Abg. Franz Künstler (SPD).
4J Kurt Sch. (SPD), Kriegsteilnehmer. Schwerkriegsbeschädigter; später von 1933
bis 1945 im Konzentrationslager, 1946—1952 1. Vorsitzender der SPD.
44 Anspielung darauf, dall Hindenburg bei seiner ersten Wahl im Jahre 1925
Kandidat der Rechtsparteien („Reichsblock" bis einschließlich DVP, BVP und
Wirtschaftspartei) gewesen war, während das Zentrum (»Volksblock" mit
DDP und SPD) den ehemaligen Zentrums-Reichskanzler Wilhelm Marx no¬
miniert hatte.
19
Rufe: „Frontsoldat Goebbels!"] Vor der Wahl — [die Unruhe hält an],
vor der Wahl im Jahre 1925 schrieb der Vorwärts: — [die Unruhe hält
an, Präs.: „Meine Herren, ich bitte noch einmal um Ruhe!" Lärm, Zwi¬
schenrufe, u. a.: „Promenadenmischling!", „Du Bastard!"], vor der Wahl
im Jahre 1925 schrieb der Vorwärts: — [weitere Rufe: „Abtreten!",
„Kreuzung zwischen Hund und ..."] —: Der neue Wallfahrtsort — [der
Lärm steigert sich, Rufe: „Bastard!", „Zurücknehmen, zurücknehmen!",
„Bastard!" Präs.: „Herr Abgeordneter Mierendorff, ich habe Sie bereits
einmal zur Ordnung gerufen; ich bitte, daß ich das nicht wiederholen
brauche. Ich muß unter allen Umständen dafür sorgen, daß der Redner
seine Rede beendet." Weiterer Lärm, Ruf: „Er soll das zurücknehmen!
Das ist eine infame Beleidigung der Kriegsteilnehmer!" Präs.: „Diese Be¬
leidigung ist gerügt!" Weiterer, anhaltender und anschwellender Lärm.
Zuruf: „Wir waren bis zum letzten Tag an der Front!" Präs.: „Wenn
jetzt nicht Ruhe eintritt, muß ich die Sitzung unterbrechen! Ich bitte zum
letztenmal um Ruhe!" Lärm, Rufe: „Er soll das zurücknehmen!", „Wir
lassen uns von dem Frontsoldaten' Goebbels nicht beleidigen!" Präs.:
„Ich bitte jetzt um Ruhe! Ich bitte den Herrn Abgeordneten, weiter zu
sprechen." Lärm. Rufe: „Einen_wie Goebbels!" Präs.: „Ich bitte um
Ruhe!" Tumult, Präs.: „Ich bitte den Abgeordneten Goebbels, jetzt seine
Rede fortzusetzen. Die anderen Herren bitte ich um Ruhe!" Weiterer
Lärm, Ruf: „Von einem Drückeberger lassen wir uns nicht beleidigen!"
Lärm, Zuruf: „Etappenhengst!" Präs.: „Herr Abgeordneter Leber, ich
rufe Sie zur Ordnung!" Im anhaltenden Lärm ein Disput mit dem Präsi¬
denten: „Bitte?" „Ja, Sie haben sie aber auch beleidigt." „Ja, Sie haben
mich dafür zur Ordnung gerufen." „Aber Sie sehen doch die Folge."
Weiterer Lärm, Präs.: „Meine Herren, ich unterbreche die Sitzung um
eine halbe Stunde." Großer Tumult.] 45
45 Nach Wiedereröffnung der Sitzung gab Präsident Lobe folgende Erklärung
ab: „Die Unterbrechung unserer Sitzung war herbeigeführt durch einen Vor¬
wurf, den Herr Abgeordneter Dr. Goebbels gegen die .Partei der Deserteure',
wie er sie nannte, gerichtet hat, den ich durch einen Ordnungsruf gerügt habe.
Die Kriegsteilnehmer und Kriegsverletzten der Parteien haben diesen Ord¬
nungsruf nicht für ausreichend erachtet, und ich hatte den Versuch gemacht,
im Ältestenrat die Möglichkeit einer Uberbrückung, einer Zurücknahme der
Beleidigung herbeizuführen. Dieser Versuch ist nicht gelungen. Es ist aber
das Stenogramm der Rede des Herrn Abgeordneten Dr. Goebbels herbeigeholt
worden, und daraus ergibt sich, daß sich die beleidigende Wendung nicht gegen
eine Partei des Hauses allein richtet. Herr Abgeordneter Dr. Goebbels hat
nach dem Stenogramm ausgeführt: .Nein, Hindenburg hat die Sache seiner
ehemaligen Wähler im Stich gelassen ... Es gibt unter uns Nationalsozialisten
ein Wort, das bisher immer noch seine Richtigkeit erwies: Sage mir, wer dich
lobt, und ich sage dir, wer du hist ! Geloht von der Berliner Asphaltpresse,
gelobt von der Partei der Deserteure Nach Ansicht der Mitglieder des
Ältestenrau mit einer Ausnahme liegt darin eine so schwere Beleidigung des
deutschen Staatsoberhauptes, daß man nach 5 91 der Geschäftsordnung eine
20
DRA Nr. C 780 (49'). Abgedruckt in den „Verhandlungen des Reichstags",
V. Wahlperiode 1930, Bd. 446, S.2245—52; das Stenogramm weicht jedoch —stel¬
lenweise erheblich — von der Plattenaufnahme ab (die vorliegende Veröffent¬
lichung folgt stets dem authentischen Tondokument; eine im ersten Drittel of¬
fenbar fehlende Platte wurde — in < > — nach dem Text der „Verhand¬
lungen" ersetzt). Ferner gekürzte Abdrucke in: Dr. Joseph Goebbels, Revolution
der Deutschen, Oldenburg 1933, S. 39 ff. — und in: „Goebbels spricht", Olden¬
burg 1933, S. 15 ff.; auszugsweiser Abdruck ebenfalls in Schulthess' Europäischem
Geschichtskalender 1932 sowie in der Tagespresse. — Die Zwischenrufe sind nur
zum Teil zu verstehen.
gröbliche Verletzung der Ordnung darin erblicken muß. Ich schließe daher
den Herrn Abgeordneten Dr. Goebbels von dieser Sitzung aus." — In seinem
gedruckten (und vermutlich redigierten) Tagebuch „Vom Kaiserhof zur Reichs¬
kanzlei" (S. 51) schrieb G. über diese Sitzung: „Reichstag. Sitzung überfüllt.
Gröner redet kurz. Dann bin ich gleich daran. Alles ist voll Spannung. Ich
beginne fast akademisch. Die Roten wollen mich durch Lärm unverständlich
machen. Ich setze mich trotzdem durch. Scharfe Abrechnung mit Brüning, der
mit verschränkten Armen neben mir sitzt. Schließlich fällt das Wort von der
.Partei der Deserteure'. Fast eine Viertelstunde lang lärmt die SPD. Die
Sitzung wird unterbrochen. Das ganze Haus ist in tumultuarischer Unruhe.
Nach Wiedereröffnung der Sitzung werde ich ausgeschlossen. Ein tolles
Theater."
21
Nr. 3
25. 2. 32 — Berlin, Reichstag — 59. Sitzung der V. Wahlperiode (Fort¬
setzung der Tagesordnung vom 23. und 24. 2. 32 1 )
Der Herr Reichsinnenminister Groener 2 hat es sich bei der feierlichen
Abwehr meines angeblichen Verstoßes gegen die Ehre und Würde des
Herrn Reichspräsidenten sehr leicht gemacht. Er hat sich dabei nicht in
geistige Unkosten gestürzt. Man sollte annehmen, daß, wenn von amt¬
licher Stelle aus eine Stellungnahme gegen eine große Partei im Reichstag
eingenommen wird, der Minister, der damit beauftragt ist, sich wenig¬
stens die Mühe macht, das Stenogramm aufmerksam zu überprüfen.
Denn ich kann nicht annehmen, daß der Herr Reichswehr- und -innen-
minister das getan hätte. Hätte er das getan, dann müßte ich auf den
Verdacht kommen, daß es sich nicht hier um die Ehre des Herrn Reichs¬
präsidenten, sondern vielmehr um die geschickte Formulierung einer
Wahlparole handeln sollte [Unruhe, Zwischenruf: „Das wollten Sie
doch ..."]. Das ist auch eigentlich gemeint gewesen [Unruhe, Zwischen¬
ruf: „Das wissen Sie doch nicht, Herr Schöpflin!" Präs.: „Herr Abge¬
ordneter Schöpflin 3 , ich rufe Sie zur Ordnung!"]. Es steht hier nichts an¬
ders zur Debatte als der Versuch, ein System, das innen-, finanz-, wirt-
schafts- und außenpolitisch vor dem vollkommenen Bankrott steht, noch
einmal vor der Abrechnung durch das Volk zu retten dadurch, daß man
es hinter der ragenden Gestalt des Generalfeldmarschalls zu verbergen
versucht. Der Herr Reichswehr- und -innenminister Groener konnte
1 In der Aussprache spielte der eigentliche Tagesordnungspunkt, der Wahlter¬
min, kaum eine Rolle.
2 Wilhelm G., parteilos, Generalleutnant a. D. (26. Oktober 1918 als Nach¬
folger Ludendorffs 1. Generalquartiermeister), Reichswehrminister und seit
Oktober 1931 auch kommissarischer Reichsinnenminister im Kabinett Brü¬
ning. — Groener hatte in der Aussprache am Vortage dagegen protestiert, daß
Goebbels, der den Krieg nur vom Hörensagen kenne, Hindenburg in Be¬
ziehung zu dem Wort „Deserteur" gebracht habe.
3 Georg Johann Sch. (SPD).
22
schon daran feststellen, daß die Eiserne Front ihm begeistert Beifall
klatschte, wessen Sache er verteidigte, — für einen Reichswehrminister
immer eine peinliche Angelegenheit [Zwischenruf: „Sehr wahr!"], von
der Sozialdemokratie beklatscht zu werden.
Neben dem Reichswehrminister saß der Herr Reichskanzler, der
soeben hier begeisterte Töne für den Reichspräsidenten gefunden hat. Ich
frage den Herrn Reichskanzler, wo diese begeisterten Töne geblieben
sind im Jahre 1925, als der Herr Reichspräsident nicht durch Schutz¬
gesetze und durch einen staatlichen Machtapparat, sondern durch die
Treue und die Verehrung seiner wahren Anhänger beschützt worden ist
[Zwischenrufe: „Sehr gut! Sehr richtig!"]. Wo ist da der Protest des
Herrn Reichskanzlers geblieben, als seine eigene Partei den Herrn Gene¬
ralfeldmarschall mit Kübeln von Spott und Hohn und Geifer übergössen
hat? [Zwischenrufe: „Sehr gut!"] Warum hat sich da Herr Dr. Brüning
nicht seiner Pflicht besonnen, den großen Soldaten des Krieges gegen die
infamen Angriffe seiner eigenen Partei zu beschützen? [Zwischenrufe:
„Sehr gut!"] Wenn das erst sieben Jahre später geschieht und wenn der
Herr Reichskanzler seine Liebe und Verehrung zum Generalfeldmar¬
schall erst entdeckt, nachdem der Generalfeldmarschall ihn mit dem
Amte des Reichskanzlers betraut hat und seine Politik nun zwei Jahre
deckt, dann muß ich allerdings gestehen: dann können wir dieser Vereh¬
rung und Liebe keinen vollen Glauben beimessen! [Zwischenrufe: „Sehr
gut!’]
Worum handelt es sich bei dem angeblichen Verstoß, der vorgestern
hier von mir unternommen wurde? Ich beziehe mich auf das amtliche,
unveränderte Stenogramm. Ich habe gesagt: „Es gibt unter uns Natio¬
nalsozialisten ein Wort, das bisher noch immer seine Richtigkeit erwies:
Sage mir, wer dich lobt, und ich sage dir, wer du bist!" Dazwischen:
„Bravo" und Händeklatschen bei den Nationalsozialisten. Das heißt
also: Hinter diesem Satz folgte eine längere Pause [große Heiterkeit].
Dann setzt — [weiter Gelächter. Zwischenrufe] dann setzt die Rede
weiter fort, und zwar ist von der weiteren Fortsetzung der Rede nur die
erste Hälfte eines Satzes überhaupt gesprochen worden. Pflicht des
Herrn Reichswehr- und -innenministers Groener wäre gewesen, sich zu¬
erst bei mir zu orientieren, wie die zweite Hälfte — [Heiterkeit], wie die
zweite Hälfte des Satzes gelautet hätte [anhaltendes Gelächter, Unruhe]
und ob in diesem Satz überhaupt eine Beleidigung des Herrn Reichsprä¬
sidenten mit eingeschlossen war [Zwischenrufe]. Ich lese Ihnen den Satz
vor — so, wie er gemeint war: „Gelobt von der Berliner Asphaltpresse,
gelobt von der Partei der Deserteure — in Klammern: Stürmischer Bei¬
fall und Händeklatschen bei den Nationalsozialisten, erregte Zurufe bei
den Sozialdemokraten." Wie jedermann weiß: Von da ab ist die Rede
23
abgebrochen gewesen. Der Satz mußte weiter fortgesetzt werden:
„— gelobt von Zentrum und Staatspartei, gelobt aber auch von den
Nationalsozialisten — das kann es nicht geben [Zwischenruf: „Na
also!"], man muß sich für hüben oder drüben entscheiden!" [Unruhe,
Zwischenrufe, Beifall, Zwischenruf: „So eine Retourkutsche!"]
Mit anderen Worten — [Unruhe, Zwischenrufe, u.a.: „Retourkut¬
sche!" Präs.: „Ich bitte um Ruhe! Meine Herren, ich habe selbstverständ¬
lich dem Herrn Abgeordneten Goebbels Gelegenheit gegeben, auf eine
Stelle, die hier gerügt werden mußte, einzugehen, um die Aufklärung
ihm möglich zu machen. Aber er hat damit nicht beabsichtigen wollen,
den Vorwurf gegen eine Partei zu wiederheben — zu erheben, denn sonst
hätte ich das erneut rügen müssen. Ich nehme das ohne weiteres an, daß
er das zur Aufklärung getan hat"], mit anderen Worten: Eine Beleidi¬
gung des Herrn Reichspräsidenten kam gar nicht in Frage [Unruhe], Ge¬
lobtwerden ist etwas Passives; darauf hat der, der gelobt wird, keinerlei
Einfluß [Zuruf: „Sehr richtig!" Zwischenrufe], Nicht derjenige — [Un¬
ruhe, Zwischenruf 4 : „Ich sage dir, wer du bist..."], nicht derjenige be¬
leidigt den Herrn Reichspräsidenten, der feststellt, daß er von politi¬
schen Typen, die eigentlich in Deutschland ausgespielt haben müßten, ge¬
lobt wird, sondern diese politischen Typen beleidigen ihn. Und das sollte
hier in aller Öffentlichkeit festgestellt werden [Unruhe],
Wenn Sie mit der Rede, die ich von dieser Stelle aus hielt, die Rede
vergleichen wollen, die ich am Abend vorher in aller Öffentlichkeit im
Sportpalast gehalten habe, so können Sie am Wortlaut dort feststellen,
daß ich meine Ausführungen über den Herrn Reichspräsidenten begon¬
nen habe mit dem Satz: „Wir Nationalsozialisten stehen in Ehrfurcht
vor dem Sieger von Tannenberg, aber wir müssen es uns gestatten, vor
dem Präsidenten der Republik, der sich zur Wiederwahl gestellt hat, in
Kampfbereitschaft zu stehen." [Zwischenruf: „Wunderbar!"] Und ich
glaube, daß mit diesen Sätzen nicht im mindesten die Ehre des Herrn
Reichspräsidenten angetastet wurde, sondern vielmehr in Deutschland
eine klare Linie aufgezeichnet wurde, nach der die nationalsozialistische
Bewegung in diesem Wahlkampf zu verfahren gedenkt [Zwischenruf],
Aber darum handelt es sich ja gar nicht. Es handelt sich vielmehr
darum, hinter dem Herrn Reichspräsidenten ein System zu verstecken,
das in Deutschland ausgespielt hat. Das System hat in sich keinerlei Be¬
weiskraft mehr, um seine Existenz vor den Massen des Volkes zu vertei¬
digen. Und deshalb sucht es seine Argumente bei einer Persönlichkeit, die
es dem nationalen Lager weggenommen hat [Heiterkeit], Denn darüber
kann auch kein Zweifel bestehen: der Herr Reichspräsident — [Unruhe,
4 Laut Protokoll des Abg. Esser (Zentrum).
24
Zwischenrufe], darüber kann auch kein Zweifel bestehen: — [weitere
Unruhe, Zwischenruf: „Den Verstand dazu, was?" Präs.: „Meine Her¬
ren, ich bitte um Ruhe!"], der Herr Reichspräsident gehörte seinem
Namen, seiner Vergangenheit und seinen Leistungen nach zu uns und
nicht zu denen, die ihm heute ihre Stimme zu geben bereit sind [Zwi¬
schenrufe, Beifall].
Wenn der Vertreter der Sozialdemokratie [Zwischenruf: „Herr Goebbels,
meinen Sie den Herrn...?''] hier von derTribüne des Reichstags herab er¬
klärte: Wir sind durch Hindenburg angenehm enttäuscht worden,—dann
meine ich, daß —, ist das ein Satz, der die ganze Furchtbarkeit und die
Tragödie der letzten sieben Jahre in Deutschland eindeutig enthüllt
[Zwischenrufe: „Sehr wahr!"]. Wenn die Sozialdemokratie feststellt, daß
sie durch einen Kandidaten, den wir gewählt haben, angenehm ent¬
täuscht worden ist, dann dürfen Sie es dem nationalen Lager nicht ver¬
denken, wenn es seinerseits feststellt, daß es ««angenehm enttäuscht wor¬
den ist [Beifall], Das und nichts andres stand zur Debatte [Zwischen¬
ruf 5 : „Herr Groener, das sind Ihre Schützlinge!"], und ich muß deshalb
in aller Form — [Lärm], ich muß deshalb in aller Form — [Unruhe], ich
muß deshalb in aller Form den unqualifizierten Vorwurf, daß die natio¬
nalsozialistische Bewegung sich eine Ungeheuerlichkeit habe zuschulden
kommen lassen, zurückweisen.
Ich wende mich zu dem, was der Herr Reichskanzler selbst vor¬
brachte. Der Herr Reichskanzler erklärte, es sei seine vornehmste Sorge,
in Deutschland das selbständige Unternehmen zu sichern. Ich frage den
Herrn Reichskanzler, wo es in Deutschland ein selbständiges Unterneh¬
men überhaupt noch gibtj Herr Reichskanzler, Sie haben durch Ihre
Steuerpolitik in den letzten zwei Jahren jede Selbständigkeit in Deutsch¬
land aufgezehrt [Zwischenruf: „Sehr richtig!"]. Praktisch steht das deut¬
sche Unternehmen vor dem Ruin. Es kann von einer Sicherung über¬
haupt nicht mehr die Rede sein, sondern die letzten Existenzgrund-, Exi¬
stenzgrundlagen des Gewerbes und Unternehmertums sind in Deutsch¬
land vollkommen vernichtet 8 [Unruhe, Zwischenrufe], Ich kann es sehr
wohl verstehen, daß der Herr Reichskanzler versucht, die Schuld daran
zum großen Teil der Hemmungslosigkeit der radikalen Agitation zuzu¬
schieben [Zwischenrufe: „Jawohl!", „Sehr richtig!"]. Herr Reichskanz¬
ler, Sie verfallen hier einer verhängsnisvollen Verwechslung von Ursache
und Wirkung [Zwischenrufe: „Sehr gut! Sehr gut!"].
5 Laut Protokoll des Abg. Schöpflin (SPD).
6lnderTathattengeradeauehdieKleingewerbetreibendenunterderWirt-schaftskrise schwer zu leiden,
und Brünings fatale Dei'lationspolitik trug nicht
dazu bei, ihre Not zu lindern. In diesen Schichten rekrutierte die national¬
sozialistische Agitation denn auch ihre hörigsten Anhänger.
25
Der Radikalismus der oppositionellen Kritik richtet sich immer nach
dem Radikalismus, mit dem von Seiten der Regierung Fehler gemacht
worden sind [Zwischenrufe: „Sehr gut!" Beifall], und die radikale Agi¬
tation wäre in Deutschland niemals so erfolgreich geworden, wenn Ihre
eigene Politik nicht der beste Nährboden [Zwischenruf: „Sehr richtig!"]
für die radikale Agitation gewesen wäre [Beifall], Auch wir sind der
Überzeugung, daß in Deutschland der Pessimismus zum Schwinden ge¬
bracht werden muß. Wenn das deutsche Volk aber von einer pessimisti¬
schen Stimmung befallen ist, so nur deshalb, weil es der Überzeugung ist,
daß in den letzten zwei Jahren, obschon man die deutsche Frage innen¬
politisch in Angriff nehmen konnte, nichts geändert worden ist. Das
deutsche Volk schöpft die Ursachen zum Pessimismus in der Existenz
dieses Kabinetts! [Zwischenrufe: „Sehr gut!", „Bravo!"] Wenn dieses
Kabinett — [Beifall], wenn dieses Kabinett in Deutschland den Pessimis¬
mus beseitigen will, braucht es nur zurückzutreten [Zwischenrufe: „Sehr
gut!"] und der nationalen Opposition den Weg freizugeben [Beifall].
Der Herr Reichskanzler hat versucht, die parlamentarische Amtszeit¬
verlängerung des Herrn Reichspräsidenten hier in einem anderen Lichte
zu zeigen 7 . Wir sind nicht in der Lage, ihm auf seinem Wege Folge zu
leisten. Worum handelt es sich? Der Herr Reichskanzler trat durch den
Herrn Reichswehr- und -Innenminister an den Führer der nationalsozia¬
listischen Bewegung heran und ersuchte ihn, seine Zustimmung zu geben
zu einer parlamentarischen Amtszeitverlängerung. Wenn ich hier den
Ausdruck gebracht habe —, gebraucht habe: „Man hat die nationalso¬
zialistische Bewegung um Hilfe angewinselt", so aus folgendem Tatbe¬
stand heraus: Vier Wochen vorher, Herr Reichskanzler, haben Sie die
nationalsozialistische Bewegung am Rundfunk des illegalen Hochverrats
verdächtigt. Vier Wochen später haben Sie einen Staatenlosen, einen, der
von der Systempresse als Deserteur bezeichnet wird [Unruhe 8 ], zu sich
gebeten, damit er, der eben Geschlagene und Diffamierte, seine Einwilli¬
gung gäbe, daß durch die Amtszeitverlängerung des Herrn Reichspräsi¬
denten das System weiter verankert würde. Darum und um nichts ande¬
res hat es sich gehandelt!
Sie haben versucht zu erklären, daß die Rundfunkrede nur Teile der
nationalsozialistischen Bewegung getroffen habe. Es kommt nicht darauf
an, was Sie wollten, es kommt darauf an, was Sie erreicht haben! Er¬
reicht haben Sie, daß Sie die nationalsozialistische Bewegung und damit
fünfzehn Millionen Deutsche im Auslande diffamiert haben [Beifall,
7 Als Gründe hatte Brüning den lähmenden Pessimismus im deutschen Volke
und den Ernst der außenpolitischen Lage angeführt.
8 Das Protokoll verzeichnet einen Zuruf von den Sozialdemokraten: .Ist er
auch!"
26
Unruhe], Erreicht haben Sie, daß das Ausland entweder auf den Gedan¬
ken kommen muß: Der deutsche Reichskanzler sagt nicht die Wahrheit,
— oder: Es leben in Deutschland fünfzehn Millionen Menschen, die bes¬
ser ins Irrenhaus gehörten [Zwischenrufe: „Sehr gut!"]. Das ist das, was
Sie an nationalem Kredit dem Auslande gegenüber zerstört haben. Ich
frage Sie, Herr Reichskanzler: Wo bleibt Ihre scharfe Sprache den Bun¬
desgenossen der Eisernen Front gegenüber [Zwischenrufe: „Sehr rich¬
tig!"], — eine Front , die in Deutschland seit zwei Monaten offiziell zum
Bürgerkrieg hetzt?! [Zwischenrufe.] Wo bleibt Ihre scharfe Sprache gegen
die Höltermann 9 , gegen die Regierungsrat Muhle 10 , die, in Amt und Wür¬
den sitzend, öffentlich erklären, daß sie auch eine legale Machtübernahme
durch uns durch den Bürgerkrieg zu verhindern wüßten? [Zuruf: „Hört,
hört!"] Sie schlagen das nationale Lager, weil Sie wissen: Das nationale
Lager ist wehrlos! [Gelächter.] Warum schlagen Sie nicht Ihre Bundesge¬
nossen? Weil Sie Ihre Bundesgenossen als Tolerierende für Ihre Notver¬
ordnungspolitik notwendig haben! [Zurufe: „Sehr richtig!" Beifall.]
Sie haben erklärt. Sie glaubten dem Wort des obersten Führers der Be¬
wegung, daß er die Legalität einhalten wolle 11 . Sie haben aber dem ge¬
genübergehalten „aufrührerische Reden einzelner Unterführer". Wir
haben nach Namen gefragt. Herr Reichskanzler, Sie sind uns diese
Namen schuldig geblieben! [Unruhe.] Sie sind sie uns schuldig geblieben,
weil Sie sie nicht nennen können [anhaltende Unruhe], — es sei denn.
Sie berufen sich auf den gefälschten Bericht im Vorwärts über die Rede
unseres Parteigenossen Straßer! [Zwischenruf: „Sehr gut!"] Wenn aber
der Reichskanzler der deutschen Republik kein anderes Material für
seine Angriffe zur Verfügung hat als erlogene Begriffe —, Berichte des
Vorwärts [Zwischenrufe], dann, muß ich sagen, sollte er sich diese An¬
griffe gegen eine Fünfzehn-Millionen-Bewegung besser sparen! [Beifall,
Zwischenrufe.]
Sie, Herr Reichskanzler, haben vor diesem Hohen Hause den Ein¬
druck zu erwecken versucht, als handhabten Sie die von Ihnen erlassenen
und gedeckten Notverordnungen gerecht nach links und rechts. Sie
haben als Beweis dafür angeführt, daß Sie in den verschiedensten Fällen
9 Karl H., einer der Gründer, der Spiritus rector und seit dem 16. Dezember 1931 der geschäftsführende
Bundesführer des „Reichsbanners Sehwarz-Rot-Gold,
Bund republikanischer Kriegsteilnehmer", eines theoretisch gesamtrepublika¬
nischen, vorwiegend aber sozialdemokratischen Selbstschutz- und Kampf¬
verbandes.
10 Siehe oben Nr. 2, Anm. 22. In der dort erwähnten Rede hatte Mühle erklärt,
wenn Hitler illegal oder auch legal zur Macht käme, bedeute das auf jeden
Fall einen Bürgerkrieg.
11 Bezieht sich insbesondere auf Hitlers Aussage im Reichsgeriehtsprozeß gegen
die drei Ulmer Reichswehroffiziere Scheringer, Ludin und Wendt am 25. Sep¬
tember 1930, den sog. „Legalitätseid".
27
Presseverbote, die gegen die nationalsozialistische Presse erlassen waren,
hätten aufheben lassen. Das ja ist schon Beweis dafür, daß Ihre Bundes¬
genossen, denen Sie die Notverordnungen in die Hand gegeben haben, sie
ungerecht handhaben! [Zwischenrufe: „Sehr gut!"] Darüber hinaus aber:
Was nutzt uns das — [Zwischenrufe 12 : „Klagges! Klagges!", „Braun¬
schweig!"], was nutzt uns das [Unruhe, Rufe: „Braunschweig!", „Klag¬
ges!"], wenn Sie Presseverbote aufheben, nachdem die Verbotszeit ver¬
strichen ist! Was nutzt uns das, wenn Zeitungen acht Tage am Erscheinen
verhindert wurden und sie sich dann am Ende auf das Papier berufen
können, daß das Verbot ungerechtfertigt gewesen ist. Ein einziges
Organ, unser Berliner Kampforgan, hat in einem Jahre einen ungerecht¬
fertigten Schaden von 180 000 Mark durch Ihre Notverordnungen zu er¬
leiden gehabt [anhaltende Unruhe], ohne daß die geringste Möglichkeit
besteht, daß wir dagegen irgendeinen Einspruch erheben! [Weitere Un¬
ruhe, Zwischenrufe: „Thyssen zahlt! Thyssen zahlt 18 !"]
Der Herr Reichskanzler hat von dieser Stelle aus erklärt — [weitere
Zwischenrufe, u.a.: „Thyssen bezahlt alles!"], der Herr Reichskanzler
hat von dieser Stelle aus erklärt [Zwischenrufe], er halte es für untun¬
lich, nach dem Muster der Sozialistengesetze 14 eine Unterdrückung der
nationalsozialistischen Bewegung statthaben zu lassen. Herr Reichskanz¬
ler. was Sie erfunden —, erfunden haben, das ist dem Sozialistengesetz
gegenüber ein Schattenspiel! [Unruhe, Beifall.] Niemals ist in Deutsch¬
land die freie Meinungsäußerung in Wort und Schrift so unterbunden ge¬
wesen wie in den zwei Jahren [Unruhe], da Sie das Amt eines deutschen
Reichskanzlers bekleiden [Beifall]. Es ist dann sehr leicht, sich von der
Tribüne des Reichstags herab darauf zu berufen, daß der Führer der
nationalsozialistischen Bewegung [Zwischenruf] durch seine Ansprachen
an die angelsächsische Presse die amtliche deutsche Außenpolitik durch¬
kreuze [anhaltende Unruhe, Zwischenrufe], Warum? Der Führer der
nationalsozialistischen Bewegung ist ja geradezu gezwungen, das Aus¬
land über seine außenpolitischen Ziele aufzuklären, weil Sie nichts unter¬
nommen haben, um die schamlose Lüge über unsere Außenpolitik durch
die Ihnen hörige Systempresse zu unterbinden! [Zurufe: „Sehr richtig!"
Beifall.] Hätte Adolf Hitler dem Auslande nicht die Wahrheit über un¬
sere außenpolitischen Ziele gesagt [Zwischenruf 16 : „Herr Litke stört
12 Nach dem Protokoll: der Sozialdemokraten.
oLautProtokollZurufderSozialdemokraten.—Der Industriell war der Initiator der ot
Anm. 27) erwähnten Rede Hitlers vor dem eFritzThyssen
Industrieklub und ein wichtiger Geldgeber der NSDAP.
14 Bismarcks Ausnahmegesetz vom 21. Oktober 1878 zur Bekämpfung der .ge¬
meingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie". — Der folgende Satz
dürfte vermutlich genau entgegengesetzt gemeint sein.
15 Nach dem Protokoll wieder des Abg. Dr. Frick (NSDAP). Litke war offen¬
bar der besondere Freund von Hitlers späterem Innenminister.
28
schon wieder planmäßig, Herr Präsident!"], das Ausland — [weitere
Zwischenrufe, lebhafte Unruhe], das Ausland wäre ja auf den Gedanken
gekommen, in Deutschland lebten fünfzehn Millionen Tollhäusler. Es ist
noch nicht lange her, da ist ein bekannter Berliner Jude [anhaltende Un¬
ruhe, Glocke] in einer Pariser Pazifistenversammlung aufgetreten und
hat erklärt: Hitler — c'est la guerre. Was ist das anders als kompletter
Landesverrat der nationalsozialistischen Bewegung gegenüber! Demge¬
genüber allerdings hat die nationalsozialistische Bewegung nicht nur das
Recht, sondern die Pflicht, dem ein Paroli zu bieten und dem Auslande
eine Aufklärung darüber zu geben, was die nationalsozialistische Bewe¬
gung innenpolitisch und außenpolitisch will.
Sie sind uns leider, Herr Reichskanzler, die Antwort darauf schuldig
geblieben, was Sie zu tuen gedenken, um den oratorischen Exzessen des
Berliner Polizeipräsidenten entgegenzutreten [Heiterkeit], Es wird auch
Ihnen, Herr Reichskanzler, nicht unbekannt sein, daß der sozialdemo¬
kratische Polizeipräsident von Berlin, Grzesinski, in einer Versammlung
unter offenem Himmel in Leipzig erklärte [aufkommende Unruhe], er
könne nicht verstehen, daß man den Deserteur und Ausländer Adolf
Hitler noch nicht mit der Hundepeitsche aus Deutschland herausgejagt
habe! [Pfui-Rufe.] Sie können sich vielleicht darauf berufen, Herr
Reichskanzler, daß auch in unseren Reihen rednerische Exzesse zu ver¬
zeichnen seien, aber niemals sahen Sie einen rednerischen Exzeß von
einem Mann [Zwischenruf], der von Ihnen dazu beauftragt war, die
Notverordnung zur Sicherung [Zwischenrufe: „Klagges! Klagges!"] der
öffentlichen Ruhe und Sicherheit zu handhaben [Unruhe],
Das ist es — [Beifall], das ist es, was jetzt zur Debatte steht [weitere
Zwischenrufe: „Klagges!", „Braunschweig!"], und deshalb können Sie es
der nationalsozialistischen Bewegung nicht verdenken, daß sie der gegen¬
wärtigen Regierung den Vorwurf der passiven Schuld an der Zuspitzung
der innenpolitischen Gegensätze zumißt. Sie haben zwei Jahre lang Ihre
Notverordnungen zur Pazifierung des innenpolitischen Lebens in An¬
spruch genommen. Ich frage Sie, Herr Reichskanzler: Was hat sich
dadurch geändert? Sind dadurch die politischen Morde unterbunden
worden? [Erregte Zwischenrufe 14 : „Ja, von Euch, von Euch!"] Ist
dadurch der Kapitalismus 17 zurückgedrängt worden? Ist deshalb das
deutsche Volk friedfertiger geworden? Haben die Gegensätze sich abge¬
mildert? Nein, praktisch haben Sie [Zwischenrufe] die Zahl des Kommu¬
nismus verdoppelt [Zuruf: „Sehr richtig!"], statt daß Sie den Bürgerkrieg
16 Nach dem Protokoll: der Kommunisten.
17 In dem — ja nicht sehr präzisen — Protokoll steht statt dessen „Kommunis¬
mus". So ist es wohl auch gemeint gewesen, und es dürfte sich hierbei um eine
nachträgliche Korrektur des Redners handeln.
29
gebannt hätten! [Zwischenruf, Präs.: „Herr Abgeordneter Moericke 18 ,
ich rufe Sie zur Ordnung!"] Es kommt nicht in der Politik darauf an,
was man will, es kommt in der Politik darauf an, was man erreicht
[Zwischenrufe: „Sehr richtig!" Unruhe], — und da allerdings müssen
wir feststellen, daß Sie mit Ihrer Notverordnungspolitik weder die
Finanzen sanierten noch den inneren Frieden wiederherstellten, sondern
daß Deutschland finanz- und wirtschaftspolitisch vor dem Ruin steht
und daß die inneren Gegensätze sich so verschärften, daß über Nacht in
Deutschland die Gefahr des Bürgerkrieges hereinbrechen kann.
Wenn wir vom System des 9. November 1918 sprechen, Herr Reichs¬
kanzler, dann meinen wir nicht nur die Geburtsstunde dieses Systems,
sondern das System auch in seinem späteren Dasein. Niemand von uns
hat sich je unterstanden, Ihnen die Schuld am 9. November selbst zuzu¬
messen. Und wir haben mit Befriedigung davon Kenntnis genommen,
daß Sie, Herr Reichskanzler, sich am 9. November an der Spitze eines
Sturmbataillons gegen die Revolte gestellt haben 1 '. Allerdings — [Zu¬
rufe: „Sehr gut!" Beifall, Zwischenruf: „Warum klatscht die Eiserne
Front nicht?"], allerdings, Herr Reichskanzler — [Unruhe], allerdings,
Herr Reichskanzler, ist uns dabei aufgefallen, wie wenig Beifall Sie bei
Ihren linken Bundesgenossen gefunden haben! [Beifall. Zwischenrufe.]
Es ist uns aufgefallen, wie wenig begeistert die Eiserne Front von diesen
sensationellen Enthüllungen gewesen ist [Zuruf: „Sehr gut!"]. Diese
Front, Herr Reichskanzler, die den 9. November machte und verantwor¬
tete, ist heute Ihr Bundesgenosse [Zwischenrufe: „Sehr gut!"], und
solange Sie nicht mit dieser Front brechen, solange können wir Ihnen
nicht die Schuld abnehmen am weiteren Bestand des Regimes von 1918!
[Bravo-Rufe. Beifall.] Durch Ihre Koalition mit der SPD 211 haben Sie
den 9. November legalisiert. Sie haben ihn — [Zustimmung], Sie haben
ihn salonfähig gemacht [Gelächter], und Sie, die ehedem auf den Barrika¬
den standen, um das alte Reich zu schützen, halten jetzt [anhaltende Zwi¬
schenrufe] die Geißel Ihrer Notverordnungen in Händen, um den deut¬
schen Nationalismus zu schlagen! [Beifall, große Unruhe, Zwischen¬
ruf 21 : „Herr Goebbels, Herr Goebbels, wenn das nicht der Fall gewesen
wäre, dann wären Sie nämlich nicht da, dann wären Sie nicht da!" Un¬
ruhe, Präs.: „Herr Abgeordneter Schlaffer, ich bitte um Ruhe!"]
18 Franz M. (KPD).
19 Brüning hatte in seiner vorangegangenen Rede, von nationalsozialistischen
Zwischenrufern provoziert, erregt erklärt, man könne ihn in keiner Weise mit
dem 9. November in Verbindung bringen: er habe damals zu der Gruppe
Winterfeld gehört, die zur Niederwerfung der Revolution gebildet worden
sei.
20 Es gab keine Koalition, jedoch tolerierte die SPD einen großen Teil der
Brüningschen Regierungspolitik.
21 Laut Protokoll des Abg. Schlaffer (KPD).
30
Ich brauche mich nicht des weiteren darüber zu verbreiten [weitere
Zwischenrufe], daß es selbstverständlich für uns ist — [Zwischenruf 28 :
soll sich auf seinen Platz setzen hier! Hat er das Vorrecht?" Leb¬
hafte Unruhe, Abg. Schlaffer: „Ich ging hierher, weil ich schlecht höre."
Präs.: „Herr Schlaffer, ich bitte Sie, sich auf Ihren Platz —" Abg.
Schlaffer: „Ich ging hierher, weil ich schlecht höre." Präs.: „Ich kann
keine Ausnahme machen; ich muß auch Herrn Sybel 2 ' bitten, auf seinen
Platz zu gehen!"], ich brauche mich nicht des weiteren darüber zu ver¬
breiten, daß es auch für uns selbstverständlich ist, daß zur Eroberung der
Macht die Klugheit gehört. Herr Reichskanzler, wir haben auf Ihre tak¬
tischen Rezepte niemals Anspruch erhoben. Wir sind der Meinung, daß
wir auf eigene Weise an die Macht kommen werden [Unruhe], Sie haben
erklärt, der nationalsozialistischen Bewegung wäre des öfteren die Gele¬
genheit gegeben worden, die Verantwortung zu übernehmen, — aller¬
dings unter einer Bedingung, die Sie verschwiegen: unter der Bedingung,
daß wir uns unter das Joch des Zentrums beugten [Zurufe: „Sehr
gut!"], — unter der Bedingung, Herr Reichskanzler, daß wir Ihr Pro¬
gramm durchführten, — unter der Bedingung, daß in der deutschen
Politik nichts geändert wurde.
Das allerdings ist für die nationalsozialistische Bewegung niemals in
Frage gekommen. Denn die Eroberung der Macht, Herr Reichskanzler,
ist uns, im Gegensatz zu vielen anderen Parteien in diesem Hause, nicht
ein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck! [Unruhe, Zwischen¬
ruf 24 : „Ihr Thyssen!... Zu welchem Zweck? In welchem Interesse? ...
Für Herrn Thyssen!"] Wir wollen mit der Macht — [die Unruhe hält
an], wir wollen mit der Macht nicht... kapitalistisch — [anhaltende
Unruhe, Präs.: „Herr Abgeordneter Torgier und Herr Abgeordneter ..
ich bitte die Zwischenrufe zu unterlassen!"], wir wollen mit der Macht,
Herr Reichskanzler, nicht in die Ministersessel hineinschlüpfen, sondern
eine neue Politik in Deutschland einleiten [Zwischenrufe], Und hätten
wir nur Minister werden wollen, meine Herren — [Unruhe, Präs.: „...
ich bitte nicht dauernd zu unterbrechen!" Zwischenruf: „Frick 25 Sc
Companie!"], und hätten wir nur Minister werden wollen, meine Herren,
wir wären vermutlich nicht Nationalsozialisten, sondern — [Zwischen¬
ruf 28 : „Sie haben sich doch die Hacken abgelaufen!"], sondern Sozialde¬
mokraten geworden [Unruhe, Beifall, Zwischenruf: „Der Frick trauert
doch heute noch darüber, daß er ,a. D.' ist!"]. Denn um durch die
22 Laut Protokoll wiederum des Abg. Dr. Frick.
23 Heinrich v. S. (Landvolk).
24 Laut Protokoll des Abg. Torgier (KPD).
25 Wilhelm Frick war vom 13. Januar 1930 bis 1. April 1931 in Thüringen:
Innen- und Volksbildungsminister einer Rechts-Koalition gewesen.
26 Nach dem Protokoll: von den Kommunisten.
31
Sozialdemokratie zum Minister zu avancieren, — ich nehme an, daß
dazu unsere Grütze auch noch ausreicht [Empörung, Beifall],
Die sechseinhalb Millionen, Herr Reichskanzler, die uns am H.Sep¬
tember 1930 ihre Stimme gaben, taten das [Zwischenruf -7 , Heiterkeit]
in der Zuversicht, daß [Zwischenruf: „Die werden das . . . bereuen. Herr
Goebbels!"] wir dieses Kapital nutzen würden. Sie taten es in dem Glau¬
ben, daß wir damit eine andere Politik einleiteten [Zwischenruf], Sie
wählten uns gegen Brüning, und deshalb mußten wir auch eine Politik
gegen Brüning betreiben! Hätten sie Ihr Programm gewollt. Herr Brü¬
ning, dann hätten sie Ihnen, aber nicht uns ihre Stimme gegeben! [Bei¬
fall, Zwischenruf: „Es lebe der Stimmzettel!"]
Der Herr Reichswehrminister wird vielleicht in seiner sittlichen Entrü¬
stung gegen die nationalsozialistische Bewegung, die unter dem Beifall
der Eisernen Front erfolgte, etwas abgedämpft [Zwischenruf], wenn ich
ihm zur Kenntnis bringe, daß einer von denen, die dort so begeistert Bei¬
fall klatschten, noch vor anderthalb Jahren geschrieben hat: „Man muß
schon jetzt eine Atmosphäre schaffen, die später einen entscheidenden
Vorstoß gegen die Reichswehr gestattet. Die Reichswehr muß diffamiert
werden. Jeder Reichswehrsoldat ist so anzusehen, als ob er die Pest
hätte." [Pfui-Rufe, Unruhe.] Herr Reichswehrminister, es tut mir in der
Seele weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh' 28 ! [Große Unruhe, Bei¬
fall, Zwischenrufe, u.a.: „Wie edel! Wie edel!"] Allerdings ist es ver¬
ständlich [Zwischenruf: „Und deswegen wohl der..., diffamieren Sie
doch weiter, Herr Goebbels!"], daß man jetzt, wo das System von 1918
zur Neige geht, im Lager des Pazifismus mit einem Male national wird
[Zwischenruf]. Auf diese Situation paßt wie gegossen das Wort eines
geistreichen Franzosen [Heiterkeit]: Der Patriotismus — [Unruhe], der
Patriotismus ist die letzte Zuflucht der großen Gauner -9 ! [Gelächter,
Beifall, Tumult.]
Sie werden mir gestatten, meine Damen und Herren [weitere Unruhe],
daß ich zum eigentlichen Thema übergehe. Zur Debatte steht die Wie¬
derwahl des Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg, und ich muß ge¬
stehen — [Zwischenruf: „.Bandit Goebbels' sagt Herr Dittmann!" Er¬
regter Lärm, Ruf: „Herr Dittmann 30 , Herr Dittmann war es!" Tumult,
Rufe: „Oberbandit!", „Aufhören!", „Raus!" Präs.: „Herr Dittmann,
27 Das Protokoll verzeichnet hier und im folgenden: Zurufe von den Kom¬
munisten.
28 Das Faust-Zitat (recte: . . . lang schon weh) erfreute sich offenbar bei Goeb¬
bels großer Beliebtheit, findet es sich doch schon in seinen frühen Tagebüchern,
z.B. am 15. Februar 1926 nach der Bamberger Parteiführertagung über — Hit¬
ler und seine Führerclique! Vgl. auch unten Nr. 19, Text zu Anm. 5.
28 Nicht zu ermitteln.
30 Wilhelm D. (SPD; 1916/17 bis 1922 USP).
32
was haben Sie—?" Abg. Dittmann: „Ich habe das Wort .Bandit' über¬
haupt nicht..." Tumult, Präs.: „Herr Litke 81 , ich rufe Sie zum zwei¬
tenmal zur Ordnung und mache Sie auf die Folgen des dritten Ord¬
nungsrufes aufmerksam!" Unruhe 5 “]. Muß es nicht auf die nationale
deutsche Öffentlichkeit geradezu alarmierend wirken, den Reichspräsi¬
denten heute als Vorschub jener Front zu sehen, die ihn 1925 begeiferte
und beleidigte? Damals war er für die Sozialdemokratie der Trottel, der
Massenmörder, der senile Greis, dem man Pantoffel und Schlummerrolle
schenken müsse, — damals fand man kein gutes Haar an ihm [Unruhe,
Gelächter]. Ich erinnere daran, was damals Ihre Bundesgenossen, Herr
Reichskanzler, über den von Ihnen so verehrten und geliebten Reichsprä¬
sidenten geschrieben haben.
Der Vorwärts schrieb am 4. Dezember 1924: „Der neue Wallfahrtsort
ist das Haarmannhaus in Hannover [Zwischenrufe: „Hört, hört!"]. Vor
diesem bleibt der Spießer mit unheimlichem Schauern stehen; hier ist die
Straße gedrängt voll von Autos, Droschken und Menschen, und jeder
fragt: Wo wohnt der Haarmann 33 ? Nur dreißig Menschen! — Aber
ebenso staunen die Menschen vor der Villa im Hindenburgviertel 84 , wo
der alte General wohnt, der in allen Offensiven Hunderttausende von
Menschen in den Tod getrieben und nutzlos geopfert hat [Pfui-Rufe,
große Unruhe], Auch hier — [Zwischenruf: „Er hat sie . . . in den Tod
getrieben, ohne zu ...!"], auch hier dieses herrliche, grause Gefühl, die
Gänsehaut auf der Lippe, mit der man siegreich Frankreich schlagen
will, und Gänsehaut auf den Bierlebern. Welche Zukunftsaussichten und
welche Parallelen!"
Am 9. April schrieb der Vorwärts: „Diese Kandidatur ist eine dreiste
Spekulation auf die Dummheit der politisch Ahnungslosen, auf den
Respekt vor den Generalsborten, auf die Sympathie mit gesträubten
31 Carl L. (SPD).
32 Zur Klärung dieses Zwischenfalls hier die betreffende Stelle des Protokolls
(S. 2351): Abgeordneter Litke: „Der kleine Bandit Goebbels!" — Abgeord¬
neter Dr. Frick: „.Bandit Goebbels!' sagt Herr Dittmann; er muß hinaus¬
gewiesen werden!" — Abgeordneter Litke: „Er hat es ja selbst gesagt!” —
Rufe von den N ationalsozialisten: „Raus!" — Glocke. Präsident Lobe: „Herr
Dittmann " Abgeordneter Dittmann: „Ich habe das Wort .Bandit’ über¬
haupt nicht ausgesprochen." — Abgeordneter Litke: „Das war ich!" — [Prä¬
sident Lobe:] „Herr Abgeordneter Litke, ich rufe Sie zum zweitenmal zur
Ordnung und mache Sie auf die Folgen eines dritten Ordnungsrufes aufmerk¬
sam."
33 Fritz H., seinerzeit berüchtigter homosexueller Massenmörder („Warte, warte
nur ein Weilchen . . .") in Hannover, am 19. Dezember 1924 24mal zum
Tode verurteilt und wenige Wochen später hingerichtet. H. war wegen 27 Mor¬
den an jungen Männern angeklagt worden, in drei Fällen hatte man ihn frei¬
gesprochen.
34 Auch Hindenburg hatte bis zu seiner Wahl zum Reichspräsidenten in Han¬
nover gewohnt.
33
Schnurrbärten und auf das sentimentale Mitleid mit einem alten Feid-
marschall, der das Unglück gehabt hat, einen großen Krieg zu verlieren.
Jede — [Zwischenruf], jede Stimme für Hindenburg ist eine Stimme für
die Monarchie und für den Krieg! Dem alten Herrn in Hannover eine
Schlummerrolle und ein Paar gestickte Pantoffeln [Zwischenruf: „Hört,
hört!"], alle Stimmen aber für Wilhelm Marx!" — Herr Reichskanzler!
[Unruhe, Beifall.]
Der Brief des sozialdemokratischen Alterspräsidenten im Reichstag,
Bock 35 : „Herr Generalfeldmarschall! Ihre Annahme der Präsident¬
schaftskandidatur für den deutschnationalen Reichsblock beweist wieder
einmal, daß Alter nicht vor Torheit schützt." [Zurufe: „Hört, hört!"] In
der Berliner Volkszeitung der Deutschen Staatspartei: „Rettet die Repu¬
blik! Denkt an Krieg, Hunger und Inflation! Zwei Millionen Tote mah¬
nen: Nie wieder Hindenburg!" [Rufe: „Sehr richtig! Sehr wahr!"]
Ich sehe leider auf seinem Platz nicht [Zwischenruf: „Den hat man
Euch geklaut!"] den — [Heiterkeit], ich sehe leider auf seinem Platz
nicht den großen Alliierten des Herrn Reichskanzlers, den preußischen
Minister Severing 36 [Unruhe 37 ]. Herr Severing — [weiter Unruhe,
Zwischenrufe], Herr Severing wird sich mit Genugtuung —, Herr Seve¬
ring wird sich mit Genugtuung erinnern, daß er in der kapitalistischen
Vossischen Zeitung als deutscher Arbeiterführer am 12. April 1925
schrieb: „Ein Revanchepolitiker und Säbelraßler auf dem Präsidenten¬
stuhl brächte der Arbeiterschaft nur neues Elend und neue Knechtschaft
[Zuruf, Unruhe]. Das muß verhindert werden!" [Unruhe.] Die Berliner
Morgenpost schrieb nach der Wahl [Zwischenruf: „Das war
damals...!"]: „Alle Feinde Deutschlands jubeln und alle Freunde sind
verzweifelt!"
Das, Herr Reichskanzler, sind Ihre Bundesgenossen! [Unruhe.] Diese
Bundesgenossen, Herr Reichskanzler, wollen Sie stützen und fördern
[weiter gegen Zwischenrufe] in der Liebe und Verehrung für den greisen
Feldmarschall und Reichspräsidenten [Glocke]. Sie, Herr Reichskanzler,
haben uns durch Ihre Parteien den Vorwurf machen lassen [weitere Un¬
ruhe und Zwischenrufe], daß die nationalsozialistische Bewegung mit der
Reichspräsidentenwahl [Zwischenruf: „Wie wär's denn mit dem Post¬
ministerium, Herr Goebbels?"] ein Geschäft verbinden wollte 38 [weitere
35 Wilhelm B„ geh. 1846, Alterspräsident des 1924 gewählten Reichstags.
36 Carl S„ 1920—1926 und 1930—1932 preußischer Innenminister, 1928—1930
Reichsinnenminister, einer der bedeutendsten Köpfe der damaligen SPD.
37 Das Protokoll verzeichnet Zurufe: „Ganz hinten!"
“Hitler hatte die Sondierungen hinsichtlich einer parlamentarischen Amtszeit¬
verlängerung Hindenburgs zunächst nicht rundweg abgelehnt, sondern Bedin¬
gungen gestellt (formelle Anerkennung der Legalität seiner Bestrebungen,
Auflösung und Neuwahl des Reichstags).
34
Zwischenrufe], Wir können uns daran nicht erinnern [Zwischenruf, Präs.:
„Herr Abgeordneter..., ich bitte um Ruhe!"], aber vielleicht, Herr
Reichskanzler — [Zwischenruf: „... kommt jetzt wieder auf die Liste für
schöne Literatur!" Heiterkeit], aber vielleicht. Herr Reichskanzler, erin¬
nern Sie sich, daß Sie derjenige waren, der uns Angebote machte [Zuruf:
„Hört, hört!"], der also in der parlamentarischen Verlängerung der
Amtszeit des Herrn Reichspräsidenten nicht nur einen Akt der Generosi¬
tät Hindenburg gegenüber sah, sondern auch einen politischen Akt
[Zwischenruf 39 : „Herr Goebbels, wie wäre es mit dem Posten eines
Hofnarren bei Hindenburg?" Gelächter], Die nationalsozialistische Be¬
wegung hat allerdings von vornherein erklärt, eine Wiederwahl —
[Präs.: „.. , 40 , der diesen Zwischenruf gemacht hat?" Abg. Heuck: „Es
war nur eine Anfrage." Präs.: „Herr Heuck, ich rufe Sie zur Ordnung!"
Unruhe, Rufe: „Es war nur eine Anfrage!", „Anfrage! Es war eine An¬
frage!" Heiterkeit], eine Wiederwahl [Zwischenruf, Gelächter] des
Herrn Reichspräsidenten kommt für uns nicht in Frage, ohne daß wir
eine Garantierung der Aushebung des Systems in Händen haben. Es ging
nicht um die Machtübernahme durch die nationalsozialistische Bewe¬
gung, — hätten wir nur an die Macht wollen, vielleicht wären wir mit
Gottes und Ihrer Hilfe längst darangewesen, Herr Reichskanzler [Ge¬
lächter], Wir wollten etwas anders [Zwischenruf: „Einen Platz ...!” Hei¬
terkeit]: Wir wollten in Deutschland eine neue Politik einleiten, und
dazu kam uns [Zwischenruf] die Präsidentenwahl gerade zupaß. Wir
hatten darauf gewartet.
Sie, Herr Reichskanzler, hatten, in väterlicher Forsorge für uns, wäh¬
rend der letzten zwei Jahre verhindert [Zwischenruf], daß das deutsche
Volk befragt würde, ob die nationalsozialistische Bewegung in ihrer
Kurve gestiegen oder gefallen sei. Das wollen wir am 13. März feststel¬
len [Unruhe], Wir haben den Fehdehandschuh, den das System uns seit
dem 14. September 1930 in überreichlichem Maße vor die Füße geworfen
hat, aufgenommen. Die Vossische Zeitung braucht uns nicht zu ermah¬
nen, wir sollten [fortdauernde Unruhe] den Wahlkampf um Hindenburg
wenigstens ritterlich ausfechten. Wir werden uns an dem großen Solda¬
ten nicht vergreifen, darauf können Sie sich verlassen [Unruhe], Wir
werden aber auch nichts unversucht lassen, die [der Redner klopft wie¬
derholt auf das Pult] Politik, Herr Reichskanzler, die sich hinter dem
großen Soldaten verbirgt, dem Volk ad oculos zu führen, — dem Volk
zu zeigen, wie in den letzten zwei Jahren in Deutschland regiert worden
ist und welche Erfolge diese Regierungskunst in der Öffentlichkeit gezei¬
tigt hat. Sosehr wir voll sind von Verehrung für den Sieger von Tannen-
39 Laut Protokoll des Abg. Heuck (KPD).
40 Nach dem Protokoll: „Will sich der Abgeordnete melden, . .
35
berg [Zwischenrufe], so unerbittlich sind wir in der Sache, die wir mit
Ihnen und mit dem Reichspräsidenten [Zwischenruf: „Sagen Sie doch,
Herr Goebbels, wieviel Geld der Sie deckt, auszufechten haben.
Sieben Jahre lang währt die Präsidentschaft Hindenburg [Zwischen¬
ruf: „So lange wird es nicht mehr!"], und in diesen sieben Jahren — ich
glaube das sagen zu dürfen — hat der Herr Reichspräsident nur in weni¬
gen Fällen nach den Grundsätzen regiert, die [Zwischenruf: „Die guten
Posten kriegen Sie doch nicht!"] unsere nationalsozialistische Bewegung
für notwendig erachtete. Der Herr Reichspräsident hat als kaiserlicher
General das Republikschutzgesetz unterschrieben 41 . Der Herr Reichs¬
präsident hat, obschon er vor der Wahl das Verbrechen der Inflation ge¬
geißelt hatte, die Aufwertungsgesetze unterzeichnet und damit die Infla¬
tion legalisiert 41 . Der Herr Reichspräsident hat sich mit Locarno 41 ein¬
verstanden erklärt. Der Herr Reichspräsident hat entgegen unseren War¬
nungen und Mahnungen den Young-Plan unterzeichnet [erregte Zwi¬
schenrufe], er hat damals — ich glaube nicht ohne Ihre gütige Nachhülfe
— vor der Öffentlichkeit erklärt, er erwarte, daß die Unterschrift unter
den Young-Plan die wirtschaftliche Lage bessere und mehr und mehr in
Deutschland das Elend der Arbeitslosigkeit beseitige [Zwischenruf]. Der
Herr Reichskanzler —. der Reichspräsident hat durch seinen Pakt mit
Brüning zur gleichen Zeit einen Pakt mit der Sozialdemokratischen Par¬
tei abgeschlossen [Zwischenruf: „Sehr richtig!"].
Diese Politik ist in den letzten zwei Jahren in Deutschland betrieben
worden. Der Herr Reichspräsident hat dem nationalen Deutschland, das
er in der Notverordnung 44 gleichstellte mit den internationalen Pazifi¬
stenverbänden, die Uniformen ausgezogen [Zwischenruf: „Hört,
hört!"]. Er hat damit nicht den inneren Frieden wiederhergestellt:
41 Nachdem die zweite Verlängerung des „Gesetzes zum Schutze der Republik"
von 1922 im Juni 1929 nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit gefunden
hatte, war am 18. März 1930 ein neues, im wesentlichen gleiches Republik¬
schutzgesetz zur Abwehr der radikalen Exzesse vom Reichstag verabschiedet
worden. Der Reichspräsident war nach Artikel 70 der Reichsverfassung ver¬
pflichtet, die verfassungsmäßig zustande gekommenen Gesetze auszufertigen.
42 Die im März 1925 eingebrachten, im Juli angenommenen Aufwertungsgesetze
hatten den Schlußstrich unter die Inflation gezogen, indem sie die Quoten
für die Aufwertung der seinerzeit mit wertloser Papiermark abgelösten alten
Hypotheken, Industrieobligationen und öffentlichen Anleihen festlegten (bis
zu höchstens 25 Prozent). Für die radikale Agitation bildeten die enttäuschten
Hoffnungen der inflationsgeschädigten Gläubiger und Sparer natürlich ein
überaus günstiges Objekt.
43 Im Locarnopakt vom Herbst 1925 hatte Deutschland (damit freilich die be¬
sonders umstrittenen Ostgrenzen implicite abwertend) seine Westgrenze noch
einmal freiwillig anerkannt, einen — wechselseitigen — Gewaltverzicht gegen¬
über den Westmächten ausgesprochen und dem Eintritt in den Völkerbund
zugestimmt.
44 „Zur Bekämpfung politischer Ausschreitungen" vom 28. März 1931, deren
§ 8 die dann folgenden Uniform verböte ermöglichte.
36
Deutschland steht heute vor der Verzweiflung [Zwischenrufe, Heiter¬
keit], und Millionen und Millionen Menschen sehnen sich danach, dieser
Verzweiflung durch den Stimmzettel Ausdruck zu geben [Zwischenruf].
Wir würden es dem Herrn Reichspräsidenten, wenn er gewählt wird,
nicht verdenken [Zwischenrufe], wenn er die Politik derer betriebe, die
ihn gewählt haben. Aber verdenken dürfen und müssen wir ihm, daß er
nicht die Politik getrieben hat in den letzten sieben Jahren derer, die ihn
1925 gewählt haben! Denn das, Herr Reichskanzler, ist der Sinn der De¬
mokratie [Unruhe], der in England und Amerika längst selbstverständ¬
lich geworden ist: daß der Gewählte an das Mandat der Wähler
gebunden ist, daß der Gewählte die Politik seiner Wähler betreiben
muß [wachsende Unruhe]. Wenn das nicht der Fall wäre, wäre ja jede
Wahl überflüssig! Wir könnten dann den Präsidenten auswürfeln,
und es wäre ja überhaupt eine Umschwenkung eines politischen Kurses
von vornherein platterdings ausgeschlossen! [Zwischenruf: „...haben
sie im Reichstag allen Leuten, allen Leuten die Versprechungen ge¬
macht!" Unruhe.]
Deshalb haben wir die Gelegenheit benutzt, um dieser Frontstellung
den großen Gegenspieler aus unserer Bewegung entgegenzustellen 44 . Und
da allerdings, Herr Reichskanzler, hätten wir von Ihnen [Unruhe. Zwi¬
schenruf] und hätten wir vom Reichspräsidenten einen Akt erwartet, den
wir nach unserem nationalen Gefühl für selbstverständlich gehalten hät¬
ten. Sie werden es wissen, Herr Reichskanzler: Adolf Hitler hat, als
kriegsfreiwilliger Österreicher dienend, in einem bayerischen Regiment
vier Jahre draußen an der Front gestanden [Unruhe], Adolf Hitler ist
dreimal schwer verwundet worden, Adolf Hitler lag am 9. November
1918 [Zwischenruf], da Sie sich gegen die Revolte auflehnten, als
Kriegsblinder im Lazarett in Pasewalk. Er hat sich [Zwischenruf: „Und
wenn er nicht dort gelegen hätte?"] seinen Staatsbürgerschein [Zwi¬
schenruf] durch Blut und Einsatz von Leben verdient! Und Sie. Herr
Reichskanzler, werden aus Ihrem soldatischen Empfinden Verständnis
dafür haben, daß dieser Frontsoldat nicht auf die gleiche Weise seine
Staatsbürgerschaft erwerben will wie jeder verlauste Ostjude! [Großer
Lärm, starker Beifall, Zwischenruf: „Da hat Wilhelm II. Geld...!"]
Nur händlerisch-jüdische Auffassung kann davon ausgehen, daß Staats¬
zugehörigkeit mit 500 Mark erkauft werden kann. Ich meine aber:
45 Nach zumeist taktisch bedingtem Zögern hatte Hitler wenige Tage zuvor, am
22. Februar, in einer Massenveranstaltung im Sportpalast seine Kandidatur
bekanntgegeben. Vorerst war nur noch die Frage seiner Staatsangehörigkeit zu
klären (vgl. Nr. 2, Anm. 31), was an diesem 25. Februar gerade perfekt wurde:
das braunschweigische Staatsministerium ernannte den Schriftsteller Adolf
Hitler zum Regierungsrat im braunschweigischen Staatsdienst und Sachbear¬
beiter bei der braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin.
37
Wenn einer sich die Zugehörigkeit zu einem Volke durch Blut und Ein¬
satz von Leben erkauft, dürfte man von ihm nicht verlangen [Zwischen¬
rufe], daß er sie auf dieselbe Weise erkauft wie irgendein Einwanderer
aus Galizien, der nur hierherkommt [starke Unruhe, Zwischenrufe], um
Geschäfte zu machen! [Beifall, weitere Unruhe und Zwischenruf: „Sie
haben wohl die Not in Deutschland vergessen!"]
Lassen Sie mich nun, meine Damen und Herren [Zwischenruf,
Glocke], noch ein paar kurze Worte über den bevorstehenden Wahl¬
kampf sagen. Die nationalsozialistische Bewegung weiß, daß dieser
Wahlkampf kurz, aber hart werden wird. Sie ist entschlossen, in diesem
Wahlkampf alles einzusetzen, und sie weiß auch, daß sie bei diesem
Wahlkampf [Zwischenruf: „Wir auch, darauf können Sie sich verlas¬
sen!"] um Sein oder Nichtsein würfelt. Die Systempresse rechnet bereits
aus, daß für Hindenburg achtzehn Millionen Stimmen zu erwarten seien
[Heiterkeit], Wir werden das nicht abstreiten, wir wollen nicht darüber
lachen, wir wollen nur feststellen: Am Morgen des 14. September 1930
rechnete das Berliner Tageblatt aus, daß die Nationalsozialisten abends
20 bis 25 Mandate heimtragen dürften. Dieser Satz wurde um die Mit¬
ternachtsstunde, als wir das erste Hundert überschritten hatten 46 , unter
Stürmen der Heiterkeit im Sportpalast verlesen. Vielleicht, Herr Reichs¬
kanzler, werden Sie eine ähnliche Enttäuschung erleben, wer weiß! [Zu¬
rufe.] Vielleicht denkt das deutsche Volk — [Zwischenrufe: „...pro¬
phezeien, Herr Goebbels!", „Der nächste...!"], vielleicht denkt das
deutsche Volk doch anders [Zwischenruf: „Seit wann sind Sie Pro¬
phet?"], als Sie sich das in den — [anhaltende Unruhe und Zwischen¬
rufe, Glocke], vielleicht denkt das deutsche Volk doch anders, als Sie sich
das in den überhitzten Amtsstuben der Wilhelmstraße vorstellen.
In den letzten zwei Jahren, Herr Reichskanzler, ist im deutschen
Volke eine Strukturveränderung vor sich gegangen, — eine Strukturver¬
änderung, die nicht mehr gleichbedeutend ist mit einem Wandern von
einer Partei zur andern [Zwischenrufe, u.a.: „Michael!" 47 ]. Millionen
und Millionen Menschen sind dem parlamentarisch-demokratischen
Regime an sich verlorengegangen, die Sie unseren Händen nicht wieder
entwinden können [Heiterkeit, Zwischenrufe], Denn das unterscheidet
den Aufmarsch der nationalsozialistischen Bewegung vom Wachstum
oder vom Versinken aller anderen Parteien [Zwischenrufe]: Hier ist eine
Weltanschauung mobil geworden, hier fühlen sich Männer —. Menschen
46 Ein „zweites Hundert" hatte es damals freilich noch nicht gegeben (107
NSDAP-Mandate).
41 Bezieht sich wohl auf Goebbels' — zum Teil autobiographischen — Tage¬
buchroman „Michael", der ein solches „Wandern” als „deutsches Schicksal"
zum Thema hatte.
38
als Träger von Ideen [Oh-Rufe, anhaltende Unruhe und Zwischenrufe],
und deshalb sind hier auch Menschen für Ideen zu sterben bereit.
Die nationalsozialistische Bewegung tritt am 13. März an, um [Zwi¬
schenrufe] für Sieg oder Niederlage zu kämpfen. Sie wird fechten bis
zum letzten Mann und bis zum letzten Hauch [Unruhe], und dann soll
das Schicksal darüber entscheiden. Herr Reichskanzler, wem in Deutsch¬
land die Macht gebührt: Ihnen — oder uns! [Unruhe, Zwischenrufe.]
Denn das werden Sie mir auch zugeben: Das Urteil wird vom Volk ge¬
sprochen! [Zwischenruf: „Aber vielleicht gucken Sie mal nach uns, Herr
Goebbels...!"] Ich setze mich mit dem Herrn Reichskanzler auseinan¬
der [Unruhe, Zwischenruf 48 : „Wir werden uns Mühe geben, Ihnen
einen Strich durch die Rechnung zu machen, Herr Goebbels!"]. Wir dan¬
ken Ihnen sehr dafür [Zwischenruf: „Aber einen kräftigen!"], vielleicht
kommen Sie und wir in die Stichwahl! [Unruhe, Gelächter. Präs.: „Ich
bitte um Ruhe!"] Vielleicht, so absurd das klingen mag — [Zwischenruf:
„. .. keine Hoffnung. Herr Goebbels!"] — ich nehme die Anregung des
kommunistischen Abgeordneten Torgier auf —, vielleicht werden wir
uns im zweiten Wahlgang mit den Kommunisten auseinandersetzen
[Heiterkeit, Unruhe]. Vielleicht, Herr Reichskanzler — [Unruhe], viel¬
leicht. Herr Reichskanzler — [Zwischenruf: „Mit Groener zusammen,
oder so?"], vielleicht, Herr Reichskanzler, werden Sie beim Endspurt gar
nicht mehr dabei sein, wer weiß! [Heiterkeit, Beifall.] Seit dem 14. Sep¬
tember ist in Deutschland nichts mehr unmöglich. Seit dem 14. Septem¬
ber sind die Strukturveränderungen weiter vor sich gegangen, und Sie
werden die nationalsozialistische Bewegung kennenlernen, wenn sie um
die letzte Entscheidung antritt! [Zwischenruf: „Ja, ja, wir kennen sie
schon!" Anhaltende Unruhe.]
Sie, Herr Reichskanzler, haben heute am Ende Ihrer Ausführungen
dieselbe Frage aufgeworfen, die Sie in Ihrem Briefwechsel mit dem Füh¬
rer der nationalsozialistischen Bewegung aufwarfen: Was verstehen Sie
eigentlich unter System 49 ) Wir haben erklärt: Wir wollen ein System
48 Laut Protokoll des Abg. Ernst Torgier (KPD). Vgl. auch Nr. 12, Anm. 9.
49 Als Hitler nach einigem Zögern die parlamentarische Amtszeitverlängerung
Hindenburgs am 12. Januar abgelehnt hatte, ließ er vier Tage später Brüning
eine Denkschrift zu dieser Frage überreichen, in der er — mit ähnlich dema¬
gogischen und heuchlerischen Argumenten wie hier Goebbels — die „Ver¬
nichtung" und „Überwindung des Systems" als Lebensvoraussetzung der
deutschen Nation proklamierte. Am 23. Januar hatte Brüning sachlich, überlegen
und mit entsprechender Schärfe geantwortet, dabei zwar nicht, wie Goebbels
hier vorgibt, gefragt, was die Nationalsozialisten denn unter „System" ver¬
ständen, jedoch diese billige Phrase zurückgewiesen: „Ich muß es ablehnen,
mit Ihnen in eine Diskussion über Schlagwort-Begriffe einzutreten. Wer den
Ernst einer schweren Aufgabe völlig erkennt, wird niemals Zuflucht zu einem
Schlagwort nehmen."
39
stürzen. Sie, Herr Reichskanzler, stellen sich taub, als wüßten Sie nicht,
was darunter gemeint ist. Ich werde es Ihnen sagen.
Unter System — [Unruhe, Zwischenrufe, Lachen], unter System ver¬
stehen wir jene Art zu regieren [Zwischenruf], in der es möglich ist, daß
eine Partei heute noch Macht und Verantwortung trägt, die am 28. Ok¬
tober 1918 schrieb: Es ist unser heiliger Wille, daß wir die Kriegsflagge
streichen, ohne sie siegreich heimzubringen [Zurufe: „Sehr gut!" Große
Unruhe]. Das , Herr Reichskanzler, nennen wir System [anhaltende Un¬
ruhe]. Unter System verstehen wir eine Art zu regieren, in der es möglich
ist, daß die Weltdiffamierung des deutschen Volkes in der Kriegsschuld¬
lüge 50 amtlich ist und amtlich bleibt. Unter System verstehen wir. daß
Parteien weiter ihre Existenz fristen können, die bei der Machtüber¬
nahme Freiheit, Schönheit und Würde versprechen 51 [Tumult, erregte
Rufe, gegen die der Redner weiterspricht] und seit dreizehn Jahren dem
Volke Steine statt Brot und Phrasen statt Versprechungen geben! Unter
System — [Lärmen, erregte Zwischenrufe, u.a. 52 : „Herr Goebbels, wo
und wann ist das ausgesprochen? Herr Goebbels, wo und wann ist das
ausgesprochen: Schönheit und Würde?"], unter System — [Ruf: „Wo
und wann ausgesprochen, von wem — von wem, wem, wem und
wann?" Präs.: „Herr Abgeordneter Dittmann, Sie dürfen die Frage
nur einmal..." Ruf: „Er hat eine Lüge ausgesprochen!" Weiterer Lärm,
Rufe, Präs.: „Er hat nicht .Lüge' gesagt." Abg. Dittmann: „Eine Lüge
ausgesprochen, sage ich, — eine Lüge ausgesprochen, jawohl ...!"],
unter System, Herr Reichskanzler — [weiterer Lärm, Zuruf 5 ': „Der
gefälschte Aufruf der Volksbeauftragten!" Anhaltende Unruhe, wieder¬
holtes Läuten der Glocke], unter System —, unter System, Herr Reichs¬
kanzler, verstehen wir jene Art zu regieren, in der es möglich ist, daß
hohe und höchste Würdenträger mit internationalen Schiebern vom
Schlage eines Barmat 54 Blutsbrüderschaft machen und sich von ihnen
50 Vgl. Nr. 2, Anm. 12.
51 Goebbels hat des öfteren behauptet, 1918/19 habe „das System" dem deutschen
Volk ein Leben „in Freiheit, Schönheit und Würde" versprochen — den Beleg
dafür ist er stets schuldig geblieben. Es handelte sieh, wie hier der SPD-Ab-
geordnete Dittmann einwirft, um ein gefälschtes Flugblatt des Rates der Volks¬
beauftragten, datiert vom 9. November 1918, wo es als Punkt 19 hiell: „Durch
diese Revolution tritt unser Volk in den Zustand einer wahren Freiheit,
Schönheit und Würde."
52 Laut Protokoll des Abg. Dittmann (SPD).
53 Nach dem Protokoll wiederum des Abg. Dittmann.
54 Der Konzern des russischen Juden Julius Barmat war im Herbst und Winter
1924 unter großer Oberschuldung zusammengebrochen. Dabei erwies sich, daß
B. sich durch politische Beziehungen und Bestechungen Millionenkredite ver¬
schafft hatte. Betroffen waren vor allem Reichspostminister Dr. Höfle (Zen¬
trum), der ehemalige SPD-Reichskanzler Bauer und der ebenfalls der SPD an¬
gehörende Berliner Polizeipräsident Richter — ein gefundenes und lange
genossenes Fressen für die antirepublikanische Agitation.
40
abgelegte Schlafanzüge und goldene Zahnstocher schenken lassen
[starker Lärm, Beifall]. Unter System, Herr Reichskanzler, verstehen
wir die Art zu regieren, die damit [der Redner klopft wiederholt auf das
Pult] nicht bricht, die damit nicht abrechnet, sondern die das als unge¬
schehen ansieht und sich am Ende noch damit aussöhnt. Ein System, dem
hundert-, in dem hunderttausende Parteibuchbeamte ohne Befähigung
[starke Empörung, Zwischenrufe 55 : „Hitler, Hitler!"] in die Ämter hin¬
eingerückt sind, ein System, das vor dem Auslande geschweifwedelt hat,
ein System — [weiter anhaltende Unruhe], ein System, in dem Hunderte
und Tausende — [Präs.: „Herr Abgeordneter Biester, ich bitte um
Ruhe!"], ein System, in dem Hunderte und Tausende in die Gefängnisse
wandern mußten, weil sie die Staat sform, aber niemals einer, weil er den
Staats inhalt, das Volk, beleidigt hatte, — das nennen wir System, Herr
Reichskanzler! In dem die Beleidigung der Republik ins Zuchthaus
bringt, die Beleidigung und Verhöhnung des deutschen Volkes aber als
höchster Ehrentitel gilt, — das ist gemeint! [Zwischenrufe: „Sehr gut!"
Beifall.] Ein System, in dem große und einflußreiche Parteien erklären,
daß der Landesverrat keine Schande, sondern nur eine Ehre darstelle, in
dem es dann auch nicht ausbleibt, daß man dem, der uns unterdrückt,
Frankreich, die Hand küssen muß, die uns schlägt! Ein System, das [der
Redner klopft wiederholt auf das Pult] dreizehn Jahre lang eine Politik
ohne inneren Kurs, ohne Linie und ohne charakterliche Haltung getrie¬
ben hat [Unruhe, Gelächter], das die Inflation legalisierte und heute dem
Volk auf dem Steuerwege den letzten Rest der Substanz wegzehrt! Un¬
ter System verstehen wir Ihre Art zu regieren, in der es möglich ist, daß
ein amtierender Polizeipräsident den Führer der größten Partei droht
mit der Hundepeitsche aus dem Lande zu jagen [Lärm], und in dem der
rote Mob ungestraft durch die Straßen rast, in dem man Paragraphen
gegen das lebendige Leben einsetzt und in dem man den Frontsoldaten
Hitler als Deserteur und Ausländer beschimpfen darf! [Unruhe.] Das,
Herr Reichskanzler, ist gemeint! Und das, Herr Reichskanzler, soll am
13. März [Zwischenrufe] aus den Angeln gehoben werden! Das ist unser
Wille und das ist unser Entschluß!
Sie mögen sich dagegen sträuben. Wir verwehren es Ihnen nicht, daß
Sie genauso wie wir siegeszuversichtlich sind [Zwischenruf: „Das
Schicksal von hunderttausend Proleten interessiert Sie nicht, — das ist
sehr charakteristisch!"]. Nur mit einem Unterschied, Herr Reichskanzler:
Hinter Ihnen steht einer zerbröckelnde Parlamentsmajorität [Heiter¬
keit], hinter uns steht eine Millionenpartei [Heiterkeit], — eine Millio¬
nenpartei von jungen, tatbereiten [Zwischenruf], begeisterungsfrohen
55 Nach dem Protokoll von den Sozialdemokraten.
41
und opfermütigen Deutschen. Sie wollen, daß in Deutschland ein anderer
Kurs betrieben wird, sie sind der Phrasen [Zwischenruf: „Aber nicht
den, den Sie wollen. Herr Goebbels!"] und der Redensarten müde gewor¬
den, sie wollen nun endlich in Deutschland Taten sehen! Sie sind der
Meinung [anhaltende Unruhe], daß man das Volk nicht mit Appellen an
Einigkeit einigen kann, sondern daß das Volk erst geeinigt werden kann,
wenn es innerlich und parteipolitisch gereinigt worden ist [Ruf: „Sehr
richtig!" Unruhe]. Und diese Reinigung [unter ständigen Zwischenru¬
fen], die soll, so meinen wir, zuerst vorgenommen werden. Und ist das
Volk durch eine Reinigung und Aushebung der marxistischen Ideologie
gereinigt, dann wird es geeinigt; und ist es geeinigt, Herr Reichskanzler,
dann kommt der Augenblick, in dem eine nationale Regierung sich vor
die Welt hinstellt. Und wir sind der Meinung: Dann gibt es auch eine
Lösung der Abrüstungs- und der Tributfrage [Unruhe]. Denn der Kanz¬
ler, der dann mit der Welt verhandelt, wird den Schein der Aktivlegiti¬
mation in der Tasche tragen [Unruhe], Der Kanzler hat dann das Recht,
im Namen des Volkes zu sprechen! Der Kanzler ist in der Tat der Ver¬
treter des nationalbewußten und tatbereiten jungen Deutschland! [Zwi¬
schenruf: „Jede Verständigung mit Frankreich ..."]
Und deshalb wird in den kommenden drei Wochen in Deutschland der
Ruf erschallen: Schluß jetzt! Weg mit dem System! [Zwischenrufe.] Es
handelt sich nicht um Hindenburg, es handelt sich um das System, das
durch Brüning und sein Kabinett repräsentiert wird! Sie mögen lachen
[Zwischenruf: „Ja!"], Sie mögen höhnen [Unruhe], die Entwicklung
wird uns recht geben! Am 13. März, bei Philippi, sehen -wir uns wie¬
der**! [Heilrufe, Beifall, Lärm. 17 ]
DRA Nr. C 782 (55' 45"). Abdruck (Protokoll S. 2346—54) und Wiedergaben
wie bei Nr. 2.
56 Nach Shakespeares „Julius Cäsar", IV. Akt, 3. Szene. — „Philippi" wurde der
13. März zwar noch nicht, immerhin erzielten die Nationalsozialisten einen
beachtlichen Erfolg: Hindenburg verfehlte knapp die erforderliche absolute
Mehrheit und erhielt 18,6 Millionen (49,6®/«), Hitler 11,3 Millionen Stimmen
(30,1 %>). Der zweite Wahlgang am 10. April brachte dann Hindenburgs Wieder¬
wahl mit 19,3 Millionen Stimmen (53%>) gegen 13,4 Millionen (36,8%) für
Hitler.
57 Auch hier wieder Goebbels' Tagebuchbericht (Vom Kaiserhof zur Reichs¬
kanzlei, S. 52 f.): „Dann komme ich zu Wort. Ich wetze die Scharte vom ver¬
gangenen Mal aus, bin ganz sachlich in der Form, aber unerbittlich in der
Sache. Brüning sitzt ein paar Schritte neben mir, und ich habe so die beste
Gelegenheit, ihn mit jedem Satz zu apostrophieren. Sein Gesicht ist ganz gelb
vor Wut. Unsere Leute machen dazu eine wunderbare Begleitmusik. Der
Start, der sich zuerst so übel anließ, ist nun wieder sehr gut geworden."
42
Nr. 4
9. 7. 32 — Berlin, Lustgarten — NSDAP-Kundgebung vor der Reichs¬
tagswahl am 31. Juli 1932 1
(Deutsches Volk von Berlin!
Ich stehe als Vertreter der größten Millionenbewegung, die der deutsche
Boden jemals getragen hat, nicht vor Dir, um Deine Stimme, Deine
Gnade oder Deine Verzeihung zu erbetteln. Ich will nur, Volk, daß Du
gerecht bist. Du sollst ein Urteil abgeben über die vergangenen vierzehn
Jahre der Schmach, der Schande, des Verfalls und der nationalen politi¬
schen Demütigung, und Du sollst darüber entscheiden, ob die Männer
und Parteien die für diese vierzehn Jahre verantwortlich gemacht wer¬
den müssen, noch weiterhin das Recht besitzen, die Macht und die Ver¬
waltung in ihren Händen zu behalten.
Vierzehn Jahre, Kameraden, ist es her, daß das neue System aus der
Taufe gehoben wurde. Man beurteilt Systeme und Regierungen niemals
danach, was sie wollen oder was sie versprechen, sondern immer nur
danach, was sie können und was sie erreichen. Die Männer des Novem¬
ber traten die Macht an, indem sie dem Volk vorlogen, es habe auf der
ganzen Linie gesiegt 2 . Sie versprachen Euch Arbeitern, Bürgern und
schaffenden Deutschen ein Reich in Freiheit und in Schönheit und in
Würde 3 . Sie versprachen den breiten Massen Erfüllung ihrer Sehnsucht,
1 Das NSDAP-Zentralorgan wollte 200 000 Kundgebungsteilnehmer gezählt
haben, darunter 25 000 in neun Zügen aus den verschiedenen Stadtteilen an-
marsehierende SA- und SS-Männer. Eine geschlossene SA-Parade Unter den
Linden durch das Brandenburger Tor die Siegesallee entlang mit Vorbeimarsch
an Hitler hatte der deutschnationale Reichsinnenminister v. Gayl wegen der
Bannmeile um den am Wege liegenden Reichstag nicht genehmigt, — Hitler
sprach deshalb am gleichen Tage auf einem „Großdeutschen Tag" in Berchtes¬
gaden.
2 Philipp Scheidemann, demnächst Reichsministerpräsident, am 9. November
1918 zu einer vor dem Reichstag versammelten Volksmenge.
3 Vgl. Nr. 3, Anm. 51.
43
nämlich: Frieden, Arbeit und Brot. Vierzehn Jahre haben wir in dieser
Täuschung gelebt. Vierzehn Jahre lang haben wir ein formales Staatsge¬
bilde angebetet, haben gedarbt, gelitten, geopfert, gehungert und manch¬
mal auch geweint, und nun stehen wir vor den furchtbaren Folgen dieser
vierzehn Jahre und sehen: die deutschen Finanzen ruiniert, in den Etats
klaffende Defizitlöcher, das ganze Nationalvermögen verbraucht und
vertan, das Volk seiner Lebenssubstanz beraubt, die Menschen hoff¬
nungslos und verzweifelt, die Straßen der Großstädte angefüllt mit den
Millionen-Armeen der Arbeitslosigkeit, der Mittelstand zerbrochen, der
Bauer von Haus und Hof vertrieben, der ganze deutsche Lebensraum an
den Grenzen zu unserer Scham und Schande beschnitten, mitten in diesen
Lebensraum hineingelegt die blutende Wunde des polnischen Korridors 4 ,
ganz Deutschland ausgezehrt durch eine aberwitzige und widernatür¬
liche Tributpolitik.
Und unterdes formieren sich im Lande selbst die roten Bataillone des
Bürgerkrieges und eines blutigen Klassenkampfes, der den Volkskörper
in zwei Hälften zerreißt und das deutsche Volk nicht mehr zu seinem
Frieden kommen läßt. Und in dieser Situation, Ihr Männer und Frauen,
haben die Vertreter und Parteien des alten Systems den aussichtslosen
Versuch unternommen, Deutschland von seinen außenpolitischen Ketten
zu befreien. Wir gingen von einer Tribut-Konferenz zur anderen. Wir
unterschrieben Versailles, Dawes und Young 5 , und jeder dieser Verträge
bedeutete für das verelendete deutsche Volk neuen Hunger, neue Qualen,
neues Entsetzen und neue Grausamkeit. Fragen wir nun, wer an diesen
Zuständen die Schuld trägt und wer dafür die Verantwortung vor dem
Volke, vor der Geschichte und vor Gott übernehmen muß, dann ist die
Antwort auf diese Frage leicht gefunden: die Männer und die Parteien,
die das deutsche Volk vierzehn Jahre lang getäuscht haben, die ihm ein
Leben in Schönheit und Würde vorgaukelten, die ihm das Himmelreich
auf Erden versprachen und die uns nun nur noch Phrasen und Steine ge¬
ben können. Sie stehen jetzt vor dem Anklagegericht der Nation und
müssen Rechenschaft ablegen über die beispiellose Mißwirtschaft, die sie
in den vergangenen vierzehn Jahren getrieben haben. Vor fünf Wochen
wurde das letzte offene Kabinett dieses Systems zum Sturz gebracht.
Neue Männer betraten die politische Bühne, und sie erklärten, sie trügen
sich mit der Absicht, das November-System zu beseitigen und in
Deutschland einen grundsätzlich neuen politischen Kurs einzuschlagen.
4 So damals genannt die seit dem Versailler Vertrag polnisch gewordene und
Ostpreußen vom übrigen Reichsgebiet trennende ehemalige preußische Pro¬
vinz Westpreußen, die sich südlich anschließende und ebenfalls abgetretene
Provinz Posen meist mit einbezogen.
5 Vgl. Nr. 2, Anm. 8.
44
Ihr, Männer und Frauen, wißt es, daß wir von Anfang an diesem Ver¬
such mit Mißtrauen begegnet sind. Denn wir sehen die Wurzel) unserer
Wiederauferstehung nicht in der Machtübernahme durch eine kleine Cli¬
que, die sich nicht auf das Volk stützen kann. Wir sind der (Meinung):
nur eine Millionenbewegung von aktiver Kraft und demonstrativer
Wucht hat überhaupt noch die Fähigkeit, in Deutschland (eine)
Wende herbeizuführen (Beifall).
Was hat das Kabinett Papen 6 in diesen fünf Wochen getan? Es wollte
die Finanzen in Ord(nung bringen). Das war nötig. Denn als es die
Macht übernahm, stand es vor leeren Kassen. Aber es ist nicht damit ge¬
tan, daß man den Etat balanciert. Die Grundfrage unserer Not ist die
Arbeitslosigkeit, und ein Opfer kann dem Volke gegenüber überhaupt
nur rechtfertigt werden, wenn jedes Opfer in sich schon umschließt (die
erste Stufe zum Wiederaufstieg. Was aber tat das Kabinett der soge¬
nannten nationalen Konzentration? Es übernahm die Brüningsche Not¬
verordnung und hat diese sozial noch verschärft. Dieses Kabinett hat
den Arbeitslosen ihre Hungergroschen gekürzt, den Kriegsopfern ihre
Renten gemindert, hat die unsozialste Maßnahme in der Salzsteuer
durchgeführt 7 , dieses Kabinett durfte nicht glauben,) daß wir National¬
sozialisten zu dieser volksfeindlichen Politik unser Jawort geben.
6 Im Reich regierte — nach Brünings Sturz — seit dem 1. Juni 1932 ein aus
Deutschnationalen und parteilosen Konservativen bestehendes „Kabinett der
nationalen Konzentration" unter dem nach rechts ausgescherten ehemaligen
Zentrumspolitiker Franz v. Papen (im Buchabdruck von 1934 kommt der Name
des nunmehrigen Bundesgenossen und — noch — Vizekanzlers nicht vor; da
heißt es stets verschämt: „das neue Kabinett"), — gestützt, wie es kaum mehr
anders möglich war, ausschließlich auf das Vertrauen des Reichspräsidenten.
Hitler hatte anfangs vage Versprechungen der Tolerierung gemacht, die sich
freilich in der Entgegennahme Papenscher „Vorleistungen" (Reichstagsauf¬
lösung, Aufhebung des SA- und Uniformverbots u. a.) schnell erschöpfte. Für
Goebbels war dabei diese Lustgarten-Kundgebung ein entscheidender Mar¬
kierungspunkt. In seinem Tagebuch (Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei,
S. 125 f.) schrieb er: „Im Lustgarten stehen 100 000 Menschen. Jedes Fleck¬
chen Erde ist besetzt. Es herrscht eine Siedehitze von Spannung und Stim¬
mung. Als erster redet Graf Helldorff. Er geht gleich mächtig ins Geschirr.
Attackiert Gayl auf das schärfste. Ich schlage dann weiter in die Kerbe und
mache daraus einen Vorstoß gegen das ganze Kabinett. Die Kampfansage wird
von den Massen mit einer nie gesehenen Begeisterung aufgegriffen. Mit dieser
gewaltigen Massenkundgebung haben wir den Ring gesprengt. Wir sind nun
frei von der Tolerierungspolitik. Jetzt können wir wieder in eigener Richtung
marschieren . . . Nach der Riesenkundgebung im Lustgarten ist die ganze
Partei wie vom Taumel ergriffen. Wir sind wieder im Angriff."
7 Durch Papens erste Notverordnung, die am 14. Juni von Hindenburg Unter¬
zeichnete „Verordnung zur Erhaltung der Arbeitslosenhilfe und der Sozial¬
versicherung", war zur Deckung der Soziallasten auch die 1926 aufgehobene
Salzsteuer wiedereingeführt worden, die, wie jede indirekte Steuer auf ein
Gut des täglichen Bedarfs, unsozial ist (der Millionär verbraucht nicht mehr
Salz als der Arbeitslose). Natürlich, wie das nun einmal so ist, wurde die
Salzsteuer weder im Dritten Reich noch danach wieder abgeschafft.
45
Aber ich frage Euch, Männer und Frauen: Woher nimmt die Sozialde¬
mokratische Partei das Recht, uns eine angebliche Tolerierungspolitik
vorzuwerfen, die sie selbst zwei Jahre lang unter Brüning betrieben hat?
Die Sozialdemokratische Partei wäre bereit gewesen, auch diese Notver¬
ordnung zu schlucken, wenn sie die Gewähr gehabt hätte, daß das Kabi¬
nett Papen genauso wie Brüning den Kampf gegen unsere Bewegung
fortgesetzt hätte.
Was hat sich am alten Zustand geändert? Nichts, als daß die regieren¬
den Männer neue Gesichter tragen. (Die Wirtschaft läuft weiter leer,
kein großes Arbeitsbeschaffungsprogramm ist von dieser Regierung in
Angriff genommen und durchgeführt worden. Das Elend in den breiten
Massen grassiert weiter, und die Hungernden wissen nicht mehr, wie sie
von einem Tag in den anderen kommen sollen. Der Mittelstand) bridit
zusammen unter einer erdrückenden Steuerlast, und der Bauer muß sei¬
nen Hof verlassen, weil er Zinsen, Hypotheken und Schulden nicht mehr
bezahlen kann. Das Kabinett wird uns zur Antwort geben: Wir können
in fünf Wochen nicht das wiedergutmachen, was in vierzehn Jahren ver¬
dorben worden ist. (Nun gut! Aber dann müßte man wenigstens den
Versuch sehen, dem Unglück) entgegenzutreten. Audi wir wissen, daß
man mit dem Paragraph 48 kein Geld machen kann. Aber wir hätten
dann doch wenigstens von dieser Regierung verlangen müssen, daß sie
die schwebenden Fragen unserer innenpolitischen Not einer Lösung zuge¬
führt hätte.
Was aber sehen wir da? Ungehemmter denn je rast durch die Straßen
(der rote Mord. In Moabit werden Barrikaden aufgebaut, Abend für
Abend zählen wir fünfzig, sechzig, siebzig Schwerverletzte, und jeden
Tag legen wir ein oder zwei oder drei tote Kameraden in die Gräber.
Ungehemmter denn je führt die rote Lügenpresse ihren Verleumdungs¬
feldzug durch, und im Süden und Westen entfesselt das Zentrum und die
ihr geistesverwandte Bayerische Volkspartei die Gefahr einer separatisti¬
schen Absplitterung vom Reich. Was aber tut der Reichsinnenminister?
Er legt die Hände in den Schoß. Er will objektiv sein gegen rechts und
links, und er wird damit ungerecht gegen uns. Ihr, Kameraden, steht hier
in Euren zerschlissenen Braunhemden. Die Regierung hat es zugelassen,
daß man Euch verleumdete. Eure Uniform würde von den Hungergro¬
schen der Armen bezahlt. Die Regierung ist der roten Lüge nicht in den
Arm gefallen. Die Regierung trägt das Vorzeichen national, aber wir
sind der Überzeugung: Wenn wir Nationalsozialisten nicht wären, dann
hätte diese Regierung bürgerlicher Schwäche längst schon das Kapital
verbraucht, das das nationale Deutschland in einem zwölfjährigen
Wiedererstarkungsprozeß gewonnen hatte.)
46
.. , s [Beifall]. Wir haben genug bezahlt. Wir wollen, daß Deutschland
vom Makel der Kriegsschuld freigesprochen wird [Bravo-Rufe], Und
wenn die Welt diese Forderung nicht (erfüllt), dann werden wir den
Versailler Vertrag für null und nichtig erklären [Beifall, Zurufe], Man
hat in Lausanne" nur über Geldfragen verhandelt. Vor den Geldfragen
aber steht für uns Nationalsozialisten die Ehre! [Bravo-Rufe.] Wir las¬
sen es nicht mehr zu, daß die deutsche Nation zum Paria der Welt her¬
abgewürdigt wird.
(Ein neues Deutschland ist aufgestanden! Ein Deutschland, das zwölf
Jahre lang gegen den marxistischen Verrat und gegen die bürgerliche
Schwäche angekämpft hat. Ihr aber, Kameraden und Männer und
Frauen, seid Träger, Zeugen, Gestalter und Vollender dieser einzigarti¬
gen Volkserhebung geworden. Wir haben eine Politik betrieben, die nicht
populär war; wir haben der Wahrheit und nur der Wahrheit gedient.)
Man hat uns zwölf Jahre lang verlästert und verfemt und verleumdet
und verfolgt, und jetzt, wo die Bewegung vor den Toren der Macht
steht, da bäumt sich noch einmal gegen uns auf marxistische Lüge und
fällt uns in den Arm bürgerliche Schwäche. Wären wir nur eine Partei
wie alle die anderen Parteien, dann würden wir unter dieser Offensive
des Gegners zusammenbrechen. Aber das ist unser höchstes Glück: Wir
sind eine Volksbewegung! So wie hier, so allüberall im Lande strömen zu
den roten, leuchtenden Hakenkreuzfahnen unserer Idee die Menschen
aus allen Lagern, Parteien, Ständen, Berufen (und Konfessionen. Man
hat in der Vergangenheit über uns gelacht, aber den Gegnern ist das
Lachen gründlichst vergangen.
Ihr Männer und Frauen, die Ihr hier vor mir steht. Hundert- und
Zweihunderttausend an der Zahl, mit hochgereckten Köpfen, aufrecht,
stolz und verwegen, die letzten Träger der deutschen Zukunft, — Ihr
habt es in Euren Augen geschrieben stehen: Wir wollen nicht mehr in
Klassen denken, wir sind keine Proletarier und sind keine Bürger, wir
sind nicht zuerst Katholiken und wir sind nicht zuerst) Protestanten.
Wir fragen nicht, ob Bauer oder Städter, ob Handwerker, Arbeiter oder
8 Da der gedruckte Text hier gekürzt ist, konnte das folgende Bruchstück des
Tondokuments nicht einwandfrei lokalisiert werden, sondern wurde in den
gedruckten Text eingefügt, wie es am besten zu passen schien.
9 Die Reparationskonferenz in Lausanne vom 16. Juni bis zu ebenjenem,
9. Juli brachte de facto die Verlängerung des damals ablaufenden einjährigen
Hoover-Moratoriums für (alliierte) Kriegsschulden und (deutsche) Repara¬
tionen (vgl. Nr. 2, Anm. 8) ad infinitum. Das — nie ratifizierte — Abkom¬
men sah unter bestimmten Voraussetzungen und Fristen zwar noch eine Rest¬
reparationszahlung von 3 Milliarden Mark vor, von denen jedoch kein Pfennig
gezahlt worden ist. Trotzdem war das Abkommen für die Rechte, welche die
auch formale völlige Streichung der Reparationen oder aber die Streichung
des Kriegsschuldparagraphen als Gegenleistung verlangt hatte, wiederum ein
willkommenes Agitationsinstrument.
47
Prinz. Eine große Gemeinsamkeit umschließe uns — und an uns ist das
Dichterwort wahrgeworden: Das Volk steht auf, und der Sturm bricht
los 10 ! [Heilrufe.]
Noch einmal, Kameraden und Männer und Frauen, gibt das Schicksal
uns die letzte Chance in die Hand. Noch einmal haben wir die Möglich¬
keit, zum Volk zu sprechen. Noch einmal rast über Deutschland diese
Aufklärungskampagne, und noch einmal horchen die Ohren auf, schär¬
fen sich die Augen, schlagen die Herzen höher und werden heller die
Sinne: Der Tag für Freiheit und für Brot bricht an! (So hat es unser
toter Kamerad Horst Wessel gedichtet 11 , und so haben wir es erfüllt.
Mögen die anderen lügen, verleumden und die Kübel ihres Spottes und
ihres Hohnes über uns ausgießen — ihre politischen Tage sind gezählt.
Adolf Hitler klopft an die Tore der Macht, und in seiner Faust vereini¬
gen sich Millionen Bauern- und Arbeiterfäuste. Die Zeit der Schmach
und der Schande) neigt sich ihrem Ende zu! Und Ihr seid die Zeugen,
seid die Gestalter und seid die Willensträger unserer Idee und unserer
Weltanschauung.
Die dicken, fetten Bonzen [Beifall] der SPD, — sie, die über ein Jahr¬
zehnt lang in den illustrierten Zeitungen immer nur in Frack und Zylin¬
der zu sehen waren, sitzend hinter Austerbergen und hinter Sektflaschen¬
batterien, — sie stülpen sich die Jakobinermütze auf [Beifall] und sie
sch(reiben) in ihren Zeitungen: Volk, erwache! [Beifall.] Ja, wir Volk
sind erwacht! [Beifall.] Wir sind erwacht (gegen unseren Untergang und
stehen auf als Fünfzehn-Millionen-Armee der Vergeltung. Sie, die sich
von den Sklareks 12 ihre Herrenanzüge schenken ließen, sie können sich
gar nicht vorstellen, daß ein ehrlicher deutscher Arbeiter sich für seine
Hungergroschen noch ein anständiges Braunhemd erstehen kann. Sie, die
sich an Kaviar fettgefressen haben,) sie, die (siebzig- und) achtzig- und
hunderttausend Mark Jahresgehalt in ihre Taschen fließen ließen [Pfui-
Rufe], sie, die über ganz Deutschland den Aasgestank [Gelächter] einer
noch nie dagewesenen Korruption verbreitet haben [Beifall], — sie wol¬
len nun mit einem Male wieder Opposition spielen. Sie schreien hier: Auf
die Barrikaden!
10 Hier also schon jenes Theodor-Körner-Zitat („Männer und Buben", 1813),
der berühmt-berüchtigte Schluß der Sportpalast-Rede vom 18. Februar 1943.
11 In der zweiten Strophe des „Horst-Wessel-Liedes".
12 Der Sklarek-Skandal war der damals gerade aktuelle Korruptionsskandal:
am 28. Juni waren nach 123 Verhandlungstagen die Brüder Leo und Willy
(der dritte Bruder Max war verhandlungsunfähig), bankrotte Kleiderfabri¬
kanten russisch-jüdischer Herkunft mit SPD-Parteibüchern, wegen Betrugs,
Urkundenfälschung und umfangreicher Bestechungen in der Berliner Stadt¬
verwaltung bis hinauf zum Oberbürgermeister zu je vier Jahren Zuchthaus
verurteilt worden; je zwei Stadtbankdirektoren, Bürgermeister und Stadträte
sowie mindere Chargen hatten neben ihnen auf der Anklagebank gesessen.
48
Und sie heften sich ihre drei Freiheitspfeile 1 ' [Gelächter] in die
Knopflöcher hinein. Wir werden ihnen in diese Pfeile hineinschreiben!
[Beifall.] Im ersten Pfeil steht der Name „Max" [Gelächter], im zweiten
Pfeil der Name „Leo" [Gelächter], im dritten Pfeil der Name „Willy"
[Gelächter], Und darunter steht: Max, Leo und Willy Sklarek fordern
Euch auf: Wählt SPD! [Beifall.] Ja, die guten Zeiten der Bonzenherr¬
lichkeit [Beifall] (sind vorbei. Ein neues Deutschland steht auf, — ein
Deutschland, erzogen in den spartanischen Gesetzen preußischer Pflicht¬
erfüllung. Ein Deutschland, das sich nicht fettgefressen, sondern großge¬
hungert hat! Ein Deutschland der Kraft, des Willens und des Idealismus!
Ein Deutschland, das dem marxistischen Verrat) und der bürgerlichen
Leisetreterei den Fehde(handschuh) vor die Füße geworfen hat!
(Und Ihr,) Volk, Ihr seid die Zeugen dieses Deutschland. Ihr, Volk,
Ihr habt Euch zu diesem Deutschland bekannt, und wir, Volk, wir spre¬
chen in Deinem Namen. (Denn wir,) die Führer dieser hinreißenden Mil¬
lionenbewegung, — wir sind aus Dir, Volk, hervorgegangen [Beifall],
Auch wir, Kameraden, sind einmal als unbekannte Männer mitmar-
(schiert) in den grauen Massen. Volk, auch wir haben Deine Qual, Dein
Elend, Deine Trostlosigkeit und Deine Verzweiflung in unseren Herzen
getragen; auch wir sind ein Stück Volk! Und wenn die bürgerlichen Bes¬
serwisser uns fragen: Was habt Ihr denn geleistet?, — Männer und
Frauen, Ihr müßt uns die Antwort ersparen. Wenn man fragt, was wir
geleistet haben, dann müßt Ihr fünfzehn Millionen zur Antwort geben:
(Sie haben uns wieder einen Glauben geschenkt, sie haben uns wieder
Hoffnung ins Herz hineingelegt, sie haben ein schlafendes Deutschland
erweckt, sie haben Millionen organisiert, mobilisiert und in Marsch ge¬
setzt! Diese Millionen treten nun an. Treten an nach dem Gesetz, das die
Geschichte ihnen gegeben hat. So, wie wir aus einer kleinen Sekte von
sieben unbekannten Männern 14 herausgewachsen sind zur Millionen-
Bewegung, so werden wir — ich lege meine Hand dafür ins Feuer —
von dieser Fünfzehn-Millionen-Bewegung herauswachsen zu einem 65-
Millionen-Volk.
Die Parteien müssen weg! Die politischen Bonzen werden aus ihren
Sesseln herausgejagt. Es wird kein Pardon gegeben. Wir lassen Deutsch¬
land nicht in der Schande versinken. Wir werden diesem Deutschland
wieder einen Daseinszweck und einen Lebenssinn zurückgeben. Dafür,
13 Das damalige Abzeichen und Symbol der SPD.
14 Nach der Parteilegende, die auf einer freilich nicht so eindeutigen Angabe
in „Mein Kampf" basierte, war Hitler am 16. September 1919 als 7. Mitglied
in die völlig unbekannte „Deutsche Arbeiterpartei" eingetreten und hatte dann
„Schwung in den Laden" gebracht. In Wirklichkeit allerdings war er immerhin
bereits der 55. „Parteigenosse" (und als „Werbeobmann" siebenter Mann im
„Parteiausschuß").
49
Ihr Männer und Frauen, steht Ihr hier, ein Heer von zweimal Hundert¬
tausend. Noch niemals hat diese Reichshauptstadt eine Volkserhebung
von so demonstrativer Wucht gesehen. Allüberall her seid Ihr zu diesem
Platz geströmt, der Bürger aus dem Westen und der Proletarier aus dem
Osten und Norden. Hervorgestiegen seid Ihr aus den dunklen und freu¬
delosen Mietskasernen. Hier stehen vor mir meine SA-Kameraden, hoch¬
gereckten Hauptes, als wären sie die Könige von Deutschland. Und ich
weiß es, Kameraden, unter Euch steht so manch einer, der nicht weiß,
woher er das Brot nehmen soll, damit er sich morgen satt essen kann.
Wir haben es diesen materialistischen Bonzen gezeigt, daß in Deutsch¬
land noch ein Idealismus lebt. Wir haben es ihnen gezeigt, daß man aus
Hunger und aus Opfer und Not einem Volk wieder den Weg nach oben
zeigen kann.
Diesem Volk schwören wir die Treue. Feierlich erheben wir unsere
Hände und geloben: Solange ein Atemzug in uns ist, wollen wir uns dem
deutschen Volk verpflichten. Aus dem Volk sind wir gekommen, und
zum Volke werden wir immer wieder zurückkehren. Das Volk steht für
uns im Zentrum aller Dinge. Für dieses Volk opfern wir. und für dieses
Volk sind wir — wenn es einmal nötig würde — auch zu sterben bereit.
Treue dem Volk. Treue der Idee, Treue der Bewegung und Treue dem
Führer! Das sei unser Gelöbnis, indem wir rufen:
Unser Führer und unsere Partei — Sieg Heil!)
DRA Nr. C 813 (120- Schluß (ca. 5 Minuten) fehlt.
50
Nr. 10
18. 7. 32 — Rundfunkansprache 1 („Der Nationalcharakter als Grundlage
der Nationalkultur")
Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Ohne der Sachlichkeit des hier zu behandelnden Themas zu nahe treten
zu wollen, muß ich meinen Ausführungen ein paar persönliche Bemer¬
kungen vorausschicken. Zwar spreche ich hier als abgestempelter Partei¬
mann, aber ich rede nicht so, wie ich rede, weil ich Nationalsozialist bin.
Ich bin Nationalsozialist, weil ich so denke, wie ich rede, und weil das,
was ich sage, der nationalsozialistischen Überzeugung entspricht. Wir
Nationalsozialisten verwahren uns auf das leidenschaftlichste dagegen,
daß unsere Bewegung der Ausdruck irgendeiner Parteimeinung sei. Der
Nationalsozialismus ist keine Partei im alltäglichen Sinne dieses Wortes.
Er ist eine Bewegung, die sich zum Ziele gesetzt hat, das ganze deutsche
Volk in all seinen Klassen, Ständen, Berufen und Bekenntnissen zu um¬
spannen. Seine Idee ist so weit gesteckt, daß unter ihrem Dach ein ganzes
Volk Platz hat. Wir bezweifeln keineswegs die tiefen sozialen, wirt-
1 Gesendet vom Deutschlandsender von 19.10 bis 19.30 Uhr, als „Reichssen¬
dung" von den übrigen Sendern (außer München und Stuttgart!) übernom¬
men. — Goebbels selbst war mit sich unzufrieden. Nachdem er in den Wochen
zuvor bereits seinen Unmut über die „wandelnden Paragraphen" im Reichs¬
innenministerium, dem die politischen Redner zuvor ihre Manuskripte ein¬
reichen mußten, dem Tagebuch anvertraut hatte (20. Juni: „. . . muß aber
soviel daran ändern, daß kaum noch etwas davon übrig bleibt." — 5. Juli:
„Jedes harte Wort ist verpönt; man darf die Dinge nicht bei Namen nennen."
— 10. Juli: „Wenn ich das alles herausstreiche, was dort verlangt wird, dann
bleiben nur Worte übrig."), vermerkte er am 18. Juli: „Ich rede zum ersten
Male im Rundfunk. Aber ich habe das Gefühl, daß diese Rede nicht durch¬
schlagend ist. Der vom Innenministerium eingesetzte Reichsrundfunkkommis-
sar hat ihr die Flügel gestutzt und die Zähne ausgebrochen. Ohne Flügel kann
man nicht fliegen und ohne Zähne nicht beißen. Da rede idi lieber abends in
Steglitz, Halensee und Neukölln. Da sind die Säle überfüllt und alle Menschen
von einer wilden Kampfbegeisterung ergriffen." (Kaiserhof, S. 114, 124, 125
und 130.) Vgl. dazu auch Nr. 13, S. 93.
51
schaftlichen und kulturellen Gegensätze, die das deutsche Volk zerreißen
und innerlich aufspalten. Aber wir sind der Meinung, daß es darüber
hinaus eine Gemeinsamkeit gibt, die uns alle verbindet, und daß der
Dienst an dieser verpflichtenden Gemeinsamkeit erst die Kraft und Mög¬
lichkeit gibt, die Fragen des Tages, über die wir uns nun vierzehn Jahre
lang frucht- und ergebnislos die Köpfe heißgeredet haben, einer erträg¬
lichen Lösung zuzuführen. Wir Nationalsozialisten sehen in der Politik
etwas mehr als nur die Fortsetzung des eigenen Geschäfts unter Inan¬
spruchnahme staatlicher Mittel. Für uns ist Politik Dienst am Volksgan¬
zen. Und nicht ein formales Staatsgebilde steht für uns im Mittelpunkt
all unsres Denkens, Empfindens und Handelns, sondern das Volk selbst
mit all seiner Not, seinem Elend, seinem Hunger nach Arbeit, Brot und
Luft und Sonne, das Volk mit seinen unsterblichen schöpferischen Fähig¬
keiten, die — auf ein großes, gemeinsames Ziel wieder hingewandt —
auch eine neue Blüte der deutschen Volks- und Nationalkultur aus sich
hervorbringen werden.
Jede große Politik muß eine festumrissene und klargeschaute Weltan¬
schauung zur Grundlage haben. Diese Weltanschauung darf nicht von
politischen Wünschen und persönlichen Eigensüchten abgeleitet werden,
— im Gegenteil: Sie muß am Anfang jeder politischen Arbeit stehen,
die von ihr aus Ursprung, Linie und Ziel empfängt. Das 20. Jahrhundert
ist das Jahrhundert der Masse. Und nur eine Politik, die es versteht,
Masse in Bewegung zu bringen und zu organisieren, ihr Gehalt und Gestalt
zu geben, wird in diesem Jahrhundert auf die Dauer erfolgreich sein
können. Das soll nicht besagen, daß die Politik sich den wandelbaren
Wünschen der Masse unterzuordnen habe; sie muß sich im Gegenteil die
Aufgabe stellen, die Masse zu formen und ihren geballten Millionen¬
willen dem großen, tatbewußten und Wege weisenden Willen des führen¬
den politischen Kopfes dienstbar zu machen. Die Masse ist an sich Roh¬
stoff. Sie zu gestalten und aus ihr jene Kräfte herauszuholen, die Systeme
stürzen und neue Welten aufbauen, wird die erste und vornehmste Auf¬
gabe jeder staatsmännischen Begabung sein. Auch der wahre Politiker
ist im letzten Sinne des Wortes ein Künstler. So, wie der Bildhauer den
rohen Marmor abzirkelt, behaut und meißelt, so formt der Staatsmann
aus dem rohen Stoff Masse ein Volk, gibt ihm ein inneres Gerippe und
ein haltendes Gefüge und bläst ihm dann jenen schöpferischen Odem ein,
der das Volk zur Kulturnation emporwachsen läßt.
Wir Nationalsozialisten sind keine Handwerker der Politik. Wir sehen
in den Tagesfragen und Tagesnöten zwar einen Teil der uns obliegenden
Sorgen, aber darüber steht doch ein Wille und darunter liegt eine Idee,
die Tagesfragen und Tagesnöten erst den echten Sinn und auch die ein¬
zige Lösungsmöglichkeit geben. Es ist in der Politik nicht damit getan,
52
daß man allein das Getriebe und die Übung des parlamentarischen
Lebens versteht und beherrscht, — das ist das Unwesentliche. Wesentlich
aber ist, daß man die geheimen schöpferischen Triebkräfte erkennt, die
im Volke selbst lebendig sind, daß man sie fördert und entfaltet und zur
rechten Zeit auch einzusetzen gewillt und entschlossen ist. Eine Politik
ohne das Volk ist dumm und sinnlos, eine Politik gegen das Volk ein
Verbrechen. Das Volk selbst geht an die Fragen der Zeit mit dem unver¬
bildeten, zwar einfältigen, aber im Grunde genommen doch immer rich¬
tigen Verständnis des kleinen Mannes von der Straße heran. Das Volk
wird immer das Bestreben haben, von schwierigen und verwickelten poli¬
tischen Situationen das störende Beiwerk abzustreifen und die grundsätz¬
lichen Fragen im Kern und Wesen zu erfassen 2 . Das Wiedererwachen des
deutschen Volkes in den vergangenen fünf Jahren hat noch einmal vor
aller Welt die Richtigkeit des aberwitzig erscheinenden englischen Wor¬
tes erhärtet: Jedes Volk ist immer klüger als seine Regierung. Wenn wir
Nationalsozialisten heute die Sprache des Volkes sprechen, wenn wir ge¬
treu nach Luther 3 beim Reden und Schreiben dem Volke aufs Maul
schauen, so leiten uns dabei keine geistreichelnden und überklugen Be¬
weggründe. Wir haben mit den Parteien und Systemen, die uns feindlich
sind, nichts auszuhandeln als nur, daß wir sie entfernen wollen. Wir sind
deshalb aber auch nicht von dem Ehrgeiz besessen, uns ihnen verständ¬
lich zu machen. Verstehen braucht uns nur das Volk. Deshalb sprechen
wir in der Sprache des Volkes, damit das Volk uns versteht. Wir sind
alle Kinder dieses Volkes und haben uns zum Ziel gesetzt, eine wahre
Politisierung der breiten Masse durchzuführen. Und das allerdings er¬
scheint uns nur möglich, wenn wir die Verwirrung der politischen Ge¬
dankenwelt, die in Deutschland seit 1918 eingerissen ist, wieder auf das
einfachste Maß zurückleiten, so daß auch der letzte Mann auf der Straße
die deutsche Lage zu erkennen vermag bis zu dem Entschluß, sich aufzu¬
lehnen gegen den Verfall der öffentlichen Dinge und mitzuhelfen, aus
dem Widerstand heraus eine neue Volksgemeinschaft zu formen, die die
Macht an sich reißen wird, um verantwortliche deutsche Politik zu be¬
treiben.
5 Hitler hatte sich in seinem Buch „Mein Kampf" (Bd. 1, 1925, S. 189 f.)
klarer ausgedrückt: „Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr
geistiges Niveau zu richten nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten
unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt . . . Handelt es sich aber . . .
darum, ein ganzes Volk in ihren Wirkungsbereich zu ziehen, so kann die Vor¬
sicht bei der Vermeidung zu hoher geistiger Voraussetzungen gar nicht groß
genug sein . . . Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist eine nur sehr
beschränkte, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß.”
s Sendbrief vom Dolmetschen (1530): . . . den gemeinen man auff dem marckt
drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und
darnach dolmetschen . . . (WA 30, II, 637, 20—21: hier nochmals in Nr. 27.)
53
Charakter haben, das heißt: alles das als selbstverständlich tun und
lassen, was der eigenen Art entspricht. Zum Charakter gehört etwas
Klugheit und viel Mut. Der Charakter ist jedem Kompromiß abhold.
Deshalb wurde der demokratische Parlamentarismus charakterlos, weil
er auf dem politischen Kompromiß beruhte. Sein Wesen bestand und be¬
steht in der Parteimeinung, die gegen die andere Parteimeinung abgewo¬
gen wird, um am Ende im ewigen Zugeständnis mit ihr zu ersticken.
Menschen und Parteien mit Charakter sind peinlich und unbequem. Sie
leisten sich den Luxus einer eigenen Überzeugung; und was noch schlim¬
mer ist: sie lassen sich nicht dazu bringen, die eigene Überzeugung aus
Nützlichkeitserwägungen gegen die andere einzutauschen oder doch mit
ihr einen faulen Frieden zu schließen. Je meinungsloser ein Mann ist, de¬
sto besser scheint er in den demokratischen Gleichheitswahn zu passen;
und je weniger eine Partei von einer festen Überzeugung unbeirrbar aus¬
geht, um so leichter fällt es ihr, sich in das ungefährliche Spiel der parla¬
mentarischen Kräfte einzuschalten. Ein Volk besitzt Nationalcharakter,
wenn es von einem einheitlichen und unerschütterlichen nationalen Wil¬
len beseelt ist und diesen Willen kompromiß- und einschränkungslos in
der Welt durchzusetzen versucht. Gewiß trägt das manchmal den Schein
eines trotzigen Eigensinns an sich, der ohne jede wendige Biegsamkeit
sein eigenes Recht verficht. Aber es ist immer noch besser, eigensinnig
eine gleichbleibende Meinung zu vertreten, als gar keine Meinung zu
haben und sich in allem der Meinung der Mehrheit anzuschließen 4 .
Der Nationalcharakter des deutschen Volkes hatte einmal eine be¬
stimmte Note und einen festen Umriß. Er trat der Welt in einheitlicher
und klarer Form entgegen und setzte sich auch seiner Art gemäß mit der
Welt auseinander. Die Welt mußte sich mit ihm als einer unabänder¬
lichen Tatsache abfinden. Man konnte ihn lieben, hassen oder fürchten,
— wegdisputieren konnte man ihn nicht. Der Begriff „deutscher Cha¬
rakter" schloß für alle Welt ganz bestimmte Tugenden in sich. Das
waren: Treue, Fleiß, Klugheit und Mut bei hoch und niedrig, Idealismus
und Uneigennützigkeit. Und dazu eine manchmal fast bis ins Krank¬
hafte gesteigerte Gerechtigkeit gegen alles und jedermann, die oft und
oft sogar dem eigenen Interesse bitteren Schaden zufügte, so daß schon
Klopstock in einer seiner Oden 5 dem deutschen Volke zurufen mußte:
4 In diesem Absatz entwickelt Goebbels in dankenswerter Klarheit den Unter¬
schied zwischen wirklich politischem Denken, das in der pluralistischen Gesell¬
schaft wie Völkergemeinschaft nur im ständig erneuerten Versuch des Inter¬
essenausgleichs und damit notwendigerweise im Suchen für möglichst viele
annehmbarer Kompromisse bestehen kann, und der Wolfsmoral des National¬
sozialismus. Es wirkt grotesk, wie seine Zuhörer übersehen konnten, daß bei
Anwendung seiner Grundsätze ein Miteinanderleben weder innerhalb eines
Staatswesens noch unter Völkern möglich ist.
5 „Mein Vaterland".
54
Sei nicht allzu gerecht! Sie denken nicht edel genug zu sehn, wie schön
dein Fehler ist!
Auf diesem Boden des deutschen Nationalcharakters wuchs und blühte
die deutsche Nationalkultur. Wenn wir unter Kultur die Summe aller
schöpferischer Fähigkeiten eines Volkes verstehen, zuzüglich all der
schöpferischen Leistungen, die aus diesen Fähigkeiten entspringen, dann
sind die deutschen Kulturfähigkeiten und Kulturleistungen in allem und
überall das Ergebnis des deutschen Nationalcharakters gewesen. Träger
dieser Nationalkultur war das ganze Volk. Sie kommt ebenso zum Aus¬
druck in den Holzschnitzereien eines oberbayerischen Hirten wie in der
schweigenden und geschlossenen Einsamkeit deutscher Bauernhäuser 6 in
unsren Nord- und Ostprovinzen. Die deutschen Dome in Ulm und
Straßburg und Freiburg, die Bildwerke eines Albrecht Dürer, die geisti¬
gen Zeugnisse eines Kant und Schopenhauer, die Lyrik Goethes und
Mörikes, das dramatische Genie eines Friedrich von Schiller, die Neunte
Symphonie und die letzten Streichquartette Beethovens, die preußische
Staatsidee eines Friedrich Wilhelm I. und Friedrich des Einzigen, die
Reichsschöpfung eines Bismarck, — sie alle sind die beglückenden Ergeb¬
nisse jener schöpferischen Kulturfähigkeit des deutschen Volkes, die auf
dem Boden des deutschen Nationalcharakters emporschoß. An dieser
Kultur hatten Arbeiter und Bürger und Bauern ihren gleichen Anteil. Sie
war nicht auf eine Klasse, auf einen Stand oder auf ein Bekenntnis be¬
grenzt ...
DRA Nr. C 813 (12'). Schluß (ca. 5 Minuten) fehlt.
6 Goebbels sagt fast durchweg „Baurenhäuser”, „Bürger und Bauren" usw.
55
Nr. 6
27. 7. 32 — Ort unbekannt — SA-Kundgebung 1
Das, was wir heute in dieser weihevollen Stunde um uns sehen, — das ist
ein kleiner Ausschnitt dieses Wiedererwachens der deutschen Nation.
Mann und Frau und Arbeiter und Bürger und Soldat reichen sich die
Hände: ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not und in keiner Gefahr
mehr zu trennen, mit dem festen Entschluß, das Regiment des Systems
und der Parteien — koste es, was es wolle, so oder so — zu beseitigen
[Beifall]. Herr Severing erklärt, er wiche nur der Gewalt [Beifall], —
und dann genügte ein Leutnant mit zehn Mann 2 ! [Beifall.] Herr Seve¬
ring wich zwar nicht, er entwich [Gelächter]. Herr Braun erklärte im
Jahre 1927, als wir in Berlin verboten wurden, er habe die Absicht, diese
radausozialistische Partei in Preußen mit Stumpf und Stiel auszurotten
[Pfui-Ruf, Heiterkeit], Der einzige, der ausgerottet worden ist, heißt
Braun [Gelächter, Beifall]. Herr Grzesinski [Unruhe] fragte sich er-
1 Obwohl die Zeitangabe ungefähr stimmt, sind Datum und Angabe des An¬
lasses vermutlich falsch. Am 27. Juli sprach Goebbels auf einer Hitler-Kund¬
gebung im Berliner Grunewald-Stadion (Tondokument C 817 des DRA, dort
irrtümlich auf den 24. Juli datiert). Weitere Ansprachen in jenen Tagen des
Wahlkampfhöhepunktes hielt er in verschiedenen Städten, doch dürften diese
Reden kaum aufgenommen worden sein. Von einem damaligen SA-Appell
jedenfalls ist weder in Goebbels' Tagebuch noch in der Parteipresse die Rede.
! Die Zitierung des geflügelten Wortes des konservativen Agrariers Elard v. OI-
denburg-Januschau (gefallen in einer Reichstagsdebatte über die kaiserliche
Kommandogewalt am 29. Januar 1910: „Der König von Preußen und deutsche
Kaiser muß jeden Moment imstande sein, zu einem Leutnant zu sagen:
.Nehmen Sie zehn Mann und schließen Sie den Reichstag!'") bezieht sich auf
Papens „Preußen-Streich": Am 20. Juli hatte der neue Reichskanzler per
Notverordnung die — jetzt ohne ausreichende parlamentarische Basis nur noch
geschäftsführende — preußische Regierung unter dem Sozialdemokraten Otto
Braun abgesetzt, Reichskommissare ernannt und die SPD-, Zentrums- und
Staatspartei-Minister aus ihren Ämtern gejagt. Die erwähnte Äußerung hatte
Severing Papen gegenüber getan.
56
staunt, warum sich denn noch niemand gefunden habe, der diesen Aus¬
länder Adolf Hitler mit der Hundepeitsche aus Deutschland jage [Pfui-
Rufe, Pfiffe], Nun hat ihn selbst dies' Schicksal getroffen 3 . Zwar stimmt
das nicht mit der Hundepeitsche, aber was nicht ist, das kann noch wer¬
den! [Jubel, Beifall.] Es ist eben etwas anderes, an den Fleischtöpfen der
Regierung zu sitzen oder das Hungerbrot der Opposition zu essen. Die
Herren der Sozialdemokratie sind weich und dick und schwammig ge¬
worden [Heiterkeit]. Sie haben die vergangenen vierzehn Jahre nicht
mitgemacht. Wie könnten sie sonst vor das Volk hintreten, mit erhobener
Faust, und „Freiheit" rufen! Was ist das? Ist das ein Wunsch, oder ist
das eine Feststellung?
DRA Nr. 54—3295 (4' 45"). Offenbar handelt es sieh nur um einen Teil oder
sogar nur um den Anfang einer Ansprache.
3 G. war am 20. Juli abgesetzt und verhaftet worden, weitere Polizeipräsidenten
und andere hohe Beamte folgten.
57
Nr. 7
Datum und Ort unbekannt 1 — Ansprache an die SA
Schwere Kämpfe liegen hinter uns. Es sind einige unter Euch, die bekom¬
men die weiße Binde nicht mehr vom Kopf herunter, — ein stilles, hel¬
denhaftes Bluten hat in unseren Reihen Einkehr gehalten. Und doch
haben die Augen nie so froh und warm geleuchtet. In harter Luft leben
wir Tag um Tag; da ist es kein Zufall, wenn wir enger als sonst aneinan¬
dergekettet werden. Wo Blut fließt, da finden Neid und Zwietracht ver¬
schlossene Türen. So ist es bei uns: Not und Blut kitten uns aneinander.
Wir können nicht mehr los voneinander, weil der eine auf den anderen
angewiesen ist. Wir sind eine Gemeinde der Tat geworden, und so soll's
bleiben.
Ihr wißt: Wir haben nie die Masse angebetet, immer nur die Persön¬
lichkeit. Ihr könnt es bezeugen: Wir haben nie den Wünschen der Ge¬
folgschaft geschmeichelt, sondern immer nur und stets Pflichten gefor¬
dert und Opfer auf Eure Schultern gelegt. Wir meinten, daß man ein
Volk nur dann aus grenzenloser Sklaverei retten kann, wenn man selbst
die Sklaverei in sich überwindet und die Wege bereitmacht zu jener inne¬
ren Freiheit, die Vorbedingung ist zur äußeren. Ihr sollt Bezwinger des¬
sen sein, das die anderen zu Boden drückt. Ihr sollt dem Leben gegen¬
übertreten als Eroberer, nicht als Verteidiger. Der Furcht so fern, dem
Tod so nah — heil Dir, SA! Das steht auf Euren Fahnen geschrieben.
Steift den Nacken, hoch die stolzen Häupter und hört: Draußen in den
blutüberströmten Schützengräben opferte eine junge Generation für die
Zukunft. Zwei Millionen Namenlose fielen und starben, der unbekannte
Soldat ist ihr stummes Denkmal. Im Lande gehen täglich Millionen an
die harte Arbeit, ohne Freude und ohne Schmerz, nur einem dunklen Ge-
Die DRA-Jahresangabe 1932 dürfte zutreffend sein; es ist jedenfalls in der
Rede nichts enthalten, was dagegen spräche.
58
setz der Pflicht gehorchend, — Opfergang unbewußt und unausgespro¬
chen für ein neues Reich. Der Führer gab dem einmal symbolhaften Aus¬
druck: der unbekannte Arbeiter.
In einem Proletarierviertel spielte sich einmal dasselbe ab, was wir
dutzendmal sahen und miterlebten: Kampf, Opfer, Blut und Terror.
Sechs aus Euch lagen in ihren Wunden, dieweil ich sprach vom kommen¬
den Reich. Einer nach dem anderen wurde hinausgetragen, und in stum¬
mer Ergriffenheit standen Männer und Frauen und schwiegen vor ver¬
gossenem Märtyrerblut. Einer rief und rief. Draußen drückten wir ihm
noch einmal die Hand. Ich kannte ihn nicht: ein schmales, bleiches, har¬
tes Arbeitergesicht, darin zwei leuchtende Augen, jetzt vom Schmerz der
klaffenden Stirnwunde überschattet. Das geschah in einem Augenblick,
ohne Sentimentalität. Es war Abschied und Gelöbnis zugleich. Dann
legte sich über dieses Gesicht wieder weißes Tuch, und eine Bahre stieg
schwankend die Treppe hinunter. Ich ging in den Saal zurück und redete
weiter. Dieses Gesicht blieb vor mir stehen. Und dann sprach ich am
Ende in einer atemlosen Stille das Wort vom unbekannten SA-Mann. Ich
meinte damit jenen Aristokraten des Dritten Reichs, der Tag für Tag
seine Pflicht tut, einem Gesetz gehorchend, daß er nicht kennt und kaum
versteht 2 . Vor ihm stehen wir in Ehrfurcht und nehmen die Mützen ab.
DRA Nr. C 1072 (3' 45"). Vermutlich eine Studioaufnahme.
Goebbels erzählt hier von den Ereignissen des 11. Februar 1927, als die Kom¬
munisten versucht hatten, eine provozierende NSDAP-Versammlung in den
Pharus-Sälen im roten Wedding zu sprengen.
59
Nr.
8
Datum und Ort unbekannt
,Appell an die Nation"
Männer und Frauen!
Das deutsche Volk hat nun über fünfzehn Jahre geopfert, gekämpft, ge¬
litten und gedarbt, und dabei ist die Nation in dumpfes Schweigen ver¬
sunken. Wir haben gewartet auf den Tag der Erlösung, und wir glaub¬
ten, der Himmel werde uns die Freiheit schenken. Wir lebten seit 1918 in
unerfüllbaren Wunschgebilden und ließen uns allzugern und bereitwillig
von den Heutigen von einer Enttäuschung in die andere führen, immer
in der eitlen Hoffnung, es werde auf das Dunkle jetzt ein lichteres Mor¬
gen folgen. Das ist nun zu Ende. Die Nation steht auf, das Volk ist im
Erwachen. Aus jahrzehntelanger Duldsamkeit erhebt sich ein neuer deut¬
scher Lebenswille, eine junge Generation von kämpferischen Aktivisten
rückt vor die Front der deutschen Politik und zwingt dem Gang der
Dinge ihren Kurs auf. In Fabriken und Werkstätten, in Kontoren und
Schreibstuben, hinter dem Pflug, der durch die braunen Ackerschollen
geht, und tief unter der Erde in den dunklen Schächten, wo die Hämmer
und Äxte das ewige Lied der Arbeit singen, steht heute ein neues, waches
Geschlecht: das deutsche Arbeitertum der Stirne und der Faust. Es hat
aus der schmerz- und leidvollen Vergangenheit gelernt und will nun han¬
deln. Die Nation ist sein Ziel, ein sozialistisches Deutschland, das seinen
Kindern wieder Brot gibt und dem Volke die Ehre. Die Unwerte der
1 Nach den Angaben im DRA-Katalog soll es sich hier um eine „andere Fas¬
sung" des Dok. Nr. 1 handeln. Schon ein flüchtiger Blick zeigt, daß dies un¬
möglich der Fall sein kann: die vorliegende Ansprache (eine Studioaufnahme)
ist mehrere Jahre jünger. Die Zeitangabe 1932 wird vermutlich stimmen, doch
könnte dieser „Appell" auch erst kurz vor der „Machtübernahme" gesprochen
worden sein, — wenn Goebbels' Zeitangabe „über fünfzehn Jahre" korrekt
ist, sogar erst im Winter 1933/34. Das freilich dürfte nach dem Redetenor zu
spät angesetzt sein.
60
liberalen Demokratie sind im Sinken, und über ihrem unausbleiblichen
Sturz steigen die Werte einer neuen deutschen Aristokratie hoch. Der
Adel der Arbeit und der Leistung hat sich in Marsch gesetzt auf den
Staat. Es gibt nun kein Zurück mehr, nur noch ein Vorwärts.
Wir haben in der Vergangenheit oft genug unsere Stunde verpaßt.
Nun geben wir der Nation die letzte Trumpfkarte in die Hand. Sie wird
ausgespielt werden, und dann muß es sich entscheiden, ob wir als Volk
noch eine Berechtigung zum Leben haben oder sterben müssen. Das geht
uns alle an: Männer und Frauen, Arbeiter, Bauern und Bürger, Studen¬
ten und Soldaten. Der Klassen- und Parteienstaat gehört der Vergangen¬
heit an, der Volksstaat ist im Werden. Die Sache der Nation muß wieder
die Sache des Volkes sein. Es gilt die deutsche Arbeit den Klauen der in¬
ternationalen Raubfinanz zu entreißen und damit dem deutschen Volk
wieder Luft und Licht zum Atmen und zum Leben zu geben. Wir wollen
es nicht mehr dulden, daß der deutsche Arbeiter der Proletarier der
Nation ist, — darum sind wir Sozialisten. Wir wollen es nicht mehr zu¬
lassen, daß die deutsche Nation der Proletarier der Welt ist, — darum
sind wir Nationalisten. Und weil wir in diesen beiden Aufgaben den ein¬
maligen geschichtlichen Sinn deutscher Zukunft erblicken, der nur insge¬
samt gelöst werden kann, darum nennen wir uns Nationalsozialisten.
Das kommende Deutschland wird diesen Stempel tragen oder aus der
Reihe der anderen Völker gestrichen werden. Wohlan denn: arbeitet,
kämpft, opfert, leidet und duldet! Es handelt sich um Deutschland!
Wenn Deutschland stirbt, dann geht das Licht der Welt aus.
DRA Nr. 53A—587 (3' 40").
61
Nr. 9
30. 1. 33 — Berlin, WilhelmstraßelNeue Reichskanzlei — Reportage vom
Fackelzug der SA-, SS- und Stahlhelmformationen anläßlich der „Macht¬
ergreifung
Ich kann nur ein paar Worte sagen. Wir sind schon seit heute morgen um
fünf Uhr auf den Beinen und hundemüde. [Im Hintergrund hört man
Heilrufe.] Was ich sagen will, ist das: Wir sind alle maßlos glücklich!
Glücklich darüber, daß nun eine vierzehnjährige Arbeit durch Sieg und
Erfolg gekrönt worden ist. Wenn ich den heutigen Tag [erneute, anhal¬
tende Heilrufe im Hindergrund] auf den einfachsten Nenner bringen
soll, dann möchte ich sagen: es ist ein Triumph der Zähigkeit. Die Zähig¬
keit der nationalsozialistischen Führung hat diesen Sieg errungen. Und es
ist für mich nun ergreifend zu sehen, wie in dieser Stadt, in der wir vor
sechs Jahren mit einer Handvoll Menschen begonnen haben. — wie in
dieser Stadt wirklich das ganze Volk aufsteht, wie unten die Menschen
vorbeimarschieren, Arbeiter und Bürger und Bauern und Studenten und
Soldaten — eine große Volksgemeinschaft, in der man eben nicht mehr
fragt, ob einer Bürger oder Proletarier, ob einer Katholik oder Prote¬
stant ist, in der man nur fragt: Was bist du, wozu gehörst du und be¬
kennst du dich zu deinem Lande?
Das ist für uns Nationalsozialisten die größte Erfüllung dieses Tages.
Wir sind nicht der Meinung, daß damit der Kampf abgeschlossen ist,
sondern morgen früh beginnen wir schon mit der neuen Arbeit und mit
1 Am 30. Januar 1933 hatte Hindenburg den nationalsozialistischen Parteiführer
zum Reichskanzler ernannt, nachdem durch eine Koalition mit den seinem
Herzen nahestehenden Deutschnationalen ein paritätisches „Kabinett der na¬
tionalen Konzentration" gewährleistet und Hitler an die Kette gelegt schien.
Am Abend marschierten die Kampfverbände der neuen Koalitionspartner am
Reichspräsidenten und dem neuen Kanzler vorbei, die sich an den Fenstern
des Präsidentenpalais bzw. der Reichskanzlei zeigten. Nach 22 Uhr brachten
die deutschen Sender eine Reportage von diesem Fackelzug, im Anschluß daran
wurden erst Göring, dann Goebbels an das Mikrophon geholt.
62
dem neuen Kampf. Wir sind der festen Überzeugung: Es wird einmal der
Tag kommen, da wird in Deutschland nicht nur die nationalsozialistische
Bewegung, sondern ein ganzes Volk auf stehen, wird ein ganzes Volk sich
wieder auf seine Urwerte besinnen und wird ein ganzes Volk dann auch
den Marsch ein-, antreten zu einer neuen Zukunft. Für Arbeit und für
Brot, für Freiheit und Ehre haben wir zu kämpfen begonnen, und diesen
Kampf werden wir zu Ende führen. Und wir glauben, daß er der deut¬
schen Nation zum Segen und zum Glücke gereichen wird.
Das, was wir unten erleben, diese Tausende und Tausende und Zehn¬
tausende und Zehntausende von Menschen, die in einem sinnlosen Tau¬
mel von Jubel und Begeisterung der neuen Staatsführung entgegenrufen,
— das ist wirklich die Erfüllung unseres geheimsten Wunsches, das ist die
Krönung unserer Arbeit. Man kann mit Fug und Recht sagen: Deutsch¬
land ist im Erwachen!
DRA Nr. C 912 (2'). Knapper Auszug in der Tagespresse tVB vom 1. Fe¬
bruar 1933).
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Nr. 10
5. 2. 33 — Berlin, Invalidenfriedhof — Staatsbegräbnis für SA-Sturm-
führer Hans Eberhard Maikowski und Polizeioberwachtmeister Josef
Zauritz 1
Meine Kameraden!
Das ist jetzt sechs Jahre her, da kamen wir in einer Zeit, in der wir noch
Hochverräter waren, vom Nürnberger Parteitag 2 3 zurück. Draußen vor
Berlin, in Teltow, da wurde die ganze Sturmabteilung der Reichshaupt¬
stadt verhaftet, auf Lastwagen aufgepackt, die Fahnen beschlagnahmt
und alles zum Polizeipräsidium gebracht. Einer gab seine Fahne nicht ab.
Er hatte sie sich unter seinem braunen Hemd über die Brust gebunden.
Und als man sie ihm herunterreißen wollte, da hat er gekratzt und ge¬
spuckt und gebissen und um sich geschlagen wie ein wildes Tier — und
er hat auch seine Fahne behalten. Dieser eine hieß: Hans Eberhard Mai¬
kowski. Und er war damals noch ein Kind.
Ein Jahr später. Über dem Stadtteil Charlottenburg liegt eine tiefe
Winternacht, und durch diese tiefe Winternacht peitschen ein paar
Schüsse, laufen hin und her, und einer liegt schwerverletzt am Boden 1 .
Sie tragen ihn in ein Krankenhaus. Wochenlang glauben sie, er kommt
nicht mehr mit dem Leben davon. Und doch, wie aus einer göttlichen
Fügung wird er gerettet. Und dieser eine heißt: Hans Eberhard Mai¬
kowski.
Wieder ein paar Jahre später. Da sitzt irgendwo vor mir ein junger
Mann, gehetzt von den Behörden, von der Polizei, durch alle Länder,
1 Auf dem Rückweg vom Fackelzug des 30. Januar war der SA-Sturm 33
in der Charlottenburger Wallstraße von Kommunisten überfallen worden,
wobei der Sturmführer und ein begleitender Polizist getötet wurden.
2 1927. Goebbels hat die Szene auch — ohne Namensnennung — in seinem
„Kampf um Berlin" (S. 235 f.) geschildert.
3 Am 9. Dezember 1928, nach einer Veranstaltung im Sportpalast. Allerdings
wurde M. damals nicht angeschossen, sondern laut Nachruf „niedergestochen-.
64
durch das Ausland gejagt. Er kann nicht mehr nach Hause gehen, er
kann seine Kameraden nicht mehr besuchen, er weiß nicht, wo er Unter¬
schlupf finden soll, hat kein Geld, kein Brot, nichts! Und dieser eine
heißt: Hans Eberhard Maikowski.
Und wieder ein anderer Tag. Mittags hat sich in Deutschland die
nationale Befreiung vollzogen. Die ganze Reichshauptstadt atmet auf
wie von einem Alpdruck befreit. Uns allen fällt es wie Steine von den
Herzen herunter. Hunderttausende und Millionen in Deutschland schöp¬
fen nun neue Hoffnung, denn sie wissen: Die Qual ist vorbei! Der Tag
für Freiheit und für Brot bricht an! Das, was sie hundert- und tausend¬
mal gesungen haben, das soll nun Wirklichkeit werden.
Und abends marschieren diese braunen Soldaten durch die Wilhelm¬
straße, durch das Brandenburger Tor. Das, was vierzehn Jahre lang ihre
Sehnsucht gewesen ist, — das soll nun Wirklichkeit sein. Und vor einem
Sturm marschiert ein junger deutscher Arbeiter, — aufrecht, stolz, der
Kamerad seiner Kameraden und der Führer seiner Gefolgschaft. Wie all
die anderen, die Hunderttausende, geht er vorbei an dem greisen Reichs¬
präsidenten und dem jungen Reichskanzler. Das, was er geträumt hatte,
das ist nun Wirklichkeit: das junge und das alte Deutschland reichen sich
die Hände, dieses junge und alte Deutschland schließt sich zusammen
über den Klassen, über den Ständen, über den Konfessionen! In diesem
Deutschland soll es nun keine Unterschiede mehr geben, sondern alle
Kinder eines Volkes! Und diesen Rausch noch im Herzen tragend, diese
Begeisterung noch in den Adern spürend, geht dieser junge Sturmführer
an der Spitze seiner Kameraden, wie immer an der Spitze seiner Kame¬
raden, in seinen eigenen Stadtteil zurück und muß dann mitten im
Rausch, mitten in der Freude, mitten im Überschwang der Gefühle sein
Leben aushauchen.
Hier stehen wir an seinem offenen Grab, und vielleicht paßt auf den,
den wir hier in den Schoß der mütterlichen Erde zurücksenden, das
Wort: Leben verstehen wir Deutschen vielleicht nicht, aber sterben —
das können wir fabelhaft 4 ! Das Sterben hat dieser junge Mann verstan¬
den, das konnte er fabelhaft. Wie kein anderer, so hat er sein junges und
tapferes Leben für eine große Sache hingegeben, und vielleicht paßt auf
ihn auch ein zweites Wort, daß nämlich die Götter den, den sie lieben,
jung sterben lassen. Daß sie ihn sterben lassen im höchsten Rausch, in
einem Augenblick, in dem das Leben so teuer und so heilig und so lieb
ist, ihn dann auch das Leben weglegen lassen. Und deshalb glaube ich,
meine Kameraden, wäre es dieses Toten nicht würdig, wenn wir weinen
4 Das Zitat ist authentisch, konnte jedoch trotz intensiver Nachforschungen nicht
belegt werden
65
und trauern nur wollten, sondern dieses Toten ist es würdig, wenn wir
wieder ins Leben zurückmarschieren.
So wollen wir denn an diesem Grab unsere Fahnen hochheben, wollen
an diesem Grab beim Tode unseres Kameraden schwören, daß wir das
Leben lieben und daß wir das Leben gewinnen wollen und daß aus die¬
sem Grab einmal eine Flamme aufsteigen soll, die ganz Deutschland er¬
leuchten wird! Und im Schein dieser Flamme wollen wir dann dem
neuen Tag entgegenmarschieren!
DRA Nr. C 915 (7' 50").
66
Nr. 11
10. 2. 33 — Berlin, Sportpalast — Rundfunk-Hörbericht 1 von einer ..Re¬
gierungskundgebung " 2
Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Als Vertreter der veranstaltenden Partei habe ich das Bedürfnis, Ihnen
zuerst unsere warmen, brüderlichen Grüße entgegenzusenden. Wir grü¬
ßen unsere Brüder und Schwestern im Reich und jenseits der Grenzen,
in Ost und West und Nord und Süd. Wir befinden uns hier im Sportpa¬
last und sind Augen- und Ohrenzeugen dieses wunderbaren, einzigarti¬
gen Massenereignisses, wie es in diesem Umfang in Deutschland bisher
wohl niemals festzustellen gewesen ist. Ich glaube, wir greifen nicht zu
hoch, wenn wir sagen, daß in Deutschland [Marschmusik setzt ein] min¬
destens zwanzig Millionen Menschen Zeugen dieses einzigartigen Ereig¬
nisses sind. Oben im ersten Rang über dem Sportpalast, in einer Loge,
sitzen wir. Unten bietet sich unseren Augen das imposante Bild einer hin¬
reißenden, einzigartigen, großen Massenkundgebung, einer Volkskundge¬
bung im wahrsten Sinne des Wortes: Männer und Frauen, Arbeiter, Bür¬
ger, Studenten, ringsum flankiert von SA- und SS-Männern. Über der
ganzen Masse liegt eine heiße, fieberhafte Spannung und eine vibrierende
Erwartung, — dieselbe heiße, fieberhafte Spannung und Erwartung, die
am heutigen Abend sich über die ganze Riesenstadt Berlin gelegt hat.
Schon bei der Anfahrt zum Sportpalast mußten wir das feststellen. Auf
1 In Experimentierfreude über das neugewonnene Spielzeug Rundfunk hat sieh
Goebbels des öfteren als Hörberichterstatter versucht, natürlich nur bei ad¬
äquaten Anlässen, meist vor Reden Hitlers. Er war übrigens auch in diesem
propagandistischen Metier ein Naturtalent und machte seine Sache erheblich
besser als nahezu alle damaligen, aber auch heutigen »Profis".
1 Am 7. Februar noch als „Massenkundgebung des Gaues Groß-Berlin der
NSDAP" angekündigt, war daraus zwei Tage später eine „Regierungskund¬
gebung", aus Hitlers Wahlrede eine — wie Goebbels hier sagt — „Verlaut¬
barung der Reichsregierung" geworden. Die Sendung lief über alle deutschen
Sender und begann 20 Uhr, die Hitler-Rede 20.30 Uhr.
67
allen Plätzen ein wimmelndes Gewoge von Menschen. Der Gau Berlin
hat an zehn öffentlichen Plätzen große Riesenlautsprecher aufgestellt,
und vor diesen Lautsprechern nun ballen sich die Menschenmauern 1 zu¬
sammen, um Zuhörer zu sein der großen Rede, die unser Führer, der
Reichskanzler Adolf Hitler, in einigen Minuten von der Tribüne des
Sportpalastes aus halten wird. Sie hören schon an dem sich vermehren¬
den Geräusch, wie die fieberhafte Spannung zu wachsen beginnt. Die
Männer und Frauen haben sich von ihren Plätzen erhoben. Der ganze
Sportpalast gleicht einem wimmelnden Ameisenhaufen. Überall hören
Sie schon Rufe der Begeisterung, der Zustimmung, Jubel- und Heilge¬
rufe. Es ist, als wenn dieser Sportpalast noch niemals in dieser Massen¬
kundgebung sich zu Gesicht gebracht hätte. Und doch ist uns dieses Bild
so alt und so lieb und so vertraut. Wir, die wir hunderte Male von den
Tribünen des Sportpalastes heruntergeredet haben, ehemals als die Ver¬
treter einer verlästerten und befehdeten Opposition, heute als die Inha¬
ber der Macht und als die Inhaber der Verantwortung.
Ich bitte Sie nun, Ihre Phantasie zu beflügeln. Stellen Sie sich vor:
dieses Riesengebäude, unten ein riesiges Parterre, an den beiden Seiten
die Seitenparterres aufflankiert, der erste Rang, der zweite Rang — alles
eine Masse Mensch! Die einzelnen Menschen sind schon gar nicht mehr
zu erkennen, man sieht [einzelne Rufe und Sprechchöre heben an] nur
noch Menschen, Menschen, Menschen, — Masse Mensch. Sie hören, wie
aus der Masse herauf die Rufe „Deutschland erwache!" erklingen, wie
auf den Führer der Bewegung [Kommandos ertönen], auf den Reichs¬
kanzler Adolf Hitler, Heilrufe ausgebracht werden. Der SA-Führer —,
der Standartenführer Voß, gibt eben das Signal zum Einmarsch der
Fahnen und Standarten. Unten, vom Ende des Sportpalasts aus, bewegen
sich die vier Berliner Standarten, gefolgt von den Hunderten Berliner
Parteifahnen. [Das Deutschlandlied wird intoniert und gesungen.] Nach
und nach steigen diese Fahnen aus dem Kellergewölbe des Sportpalastes
herauf. Unter des Klängen des Deutschlandliedes werden die Fahnen
durch den weiten R aum ge tragen. Die ganze Masse singt begeistert das
Deutschlandlied mit. 3 4 Näher und näher rücken die Fahnen, eben
hat die Spitze schon die Empore des Saales erreicht. Im Hintergründe
des Riesenraumes ist ein Viertel freigelassen zum Aufmarschieren der
Fahnen. Eben bewegen sich die vier Standarten vor das Rednerpodium.
Die Fahnen begeben sich in den hinteren Teil, in das letzte Viertel des
Saales. Noch steigen Fahnen über Fahnen aus dem Kellergewölbe heraus.
3 Wieder — wie stets — .Mauren".
4 Hier und zweimal später unterbricht Goebbels seinen immer schneller werden¬
den, die Spannung steigernden Redefluß durch eine längere Pause, um den
vielstimmigen Gesang der Nationalhymne auf die Hörer wirken zu lassen.
68
Die ganzen Seitengänge des Sportpalastes sind überfüllt mit den leuch¬
tenden roten Hakenkreuzfahnen. Das Publikum im ganzen Sportpalast
ist aufgestanden, mit erhobenen Händen singt es die Nationalhymne mit.
[Ende des Deutschlandliedes.] Unten in der ersten Reihe sitzen die Ver¬
treter der Reichsregierung und der preußischen Staatsregierung; in den
zweiten, dritten und vierten Reihen haben die Vertreter der Gesandt¬
schaften und Botschaften Platz genommen. Dort [die zweite Strophe des
Deutschlandliedes wird intoniert] sieht man Amerikaner, Engländer, Ita¬
liener, — kurz und gut: das ganze politische Berlin. Das ganze politische
Berlin und das ganze politische Ausland, das in Berlin stationiert ist, hat
sich hier ein Stelldichein gegeben.
Immer noch marschieren die Fahnen. Eben rücken unten an unseren
Augen vorbei die Fahnen der Hitler-Jugend, eben die Fahne des Sturm¬
bannes, aus dem der Junge, der sechz ehnjährige Junge Norkus, vor einigen
Monaten erschossen wurde. 3 Eben haben die letzten Fahnen oben
im letzten Viertel des Saales Platz genommen. Nun bietet der Sportpa¬
last ein wunderbares, imposantes Bild der Massendemonstration. Die
Menschen stehen und warten und singen mit erhobenen Händen, man
sieht nur Menschen, Menschen, Menschen. Ringsum sind die Emporen
flankiert von großen Parolen für die Nation, gegen die Internationale.
Das ganze Haus ist ausgeschmückt mit Hakenkreuzfahnen. Die Stim¬
mung beginnt zu wachsen, und die Erwartung ist bis zur letzten Span¬
nung verdichtet. Unten vor dem Podium steht ein Heer von Fotografen,
ein Heer von Filmoperateuren. Die ganze Rede des heutigen Abends soll
tonfilmisch aufgenommen werden, um in den nächsten Wochen propa¬
gandistisch zur Verwendung zu kommen. Unten am Leitungstisch [Ende
des Gesangs, Kommandos] haben sich die Führer der Berliner Organisa¬
tion versammelt, hinter ihnen sitzen die Gauleiter aus dem Reich ver¬
sammelt. Ungezählte SA- und SS-Führer haben hinter den Leitungsti¬
schen Platz genommen. Alles ist nun voll spannungsvoller Erwartung,
jeden Augenblick kann der Reichskanzler eintreffen.
.. , h nun vor einem Jahr hier in Berlin-Moabit niedergeschlachtet
wurde, Sie werden sich alles —, alle dessen noch aus den Zeitungen erin¬
nern. [Anschwellende Heilrufe und Begeisterungsgeschrei.] Sie hören
eben: der Führer ist eingetroffen! Das ganze Publikum steht auf und
ruft ihm entgegen. Die ersten Heilrufe erschallen. Unten sieht man die
Begleitungen vorauskommen. Erst ein SA-Führer bahnt den Weg durch
die Gassen der SA-Männer, dann eine Reihe von höheren SS-Führern.
Ganz allein, ernst und gemessen schreitet, freundlich grüßend, durch die
Massen der Führer, der Reichskanzler Adolf Hitler, der Führer des jun-
5 Vgl. oben Nr. 2, Anm. 16.
6 Lücke beim Einsetzen einer neuen Platte.
69
gen Deutschland! Vor einem Monat noch sprach er hier im Sportpalast
als der Führer einer verlästerten, einer verfehmten und verlachten Oppo¬
sition. Man kann schon sagen: Welch eine Wendung durch Gottes
Fügung 7 ! Jetzt betritt er nach knapp drei Wochen Frist als Kanzler des
Deutschen Reiches das Podium des Sportpalasts, um zum ersten Male
eine Verlautbarung der Reichsregierung abzugeben. Allerdings nicht vor
einem Parlament, sondern vor dem deutschen Volk, — vor jenem deut¬
schen Volk, das vierzehn Jahre lang geduldet und gelitten und geblutet
hat: das deutsche Volk, das sich jetzt erhebt und das dem Führer, dem
Reichskanzler des neuen Reiches, zujubelt und zuruft.
Die Versammlung wird sofort ihren Beginn nehmen. Ich nehme noch
einmal Gelegenheit, all' unsere Brüder im Reich zu grüßen. Wir grüßen
sie in Nord und Süd und Ost und West, unsere Brüder jenseits der Gren¬
zen und vor allem unsere Brüder in Deutsch-Österreich.
Der deutsche Reichskanzler spricht zur Nation!
DRA Nr. C 916 (9').
7 Eigentlich: Führung. (Telegramm König Wilhelms I. an die Königin nach der
Schlacht bei Sedan, 2. September 1870.)
70
Nr. 12
3. 3. 33 — Hamburg, Ausstellungshallen am Zoo — Reportage von einer
Kundgebung zur Reichstagswahl 1
Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Im Namen der veranstaltenden Partei begrüße ich Sie auf das herzlich¬
ste. Ich grüße die Zehntausende, die sich heute in den Mauern 2 der alten
Hansestadt Hamburg zusammengefunden haben, um auf den großen
öffentlichen Plätzen die Rede des nationalsozialistischen Führers und
Volkskanzlers Adolf Hitler zu hören. Ich grüße die Hunderttausende,
die in den einsamen, stillen Dörfern der Halligen, in den entferntesten
Katen der weiten Heide, in den Fischerdörfern am Ostseestrand, die in
den Gauen Schleswig-Holstein, Mecklenburg—Lübeck, Weser—Ems,
Osthannover, Hannover-Süd und Braunschweig mit uns dieses mitrei¬
ßende Massenereignis, diesen großen Abend miterleben wollen.
Noch nie in der jahrhundertealten Geschichte der Stadt Hamburg sind
so gewaltige Massen von Menschen in ihren Mauern zusammengeströmt
wie heute. Tausende und Abertausende sind auf Lastautos, mit Sonder¬
zügen der Reichsbahn, mit Kastenwagen und zu Fuß von nah und fern
herbeigeströmt. Ganz Norddeutschland kennt heute nur ein Ziel. Die
Augen Schleswig-Holsteins, Oldenburgs, Hannovers und der Freien
Hansestädte richten sich in dieser Stunde nach Hamburg. Hier spricht
heute der Führer der nationalsozialistischen Bewegung, der junge Kanz-
1 Hamburg war — vor Königsberg — die vorletzte Station auf Hitlers fünftem
(und letztem) Deutschland-Wahlflug. Am 5. März war der neue Reichstag zu
wählen, wie Hitler es bei den Verhandlungen vor seiner Regierungsbildung
durchgesetzt hatte. Wildentschlossen, die Scharte der Novemberwahlen von
1932 wieder auszuwetzen, überzog die nun im Besitz der meisten Machtmittel
befindliche NSDAP das Land mit wüstem Terror.
2 Hier und im folgenden — wie fast immer—„Mauren", „zersteuren",
„Bauren". Eine neue Eigentümlichkeit: Goebbels spricht das Wort Zoo stets
getrennt aus, also Zo—o.
71
ler des Deutschen Reiches, Adolf Hitler, in allen Sälen des Zoo. den wei -
ten Ausstellungshallen, in den Ernst-Merck-Hallen', im Hochzeitssaal,
in der Brehm-Halle, in den Festsälen und im Sommer-Restaurant. Weit
über hunderttausend Menschen haben sich hier versammelt, die wir von
unserem Platz hier einzeln gar nicht mehr unterscheiden können, die von
hier aus nur noch eine große, unübersehbare Masse darstellen. Der sonst
so nüchterne Hamburger ist heute kaum noch wiederzuerkennen. Diese
Riesenkundgebung ist ein Beweis dafür, daß das Bedürfnis des Volkes,
den neuen Leiter der deutschen Politik zu hören, noch niemals so stark
war wie gerade in diesen Tagen vor der entscheidenden Schlacht. Un¬
übersehbare Menschenmassen wogen nicht allein hier durch die weitaus¬
gedehnten Anlagen des Zoo. Als wir hierherfuhren, da war es uns kaum
möglich, durch die Straßen zu kommen, die vollgepfropft sind [Heilrufe
im Hintergrund] von Menschen, die den großen Plätzen zusteuern, auf
die die Rede des Reichskanzlers durch Lautsprecher übertragen wird.
Wie Sie hören: erwartungsfreudige Spannung liegt über der ganzen
Masse. Die ganz innere Stadt vom Hauptbahnhof über die Mönckeberg-
straße, Rathausmarkt und den Stephansplatz steht im Zeichen dieser ein¬
zigartigen Massenveranstaltung. Braune Kolonnen marschieren seit Stun¬
den. Voran flattern ihnen unsere leuchtenden Banner durch die Straßen,
dazwischen Polizei in Kraftwagen und zu Fuß. [Musik setzt ein.] Auf
den öffentlichen Plätzen stauen sich, wie mir eben mitgeteilt wird, die
Volksmassen immer mehr. Es ist ein imposantes Bild, das das sonst so
kühle und reservierte Hamburg uns heute bietet. Vergessen scheinen alle
Sorgen um den Alltag, die seit Jahren auf der alten Hansestadt und ihrer
tüchtigen Bevölkerung lasten, vergessen scheinen auch die Not und der
Kummer der deutschen Arbeiter, Matrosen und Schiffseigner, deren
Schiffe auf den Schiffsfriedhöfen im Waltershofer und Griesenwerder
Hafen angebunden sind, auf denen sich allerdings seit Monaten keine
fleißige Hand mehr rührt, deren große Schornsteine nicht mehr rauchen,
deren Kessel seit langem erkaltet sind.
Die stolzen Zeugen deutscher Technik, die einst von hier aus in die
Welt hinauszogen und die weiten Meere durchpflügten, deutschem
Namen, deutschem Handel und deutschem Fleiß im Auslande Ansehen
und Geltung verschafften, — sie liegen heute still, sie müssen verrotten.
Zehntausende von Arbeitslosen müssen untätig durch die verregnete
Stadt ziehen. Wo einst deutscher Kaufmannsgeist auf das trefflichste
zum Nutzen von Volk und Staat schaltete und waltete und Tausenden
Merek-Halle. Die Hamburger Zeitungen nannten als
3Riehtig:inderErnst-Kundgebungsstätten die Ausstellungshallen (wo Goebbels
sprach), die Ernst-Merck-Halle und die oberen Säle des — damals bereits
aufgelassenen — Zoo.
Es handelt sich um das heutige Gelände von Planten un Blomen.
72
von Menschen ihr tägliches Brot und ihre Arbeit gab, da herrscht
heute Öde und lastende Stille. Verlassen liegen die weitläufigen
Kaianlagen des Hamburger Hafens, die Zeichen einer verfallenen
Wirtschaft.
Dieser ganze Kummer und diese schreckliche Not, diese tiefe Sorge um
das tägliche Brot sind diesen Hunderttausenden, die sich heute hier durch
die Anlagen des Zoo drängen, nicht fremd, und doch merkt man ihnen
davon heute kaum noch etwas an. Eine Hoffnung leuchtet aus ihren
Augen. Sie wissen, daß heute zu ihnen der Mann spricht, der allein vom
Schicksal berufen ist, die deutsche Wirtschaft und den deutschen Arbei¬
ter, den um sein Haus und Hof und das Erbe seiner Väter kämpfenden
Bauern wieder einer besseren Zukunft entgegenzuführen.
Auf Hamburg aber richten sich heute nicht nur die Augen Nord¬
deutschlands, sondern des ganzen deutschen Volkes. Nachdem der Kanz¬
ler [die Musik setzt aus] in den letzten Tagen gezeigt hat, daß er zum
Äußersten bereit ist, die bolschewistische Gefahr, die mit dem verbreche¬
rischen Anschlag auf den Deutschen Reichstag jedem im Volke sichtbar
geworden ist, zu beseitigen 4 5 , haben sich die kommunistischen Hetzer und
Brandstifter hier nach Hamburg verzogen^, um von dieser Stadt aus das
deutsche Volk weiterhin in den Bürgerkrieg hineinzuhetzen. Durch diese
Brandstiftung hat sich der Bolschewismus als das entlarvt, als was wir
Nationalsozialisten ihn schon seit Jahren erkannt hatten. Verbrecheri¬
sches Untermenschentum hat in Deutschland eine Partei organisieren
dürfen, die mit Politik gar nichts zu tun hat, mit der sich nicht politi-
4 Der Reichstagsbrand am Abend des 27. Februar, bei dem heute noch kontro¬
vers ist, ob der Brandstifter, der holländische Rätekommunist Marinus van
der Lübbe, die Tat allein begangen hat oder ob er Werkzeug nationalsoziali¬
stischer Drahtzieher gewesen ist, war von der Hitler-Regierung noch am Tat¬
ort den Kommunisten zugeschrieben und zum Vorwand für eine umfassende
Verfolgungsaktion (u. a. Verhaftung sämtlicher KPD-Abgeordneter) und für
das Verbot der gesamten kommunistischen und sozialdemokratischen Presse
genommen worden („Verordnung zum Schutz von Volk und Staat* vom
28. Februar).
5 Damit ist gemeint, daß die Nationalsozialisten zwar im Reich und damit, dank
Papens Reichskommissariat, auch in Preußen, daneben ebenfalls in einigen,
meist kleineren Ländern regierten (in der Reihenfolge der „Machtergreifung":
Braunsdiweig, Meckienburg-Strelitz, Anhalt, Oldenburg, Mecklenburg-
Schwerin, Thüringen und — nach dem 30. Januar 1933 — Lippe), während
die übrigen Länder — Bayern, Württemberg, Sachsen, Hessen, Baden, Ham¬
burg, Bremen, Lübeck, Schaumburg-Lippe — noch demokratische (allerdings
meist nur geschäftsführende, mithin geschwächte) Regierungen hatten. Der
Hamburger Rumpf-Senat (Staatspartei, DVP), dessen SPD-Mitglieder bereits
am Vortag dem von Berlin ausgeübten Druck gewichen waren, trat noch am
Wahlabend zurück, die übrigen demokratischen Regierungen wurden im Zu¬
sammenwirken von Reichsregierung und Straße in den Tagen danach be¬
seitigt.
73
sehe Gruppen und Verbände, sondern eigentlich nur die Strafrichter aus¬
einanderzusetzen haben. Jetzt mit einem Male ist es vor der gesamten
Nation sichtbar geworden, was die politischen Kinder der Sozialdemo¬
kratie und des Herrn Severing im Schilde führen. Jedem ist es klarge¬
worden, welcher unerhörten, verbrecherischen Unterlassung sich die SPD
schuldig gemacht hat, als sie mit unzureichenden Mitteln und mit Samt¬
handschuhen diese Verbrecherorganisation behandelte. Jahrelang hat
man ohne Grund und ohne Anlaß unsere Geschäftsstellen von oben bis
unten durchstöbert, hat tagelang SA-Männern aufgelauert, um sie zu
verhaften, hat die Beamten, die sich zur Nation bekannten, aus Arbeit
und Brot gejagt, und währenddessen konnten die roten Mörderzentralen
wagen, alle Einzelheiten genau vorzubereiten, um eines Tages den Bür¬
gerkrieg in den schrecklichsten Formen in Deutschland zu entfesseln.
Jetzt hat sich das Gesicht des Marxismus gezeigt. [Die Musik setzt wie¬
der ein.] Mit blutigem Terror, mit Mord, mit Erschießung von Geiseln,
mit grausamen Hinmetzelungen von Frauen und Kindern, mit Vergif¬
tung der Volksküche der Erwerbslosen und Brunnen, mit Brandstiftung
und Sprengung von Bahnkörpern und Vernichtung der öffentlichen Ge¬
bäude und Kirchen sollte Deutschland in ein Chaos hineingestoßen wer¬
den", das nur noch in der blutigen Revolution in Sowjetrußland ein Bei¬
spiel aufzuweisen gehabt hätte.
Noch stehen die Hunderttausende, die heute in der Freien Hansestadt
Hamburg den Führer des Reiches mit fieberhafter Spannung erwarten,
die Millionen von Bauern, Landarbeitern, Fischern, Seeleute, Beamte,
Bürger. Angestellte weit im ganzen Land, wohin der Norddeutsche
Rundfunk die Worte des Volkskanzlers Adolf Hitler dringen läßt, unter
dem furchtbaren Eindruck des Brandattentats auf das deutsche Reichs¬
tagsgebäude. Die Flammen, die aus der Kuppel des mächtigen Wallot¬
baues 7 herausschlugen, sollten das Zeichen zum Beginn des Bürgerkriegs
sein. Die roten Bluthetzer aber sollen sich gründlich getäuscht haben.
Wir stellen keine schwache bürgerliche Regierung, wir sind der organi¬
sierte Widerstandswille der erwachenden Nation. Wir sind das kraftvolle
junge Deutschland, das sich von den bolschewistischen Bürgerkriegshet¬
zern nicht einschüchtern läßt, sondern mit aller Härte und unter Anwen¬
dung erbarmungslosester Mittel dort zugreift, wo es das Wohl und das
Wehe der Nation erfordert.
Katalog stammt aus dem Material, das die Na-
(, Goebbels' schauriger Greuel- im besetzten Karl-Liebknecht-Haus G
tionalsozialistenAnm. 10) gefunden
haben wollten und mit dessen Hilfe sie damals auch in ihren Zeitungen dem
braven Bürger das Fürchten lehrten. Die Urheberschaft an diesem Gebräu
schoben sie Willi Münzenberg zu, dem inzwischen in das Saargebiet entkom¬
menen „roten Hugenberg".
7 Paul Wallot war der Architekt des Reichstagsgebäudes (erbaut 1884—1894).
74
Die bolschewistischen Blutagenten werden sich, das sei ihnen hiermit
gesagt, auch in der Freien Hansestadt Hamburg dem Arm der Gerechtig¬
keit nicht entziehen können. Wir werden sie auch hier zu fassen wissen.
Unsere Faust wird schwer auf sie niederfallen. Wehe denen, die sich un¬
terfangen sollten, der staatlichen Macht, hinter der jetzt [die Musik hört
auf] Millionen nationalistischer Deutscher stehen. Widerstand zu leisten,
wenn sie mit Entschlossenheit daran geht, das kommunistische Mörder¬
pack in Deutschland unschädlich zu machen! Noch schwelen die Trüm¬
mer im Reichstag, noch stehen tagsüber Hunderte und Tausende vor dem
ausgebrannten Gebäude. Aber wohin immer man hört, gibt es nur eine
Stimme; und wenn einer es ausspricht, dann erklärt er es im Namen
aller: Weg mit dem bolschewistischen Verbrechergesindel aus Deutsch¬
land, holt die Anstifter heraus aus ihren Schlupfwinkeln, an den Galgen
mit diesem 24jährigen Bolschewisten 8 , der da gewagt hat, unser schwer
mit der Not ringendes Volk um Millionenwerte durch eine feige Brand¬
stiftung zu berauben, der da gewagt hat, eines der repräsentativsten Ge¬
bäude, über die das deutsche Volk verfügt, zu vernichten!
Das Volk verlangt, daß endlich mit diesem bolschewistischen Mörder¬
pack Fraktur geredet wird. Ich hatte Gelegenheit, vor etwa einer Stunde
mit einigen Hamburger Arbeitern und einem dithmarschen Bauern zu
sprechen. Sie erklärten mir, daß sie die Maßnahmen des Hitler-Kabinetts
zum Schutze des deutschen Volkes auf das lebhafteste begrüßen, und
baten mich, daß ich dem Führer dafür Dank sagen möge, daß er ener¬
gisch durchgreift und nicht mit sich Katze und Maus spielen läßt. Das
weiß heute im Lande jeder: daß die nationalsozialistische Bewegung die
einzige Partei ist, die mit dem Bolschewismus und dem ganzen marxisti¬
schen Spuk aufräumen kann und die dazu auch fest und unerschütterlich
entschlossen ist. Schon wagen es ja die Bolschewisten gar nicht mehr, ihre
roten Fahnen aus den Fenstern herauszuhängen. Sie fliehen jetzt feige in
das Ausland, und auf den Knien rutschend haben die Rädelsführer in
Berlin bei ihrer Verhaftung um Gnade gebettelt. Flehentlich hat der
Fraktionsführer der Kommunisten, Torgier 8 , bei der Polizei freies Geleit
erbeten.
Jetzt haben sie sich nach Hamburg verzogen. Sie glauben, daß sie von
hier aus den Bürgerkrieg weitertreiben können. Aber es wird sich sehr
bald erweisen, daß diese Rechnung falsch ist. Vor wenigen Tagen
s van der Lübbe, vgl. Anm. 4.
9 Ernst T. wurde dann im Reichstagsbrand-Prozel! als Anstifter angeklagt, am
23. Dezember 1933 freigesprochen und gleichzeitig in Schutzhaft genommen,
aus der er 1936 entlassen wurde, nachdem im Jahr zuvor die Exil-KPD den
sich versagenden Märtyrer ausgeschlossen hatte. Seine Tätigkeit während des
Dritten Reiches ist nicht völlig durchsichtig, nach dem Kriege war er DGB-
Funktionär.
75
noch 10 schrie die kommunistische Presse, in ihrem Konzert kräftig von
den demokratischen Zeitungen unterstützt, daß der Bülowplatz in Berlin
der KPD gehöre, daß es eine unerhörte [die Musik setzt wieder ein] Pro¬
vokation sei, wenn die Nationalsozialisten durch die Straßen im Zen¬
trum der Reichshauptstadt marschieren wollen, — und heute, da weht
schon auf dem Dache des Karl-Liebknecht-Hauses stolz unsere Haken¬
kreuzfahne im Winde 11 ! Wir versichern: Sie wird niemals mehr dort
heruntergeholt werden! Wir werden dieser Weltpest Herr! Wir werden
alle die zur Rechenschaft zu ziehen wissen, die den kommunistischen
Brandstiftern Hilfe leisten, Hilfe geleistet haben oder in Zukunft Hilfe
leisten wollen. [Der Sprecher macht eine längere Pause, in der nur die
Musik zu hören ist.]
Während ich diese Worte zu Ihnen, meine Volksgenossen und Volksge¬
nossinnen, gesprochen habe, ist die Spannung, die seit Stunden über den
Hunderttausend lag, auf ihren Höhepunkt gestiegen. Schneidig und auf¬
peitschend klingen die Märsche der SA-Kapelle der Standarte 45. Ein
wogendes Menschenmeer unten in den Sälen. Wir sehen das schlichte
Braun der Uniformen unserer kampferprobten SA- und SS-Männer. Wir
sehen Männer und Frauen, Greise [die Musik hört auf; Sprechchöre und
Rufe im Hintergrund] und Knaben, Arbeiter, Bürger, Soldaten und
Bauern, — das ganze Volk hat sich hier zu einer gewaltigen Kundgebung
zusammengeschart. Unter diesen Menschenmassen [die Musik setzt wie¬
der ein] verschwinden alle Unterschiede des Standes, der Berufe und der
Konfessionen.
Am Stimmengewirr merken Sie, meine Volksgenossen und Volksgenos¬
sinnen, daß die Begeisterung von Minute zu Minute wächst. Wir sehen
eilige SA-Führer, die sich durch die Massen eben einen Weg bahnen. Mit
einem Schlage brechen jetzt die Heilrufe 12 aus! Aller Blicke richten
sich zum Eingang, und eben bricht ein unbeschreiblicher Jubel los. Die
Massen sind aufgesprungen und grüßen mit erhoben —, mit erhobenen
10 Die spektakuläre Provokation, der Aufmarsch der NSDAP-Formationen auf
dem Berliner Bülowplatz vor dem „Karl-Liebkneeht-Haus", dem Sitz der
KPD-Führung, hatte an sich bereits am 22. Januar stattgefunden, nach der
Enthüllung des Horst-Wessel-Grabsteins auf dem benachbarten Nikolai-
Friedhof. Es ist jedoch anzunehmen, daß die Nationalsozialisten auch in den
Tagen und Wochen nach ihrer „Machtübernahme” in jener Gegend bevor¬
zugt ihren Sieg demonstriert haben.
11 Am Foto dieser (am 28. Februar von einem SA-Sturm vollbrachten) Helden¬
tat durften sich damals auch die Leser der Parteipresse erbauen. Freilich be¬
fand sich in der KPD-Zentrale, die dann wenige Tage später in „Horst- 1
Wessel-Haus" umgetauft wurde, schon seit einiger Zeit kein Kommunist mehr:
bereits am 23. Februar war das „Kommunisten-Nest" von der durch Göring
gleichgeschalteten Politischen Polizei besetzt worden.
12 Weder sie noch der im folgenden Satz erwähnte Jubel werden durch die
Aufnahme belegt.
76
Armen die Fahnen, die Symbole der Bewegung, die jetzt unter den Klän¬
gen des Marsches durch den Saal getragen werden. Immer von neuem
wogt [Begeisterungsrufe im Hintergrund] heller Jubel und hinreißende
Begeisterung über die dichtgedrängten Reihen dahin. Man sieht nur noch
[lauter Heilruf] einen Wald von erhobenen Armen: Arbeiter und Bürger,
Frauen und Männer, hoch und niedrig, alt und jung — alle grüßen das
gleiche Symbol. An der Spitze marschieren Schupo ls -Männer mit einer
neuen Schupo-Hakenkreuzfahne — welch wunderbares, erhebendes Bild!
Die Musik der Schupo-Kapelle hat eingesetzt, ein herrlicher Ausdruck
der von uns erstrebten Volksgemeinschaft! So, wie in dieser Riesenkund¬
gebung alle Standesunterschiede verschwinden, so soll es einmal in unse¬
rem Staat werden.
Da marschieren die Schupo ein: Hunderte, Hunderte von braven
Schupo-Leuten, die sich selbst hier im roten Hamburg 14 zur nationalso¬
zialistischen Idee bekennen, die hinter einem Fahnensymbol, das unser
Symbol ist, marschieren, um den Volkskanzler Adolf Hitler zu grüßen.
Eine Verbindung zwischen Volk und Polizei. Das Wort ist wahr gewor¬
den, das die Marxisten so oft mißbraucht haben: eine Volkspolizei, eine
Polizei, die dazu da ist, die Ruhe und die Ordnung zu beschützen und
dem Volke Diener, Freund und Kamerad zu sein 11 '. — Die Kameraden
Schupoleute können sich durch die gedrängt stehenden Massen kaum
noch einen Weg bahnen. Frauen und Männer schütteln ihnen die Hände.
Sie stehen jetzt im Mittelgang, sie können nicht weiter vorwärts. Der
ganze Saal ist versperrt, eine unendliche Begeisterung wogt über dem
weiten Massenfeld. Alle rufen begeistert den Schupo-Leuten zu. Eine Er¬
kenntnis bricht in den Massen aus: Diese Schupo-Offiziere, diese Schu¬
po-Wachtmeister — es sind unsere Kameraden, die mit uns einstehen
werden für die Freiheit und die Ehre und für das tägliche Brot des arbei¬
tenden Volkes!
Immer noch werden die Banner der jungen Nation durch die Massen
getragen. Es sind wohl sechzig, siebzig blutrote Fahnen mit dem weißen
Feld und dem Hakenkreuz, die gleich Sonnenstrahlen aus dem dunklen
’ s Damals gebräuchliche Abkürzung für die (uniformierte) Schutzpolizei. Was
Goebbels entweder nicht wußte oder nicht weiter erwähnenwert fand: es han¬
delte sich hier nicht etwa um Hamburger Polizei (denn noch regierte ja in der
Hansestadt der alte Senat), sondern um bereits gleichgeschaltete preußische
Polizei aus dem benachbarten Altona. Sogar aus dem mecklenburgischen
Schwerin soll — einer Zeitungsmeldung zufolge — nationalsozialistisch kon¬
trollierte Polizei teilgenommen haben.
14 So ganz „rot" war Hamburg freilich nidit gewesen: bei den Bürgerschafts¬
wahlen vom 24. April 1932 etwa hatte die SPD 30%, die KPD 10% der
gültigen Stimmen erhalten.
15 Offenbar hat eine Polizei es immer nötig, wenn sie sich als „Volkspolizei”
deklariert.
77
Grau der Massenm-, Menschenmassen hervorleuchten. Für diese Ban¬
ner starben Flunderte unserer besten Kameraden. Man kann sich vorstel¬
len, mit welcher inneren Anhänglichkeit und Treue SA- und Parteigenos¬
sen zu diesen Fahnen aufblicken. Auch Sie werden durch den Lautspre¬
cher den Jubel hören, der jetzt diese Banner umbraust, der die braven
Schupo-Leute begrüßt. Jetzt nehmen sie alle mit ihren Fahnen, mit ihren
Wimpeln: SA, SS, Schupo-Leute, Hitler-Jugend, Jungvolk 16 —, jetzt
nehmen sie alle vorn links und rechts vor der Rednertribüne Auf¬
stellung. [Der Redner macht wieder eine längere Pause, während die
Kapelle weiterspielt und im Hintergründe der Begeisterungsjubel zu
hören ist.]
Immer noch marschieren Schupo-Leute, hinter ihnen schließen sich die
Straßenbahner und die Eisenbahner an — ein arbeitendes Volk! Jeder
Beamte fühlt sich als Diener am Volksganzen; jeder macht, ob er hoch
oder niedrig steht, für sich das Wort Friedrichs des Einzigen wahr: Ich
bin nur ein Diener am Staat 17 . Hinter den Schupo-Leuten, hinter den
Eisenbahnern und Straßenbahnen 18 schließen sich die Arbeiter unserer
Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation 1 ' an. Wieder hat die
Musik eingesetzt“ 0 und steigert in aufpeitschenden Märschen die Span¬
nung, mit der die Massen das Eintreffen Adolf Hitlers, des Führers des
deutschen Volkes, erwarten. Unsichtbar steht seine überragende Persön¬
lichkeit über den Hunderttausend. Sie strömt durch Rundfunk und Laut¬
sprecher hinaus, durch ganz Norddeutschland hin. Überall wartet jetzt
das norddeutsche Volk auf den Beginn dieser Riesenkundgebung, die für
alle, die sie miterleben dürfen, unauslöschlich in ihrem Gedächtnis haften
bleiben wird. [Erneute Pause, Musik und Jubelrufe.]
Wieder marschiert eine Gruppe Schupo mit Stahlhelmen auf, ihnen
voran eine Schupo-Musikkapelle. Wieder erhebt sich mitten unter ihnen
die steile Schlange einer roten Hakenkreuzfahne. Die Massen jubeln, sie
haben sich von den Plätzen erhoben, die Frauen stehen auf den Stühlen
— ein einziges wogendes Meer der Begeisterung, der Hingabe, der
Freude und des Jubels. [Erneute Pause.]
16 Die HJ-Organisation für die Zehn- bis Vierzehnjährigen.
17 Un prince est le premier serviteur [magistrat, domestique, ministre] de l'Etat;
von Friedrich II. an verschiedenen Stellen gebraucht.
19 Lies: Straßenbahnern.
>• NSBO, die 1930/31 gegründete NSDAP-Organisation zur Gewinnung der
Arbeiterschaft in den Betrieben. Wegen ihres linken, sozialistischen Trends
wurde die NSBO 1934 de facto aufgelöst, ihre Aufgaben und Zuständigkeit
übernahm die „Deutsche Arbeitsfront" (DAF).
20 Sie hatte gar nicht ausgesetzt. Goebbels hat das Repertoire dessen, was sich so
sagen ließ, nun langsam erschöpft. Er wird unpräzise und wiederholt sich
auch (vgl. etwa zwei Sätze weiter das mißlungene Bild von der durch den
Lautsprecher strömenden Persönlichkeit Hitlers).
78
Da marschieren eben Schupo-Offiziere mit gezücktem Degen vorbei.
Ihnen schließen sich an die Beamten der Zollbehörde, Beamte der
Marine, — in großen Scharen sind sie aus den anderen Sälen herüberge¬
kommen, um an diesem Massenaufmarsch nationalsozialistischer Fahnen
und nationalsozialistischer Männer teilzunehmen. Wer hätte das gedacht
von jenen dreißig unbekannten Männern, die sich im Jahre 1923 in
Hamburg um das Hakenkreuzbanner Adolf Hitlers zusammengefunden
hatten! Wer von ihnen hätte gedacht, daß in wenigen Jahren schon die
Zeit kommen würde, in der aus dieser verlachten kleinen Sekte eine Be¬
wegung entsteht, für die die größten Säle dieser Riesenstadt zu klein
werden, die auf den öffentlichen Plätzen noch Lautsprecher aufstellen
lassen muß, um die Rede ihres Führers all den Volksgenossen zu übermit¬
teln, die ihn hören wollen! Hart war der Kampf, aber jetzt stehen wir
am beglückenden Ziel! Jetzt wird auch über dieser alten Hansestadt das
nationalsozialistische Banner [die Musik hört auf] emporsteigen als Zei¬
chen dafür, daß Hamburg nicht mehr rot ist, daß diese Hansestadt wie
alle anderen deutschen Großstädte und wie das weite deutsche Land dem
Nationalsozialismus gehört. [Pause, im Hindergrund Jubel und Sprech¬
chöre.]
Wer erinnert sich nicht mehr des Blutsonntags in Altona, jenes 17. Juli
1932 [Sprechchöre im Hintergrund], der insgesamt achtzehn Tote for¬
derte 21 . Wie hart der Kampf in Hamburg [Sprechchöre] und in den an¬
geschlossenen Gauen ist, dafür zeugen die unendlich vielen Blutopfer
[erneute Sprechchöre, die Unruhe wächst weiter], die unsere Bewegung
gerade hier im Norden Deutschlands Monat für Monat bringen muß.
Allein in den letzten zwei Tagen haben wir hier wieder drei Tote verlo¬
ren. Aber wir vergessen sie nicht! Nicht jenen Landarbeiter Hermann
Schmidt, den Kommunisten feige erstochen haben, den tapferen SA-
Mann Tischler Otto Streibel, den Kaufmann Karl Radtke, den das
Reichsbanner hinmordete, den Schlächter Martens 22 und sie alle, alle, —
sie sind uns Blutzeugen des aufsteigenden Nationalsozialismus.
" Unter denen sidi allerdings, was bemerkenswert ist, ganze drei National¬
sozialisten befanden. Es war dies der Höhepunkt der blutigen Unruhen jener
Jahre: aus den südlichen Landstrichen Holsteins herangefahrene SA und SS
waren bei einem provozierenden Demonstrationsmarsch durch die Arbeiter¬
viertel Altonas von den Kommunisten beschossen worden: die sich daraus ent¬
wickelnde Straßenschlacht endete erst mit dem Einsatz von Polizei-Panzer¬
wagen. Dem Reichskanzler v. Papen lieferte der „Altonaer Blutsonntag" ein
weiteres Alibi für seinen — eine Woche später inszenierten — Staatsstreich
gegen die preußische Regierung (Altona gehörte damals noch nicht zu
Hamburg).
85 Für diese Angaben gibt es eigentlich nur eine Erklärung: Goebbels muß zwei
Notizzettel verwechselt haben. Es hatte, zwar nicht in den vergangenen zwei
Tagen, aber doch in der Vorwoche, wirklich drei Tote in Hamburg gegeben,
und als der Hamburger Gauleiter nach Goebbels' Reportage (die er ja nidit
79
Mit einem Male ist es still geworden 1 ®. [Die Kapelle intoniert den
Badenweiler Marsch 24 .] Die Menschen recken sich und blicken gespannt
nach dem Eingang. Heilrufe schallen auf. Hunderttausend Kehlen stim¬
men jetzt ein in den Ruf „Heil Hitler!" Adolf Hitler ist eingetroffen!
[Der Sprecher macht wieder eine Pause: Badenweiler Marsch und anhal¬
tende Heilrufe.]
Kleine Hitler-Jungen überreichen ihm Blumen. Die Begeisterung
kennt, wie Sie hören, gar keine Grenzen mehr. Langsam schreitet der
Führer durch die Reihen. Ernst blickt er auf die Massen, die ihn immer
wieder von neuem jubelnd begrüßen, die mit den Händen winken, die
auf die Stühle steigen, die immer von neuem seinen Namen rufen. Sein
Auge dringt durch alle, als wollte er jeden einzelnen unter diesen Massen
heraussuchen und ihn grüßen. [Erneute Pause mit Musik und noch lauter
anschwellenden Heilrufen.] Die Zeit des Beginns der Riesenkundgebung
ist herangekommen. [Wiederum aufbrausende Heilrufe.] In wenigen
Augenblicken werden Sie den Reichskanzler hören. Ich benutze die
Minute, die mir noch zum Sprechen geblieben ist, dazu, um Sie noch ein¬
mal auf das herzlichste zu begrüßen. [Der Sprecher hat ständig gegen
laute Rufe „Heil!", „Sieg-Heil!" anzureden.] Ich grüße Sie alle auf den
Plätzen der Hansestadt Hamburg. Ich grüße Sie auf der steilen Felsenin¬
sel Helgoland [die Musik, zuletzt unter den Heilrufen kaum mehr zu
vernehmen, hört auf], im weiten dithmarschen Lande, im nationalsoziali¬
stischen Oldenburg, in Hannover, in Mecklenburg — Lübeck und in
Braunschweig.
Zu Ihnen spricht ein Mann, der nichts für sich will, der nicht Kanzler
geworden ist des Lohnes und Gehaltes wegen 25 , dessen einziges Streben
hatte hören können) die Versammlung eröffnete und Hitler begrüßte, nannte
er auch deren Namen: den SA-Mann Spangenberg, den Hitler-Jungen Blödker
und den Polizeihauptwachtmeister Kopka. Goebbels' Märtyrer hingegen wa¬
ren weder Hamburger (allerdings immerhin Holsteiner) noch kurz zuvor ge¬
storben, sondern: Seh. und St. am 7. 3. 29 in Wöhrden, R. am 9. 11. 31 in
Eutin und (Martin) M. am 11. 11. 31 in Neumünster.
23 Nach der Aufnahme war eher das Gegenteil der Fall: Unruhe und Bewegung
der „Menschenmassen" steigerten sich noch um einen weiteren Grad.
24 Hitlers Lieblingsmarseh und quasi sein Leitmotiv bzw. seine „Kennmelodie”,
stets gespielt bei seinem Erscheinen auf Kundgebungen usw. Durch eine Po¬
lizeiverordnung vom 17. Mai 1939 ließ Goebbels diese neue Kaiserhymne auch
gesetzlich schützen: der Badenweiler Marsch durfte nur noch „bei Veranstal¬
tungen, an denen der Führer teilnimmt, und nur in seiner Anwesenheit öffent¬
lich gespielt werden".
25 Der — bereits 1932 angekündigte — demonstrative Verzicht auf sein Kanzler-
Gehalt hatte nämlich zu Hitlers ersten Taten im Amt gehört; aus den Tan¬
tiemen seines nunmehr zum Superseller werdenden Buches „Mein Kampf",
für die er sich bald Sceuerbefreiung erkämpfte, konnte er wohl auch jene
wenigen persönlichen Bedürfnisse, für die Staat oder Partei nicht aufkamen,
bequem decken.
80
es vielmehr ist, das Volk wachzurufen, es vom Marxismus zu befreien,
damit die zwei Millionen Helden des Weltkrieges nicht umsonst gefallen
sind. Für seine Überzeugung sind seine besten Kameraden gefallen, für
seine Überzeugung hat er gelitten und gekämpft — viereinhalb Jahre
lang an der Front und vierzehn Jahre unter dem November-System, und
nun ist seine Saat, die er in das deutsche Volk hineinwarf, aufgegangen.
Vor vierzehn Jahren noch ein unbekannter, namenloser Gefreiter des
großen Krieges, heute der Kanzler des deutschen Volkes, der Nachfolger
auf dem Stuhle Bismarcks: das ist Adolf Hitler, das ist unser Führer!
Dieser Mann hat nun das Wort.
NDR Nr. 03—1246 (28' 33"). Der Bericht wurde vom Norddeutschen Rund¬
funk Hamburg ausgestrahlt.
81
Nr. 10
25. 3. 33 — Berlin, Haus des Rundfunks — Ansprache an die Intendan¬
ten und Direktoren der Rundfunkgesellschaften 1 („Die zukünftige
Arbeit und Gestaltung des deutschen Rundfunks")
(Ich glaube, niemand wird bestreiten wollen, daß der große geistige
Durchbruch, der sich am 30. Januar in Deutschland vollzogen hat,
selbstverständlich auch seine Rückwirkungen auf dem Gebiete des Rund¬
funks haben muß. Und es wäre illusionär und schädlich zu glauben, daß
die Methoden des Rundfunks, die bis zum 30. Januar in Deutschland
statthatten, auch in die Zukunft mit hinübergerettet werden könnten.
Die neue Regierung wird Mittel und Wege finden, jede Sabotage rück¬
sichtslos auszuschalten. Wenn ich den politischen Durchbruch auf seinen
einfachsten Nenner bringe, dann möchte ich sagen: Am 30. Januar ist
endgültig die Zeit des Individualismus gestorben.
Die neue Zeit nennt sich nicht umsonst Völkisches Zeitalter. Das Ein¬
zelindividuum wird ersetzt durch die Gemeinschaft des Volkes. Wenn ich
in meiner politischen Betrachtung das Volk in den Mittelpunkt stelle,
dann lautet die nächste Konsequenz daraus, daß alles andere, was nicht
Volk ist, nur Mittel zum Zweck sein kann. Wir haben also in unserer
öffentlichen Betätigung wieder ein Zentrum, einen festen Pol in der Er¬
scheinungen Flucht... das Volk als Ding an sich, das Volk als den Be¬
griff der Unantastbarkeit, dem alles zu dienen und dem sich alles unter¬
zuordnen hat. Ich glaube nicht, daß es dem Rundfunk schaden wird,
wenn wir ihn in diese neue Volksbewegung einschalten. Ganz im Gegen¬
teil, es wird sich hier dasselbe Experiment vollziehen, das sich auf dem
1 Nach der „Gleichschaltung" der Länder in der ersten Märzdekade und der
Annahme des Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag am 23. März hatte
Goebbels — seit dem 13. März „Reichsminister für Volksaufklärung und Pro¬
paganda" — die Leiter der deutschen Rundfunksender zum Rapport bestellt,
um sie mittels einer raffinierten Mixtur von Verlockungen und Drohungen ge¬
fügig zu machen oder aber, wo das nicht ging, zum freiwilligen Rücktritt zu
veranlassen.
82
Gebiet der freien Kunst vollzogen hat. Wie das bei allen Zeitaltern der
Fall war, so auch beim Liberalismus. Die Schlußetappen waren schon
vollkommen vergreist und in sich erstorben. Wir sahen in den letzten
Jahren nur noch die fast grotesk anmutenden Orgien des Liberalismus,
eine Kunst, die mit dem Volk eigentlich gar nichts mehr zu tun hat, ge¬
kauft und hingenommen lediglich von einer ganz kleinen Oberschicht. Es
war selbstverständlich, daß diese Entwicklung am Volk nicht spurlos
vorübergehen konnte. So wie die Kunst das Volk verließ, so hat das
Volk die Kunst verlassen. Der plastischste Ausdruck dieses Zustandes ist
die Parole l'art pour l'art: die Kunst für die Kunst.)
... Ob die Betätigung des Geldes dem Volke nützt oder schadet, das
war nach Ansicht der Geldmänner vollkommen gleichgültig, ausschlag¬
gebend war nur, ob es dem Gelde dient. Und es bestand nun die dro¬
hende Gefahr, daß dieser aberwitzige Standpunkt nun auch im Rund¬
funk Einzug nimmt. Der Rundfunk für den Rundfunk, — ein Stand¬
punkt, der gar nicht scharf genug zurückgewiesen werden kann. Eine
Rundfunkbetätigung, die am Ende dann nur einen ganz kleinen Teil in¬
teressiert hätte. Mit anderen Worten: Den Männern des öffentlichen
Lebens waren Dinge in die Hand gegeben, die nur aus der Wurzelhaftig-
keit des Volkes ihre ewige Nahrung ziehen konnten, und sie verwalteten
diese Dinge nun ohne Rücksichtnahme auf das Volk selbst, als wenn das
Volk gar nicht dagewesen wäre. Es ist selbstverständlich, daß auf die
Dauer das Volk nun mit dem Empfinden erfüllt werden mußte: Ich
stehe allein. Die Männer da oben, die das Volk nicht mehr verstand, zu
denen es kein Verhältnis mehr hatte, die es deshalb auch nicht mehr
liebte oder verehrte, die es nach und nach als ein notwendiges, unver¬
meidbares Übel ansah, mit dem man sich abfinden mußte, und die es
dann auf die Dauer mit einem grimmigen und verbissenen Haß zu ver¬
achten begann.
So hat der Sturz des Systems angefangen. Und das, was wir seit dem
30. Januar in Deutschland erlebt haben, das sind nur die unabwendbaren
und zwangsläufigen machtpolitischen Folgen dieses geistigen Zustandes.
Man soll doch nicht so naiv sein zu glauben, daß Revolutionen von un¬
gefähr kämen! Und man soll doch nicht so töricht sein zu meinen, daß,
wenn ein Volk am 9. November 1918 Männer auf die Throne hebt und
sie nach vierzehn Jahren von den Thronen wieder herunterjagt, — daß
das keine Ursache und keinen Grund gehabt hätte. Man halte sich nicht
für so erhaben über dem Volke! Ich stehe immer noch auf dem Stand¬
punkt des [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] bekannten eng¬
lischen Sprichwortes: Das Volk ist am Ende immer noch klüger als seine
Regierung. Auch in diesem Falle. Das Volk hat das Empfinden gehabt:
Die Regierung gehört nicht mehr zu mir, ich habe mit dieser Regierung
83
nichts mehr zu tuen. Und deshalb hat das Volk sein Herz und seine
Sympathie den Männern der Opposition gegeben. Und nun vollzog sich
in vierzehn Jahren in Deutschland ein politisch-historisches Wunder, in¬
dem nämlich innerhalb der Opposition sich allmählich all die Gesetze
schon herauskristallisierten, nach denen die Opposition den neuen Staat
aufbauen wollte. So daß also in dem Augenblick, in dem das alte System
fiel, nicht etwa ein luftleerer Raum entstand, sondern die Opposition in
diesen Raum mit eigener Gesetzlichkeit schon einrücken konnte. Das ist
ein Phänomen, wie wir es in dieser Präzision und in dieser kristallenen
Klarheit in der deutschen Geschichte noch niemals gesehen haben. Und
deshalb auch die unvorstellbaren Folgen, die aus diesem Phänomen ent¬
sprossen sind. Menschen, die uns bis zum 30. Januar noch nicht verstan¬
den oder gekannt hatten, — die stehen ratlos vor dieser Entwicklung, die
sie sich gar nicht vorstellen können. Menschen aber, die den geheimen
Rhythmus dieser nationalen Erneuerungsbewegung vierzehn Jahre schon
in sich selbst verspürten, — die sehen in diesem Vollzug nur eine
Zwangsläufigkeit, die gekommen ist, weil sie kommen mußte.
Es haben sich nun in diesen vierzehn Jahren in Deutschland Dinge ab¬
gespielt, die — davon bin ich fest überzeugt — in zwanzig, dreißig Jah¬
ren in der deutschen Zukunft nur noch Kopfschütteln erregen werden,
— Dinge, die wir in der Psychose des November hingenommen haben,
über die die Wissenden im Lande traurig und betrübt und erschüttert
waren, die das Volk aber hinnahm, ohne vielleicht sich viele Gedanken
darüber zu machen, Dinge auf dem Gebiet der Politik, der Kunst, des
Theaters, der Presse, auch des Rundfunks, die, würde man sie nach
zwanzig Jahren noch einmal archivarisch zusammenstellen, . . . unver¬
ständlich . . , 2 : eine Geistigkeit, die eigentlich gar keine Geistigkeit mehr
war, die Geistigkeit des Asphalts, losgelöst von jeder verantwortlichen
Bindung. Eine Geistigkeit, die auch mit dem Volke gar nichts mehr zu
tuen hatte, die sich betätigte, als wenn sie alleine dagewesen wäre und
ein Volk überhaupt nicht existierte. So wurde der Rundfunk, so wurde
die Presse, so wurde das Kino, so wurde das Theater eine Tenne für die
geistigen Ausschwitzungen eines vollkommen wurzellos gewordenen As-
phalt-Nomadentums, das seine geistigen Produkte dem Volke aufzwang
und dessen geistigen Produkte das Volk hinnahm mangels Besserem und
weil das Volk unter der Psychose des November überhaupt die Begriffe
für geistig und ungeistig, für groß und klein, für wertvoll und wertlos
vollkommen verloren hatte.
In dieser Geistigkeit des Asphalts nun tobte sich der Pöbelinstinkt aus,
— der Pöbelinstinkt allerminderwertigster Sorte. Alle großen Ideale, die
* Dieser Satzteil, vom Redner halb verschluckt, ist nicht zu verstehen.
84
es in Deutschland gab, wurden in den Kot getreten, verzerrt, wurden mit
Schmutz beworfen, wurden dem Volke schlechtgemacht. So wurden dem
Volke seine Ideale genommen, es sollte nicht mehr an Großes, nicht mehr
an Kühnes, nicht mehr an Heroisches, nicht mehr an Gewaltiges glauben.
Nicht ohne Gtund haben das die Männer des November getan, denn sie
wußten sehr wohl: solange das Volk noch eine Vergleichsmöglichkeit
zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart hatte, mußten sie jäm¬
merlich vor diesem Vergleich versagen. Weil die Gegenwart seit 1918 so
sagenhaft klein war, darum mußte die größere Vergangenheit aus dem
Blickfeld des Volkes herausgenommen werden, mußten dem Volke alle
großen Erinnerungen weggelogen werden, damit es, schwelgend in diesen
großen Erinnerungen, nicht die Furchtbarkeit der Gegenwart erkennen
könnte.
Ich bin der Überzeugung: Wenn die nationale Erneuerungsbewegung
in diesen Jahren nicht aus der Opposition herausgewachsen wäre, dann
hätten wir in Deutschland heute einen Zustand, der unbeschreiblich
wäre. Deutschland wäre allmählich verschweizert worden, ein Volk von
Hotelportiers und sich bückenden Kellnern, ein Volk, das überhaupt kei¬
nen politischen Sinn mehr besäße und jeden Blick für historische Bedeut¬
samkeit vollends verloren hätte. Und das ist nun das politische Wunder,
das sich in Deutschland vollzogen hat: daß in all diesen Verwirrungen
und Verirrungen eine junge Idee hochstieg und sich in einer neuen Orga¬
nisation auch schon ihre eigene Gesetzlichkeit schuf. Diese Idee und diese
Bewegung hat den Staat erobert. Wir sind heute die Herren von
Deutschland, und an dieser Tatsache wird nichts mehr geändert. Und es
ist selbstverständlich, daß die Gesetzlichkeit, die diese Idee und die diese
Organisation vierzehn Jahre in der Opposition erfüllte, — daß die in
den neuen Staat mitgenommen wird. Oder besser noch gesagt: daß sie
die tragende Trassis' des neuen Staates abgeben muß. Der Geist der
pöbelhaften, individualistischen Massenanbetung 4 wird ersetzt durch den
Geist eines neuen Heroismus, — eines Heroismus, der sich durchge¬
kämpft hat in den Fabriken, in den Straßen, in den Städten, in den Pro¬
vinzen, in den Ländern, im ganzen Reich und der nun Kommunen, Län¬
der und das Reich in seiner Hand hat.
Dieser Geist wird auch in den Häusern des Rundfunks Einzug halten,
und es wäre nun naiv zu glauben, daß irgendein Mensch die Kraft oder
die Möglichkeit hätte, sich dem zu widersetzen, — zu glauben, er könne
das sabotieren oder durch kleine Ranküne aufhalten oder behindern. Das
kommt mir so vor, als wenn ein Steinchen auf der abgleitenden Berg-
* So deutlich zu hören, evtl. Verwechslung mit „Basis".
4 Ein hübsches Beispiel für sinnlos aneinandergereihte Schlagwörter.
85
bahn eine Lawine aufhalten wollte, — ein kindliches, naives Unterfan¬
gen, ein zweckloser Versuch am untauglichen Objekt. Ich würde deshalb
schon von vornherein wünschen mögen, daß jeder, der uns innerlich noch
nicht hundertprozentig verstanden hat. dann, wenn er seinem Gefühl
nicht folgt, wenigstens dem Gebot der Klugheit zu folgen, denn er kann
nichts daran ändern, das ist so und das bleibt so. Und so, wie sich die
geistige Revolution auf dem Gebiet der Politik schon durchgesetzt hat,
so, wie sie sich demnächst auf dem Gebiet der Wirtschaft durchsetzen
wird, so, wie das Kulturleben durchtränken muß, — so wird sie auch die
Rundfunkhäuser erobern.
In den vergangenen vierzehn Jahren hat der Rundfunk vielfach her¬
umexperimentiert, teils mit Erfolg, teils ohne Erfolg. Das war auch not¬
wendig, denn die vergangenen vierzehn Jahre boten ihm ja keinen Hal¬
tepunkt. Ich kann die schwierige Lage, in der Sie, meine Herren, sich in
diesen Jahren befunden haben, durchaus verstehen. Es war ja keine
Regierung da, zu der Sie aufblickten. Sie konnten ja nicht als freie Män¬
ner einem freien Volke dienen. Sie durften ja nicht sagen, wie Sie dachten
und wie Sie empfanden und was Sie über die Dinge nun glaubten. Sie
mußten sich fügen, — allerdings: Es kommt nun darauf an, in welcher
Art und Weise man sich gefügt hat. Ob man zähneknirschend das tat,
was nun einmal Gebot war, oder ob man sich nun zum Fahnenträger des
Novembergeistes machte. Und da bin ich nun der Meinung: Wenn einer
Fahnenträger der vergangenen vierzehn Jahre gewesen ist, dann kann er
nicht Fahnenträger der kommenden Jahrzehnte sein. Denn diese beiden
Weltanschauungen stehen sich so diametral gegenüber, daß eine Versöh¬
nung zwischen ihnen überhaupt unmöglich ist. Ich glaube auch nicht,
daß wir weiterhin im Rundfunk von den blassen Theorien leben können,
die Sie in den vergangenen vierzehn Jahren gepflegt haben. Denn ein
Volk wird auf die Dauer durch Theorien nicht satt, — das hat ja der
Marxismus bewiesen. Wir müssen wieder an die Stelle der blassen Theo¬
rie ein blutvolles Ideal stellen. Und müssen nun den Versuch machen, mit
diesem Ideal das ganze Volk — nicht nur in den 52 Prozent, die wir
schon erobert haben, sondern in den 48 Prozent, die wir noch erobern
müssen — allmählich zu durchtränken. Und ich habe nun an Sie, meine
Herren, eine Bitte: Wenn Sie uns nicht verstehen wollen oder uns nicht
verstehen können, dann hielte ich es für anständiger, wenn Sie von uns
gingen. Denn ich glaube, es ist nicht deutscher Männer Art, nur des Bro¬
tes und des Verdienstes wegen zu dienen. Ich möchte auch nicht Men¬
schen im Rundfunk beschäftigt wissen, die nur geduckt und mit Wider¬
willen und ohne Freude an der Arbeit ihren Dienst versehen. Denn ich
glaube, der Rundfunk ist eine Sache, an der man sich erfreuen kann, und
ich vermag Ihnen zu sagen: Ich komme nicht als Laie oder nicht als in-
86
nerlich gegen den Rundfunk eingestellter unmoderner Mensch zu Ihnen,
sondern so, wie ich ein leidenschaftlicher Liebhaber der Presse bin und
ein leidenschaftlicher Liebhaber des Theaters, so bin ich ein leidenschaft¬
licher Liebhaber des Rundfunks. Allerdings muß der Rundfunk dann
auch so sein, daß er jeder Kritik standhält. Das heißt: er muß geistig,
willensmäßig und technisch auf einer Höhe stehen, die der Höhe, die das
deutsche Volk allgemein einnimmt, ebenbürtig ist.
Ich muß hier gleich eine Frage anschneiden, die in den vergangenen
Wochen die rundfunkpolitische Öffentlichkeit sehr interessiert und be¬
schäftigt hat und die, bevor man überhaupt an die Einzelheiten unserer
Auseinandersetzung kommen kann, geklärt werden muß. Ich bin nicht
der Meinung, die ein jüdischer Richter hier in Berlin bei einem Prozeß
vertreten hat: daß der Rundfunk ein tendenziöser Betrieb sei. Das ist ein
Unfug an sich, es gibt überhaupt nichts ohne Tendenz. Das Prinzip einer
absoluten Objektivität erfunden zu haben, das ist das Vorrecht deutscher
Universitätsprofessoren. Und ich glaube nicht, daß Universitätsprofesso¬
ren Geschichte machen, sondern dazu muß das deutsche Volk sich schon
andere Männer aussuchen. Ich bin auch nicht der Meinung, daß der
Rundfunk keine Absicht verfolgte, — auch nicht der Meinung, daß er in
den vergangenen vierzehn Jahren keine Absicht verfolgt hätte. Nur eins
unterscheidet uns davon: in den vergangenen vierzehn Jahren war man
zu feige zu sagen, welche Tendenz man verfolgte, während wir offen
und ehrlich genug sind zu sagen: Das wollen wir! Was man in den ver¬
gangenen vierzehn Jahren für die Idee des November versteckt tat, das
tuen wir heute für die Idee der nationalen Revolution offen, ohne jede
Schminke und ohne jede Einschränkung. Wir machen gar keinen Hehl
daraus: Der Rundfunk gehört uns, niemandem sonst! Und den Rundfunk
werden wir in den Dienst unserer Idee stellen, und [der Redner klopft
auf das Pult] keine andere Idee soll hier zu Worte kommen. Und wenn
wir [fortgesetztes Hämmern auf dem Pult] eine andere Idee zu Worte
kommen lassen, dann höchstens darum, um den Unterschied zu unserer
Idee zu zeigen. Zu glauben, daß wieder einmal eine Zeit kommen
könnte, wo man allen Parteien, von der Sozialdemokratischen Partei bis
zu den Nationalsozialisten, nun Gelegenheit gäbe, am Rundfunk ihre
sogenannten Ideen an das Volk zu bringen, das ist kindlich. Ich halte es
auch nicht für einen Idealzustand, daß in Deutschland zwanzig Parteien
existierten. — eine ist vollkommen genug. Ich glaube auch nicht, daß es
dem Volke nützlich ist, sondern ich bin der Meinung, es würde dem
deutschen Volke nur dienlich sein, wenn die noch überschießenden 48
Prozent, die in anderen Parteien sich organisiert 5 haben, nun zu unserer
In Parteien „organisiert" waren von diesen 48 Prozent der deutschen Wähler,
87
Bewegung stießen. Und ich bin der Überzeugung, dann würde schon die
erste Voraussetzung einer machtpolitischen Betätigung Deutschlands
auch nach außen bereits geschaffen sein.
Es gibt auch keine Kunst ohne Tendenz. Kindisch zu glauben, daß in
einer Zeit, in der sich revolutionäre Umwälzungen abspielen von dem
Umfang wie die jetzige, — daß dann etwas dem neutral gegenüberstehen
könnte: Ich bin nicht dafür und ich bin nicht dawider, und der Rund¬
funk hat die Aufgabe, über den Dingen zu stehen. Ja, meine Herren,
dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn das Volk mit einem solchen
Rundfunk nichts mehr zu tuen haben will. Ich bin der festen Überzeu¬
gung: Wenn wir Männer der nationalen Regierung so unvernünftig ge¬
wesen wären, den Rundfunk aus diesem Rhythmus der Zeit auszuschal¬
ten, es hätte sich am Rundfunk genau dasselbe vollzogen, was sich in den
Museen und was sich in den Theatern vollzogen hat. Die Museen werden
leer, weil man keine Bilder mehr sieht, die den Ausdruck der Zeit ver¬
körpern. Die Theater werden leer, weil auf den Bühnen der Theater
Stoffe abgehandelt werden, die man vor dreißig, vierzig Jahren abhan¬
deln könnte, und daß die Theaterleiter sagen: Wir haben keine Dramen,
— während sich draußen auf den Straßen in jeder Stunde die politischen
Dramen abspielen.
Und wir werden das nicht dulden, daß die Dinge, die nun einmal dem
Staat gehören, vom Dienst am Volke ausgeschaltet werden. Das gibt es
nicht, sondern das Volk hat ein Anrecht auf den Rundfunk. Und das
Volk hat auch ein Anrecht darauf zu erfahren: Wie geht es in Deutsch¬
land zu, was tut unsere Regierung, was tuen unsere Minister, wie ist der
geistige Querschnitt des Zeitalters, der kulturelle Querschnitt, was pas¬
siert in der Wirtschaft, was passiert im öffentlichen Leben?, — kurz und
gut: Der Rundfunk hat die Pflicht, aktuell zu sein und darf dabei vor
nichts zurückschrecken. Wenn man Phantasie besitzt, dann wird man
schon das Experiment fertigbringen, Aktualität zu produzieren, ohne
langweilig zu werden. Ich glaube nicht, daß die Reden des Reichskanz¬
lers Hitler so viele Menschen veranlaßt haben, den Lautsprecher abzu¬
stellen, wie die Reden des Reichskanzlers v. Schleicher oder die Reden
des Reichskanzlers Brüning'. Es kommt da auch drauf an, wie man
etwas macht, nicht nur, was man macht. Und es kommt vor allem dar¬
auf an, die Dinge richtig zu dosieren. Ich kann eben den Kaviar nicht in
Eimern servieren, und ich kann eben auch nicht Regierungsmanifestatio-
dic bei der Reichstagswahl am 5. März weder für die NSDAP (43,9*/») noch
für die DNVP (8%>) gestimmt hatten, natürlich nur die wenigsten.
• Papen, chronologisch zwischen Schleidler und Brüning einzuordnen und gewiß
kein mit größerer Begeisterung gehörter Redner als diese, wird — nunmehr
Hitlers Wegbereiter, Bundesgenosse und Vizekanzler — hier taktvoll über¬
gangen.
88
nen in Massen produzieren und jeden Tag den Hörer damit bombardie¬
ren, sondern das muß dann richtig dosiert und richtig aufgebracht wer¬
den. Wenn ich nun nach der Tendenz fragte, die wir in der nationalen
Regierung verfolgen, so kann ich sie auf eine ganz einfache Formel brin¬
gen: Wir haben die Absicht, in einer vierjährigen Arbeit 7 Deutschland
allmählich von den Fesseln zu lockern, die es innen- und außenpolitisch
umschlungen halten. Das ist unsere Tendenz, unsere Absicht, unser Ziel.
Und es wäre geradezu dumm und kurzsichtig zu glauben, daß das ein
parteipolitisches Ziel wäre.
Ich kann immer nur lächeln, wenn man in neuen Konversationslexiken
unter „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" liest: Die Partei
hat sich zum Ziel gesetzt, den Versailler Vertrag zu stürzen und den
Marxismus zu beseitigen — als wenn das so ein Parteiziel wäre, ein Ziel,
über das man diskutieren kann: die eine Partei ist dafür, die andere Par¬
tei ist dawider, die eine sagt ja, die andere sagt nein. Das ist ein Ziel, das
die ganze Nation angeht. Es hat gar nichts mehr mit Parteipolitik zu
tuen. Im übrigen ist in diesem Sinn die nationalsozialistische Bewegung
überhaupt keine Partei, sondern sie ist die Auffangstation für das ganze
Volk. Wenn ich also sage: Auch der Rundfunk hat seine Tendenz, —
dann will ich damit zum Ausdruck bringen: Der Rundfunk hat sich der
Zielsetzung, die sich die Regierung der nationalen Revolution gestellt
hat, ein- und unterzuordnen! Die Weisungen dazu gibt die Regierung!
Sie brauchen keine Angst zu haben, daß wir das kurzsichtig täten, denn
es sind ja keine Banausen, die am 30. Januar die Macht erobert haben,
sondern Männer, die ein ebenso großes Herz für die Kunst wie für die
Kultur wie für den Rundfunk wie für das Theater haben wie etwa für
die Politik.
Diese geistige Mobilmachung, die wir mit den Mitteln der öffentlichen
Aufklärung betreiben wollen, ist eine der Hauptaufgaben des Rundfunks.
Zu diesem Zweck ist auch das neue Ministerium gebildet worden. Glau¬
ben Sie nicht, meine Herren, daß dieses Ministerium gebildet worden ist,
um ein neues Ministerium zu bilden oder aus der Not des Augenblicks
heraus, sondern ich kann Ihnen im Vertrauen verraten, daß die Prinzi¬
pien dieses Ministeriums bei uns schon seit vier, fünf Jahren im Schreib¬
tisch liegen. Der Nationalsozialismus tut nichts Unbedachtes, sondern
alles das, was er heute vollzieht, das ist von langer Hand vorbereitet.
Und wenn in diesem Ministerium im Augenblick noch nicht all die Dinge
vereinigt sind, die eigentlich zu dem Ministerium gehören, so werden wir
7 „Gebt uns vier Jahre Zeit", hatten Hitler und seine Partei bescheiden ge¬
fordert, — nur war das, als 1937 dann jene vier Jahre vergangen waren, so gut
wie in Vergessenheit geraten: lediglich die nunmehrige parlamentarische Ma¬
schinerie für einstimmige Vertrauensvoten verlängerte pro forma.
die schon zusammenbringen 8 . Das Ministerium hat die Aufgabe, in
Deutschland eine geistige Mobilmachung zu vollziehen. Es ist also auf
dem Gebiet des Geistes dasselbe, was das Wehrministerium auf dem Ge¬
biet der Wache ist. Deshalb wird dieses Ministerium auch Geld beanspru¬
chen, wird auch Geld bekommen, denn das sieht jetzt jedermann in der
Regierung ein: daß die geistige Mobilmachung ebenso nötig, vielleicht
noch nötiger ist als die materielle Wehrhaftmachung des Volkes. Beweis:
Wir waren 1914 materiell wehrhaft gemacht wie kein anderes Volk, —
was uns fehlte, das war die die materielle Wehrhaftmachung grundie¬
rende geistige Mobilmachung im Lande und in den anderen Ländern.
Wir haben nicht den Krieg verloren, weil unsere Kanonen versagt hät¬
ten, sondern weil unsere geistigen Gewehre nicht schössen. Weil man
Männer mit der Aufklärung der Welt über Deutschland beschäftigt hat,
die davon gar nichts verstanden. Weil man glaubte, das könnte irgendein
Geheimrat machen, ohne damit innere Verbindlichkeit zur Zeit selbst zu
haben. Nein, das müssen Männer machen, die aus dem Volke hervorge¬
gangen sind und die das Volk verstehen. Denn das Volk ist nicht so
dumm, wie man glaubt. Das Volk hat nicht die Gabe, das, was es denkt,
geschickt und gescheit auszudrücken, — aber das, was es denkt, das ist
meistens sehr gescheit. Man muß sich deshalb davor hüten, das Volk be¬
lehren zu wollen; darauf wird das Volk immer sehr sauer reagieren.
Ich glaube, wenn ich in diesem Zusammenhang öfter auf diese Lragen
zu sprechen komme, ich kann wohl sagen, daß wir das Volk verstehen,
denn nicht umsonst haben wir siebzehn Millionen in der Opposition aus
diesem Volk herausgeholt. Und wenn wir siebzehn Millionen zusammen¬
brachten, so ist das nur deshalb zu erklären, weil wir die Sprache des
Volkes verstanden. Wir haben das Volk in seiner Sprache angeredet und
haben ihm vor allem die Probleme klargemacht, die das Volk wissen
mußte, um überhaupt eine Gewißheit über die Lage zu bekommen. Es ist
nun grundsätzlich falsch zu glauben: Es gibt Dinge, die kann man dem
Volk nicht erklären. Es gibt gar nichts, was man dem Volk nicht erklären
könnte. Ich habe diesen Satz so oft in den vergangenen Jahren gehört, als
wir noch in der Opposition standen. Er hat einmal seinen furchtbarsten
8 Als Neuling mußte sich Goebbels natürlich große Teile seiner Kompetenzen
erst erkämpfen, manchmal gegen den erbitterten Widerstand derer, denen sie
weggenommen wurden, — auch unter aufrechten und Gehorsam gewohnten
Nationalsozialisten war die Zusammenstückelung eines neuen Ressorts kein
Kinderspiel. Betroffen waren auf dem staatlichen Sektor in erster Linie das
Innenministerium und die Kultusministerien der Länder, aber etwa auch — we¬
gen der Auslandspropaganda — das Auswärtige Amt, in der Partei der Chef¬
ideologe Rosenberg und die beiden für Presseangelegenheiten zuständigen
NSDAP-Reichsleiter Amann und Dr. Dietrich. Zum Teil mußte sich Goebbels
mit Kompromissen begnügen, hier und da (etwa hinsichtlich der Wissenschaft)
blieben seine Bemühungen auch völlig erfolglos.
90
Ausdruck gefunden in jenem noch furchtbarem Wort des Reichsaußen¬
ministers Curtius 9 , der von der Tribüne des Reichstags herunter sagte:
Der Young-Plan ist so kompliziert, daß das Volk ihn gar nicht verstehen
kann. Ja, dann darf man sich nicht wundern, wenn das Volk den Young-
Plan nicht bezahlen will! Ich bezahle doch am Ende nichts, was ich nicht
verstehen kann!
So ist das mit allen Problemen der Wirtschaft, der Kultur, der Politik,
überhaupt der Weltanschauung. Daß das Volk die Dinge verstehen kann,
das ist ja in unserer Propaganda bewiesen worden. Es hat in den vergan¬
genen vierzehn Jahren keine Frage gegeben, die die deutsche Öffentlich¬
keit bewegte, die wir dem Volk nicht klargemacht hätten. Allerdings
muß man dann die Kunst verstehen, komplizierte Tatbestände zu ent-
komplizieren, zu vereinfachen, zu primitivisieren, sie auf das allerein¬
fachste Maß wieder zurückzuführen und im einfachsten Maße auch wie¬
der dem Volk vor Augen zu geben. So ist das auch beim Rundfunk. Der
Rundfunk ist nicht dazu da, geistige Experimentiertänze aufzuführen.
Der Rundfunk ist auch nicht dazu da, dem Volke die Entwicklung selbst
zu zeigen, sondern [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] das Volk
will die Resultate sehen. Ich kann nicht sagen [der Redner klopft wieder
längere Zeit]: Ja, damit müssen wir einmal das Volk vertraut machen,
vielleicht gibt es etwas, vielleicht gibt es nichts. Das bringt im Volke nur
eine Unsicherheit zuwege. Und das Volk will etwas, woran es sich an¬
klammern kann. Das Volk hat auch das Recht dazu. Wenn das Volk
selbst die Möglichkeit hätte, zwischen dem und dem und dem und dem
zu wählen, und wenn das Volk selbst die Kraft und die Fähigkeit be¬
säße, das Richtige zu wählen, dann brauchten wir ja gar keine Führung
zu haben, dann wird das Volk ja aus sich heraus immer das Richtige
tuen. Das ist ja auch der Sinn einer Organisation: all die verschieden ge¬
richteten Tendenzen im Volke nun zusammenzuschweißen und sie auf
einen einheitlichen Nenner zu bringen. Und das, was sich nun organisa¬
torisch draußen in den Volksbewegungen vollzieht, davon kann doch der
Rundfunk nicht etwa kenntnislos bleiben, sondern das muß sich auch auf
dem Gebiet des Rundfunks vollziehen. Der Rundfunk ist keine Spielerei,
sondern eine außerordentlich ernste Angelegenheit. Ernst heute, und viel¬
leicht noch viel ernster morgen. Ich halte den Rundfunk für das allermo¬
dernste und für das allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument, das
es überhaupt gibt. Ich bin auch der Meinung, daß — man soll das nicht
laut sagen —, ich bin der Meinung, daß der Rundfunk auf die Dauer die
Zeitung verdrängen wird. Ich bin der Meinung, daß der Rundfunk auf
die Dauer überhaupt das Volk an allen öffentlichen Angelegenheiten
9 Julius C. (DVP), als Nachfolger Stresemanns Reithsaußenminister vom Ok¬
tober 1929 bis Oktober 1931.
91
teilnehmen läßt, daß es im Volksdasein überhaupt keinen großen Vor¬
gang mehr geben wird, der sich auf zwei-, dreihundert Menschen be¬
grenzt, sondern daß daran eben das Volk in seiner Gesamtheit teilneh¬
men muß.
Und sehen Sie, meine Herren, darin sehe ich die wahre Demokratie.
Das ist keine Demokratie im deutschen Sinne: daß sich die Männer, die
vom Volk erwählt werden, nun zu Drei- oder Vier- oder Fünfhundert in
einem schlecht gelüfteten Saal versammeln und daß. wenn das Volk nur
seine Männer einmal anschauen will, es draußen mit dem Gummiknüppel
verprügelt wird. Unter Demokratie verstehe ich eine Regierungsform,
die zwar von einzelnen betrieben wird, an der aber das Volk in seiner
Gesamtheit innersten Anteil nimmt. Das ist auch in den alten Demokra¬
tien in Athen und in Rom der Fall gewesen. Man muß sich heute nur
vorstellen, daß Athen ein Theater baute, in dem der ganze athenische
Staat Platz nehmen konnte. Vergleichen Sie damit das, was wir in den
vergangenen vierzehn Jahren getan hatten: Wir machten ein Volk mün¬
dig, und erst wir mußten kommen, um die Notwendigkeit nachzuweisen,
daß das Volk nicht einmal Gelegenheit hatte, sich überhaupt unter be¬
dachten Räumen zu versammeln, daß es keine Hallen, keine Paläste,
keine Versammlungsräume gab, in denen, wenn das Volk wirklich mobi¬
lisiert war, das Volk überhaupt Zusammenkommen konnte! Haben Sie
jemals von der Sozialdemokratischen Partei gehört: Wir haben keine
Säle, wir haben keine Hallen. Nein, diesen Notschrei mußten wir erst
aufbringen, — wir, die antidemokratische Partei. Die Partei, die angeb¬
lich gegen das Volk wäre. So ist es nun auch beim Rundfunk. Die wirk¬
liche Durchtränkung des Volkes mit den geistigen Inhalten unserer Zeit
und die Herstellung einer wirklichen Teilnahme der breiten Masse an
dem, was sich heute in Deutschland historisch vollzieht, — das alles zu
bewerkstelligen, das ist eine der Hauptaufgaben der rundfunkpolitischen
Betätigung, der wir in Zukunft gemeinsam zu dienen haben.
Wir Nationalsozialisten haben nun im Jahre 1919 in Deutschland
einen Zustand vorgefunden, der grauenerregend war. Ein Volk war
praktisch gar nicht mehr vorhanden, sondern nur noch Parteien und
Sonderorganisationen. Wenn wir Nationalsozialisten damals die Parole
aufstellten, das Volk zu sammeln, so war es von vornherein klar, daß
wir uns nicht auf zwanzig oder dreißig oder vierzig Prozent des Volkes
begrenzen lassen konnten, sondern daß wir das Volk als Volk sammeln
mußten. Wir haben deshalb auch immer nur ein Lächeln gehabt, wenn die
gegnerischen Zeitungen schrieben: Jetzt ist aber das Auffassungsver¬
mögen der Bewegung erschöpft; 33 Prozent billigen wir ihnen zu. Dann
demnächst: Nur 35 Prozent, 37 Prozent. Nein, nicht 37, nicht 42, nicht
45, nicht 48, — hundert Prozent etwa. Und dazu ist der erste Helfer der
92
Rundfunk. Der Rundfunk muß uns diese hundert Prozent zusammen¬
trommeln. Und haben wir sie einmal, muß der Rundfunk uns diese
hundert Prozent halten, muß 'sie verteidigen, muß sie so innerlich durch¬
tränken mit dem geistigen Inhalt unserer Zeit, daß überhaupt niemand
mehr ausbrechen kann.
Damit ist der Rundfunk wirklicher Dienst am Volk, ein Mittel zum
Zweck, und zwar zu einem sehr hohen und idealen Zweck, — ein Mittel
zur Vereinheitlichung des deutschen Volkes in Nord und West und Süd
und Ost, zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Proletariern
und Bürgern und Bauern. Sie, meine Herren, sprechen zum Volk. Sie
können nicht sagen: Heute abend reden wir zu den Arbeitern und mor¬
gen reden wir zu den Bauern und übermorgen reden wir zu den Katholi¬
ken und am nächsten Tage zu den Protestanten, — wenn Sie sprechen,
sitzt das Volk am Lautsprecher. Und deshalb dürfen Sie auch immer nur
zum Volk sprechen, zum Volk in seiner Gesamtheit. Und ich bin der
Überzeugung: Wenn Sie diese Aufgabe einmal in ihrer Tiefe verstanden
haben, dann wird der Rundfunk ganz von selbst, schon aus der Notwen¬
digkeit heraus, aus Angst, sich zu isolieren, die Ausdrucks- und Kunst¬
formen finden, die dem Zuhörer und die der Produktion entsprechen.
Denn ich bin der Überzeugung: Auch der Rundfunk hat seine eigene
Kunst und hat seine eigene Kulturform. Man soll nicht glauben, man
könne einfach das. was sonst im geistigen Leben sich vollzieht, einfach
auf den Rundfunk übertragen. Das haben wir am eigenen Leibe zu ver¬
spüren bekommen, — wir, die wir, als wir zum erstenmal an den Rund¬
funk herangelassen wurden, glaubten, man brauche nun nur das Podium
in der Massenversammlung zu verlassen und sich vor das Mikrophon zu
stellen, — ein fundamentaler Irrtum. Eine Massenversammlung ist etwas
anderes als eine Rundfunkhörerschaft. Das wird auch jeder Schauspieler
erfahren haben, der nun die Bühne verließ, um vom Rundfunkhaus aus
zu sprechen. Das wird jeder Orchesterdirigent am eigenen Leibe verspürt
haben, denn viel erbarmungsloser als die lebendige Zuhörerschaft, die
man vor Augen hat, ist das tote Material, viel erbarmungsloser das
Mikrophon, daß so ungeschminkt wie ein fotografischer Apparat das
wiedergibt, was ist, und nicht das, was sein möchte.
Und nun, meine Herren, möchte ich Ihnen in ganz kurzen Zügen die
Grundprinzipien vor Augen stellen, die meiner Ansicht nach Vorausset¬
zungen sind, um zu einer wirklich generellen Umstellung des deutschen
Rundfunks zu kommen. Ich habe das schon vor der Presse betont 10 und
10 Goebbels ging seine Massenmedien der Reihe nach durch: mit den Presse¬
leuten hatte er angefangen, sie waren bereits am 16. März in ähnlicher Form
bearbeitet worden. Im Anschluß an die Rundfunkintendanten folgten dann,
wie Goebbels gleich erwähnen wird, die .Leute des Filmes".
93
betone das noch einmal hier. Erstes Gesetz: Nur nicht langweilig wer¬
den. Das stelle ich allem anderen voraus. Nur keine Öde, nur nicht die
Gesinnung auf den Präsentierteller legen, nur nicht glauben, Nationalis¬
mus und Patriotismus wäre dasselbe. Und nur nicht glauben, man könne
nun im Dienste der nationalen Regierung am besten sich betätigen, in¬
dem man Abend für Abend schmetternde Militärmärsche ertönen läßt.
Darum geht es gar nicht; glauben Sie doch nicht, daß wir auf 1914 zu¬
rück wollen, und glauben Sie doch nicht, daß wir einem billigen Patrio¬
tismus huldigen, der flaggt, wenn es ungefährlich geworden ist. Nein,
das, was sich heute in Deutschland vollzieht, ist ganz etwas anderes. Das
ist eine nationalistische Wiedergeburt, die sich mit Elementen des Sozia¬
lismus so stark vermählt und durchtränkt hat, daß diese nationalistische
Urform fast kaum noch zu erkennen ist und gar nicht verglichen werden
kann mit dem, was man Patriotismus nennt. Das ist nichts Billiges, —
auch nichts Bequemes. Das ist auch nichts, das man nun durch Parade¬
märsche illustrieren könnte. Wir sehen ja heute vielfach auf der Leine¬
wand derartige Experimente, daß ein Filmregisseur glaubt: Na, national,
das ist modern, das ist die Konjunktur, also lassen wir marschieren, —
marschieren, marschieren, marschieren. Bis dann zum Schluß ein Wech¬
selbalg herauskommt, — ein Wechselbalg, der niemanden, niemanden,
weder den rechts noch den links, vertreten kann. Und ich möchte vor
Ihnen dasselbe sagen, was ich in den nächsten Tagen vor den Leuten des
Filmes sagen werde: Wenn Sie sich im Rundfunk nationalistisch betäti¬
gen, dann [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] haben Sie nicht
die Aufgabe, Menschen, die an sich national sind, nun zu erwärmen, son¬
dern Menschen, die noch nicht national sind, für den Nationalismus zu
gewinnen. Das ist der große Unterschied.
Wenn ich heute einen Film sehe wie „Der Choral von Leuthen", dann
muß ich sagen: Sieht ein Kommunist diesen Film, dann wird er nur ange¬
widert und abgestoßen aus diesem Film herausgehen. Das Gegenbeispiel:
Sieht heute ein Nationalist den Film „Panzerkreuzer Potemkin", dann ist
er in Gefahr, Kommunist zu werden, weil der Film so gut gedreht ist. So
ist das auch beim Rundfunk. Wenn Sie heute nationale Kunst produzie¬
ren, dann haben Sie nicht die Aufgabe — und das schlagen Sie sich von
vornherein aus dem Kopf —, nicht die Aufgabe, nationale Männer zu
erheitern, sondern Sie haben die Aufgabe. Nichtnationalisten zu gewin¬
nen. Und jeder, der auf internationalem Standpunkt steht, der muß,
wenn er diese nationalistische Betätigung des Rundfunks hört, muß
sagen: Verflucht gut gemacht, fabelhaft gemacht, die verstehen ihr
Handwerk, das ist wirklich eine Gefahr. Und ich glaube, wenn ein Kom¬
munist aus dem Film „Der Choral von Leuthen" herausgeht, dann wird
er sagen: Keine Gefahr, kann überall gedreht werden. Ich glaube,
94
wenn ein Kommunist einmal unseren ersten Film sieht, wird er das nicht
wiederholen! Da wird er sagen: Das ist gefährlich. Es ist auch kein Zu¬
fall, daß wir vom Marxismus am schärfsten bekämpft worden sind, denn
jener Marxismus wußte ganz genau, daß wir die einzige Gefahr darstel¬
len. Eine bürgerlich-nationale Regierung hätte niemals auf die Dauer den
Marxismus ablösen können, — das konnte nur eine Regierung von dem
revolutionären Durchschlagsgeist wie die unsere. Also glauben Sie nicht,
daß Sie nun die Aufgabe haben, Gesinnung zu machen, in Patriotismus
zu tuen, Märsche herunterschmettern zu lassen und nationale Gedichte
vortragen zu lassen, — nein, das ist nicht der Sinn dieser Umstellung.
Sondern Sie müssen mithelfen, eine nationalistische Kunst und Kultur
ans Licht der Welt zu bringen, die wirklich auch dem modernen Tempo
und dem modernen Zeitempfinden entspricht. Gesinnung muß sein, aber
Gesinnung braucht nicht Langeweile zu bedeuten. Und es ist Ihnen
damit, daß Sie die Aufgabe haben, national sich zu betätigen, nicht ein
Freibrief für die Langeweile mitgegeben. Das muß nun die Phantasie
machen, — die Phantasie, die sich nun auf diesem Boden bewegt und
nun all die Mittel und Methoden in Anspruch nimmt, um die neue Gesin¬
nung modern und aktuell und interessant und ansprechend den breiten
Massen zu Gehör zu bringen: interessant, lehrreich, aber nicht belehrend.
Der Rundfunk soll niemals an dem Wort kranken: Man merkt die Ab¬
sicht, und man wird verstimmt.
Das ist ja das Geheimnis der Propaganda. Ich verwahre mich dagegen,
daß die Propaganda etwas Minderwertiges sei, denn wir säßen heute
nicht in den Ministersesseln, wenn wir nicht die großen Künstler der
Propaganda gewesen wären. Und wir hätten den Krieg nicht verloren,
wenn wir die Kunst der Propaganda etwas besser verstanden hätten. Das
ist das Geheimnis der Propaganda: den, den die Propaganda fassen will,
ganz mit den Ideen der Propaganda zu durchtränken, ohne daß er über¬
haupt merkt, daß er durchtränkt wird. Selbstverständlich hat die Propa¬
ganda eine Absicht, aber die Absicht muß so klug und so virtuos
kaschiert sein, daß der, der von dieser Absicht erfüllt werden soll, das
überhaupt nicht bemerkt. Ich halte es für selbstverständlich und glaube
es gar nicht betonen zu brauchen, daß der Rundfunk nun in Zukunft
nicht mehr ein Tummelfeld dieser geistigen Asphaltexperimente ist, daß
jüdisch-marxistische Schriftsteller im Rundfunk nicht mehr zu Worte
kommen, um dort die Abfallprodukte ihres kranken Gehirns abladen zu
können. Dafür sollen sie ihre Bücher schreiben, am besten in Hebräisch,
damit sie nur die Menschen infizieren, die dafür in Frage kommen. Ich
halte es auch für abwegig zu glauben, daß der Rundfunk nun der Bahn¬
brecher dieser Asphaltexperimente sein müßte. Genieren Sie sich gar
nicht, das Wort „Reaktionär" von dieser Sorte moderner Menschen auf
95
sich zu nehmen, — das tragen wir vierzehn Jahre, und wir sind daran
nicht krank geworden, nicht daran gestorben. Man muß dann den Mut
haben, das Wort einfach für sich in Anspruch zu nehmen, genau wie wir
immer in den vergangenen Jahren, wenn man uns vorwarf, wir seien
Faschisten, nicht etwa den Beweis angetreten haben, daß wir keine
Faschisten seien, sondern ganz kalt zur Antwort gegeben haben: Faschi¬
sten? Wir sind viel schlimmer als die Faschisten!
So ist das auch hier. Ma n muß dann den Mut haben: Schön, wenn das,
was wir tuen. Reaktion ist, wir haben gar kein Interesse daran, uns
um Worte zu streiten. Jedenfalls werden [der Redner klopft wiederholt
auf das Pult] wir schon einen Ausdruck der Zeit finden, der dem wirk¬
lichen Zeitempfinden stärker entspricht als der Zeitausdruck der vergan¬
genen Jahre. Und wir werden Tür und Tor schließen vor dieser Invasion
eines geistigen Nomadentums, das sich in den vergangenen vierzehn Jah¬
ren in Deutschland breitmachen konnte, und zwar so weit, daß über¬
haupt deutscher Geist gar nicht mehr zu Wort kam. Das ist mit die
Schuld der deutschen geistigen Arbeiter, daß sie sich von diesem
Nomadentum, weil es eben frecher, weil es arroganter, weil es an¬
maßender war, als wir Deutschen zu sein pflegen, — daß es sich von
diesem Nomadentum einfach an die Wand quetschen und drücken
ließ. Und dafür ist der Rundfunk nicht da, diesen Kurs weiterzusegeln,
sondern der Rundfunk hat die Aufgabe, das rigoros und mitleidlos
abzuschneiden.
Das heißt aber nicht, daß wir uns von der Zeit entfernen wollten, son¬
dern wir wollen die Zeit in ihren wirklichen Geheimnissen fassen. Der
Rundfunk soll tatsächlich ein geistiges Spiegelbild der Zeit sein. Und ich
möchte nicht, daß Sie nun etwa davor zurückschrecken, die geistigen
Ausdrücke der Zeit auch am Rundfunk zu Wort kommen zu lassen; es
müssen dann aber die wirklichkeitlichen Ausdrücke der wirklichen Zeit
sein. Das heißt nicht, daß man die Vergangenheit oder daß man die Zu¬
kunft vernachlässigen sollte. Eine gute Vergangenheit oder eine kühne
Zukunft, vermischt und vermählt mit dem wirklichen, heroischen Aus¬
druck unserer Zeit: das zu gestalten und das geistig zu vergegenwärtigen
und das bis zum letzten Bauerndorf Vordringen zu lassen, — das ist die
Aufgabe des Rundfunks.
Und ich betone es noch einmal, weil es nicht zu oft gesagt werden
kann: Das Volk steht im Mittelpunkt! Ohne Volk wären wir alle nicht,
ohne Volk hat die Wirtschaft keinen Zweck, ohne Volk gäbe es keinen
Rundfunk. Nicht vom Volk abschließen, sondern zum Volk hingehen,
und nicht von oben herab, sondern mitten in das Volk sich hineinstellen.
Ich bin nun auch der Meinung, meine Herren: Es darf in Zukunft in
Deutschland kein Ereignis von politisch-historischer Tragweite geben,
96
woran das Volk nicht beteiligt wäre. Daß das geht, das haben wir beim
Potsdamer Tag bewiesen. Ich habe mit dem Herrn Reichsrundfunkkom¬
missar 11 diese Dinge eine Woche vorher ausführlich besprochen, und ich
habe zu meiner Freude nun gestern von allen Mitgliedern des Kabinetts
vernehmen müssen, daß die Wiedergabe des Potsdamer Tages musterhaft
und fast fehlerlos gewesen isr 52 . Das ist auch für Sie eine Anerkennung,
und glaube ich —, ich glaube, die Anerkennung, die Ihnen das Kabinett
gibt, die werden Sie auch vom kleinen Mann auf der Straße bekommen.
Ith glaube — und ich bitte Sie, tuen Sie das einmal —, ich glaube, wenn
Sie sich ins Volk selbst begeben: das Volk wird Ihnen dankbar sein, denn
das Volk wird dann auch wieder den Rundfunk schätzen lernen. Das
Volk wird dann wissen: Das ist der Übermittler, das ist der Segenspender.
Genauso, wie ein Verliebter mit Sehnsucht den Briefträger erwartet und
ihn gleich umarmen möchte, wenn er kommt, oder ein schuldenbeladener
Student auf die Geldüberweisung wartet, — genauso wird das einmal
beim Volk mit dem Rundfunk der Fall sein. Es wird einmal, wenn wir
in dieser Methode weiter fortfahren und konsequent, ohne uns irgendwie
beirren zu lassen, den Rundfunk aktualisieren, — es wird einmal so kom¬
men, daß kein Mensch mehr ohne Rundfunk auskommt, daß er einfach
zum täglichen Bedarf gehört. Sie, meine Herren, werden ja auch mit Freu¬
den festgestellt haben, daß die Aktualisierung des Rundfunks, die seit
dem 30. lanuar eingetreten ist, nicht etwa zu einer Verminderung der
Hörerzahl, sondern zu einer Vermehrung geführt hat. Ein Beweis dafür,
daß das Volk das will und wünscht und daß es auch einen Anspruch
darauf hat. Wir werden die Arbeitsmethoden, die wir beim Potsdamer
Tag zum erstenmal angewandt haben, weiter vervollkommnen. Ich bin
der Überzeugung: In einem fahr wird man den Rundfunk gar nicht mehr
wiedererkennen.
Wir haben gestern im Kabinett, das möchte ich Ihnen vertraulich mit-
11 Jetzt, nadh der „Machtübernahme", Gustav Krukenberg. In der Weimarer
Zeit hatte es Rundfunkkommissare des Reichspostministers (seit 1926) und des
Reichsministers des Innern (seit 1932) gegeben sowie Staatskommissare der
Länder. Nachdem deren Aufgaben sich mit der Errichtung des Reichspropa¬
gandaministeriums erledigt hatten, wurde Krukenberg von Goebbels zum
Reichsrundfunkkommissar ernannt. (Die rundfunkgeschichtlichen Erläute¬
rungen hier nach: Heinz Pohle, Der Rundfunk als Instrument der Politik,
Hamburg 1955.)
12 Nach dem Protokoll der Kabinettssitzung am Vormittag des 24. März sprach
lediglich der DNVP-Vorsitzende und Reichswirtschafts- wie -ernährungs¬
minister Hugenberg „dem Reichskanzler seinen Dank für den hervorragenden
Erfolg aus, den er bei der Tagung des Reichstags erzielt habe". Das, was
Goebbels hier berichtet, kann natürlich in Gesprächen geäußert worden sein.
—Der „Potsdamer Tag": der Staatsakt der Eröffnung des am 5. März ge¬
wählten Reichstags in der Potsdamer Garnisonkirche am 21. März im Beisein
Hindenburgs.
97
teilen, eine Reihe von nationalen Feiertagen beschlossen 1 ’. Der erste
Feiertag wird am 1. Mai abgehalten, der Feiertag der nationalen Arbeit.
An diesem Feiertag wird die ganze Reichsregierung unmittelbar ins Volk
hineingehen, der Reichspräsident selbst an das Volk appellieren. Es wird
für ein Jahr ein großer Arbeitsplan für die deutsche Wirtschaft und für
die deutsche Arbeiterschaft entworfen. Alles das will das Volk sehen und
hören und miterleben. Was glauben Sie, welche Aufgaben da locken und
welche Aufgaben Sie erwarten! Und ich bin der Meinung, es müßte
schon ein Banause sein, der sich angesichts dieser wirklich ganz großen
und idealen und wunderbaren Zielsetzung nach einer Zeit zurücksehnte,
in der er nicht wußte: Soll ich nun links reden oder soll ich rechts reden,
soll ich nun schwarz-weiß-rot oder soll ich schwarz-rot-gold sein oder
muß ich vielleicht noch Hammer und Sichel 14 in mein Emblem hinein¬
malen, darf ich mich so betätigen oder darf ich mich so betätigen und
soll ich hott sagen oder hü sagen?
Ich glaube, meine Herren, Sie alle empfinden es so, als wenn ein Alp¬
druck von Ihnen gewichen wäre, nun wirklich einer nationalen Sache
dienen zu können. Ich will auch nicht, daß Sie nun in Liebedienerei die¬
sem System ergeben wären; und ich weiß, daß unter Ihnen Männer sit¬
zen, die nicht meiner Partei angehören. Das geniert mich gar nicht. Ich
muß nur verlangen, daß Sie sich auf demselben weltanschaulichen Boden
bewegen, auf dem wir uns bewegen. Im übrigen aber habe ich den lieber,
der offen und ehrlich sagt: Ich bin nicht Ihrer Couleur, — als den, der
nun, plötzlich die Konjunktur witternd, sich blitzschnell mit der Ge¬
schwindigkeit eines Affen noch auf die neue Plattform hinüberbewegt.
Solche Beispiele haben wir ja in den vergangenen Wochen genug erlebt,
um die genügende Portion Verachtung demgegenüber mitzubringen. Das
will ich gar nicht, sondern ich will, daß Sie als aufrechte Männer dem
Volke und dem Rundfunk dienen. Ich will auch, daß Sie Kritik üben;
ich will auch, daß wir unsere Meinungen austauschen. Ich möchte auch
nicht, daß in Ihren Rundfunkhäusern sich nun geduckte und getretene
Menschen bewegen, die alle Freude und alle Begeisterung an der Arbeit
verloren haben, sondern ich möchte, daß jeder mit Lust und Liebe und
innerer Begeisterung der schönen und idealen Sache dient, der wir uns
" Goebbels hatte im Kabinett, nachdem „der 11. August [Verfassungstag] na¬
türlich als Feiertag nicht mehr in Frage" käme, drei neue Feiertage vorge¬
schlagen: den 21. März als Tag der nationalen Erhebung, den 1. Mai als Tag
der nationalen Arbeit und den letzten Septembersonntag als Tag der natio¬
nalen Ernte (so dann auch eingeführt mit dem 30. Januar anstelle des
21. März). Hitler hatte zugestimmt, jedoch gebeten, „über diese Pläne noch
nichts in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen".
14 Goebbels sagt hier offenbar „Hammel und Sicher"; ob das ein Versprechen
war oder eine — bewußt oder versehentlich benutzte — Verballhornung, muß
dahingestellt bleiben.
98
nun einmal verschworen haben. Was kann es für Männer unserer Zeit
für eine größere Aufgabe geben, als die geistige Vereinheitlichung des
deutschen Volkes zu vollziehen. Und ich glaube, meine Herren: Wenn
uns diese Aufgabe gelingt, dann wird sie unsterblich in der Geschichte
sein, dann werden wir das vollbringen, wonach das deutsche Volk zwei¬
tausend Jahre vergebens gesucht hat. Denn die ganze deutsche Geschichte
ist doch nichts anderes als eine ewig sich wiederholende Kette von inne¬
ren Mißverständnissen, von Zank und Hader und Neid und Zwietracht.
Und wir standen doch in Deutschland unmittelbar vor derselben Gefahr,
vor der wir 1618 standen, und wir wären ja wieder in einen sozialen
Krieg hineingeschlittert, der vielleicht nicht dreißig Jahre, sondern nur
dreißig Tage gedauert hätte, der aber Deutschland endgültig aus der
Liste der Weltmächte hätte streichen müssen. Wir haben ja diese Gefahr
vermieden und verhindert, und wenn Ihnen nun von der Regierung die
Aufgabe in die Hand gelegt wird, dieses Werk zu vollenden oder mitzu¬
vollenden, diese geistige und weltanschauliche Vereinheitlichung des
deutschen Volkes zu vollziehen, — ja, gibt es denn eine größere und eine
idealere Aufgabe und eine Aufgabe, die einen Mann mehr innerlich er¬
füllen und befriedigen könnte als diese?
Selbstverständlich werden wir bei dieser Vereinheitlichung des Rund¬
funks auch die Interessen der Länder berücksichtigen. Wir brauchten es
ja nicht, denn wir haben die Macht dazu. Aber wir tuen es nicht 15 , weil
es ungerecht wäre und weil es dem Volke schaden müßte. Es gibt Dinge,
die geht —, die gehen nur das Reich an. Und die Dinge werden auch
vom Reich betrieben. Darüber hinaus aber gibt es Dinge, die können nur
in den Ländern betrieben werden, und da hat das Reich seine Hände
davon zu lassen. Das sind Dinge kulturellen, wirtschaftlichen, landwirt¬
schaftlichen Charakters, die müssen von den Landessendern betrieben
werden, ohne daß das Reich ihnen da besondere Vorschriften macht oder
Einengungen oder Umgrenzungen. Aber so großzügig nun das Reich den
Ländern gegenüber ist in der Vertretung ihrer Länderinteressen, so gro߬
zügig müssen dann auch die Länder dem Reich gegenüber sein, wenn die
Interessen des Reiches vertreten werden. Dann, glaube ich, wird der
ewige Zank und Streit, der im Rundfunk in den vergangenen Jahren ge¬
herrscht hat, sehr bald beendet sein. Und darüber lasse ich keinen Zwei¬
fel: Die Einheit des Reiches wird nicht mehr angetastet, ein für allemal!
Das gibt es nicht, daß ein Länderkommissar oder ein Länderminister nun
das Recht hat, ein Instrument, das vom Volke aufgebaut wird, dazu zu
15 Sie taten es sehr bald: schon im April 1934 gab es keine der Rundfunkgesell¬
schaften und auch keine Kompetenzen der Länder mehr, sondern nur noch
„Reichssender" als Zweigstellen der einzigen, gleichgeschalteten „Reidisrund-
funkgesellschaft" und nur nodi eine, zentrale Befehlsstelle für den gesamten
Rundfunk: Goebbels' Propagandaministerium.
99
mißbrauchen, gegen die Regierung des Volkes zu polemisieren. Es besteht
ja auch die Gefahr nicht mehr, denn ich glaube nicht, daß ein national¬
sozialistischer oder ein deutschnationaler Minister sich veranlaßt fühlte,
gegen die nationalsozialistisch-deutschnationale Regierung im Reich zu
polemisieren.
Das sind im großen und ganzen die Zielsetzungen. Und für diese Ziel¬
setzungen muß man bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Die sind zum
Teil schon erfüllt, — wenn nicht, werden sie erfüllt, und zwar hundert¬
prozentig. Ich werde da nicht lockerlassen, denn ich werde nicht für ein
Instrument die Verantwortung übernehmen, das nicht in meine Hand ge¬
legt ist, und zwar hundertprozentig.
Erste Voraussetzung: Der Rundfunk muß eine zentrale geistige Lei¬
tung haben; die übernimmt die Verantwortung, damit aber auch die
Machtmöglichkeit. Sie muß alles ändern können, sie muß aber dann das,
was sie ändert, und das, was sie tut, und das, was sie läßt, auch vor der
Öffentlichkeit ganz und gar verantworten.
Zweite Voraussetzung: Im Vordergründe der rundfunkpolitischen Be¬
tätigung steht der Geist und nicht die Technik. Die Technik ist ein Mittel
zum Zweck, der Geist hat den Primat. Es geht deshalb nicht an, daß der
Rundfunk in den Händen einer Organisation ist. die die bloße Technik
betreibt, sondern der Rundfunk muß in die Hand gelegt werden, die für
den Geist des Rundfunks verantwortlich ist. Das haben wir ja in den
vergangenen Wochen schon der Reichspost gegenüber durchgesetzt. Und
wenn ich für die geistige Betätigung des Rundfunks verantwortlich bin,
dann bin ich auch verantwortlich für die personelle Besetzung. Denn ich
kann doch nicht im Rundfunk einen Geist pflegen mit einem Personal,
das mir von einem anderen vor die Nase gesetzt wird, — sondern dann
muß das Rundfunkhaus mir gehören! Dabei lasse ich die Technik selbst
ganz unangetastet. Selbstverständlich hat die Post nicht nur das Recht,
sondern die Pflicht, die Funktürme zu bauen. Aber was [der Redner klopft
wiederholt auf das Pult] im Hause selbst geschieht, das ist Sache der gei¬
stigen Verwaltung des Rundfunks 16 .
Dritte Voraussetzung: Die [wiederum unterstreicht der Redner jedes
Wort des Satzes durch Klopfen] Gelder des Rundfunks müssen auch für
den Rundfunk angewandt werden! Es geht nicht an, ein lukratives Un¬
ternehmen des Reiches nun von irgendwelchen Stellen in Anspruch zu
nehmen, die damit innerlich gar nichts zu tuen haben. Wenn man mir
16 Mit der Neuordnung des Rundfunks wurde die Zuständigkeit der Reichspost,
die bis dahin mit 57 Prozent der Anteile der Reichsrundfunkgesellschaft (der
wiederum je 51 Prozent der Anteile der übrigen Rundfunkgesellschaften ge¬
hörten) die beherrschende Position innegehabt hatte, auf den rein technischen
Betrieb und die Gebühreneinziehung beschränkt.
100
sagt: Ja, der Rundfunk kann die Gelder ja gar nicht verbrauchen, das
sind ja zuviel Gelder, — dann müssen sie angewandt werden für
Zwecke, die mittelbar dem Rundfunk dienen, aber nicht für Zwecke, die
gar nichts mit dem Rundfunk zu tuen haben 17 . Beispiel: Wenn es kein
Theater mehr in Deutschland gibt, dann kann der Rundfunk keine Thea¬
terübertragungen mehr machen. Das Theater und die Oper sind die gei¬
stigen Nährmütter des Rundfunks. Sie können mir sagen: Ja, wir
machen dann unsere Hörspiele, wir können selbst Opern vorbereiten —.
Das können Sie nicht mehr, wenn keine Opern mehr geschrieben werden.
Opern werden zum Schauen geschrieben, nicht zum Hören — oder nicht
allein zum Hören. Das heißt also: Wenn das Theater an sich verkommt
und vergeht, dann wird der Rundfunk allmählich auf diesem Gebiete
auch seine Tätigkeit beschränken und einstellen müssen. Genauso ist es
mit der Wissenschaft: Wir können keinen wissenschaftlichen Vortrag
mehr halten, wenn es keine Wissenschaft mehr gibt. Es wird keine Wis¬
senschaft nur für den Rundfunk herzustellen sein, sondern die Wissen¬
schaft, die an sich besteht, die kann dem Rundfunk ihre Kraft leihen.
Wenn also Gelder im Rundfunk überschüssig sind, dann gebe man sie der
Wissenschaft oder der Kunst oder dem Theater, oder man gebe sie aus
für geistige Vereinheitlichung des Volkes, aber nicht für Dinge, die damit
gar nichts zu tuen haben.
Ich glaube — und darin befinde ich mich auch in Übereinstimmung
mit dem Reichskanzler —, ich glaube, daß die Zeit einmal kommen
wird, vielleicht sehr bald, daß wir mit den überschießenden Geldern des
Rundfunks überhaupt das ganze geistige Leben der Nation befruchten,
daß wir all die furchtbaren Mängel, die in Deutschland infolge der
Geld- und der Wirtschaftsnot eingerissen sind, nun wenigstens im Grob -
sten beseitigen können. Und daß bei uns nicht mehr das deprimierende
Gefühl vorhanden ist: Wir bringen die Gelder zusammen und irgendwo
anderswo werden sie aufgebraucht. Die Sender führen kein Eigenleben.
Die Sender haben sich dem großen programmatischen Kurs der Regie¬
rung einzuordnen. Soweit sie das tuen, haben sie das Recht und die
Pflicht, sich ihrer Provinz, ihrer Landschaft und ihrem Lande anzuglei-
17 Dies zielte wieder auf die Reichspost, deren erheblicher Anteil an den Rund-
funk-Gebühreneinnahmen (zuletzt 57 Prozent) im allgemeinen Haushalt der
Post verschwand und dort die Defizite anderer Postdienste decken half. Dies
war schon lange vor Goebbels von den Rundfunkleuten und der Öffentlichkeit
angegriffen worden, — allerdings vergeblich. Goebbels vermochte jetzt zwar
den Postanteil auf 45 Prozent herabzudrücken (und subventionierte aus dem
Rest seinen übrigen Kulturbetrieb), aber auch das langte — insbesondere bei
den wachsenden Einnahmen infolge der schnellen Steigerung der Hörerzahl —
völlig aus, um die rundfunkfremden postalischen Zuschußunternshmen weiter¬
hin zu bedienen.
101
chen. Ich halte es deshalb auch für falsch, daß Männer, die den Bezirk,
den sie mit ihrem Sendeturm bestreichen, gar nicht kennen, — daß die
nun über diesen Bezirk den Intendanten spielen können. Sondern das ist
Ihre erste Aufgabe: das Publikum kennenzulernen, vor dem Sie nun spie¬
len und dem Sie nun Ihre geistige Kost verabreichen. Wenn der Sender
nun so sich einstellt auf die Provinz, die er bestreicht, dann hat das
Reich selbstverständlich ein Interesse daran, eine Institution besitzen —,
zu besitzen, von der aus nun das Reich das ganze Reich bestreichen
kann.
Und deshalb werden wir den Deutschlandsender zu einem großen,
repräsentativen Reichssender ausbauen 18 , — einem Reichssender, der
musterhaft aufgebaut, mit erstklassigem Personal besetzt wird und der
nun eine Sendung macht Tag für Tag, die von der Regierung direkt oder
indirekt beeinflußt ist, die nun aber der repräsentativen Höhe der Regie¬
rung auch entspricht. Der Reichssender wird jeden Tag eine Stunde, von
sieben bis acht, die anderen Sender für sich in Anspruch nehmen, in einer
Stunde der Nation, — genauso, wie das im Faschismus der Fall ist. Das
heißt nun nicht, daß wir Sie in dieser Stunde von Berlin aus anfunken
werden, sondern wir werden das genauso machen, wie wir das in Pots¬
dam gemacht haben: die Aufgaben verteilen. Und ich glaube, damit die¬
nen Sie dem Reich und wir dienen Ihren Ländern, denn das muß für Sie
auch eine größere Aufgabe sein zu wissen: An dem und dem Tage spre¬
chen wir zum ganzen Reich, musizieren wir vor dem ganzen Volk, reden
wir zur ganzen Nation. Denn daß wir die Kunst verstehen, das Volk an
den Hörer zu bringen, das brauchen wir nicht mehr zu beweisen, das
haben wir schon bewiesen. Und ich glaube, es ist auch für Sie ein beglük-
kendes Gefühl zu wissen: Wenn wir an solch einem Tage ein Konzert
übertragen oder eine Reportage machen, dann werden wirklich 25, 30
Millionen Menschen uns hören. Es muß für den Rundfunk doch schöner
sein zu wissen: Das ganze Volk steht bei uns, — als nur in seinem kleinen
Sendebezirk seine Darbietungen vonstatten gehen zu lassen.
Der repräsentative Sender soll nun in den nächsten Wochen ausgebaut
werden, so daß er sehr bald schon für die Nation eingesetzt werden
kann. Sie haben Ihre eigenen Sender nun in den nächsten Wochen zu
überprüfen, und zwar sehr gewissenhaft zu überprüfen. Sie wissen, meine
Herren, welche groben Vorwürfe dem Rundfunk in den vergangenen
Monaten gemacht worden sind, — ob berechtigt oder unberechtigt, das
18 Der Deutschlandsender war bereits in der — zur Regierungszeit Papens durch¬
geführten — Rundfunkreform des Jahres 1932 „Reichssender" geworden —
mit der Pflege des „Staatsgedankens" als ausdrücklicher Aufgabe. Auch hatte
sich schon seit dem 11. Juni 1932 die Reichsregierung das Recht Vorbehalten,
täglich zwischen 18.30 und 19.30 Uhr eine vom Deutschlandsender ausge¬
strahlte „Stunde der Reichsregierung" über alle Sender gehen zu lassen.
102
will ich in diesem Zusammenhang gar nicht untersuchen 19 , aber zugege¬
ben werden muß: Es haben sich im Rundfunk Übelstände eingeschlichen,
die des deutschen Rundfunks nicht würdig sind. Wenn wir den Rund¬
funk neu aufbauen, so nach einem Prinzip wirklich preußischer Spar¬
samkeit. Es geht nicht an, daß überall anderswo im Lande gespart wird
und daß der Rundfunk, weil er große Einnahmen hat, sich diesem Prin¬
zip glaubt entziehen zu können. Damit machen Sie den Rundfunk auch
unpopulär.
Und ich glaube: Das ist doch gar nicht der Sinn des Rundfunks! Wenn
Sie Ihre Aufgabe wirklich verantwortungsvoll machen, dann können Sie
gar nicht dafür bezahlt werden, dann gibt es gar keinen Gehalt, was
hoch genug wäre, um diese Arbeit zu bezahlen. Wenn Sie aber die wirk¬
lich innere Einstellung auch zu Ihrer Arbeit haben, dann werden Sie, wie
das immer bei Dienern am Volk der Fall ist, sich auch sagen müssen: Es
kommt mir gar nicht so sehr auf die Höhe an; wenn ich so viel habe,
daß ich gut und sorglos leben kann, das genügt mir vollkommen. Ich will
gar keine Mammutgehälter schlucken, und ich will das auch nicht, daß
meine Untergebenen das tuen; vor allem auch werde ich dafür sorgen,
daß dieses furchtbare und schmierige System der Nebeneinnahmen, wie
es hier in Berlin in den letzten Monaten und Wochen aufgedeckt worden
ist, radikal aus dem Rundfunk beseitigt wird. Diese schmierige Art, Geld
zu verdienen, indem man — eh, indem man Aufträge zuschanzte und
ähnliche Dinge, — das werden wir im Rundfunk nicht mehr dulden. Ich
glaube. Sie sind Manns genug, sich zu sagen: Wir werden doch nicht
warten, bis die Regierung uns einen Kommissar auf die Nase setzt; es
wäre noch schöner, wenn wir nicht Manns genug wären, das selbst aus¬
zuräumen. Und darüber lasse ich auch keinen Zweifel: Wenn das nicht
der Fall ist, wird der Kommissar kommen, sehr bald. Sehr bald! Der
Rundfunk [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] wird gereinigt,
wie die ganze preußische und deutsche Verwaltung gereinigt wird, und
mir wäre es sehr lieb und ich wäre Ihnen außerordentlich dankbar, wenn
Sie diesen Reinigungsakt schon selbst vollziehen. Tuen Sie das aber nicht
oder wollen Sie das nicht, dann wird's von uns aus gemacht. Es geht
nicht an. daß der Rundfunk zu persönlichen Nebeninteressen mißbraucht
wird. Sosehr ich dafür eintrete, daß eine geistige Leistung nicht — eh,
wie Brot ohne Butter genommen wird, sondern daß eine geistige Leistung
auch ihren Lohn verdient und nicht nur das, was man in einer halben
18 Er ließ diese Vorwürfe unzulässiger Geldbewilligungen und Nebeneinnahmen
dann in einem Schauprozeß untersuchen. Die dort nach anfänglich riesigem,
im Verlauf immer mehr gebremstem Propagandarummel gegen die Männer des
„Systemrundfunks" verhängten kümmerlichen Gefängnisstrafen wurden 1937
vom Reichsgericht kassiert, die ganze Angelegenheit mit heimlicher Reha¬
bilitierung in aller Stille beigesetzt.
103
Stunde am Rundfunk sagt, sondern auch die geistige Vorarbeit mithono¬
riert werden muß, sosehr aber bin ich dagegen, daß die geistige Arbeit
am Ende mißbraucht wird, um sich schmierige und unanständige Neben¬
einnahmen zu verschaffen.
Und dann bitte ich Sie noch um ein anderes. Es ist nun in den vergan¬
genen Jahren in diesem ewigen Hin- und Herschwanken der Politik im
Rundfunk auch jede Stetigkeit und jede Festigkeit verloren worden, und
das hatte natürlich zur Folge, daß sich für diese oder jene Richtung be¬
sondere Cliquen bildeten. Und daß diese Cliquen nun mangels einer
weltanschaulichen Festigkeit ihre Hauptaufgabe darin sahen, sich gegen¬
seitig zu behorchen, zu bespitzeln, im Hause zu intrigieren. Die Gerüchte
liefen von einem Zimmer zum anderen: Der hat das gesagt und der hat
das gesagt, — der M ittelsmann geht dann wieder zu dem und sagt dem
von dem das . Ich kenne ja diese Methoden aus der Politik, wo sie
ja besonders zu grassieren pflegen. Dann bilden sich um jeden führenden
Mann im Rundfunk kleine Cliquen, und diese kleinen Cliquen machen
dann die Couloire 20 . Und die Männer, um die es sich eigentlich handelt,
die sehen sich gar nicht mehr, sprechen sich nicht mehr aus, kommen
damit in eine bornierte Feindschaft hinein, und das schadet nicht nur
ihrer eigenen Gesundheit, sondern das schadet vor allem auch unserem
gemeinsamen Werke. Und ich kann Ihnen nur sagen, meine Herren: Das,
was Sie dabei an Nervenkraft und an innerer Ruhe und Freude an der
Arbeit verlieren, — das ist gar nicht, nicht im geringsten aufgewogen mit
den manchmal möglichen kleinen Vorteilen, die Sie dadurch ergattern.
Ich kann Ihnen also nur den guten Rat geben: Rauben Sie sich nicht
selbst den Schlaf Ihrer Nächte und machen Sie sich nicht selbst das
Leben sauer und glauben Sie nicht, daß man mit Intrigen auf die Dauer
im öffentlichen Leben standhalten kann. Der beste Beweis dafür sind
wir. Die andern haben immer geglaubt, in den vierzehn Jahren uns durch
Intrigen lahmlegen zu können und uns mit kleinen Rankünen und Bos¬
heiten den Wind aus den Segeln nehmen zu dürfen. Das geht ein paar
Monate, vielleicht auch ein paar Jahre, — am Ende wird sich doch
immer die Kraft, der Wille und vor allem die Fähigkeit durchsetzen.
Soweit das also in Ihren Funkhäusern Mode ist, stellen Sie das ab; Sie
dienen auch unserm Werk.
Und dann noch eine Bitte von Mann zu Mann. Sie wissen jetzt im gro¬
ßen und ganzen, wie der Rundfunk aufgebaut wird; Sie können sich ein
rohes Bild davon machen, welche Aufgaben Ihrer harren. Glauben Sie,
diese Aufgaben nicht erfüllen zu können, dann müssen Sie uns das sagen.
Halten Sie nicht zurück aus irgendwelchen materiellen Rücksichtnah¬
men, denn ich glaube, wenn einer ehrlich zu mir käme und sagt: Ich
So deutlich zu verstehen (Versprechen für »Couleur"?).
104
kann das nicht, ich stehe auf anderm Boden, — dann würde ich ebenso
ehrlich und anständig sein und sagen: Dann nehmen wir Sie irgendwo
anders hin, nehmen wir Sie dahin, wo Sie nicht unmittelbar zum Volk
sprechen, denn Sie beweisen mir dadurch, daß Sie ein anständiger Mann
sind. Aber nicht verstehen könnte ich es, wenn einer mit inneren Hem¬
mungen und inneren Beschwerden sich nun an die Arbeit gibt und dann
sich selbst die Freude an der Arbeit verdirbt und dem großen Werk nur
Schaden zufügt. Denn, meine Herren, Sie müssen sich darüber klar sein:
Es ist nicht damit getan, daß Sie nun selbst mit Ach und Krach mittuen,
sondern Sie sollen doch nun in Ihren Funkhäusern für alle Ihre Mitarbei¬
ter ein Beispiel sein. Sie sollen doch der Antreiber sein, der Motor! Sie
sollen doch die Flamme sein, zu der alles aufschaut! Sie haben doch nun
die Aufgabe, nach diesen Prinzipien Ihre Funkhäuser zu säubern, aufzu¬
räumen, alles, was nicht da hineinpaßt, allmählich auszuscheiden, dafür
zu sorgen, daß hundertprozentig die ganzen Funkhäuser nun der natio¬
nalen Regierung dienen und sich dem Volke verpflichtet fühlen. Das
können Sie nicht, wenn Sie innere Hemmungen haben, und deshalb
würde ich es für richtig halten, daß jeder sich verantwortungsvoll über¬
prüft und daß er dann zum Ergebnis kommt: Ich tue mit. Ich glaube,
meine Herren, Sie werden es nicht bereuen, wenn Sie mittuen' 1 .
Ich habe schon unten vor den Angestellten dieses Hauses gesagt: Wenn
einmal eine Obereinstimmung geschaffen ist, dann kann man mit mir
sehr gut arbeiten. Und ich werde immer nach außen hin die Rechte der
mir untergebenen Institutionen vertreten, wenn [der Redner unter¬
streicht seine Worte durch Klopfen] diese Institutionen die Rechte des
deutschen Volkes vertreten. Ich werde dann auch einmal, wenn einer,
der an sich au fond ein anständiger Mann ist, — ich werde dann auch
einen Fehler decken. Sie haben niemals unter uns Nationalsozialisten er¬
lebt, daß wir einen Mann der Öffentlichkeit preisgegeben, — nie! Auch
wenn wir es eigentlich hätten tuen müssen. Sondern da hat sich allmäh¬
lich durch die gemeinsame Arbeit eine Kameraderie herausgebildet, die
eben unzerstörbar ist — auch im Bösen. Das würde auch hier der Fall
sein. Ich bin davon überzeugt: Wenn wir einmal ein, zwei Jahre Zusam¬
menarbeiten und ich kenne die einzelnen Herren besser und weiß, was
ich an ihnen habe, — ich glaube, es gibt dann keine Macht der Welt, die
[der Redner klopft auf das Pult] uns auseinanderbringen kann. Dann
dürfen Sie auch einmal von der Öffentlichkeit angegriffen werden, dann
21 Dieser — vielleicht auch nur als Alibi gedachte — Appell blieb offenbar ohne
Antwort, denn Goebbels, der damit bereits begonnen hatte, fuhr fort zu
„säubern". Aus den Reihen der Intendanten war der des Deutschlandsenders
kurz zuvor schon „beurlaubt" worden. Er verschwand nun ebenso wie seine
Kollegen von der Berliner Funk-Stunde, in Frankfurt, Köln, München, Ham¬
burg und Leipzig.
105
werde ich mich nicht hinter Ihnen verkriechen, sondern dann [klopft
wiederum auf das Pult] werde ich mich vor Sie stellen. Allerdings muß
dann die gemeinsame Basis da sein, müssen wir uns verstehen, muß ein
loyales und kameradschaftliches Zusammenarbeiten hergestellt sein.
Dann werden wir wirklich — das sollte doch mit dem Teufel zugehen,
wenn es nicht der Fall wäre —, werden wir wirklich einen Rundfunk auf
die Beine stellen, an dem die deutsche Nation ihre Freude haben wird.
Und nicht nur aufräumen müssen Sie, Sie müssen ja nun auch angreifend
Vorgehen. Sie müssen den Defätismus niedertreten, Sie müssen auch die
letzten marxistischen Rudimente beseitigen, aus den Funkhäusern, aus
den Darbietungen: Sie müssen das überwachen, ich kann mich nicht den
ganzen Tag an den Lautsprecher hinstellen und überwachen, ob
irgendwo noch etwas aus der alten Zeit da ist. Das müssen Sie tuen,
dafür müssen Sie sorgen! Sie müssen viel zu stolz dazu sein, sich das von
oben sagen zu lassen, sondern das müssen Sie von unten schon tuen und
vorbereiten, selbst dafür sorgen, — und das können Sie eben nur, wenn
Sie hundertprozentig dabeistehen. Dann können Sie allerdings auch ein
Programm aufstellen, das der modernen Zeit entspricht, — ein Pro¬
gramm mit Rhythmus, mit Aktualität, mit einer großen Zeittendenz. Sie
können dann wirkliche Volksbildner werden, wirkliche Volkslehrer,
Volks&e/ehrer, Männer die nun — ich möchte fast sagen: am Hebel der
Zeit sitzen, die die Zeit machen, die mit dafür sorgen, daß diese Zeit in
eine bestimmte Bahn hineingestoßen wird und aus dieser Bahn niemals
mehr herauskommt. Dann werden Sie auch das richtige Verhältnis zur
Technik finden, dann ist Ihnen die Technik Mittel zum Zweck. Das, was
für den Pianisten das Piano ist, das ist für Sie dann der Funkturm, auf
dem Sie spielen, die souveränen Meister der öffentlichen Meinung. Denn
die öffentliche Meinung ist tatsächlich die siebente Großmacht 22 . Wenn
die anderen Armeen organisieren und Heere aufstellen, dann wollen wir
das Heer der öffentlichen Meinung mobilisieren, das Heer der geistigen
Vereinheitlichung, dann sind wir wirklich die Weichensteller der Zeit.
Wir stellen die Weichen, in die die brausenden Zeit-D-Züge hineinrollen.
Ich glaube, meine Herren, damit ist Klarheit geschaffen. Das, was wir
im Prinzip wollen, das wissen Sie nun. Und nun müssen Sie an die Arbeit
gehen. Ich lege Ihnen eine große Verantwortung in Ihre Hand, denn Sie
halten in dieser Hand das modernste Massenbeeinflussungsinstrument,
was es überhaupt gibt. Mit diesem Instrument machen Sie öffentliche
Meinung. Machen Sie das gut, dann werden wir das Volk gewinnen, und
12 Erweiterung eines dem gestürzten Napoleon zugeschriebenen Ausspruchs über
Görres und dessen „Rheinischen Merkur", die Presse sei die fünfte Gro߬
macht (wobei der Korse offenbar das seiner Führung beraubte Frankreich
nicht mehr zur damaligen europäischen Großmacht-Pentarchie rechnete).
106
machen Sie das schlecht, dann wird das Volk am Ende von uns wieder
weglaufen. Sie tragen dafür die Verantwortung; ich selbstverständlich
für Sie mit, aber jeder einzelne von Ihnen mir gegenüber. Und ich
glaube, wir leben nun in einer Zeit der Verantwortungsfreude. Ich
könnte mir ein Leben ohne Verantwortung gar nicht mehr vorstellen.
Denn ein Mensch mit Charakter und sittlicher Reife, — der sieht in der
Verantwortung nicht eine Last, sondern eine Beglückung. Und je größer
die Verantwortung, desto lieber und desto freudiger muß man sie tragen.
Lassen Sie aus Ihren Häusern jede Muckerei und jeden Muff, sperren Sie
der Reaktion die Türe zu, lassen Sie sie nicht herein, sondern seien Sie
wirklich moderne, aufrechte Männer, die dem Zeitgeist dienen, aber dem
wirklichen Zeitgeist: dem Zeitgeist, der wider die alten Regierungen und
wider das alte System aus den tiefsten Wurzeln des deutschen Volkes
herausgesprungen ist und nun das ganze öffentliche Leben durchtränkt.
Ich glaube, ich kann alles zusammenfassen, was ich sagen will. Wenn
ich über den deutschen Rundfunk eine Parole schreiben möchte, dann
die: Wir arbeiten für des Reiches Kraft und Stärke und für des deut¬
schen Volkes Einigkeit! [Beifall".]
DRA Nr. C 1117 (77' 50"). Ein auszugsweiser und überarbeiteter Abdruck in:
Mitteilungen der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, Sonderbeilage zu Nr. 354 vom
30. März 1933. In der Presse (VB vom 26727. bzw. 27. März 1933) wurde
lediglich die Intendantenkonferenz selbst sowie eine — von Goebbels hier er¬
wähnte und inhaltlich ähnliche — Rede gemeldet, die er zuvor im gleichen Hause
vor den Angestellten und Mitarbeitern der drei Berliner Rundfunkgesellschaften
gehalten hatte. — Der Anfang der Ansprache fehlt; der entsprechende Teil des
Abdrucks in den „Mitteilungen" ist hier in < > wiedergegeben.
Der Beifall war konventionell, kurz und ohne Begeisterung. Es war auch der
einzige dieser Rede: sonst ist weder Beifall noch irgendein anderes Zeichen
von Zustimmung zu vernehmen, selbst Goebbels' Scherze blieben ohne das
Echo üblicher Heiterkeit. Gelegentliches Husten ist das einzige Anzeichen
dafür, daß der Redner überhaupt ein Publikum hatte.
107
Nr. 14
10. 5. 33 — Berlin, Opernplatz — Bücherverbrennung auf der Kundge¬
bung der Deutschen Studentenschaft „wider den undeutschen Geist' 1
Meine Kommilitonen!
Deutsche Männer und Frauen !
Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu
Ende, und der Durchbrach der deutschen Revolution hat auch dem deut¬
schen Weg wieder die Gasse freigemacht. Als am 30. Januar dieses Jah¬
res die nationalsozialistische Bewegung die Macht eroberte, da konnten
wii noch nicht wissen, daß so schnell und so radikal in Deutschland
aufgeräumt werden könnte. Die Revolution, die damals ausbrach, ist
von uns — das können wir heute offen gestehen — von langer Hand und
planmäßig vorbereitet worden. Und wenn man sich heute darüber wun¬
dert. daß wir die Gesetze sozusagen aus dem Ärmel schütteln: das ist
kein Wunder, denn wir brauchen ja nur die Gesetzlichkeit unserer
eigenen Bewegung auf den Staat zu übertragen.
Diese Revolution kam nicht von oben, sie ist von unten hervorgebro¬
chen. Sie ist nicht diktiert, sondern das Volk selbst hat sie gewollt. Sie ist
deshalb im besten Sinne des Wortes der Vollzug des Volkswillens, und
die Männer, die diese Revolution organisiert, mobilisiert und durchge¬
führt haben, stammen aus allen Schichten, Ständen und Berufen des
deutschen Volkes. Hier steht der Arbeiter neben dem Bürger, der Student
1 Der lange vor der .Machtübernahme" nationalsozialistisch gewordenen »Stu¬
dentenschaft" war eine zeitgemäße Idee gekommen: am 10. Mai gegen Mitter¬
nacht wurden in verschiedenen Hochschulstädten des Reiches Scheiterhaufen
angezündet und mit kernigen „Feuersprüchen" aus den Bibliotheken entfernte
Bücher „zersetzenden" Inhalts, also jüdischer, marxistischer oder sonst „un¬
deutscher" Autoren, in die Flammen geworfen. Allein in Berlin waren es
20 000 Bände, die — auf Lkw gepackt — in feierlichem Zug vom Studenten¬
haus in der Oranienburger Straße abgeholt und zum Verbrennungsort gegen¬
über der Universität geleitet wurden. Goebbels schaute kurz vorbei und ergriff
das Wort.
108
neben dem Soldaten und neben dem Jungarbeiter, hier steht der Intellek¬
tuelle neben dem Proletarier: ein ganzes Volk ist aufgestanden!
Das aber unterscheidet diese Revolution von der Revolte im Novem¬
ber 1918. Damals brach der Materialismus durch, der Marxismus be¬
hauptete das Feld. Die Kräfte des Untermenschentums haben das politi¬
sche Terrain erobert, und darauf folgten dann in Deutschland vierzehn
Jahre unausdenkbarer und unbeschreiblicher materieller und geistiger
Schmach. Diese Schmach haben wir alle am eigenen Leibe zu verspüren
bekommen. Sie verspürte jeder Arbeiter, der seinen Platz an der
Maschine verlor. Sie verspürte jeder Jungarbeiter, der vom Zugang zur
Arbeit ausgeschlossen wurde. Sie verspürte jeder Bürger, dem man den
letzten Groschen aus der Tasche nahm. Sie verspürte jeder Soldat, der,
knirschend mit den Zähnen, zuschauen mußte, wie man die nationale
Wehrhaftigkeit und die Ehre des deutschen Volkes ungestraft mit Füßen
treten durfte.
Sie habt auch Ihr Studenten verspürt, die Ihr als Vortrupp eines wirk¬
lich revolutionären deutschen Geistes von den Hochschulen herunterge¬
trieben wurdet, die man Euch, wenn Ihr das Deutschlandlied anstimmtet
oder gegen Versailles protestiertet, mit dem Gummiknüppel traktierte,
die Ihr vierzehn Jahre lang in schweigender Schmach die Demütigungen
dieser November-Republik über Euch ergehen lassen mußtet. Die Biblio¬
theken füllten sich an mit dem Unrat und dem Schmutz dieser jüdischen
Asphaltliteraten. Anstatt daß in Deutschland eine deutsche Erziehung
den deutschen Menschen erzog und anstatt daß von den Kanzeln der
Universitäten wirkl, he Vorführer dem Geist der Zeit das Wort rede¬
ten, verschanzte sich die hohe Wissenschaft hinter den Paragraphen und
hinter den Aktenbündeln und hinter den Pandekten. Und während die
Wissenschaft vom Leben allmählich sich isolierte und abschneiden ließ,
hat das junge Deutschland längst schon einen neuen und fertigen Rechts¬
und Normalzustand wiederhergestellt.
Dieser Rechts- und Normalzustand, dessen Träger wir in der Opposi¬
tionsbewegung waren, der ist nun, mit der Übernahme der Macht durch
uns, auch der Rechts- und der Normalzustand unseres Staates geworden.
Die Bewegung, die damals den Staat berannte, ist jetzt in den Staat hin¬
einmarschiert — ja, mehr noch: sie ist selbst Staat geworden! Und die
Männer, die damals diese Bewegung gegen den Staat führten, die sind
jetzt die Inhaber der Staatsgewalt. Und damit hat der deutsche Geist
eine ganz andere Wirkungsmöglichkeit bekommen. Damit ist das revolu¬
tionäre Tempo, der revolutionäre Elan und die revolutionäre Durch¬
schlagskraft, die die deutsche Jugend in den vergangenen vierzehn Jah¬
ren beseelte, nun zum Tempo und zum Elan und zur Durchschlagskraft
des ganzen Staates geworden.
109
Man täusche sich nicht: Revolutionen, wenn sie echt sind, machen nir¬
gends halt! Es gibt keine Revolutionen, die nur die Wirtschaft oder nur
die Politik oder nur das Kulturleben reformierten oder umstürzten.
Revolutionen sind Durchbrüche neuer Weltanschauungen. Und wenn
eine Weltanschauung wirklich Anspruch erheben kann auf diesen Titel,
dann kann sie sich nicht damit begnügen, ein Gebiet des öffentlichen
Lebens umstürzend umzuwälzen, sondern dann muß der Durchbruch die¬
ser Weltanschauung das ganze öffentliche Leben erfüllen, es darf davon
kein Gebiet unberührt bleiben. So, wie sie die Menschen revolutioniert,
so revolutioniert sie die Dinge! Und am Ende wird dann Masse, Volk,
Staat und Nation ein- und dasselbe geworden sein.
Darüber aber sind wir geistigen Menschen uns klar: Machtpolitische
Revolutionen müssen geistig vorbereitet werden. An ihrem Anfang steht
die Idee, und erst wenn die Idee sich mit der Macht vermählt, dann wird
daraus das historische Wunder der Umwälzung emporsteigen. Ihr jungen
Studenten seid Träger, Vorkämpfer und Verfechter der jungen, revolu¬
tionären Idee dieses Staates gewesen 2 . Und so, wie Ihr in der Vergangen¬
heit das Recht hattet, den falschen Staat, den i/wstaat zu berennen und
niederzuwerfen, so, wie Ihr das Recht hattet, den falschen Autoritäten
dieses Unstaates Euren Respekt und Eure Achtung zu versagen. — so
habt Ihr jetzt die Pflicht, in den Staat hineinzugehen, den Staat zu tra¬
gen und den Autoritäten dieses Staates neuen Glanz, neue Würde und
neue Geltung zu verleihen. Ein Revolutionär muß alles können: er muß
ebenso groß sein im Niederreißen der Unwerte wie im Aufbauen der
Werte! Wenn Ihr Studenten Euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat
in die Flammen hineinzuwerfen, dann müßt Ihr auch die Pflicht auf
Euch nehmen, an die Stelle dieses Unrates einem wirklichen deutschen
Geist die Gasse freizumachen. Der Geist lernt sich im Leben und in den
Hörsälen, und der kommende deutsche Mensch wird nicht nur ein
Mensch des Buches, sondern auch ein Mensch des Charakters sein.
Und dazu wollen wir Euch erziehen. Jung schon den Mut zu haben,
dem Leben in die erbarmungslosen Augen hineinzuschauen, die Furcht
vor dem Tode zu verlernen und vor dem Tode wieder Ehrfurcht zu be¬
kommen, — das ist die Aufgabe dieses jungen Geschlechts. Und deshalb
tut Ihr gut daran, um diese mitternächtliche Stunde den Ungeist der
Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen. Das ist eine starke, große
und symbolische Handlung, — eine Handlung, die vor aller Welt doku-
1 Schon 1929 war es zu aufsehenerregenden Erfolgen des Nationalsozialistischen
Deutschen Studentenbundes bei den Asta-Wahlen gekommen; 1932 gab es
nur noch ganz wenige Studentenvertretungen, in denen es keine solide NS-
Mehrheit gab und deren Asta nicht — wie nun auch die .Studentenschaften"
und ihre Dachorganisationen — in nationalsozialistischer Hand war.
110
mentieren soll: Hier sinkt die geistige Grundlage der November-Repu¬
blik zu Boden, aber aus diesen Trümmern wird sich siegreich erheben der
Phönix eines neuen Geistes, — eines Geistes, den wir tragen, den wir för¬
dern und dem wir das entscheidende Gewicht geben und die entscheiden¬
den Züge aufprägen!
So bitte ich Euch denn, meine Kommilitonen, hinter das Reich und
hinter seine neuen Autoritäten zu treten; so bitte ich Euch, diese Fahnen
der Arbeit und der Pflicht und der Verantwortung zu weihen; so ersuche
ich Euch, in diesen Flammen nicht nur das Symbol des Niedergangs der
alten Epoche, sondern auch des Aufstiegs der neuen Epoche zu erkennen.
Ihr habt schon früh dem Leben ins Auge blicken müssen. Und wenige
nur von Euch sind von Glücksgütern so gesegnet, daß sie ungestört und
in reinstem Frieden sich dieses Lebens erfreuen könnten. Ihr braucht
nicht darüber zu klagen, denn wenn dieses junge Geschlecht auch arm
geworden ist an materiellen Werten — gewonnen aber hat es an der
Seele! Und ich glaube: Niemals war eine junge studentische Jugend so
berechtigt wie diese, stolz auf das Leben, stolz auf die Aufgabe und stolz
auf die Pflicht zu sein. Und niemals hatten junge Männer so wie jetzt
das Recht, mit Ulrich von Hutten auszurufen: O Jahrhundert! O Wis¬
senschaften! Es ist eine Lust zu leben'!
Vor diesen Aufgaben steht Ihr nun. Ihr habt in den gewaltigen Kund¬
gebungen der vergangenen Wochen und Monate über alle Unterschiede
hinweg den Arbeitern, den Kameraden der Hand, in den Fabriken und
an den Stempelstellen die Hand gereicht. Die Barrieren, die uns ehedem
trennten, sind niedergerissen: Volk hat wieder zu Volk gefunden! Und
wenn die Alten das nicht verstehen, — wir jungen haben es schon
durchgeführt!
Wenn Ihr mit dem Arbeiter dasselbe braune Ehrenkleid tragt und
wenn Ihr, ohne daß man den Unterschied erkennen könnte, im selben
Reih' —, in derselben Reihe und im selben Glied marschiert, dann bringt
Ihr damit für alle Welt sichtbar zum Ausdruck, daß in Deutschland die
Nation sich innerlich und äußerlich wieder geeinigt hat. Das Alte liegt in
den Flammen, das Neue wird aus der Flamme unseres eigenen Herzens
wieder emporsteigen! Wo wir zusammenstehen und wo wir Zusammenge¬
hen, da fühlen wir uns dem Reich und seiner Zukunft verpflichtet.
Und wie so oft in den Zeiten, da wir noch in der Opposition kämpf¬
ten, so auch jetzt, da wir die Macht und da wir die Verantwortung in
Händen halten, schließen wir uns zusammen in einem Gelöbnis, — in
dem Gelöbnis, das wir so oft aus tiefster Qual früher, als wir um die
Macht kämpften, in den abendlichen Himmel hinaufgeschickt haben, —
' Brief an Pirckheymer vom 25. Oktober 1518: „O seculum! O literae! Iuvat
vivere." (Nochmals in Nr. 18.)
111
in demselben Gelöbnis, das heute wieder unter diesem Himmel und um¬
leuchtet von dieser Flamme ein Schwur sein soll: Das Reich und die
Nation und unser Führer Adolf Hitler — Heil! [Zuhörer: „Heil!"], Heil!
[Zuhörer: „Heil!"], Heil! [Zuhörer: „Heil!"]
DRA Nr. C 1144 (15' 15"). In der Tagespresse nur kurz referiert (VB vom
12. Mai 1933).
112
Nr. 15
16. 6. 33 — Hamburg, Platz vor der Eulenburg im ehemaligen
Massenkundgebung des Gaues Hamburg der NSDAP 1
Zoo —
Meine Parteigenossen und Volksgenossen!
Ich habe das Bedürfnis, Ihnen am heutigen Abend aus heißem Herzen
Dank zu sagen für den wunderbaren, herzlichen Empfang, den die alte
Hansestadt Hamburg mir heute bereitet hat. Ich danke dem Senat und
dem Reichsstatthalter 2 * * * * * 8 , und ich danke vor allem der gesamten Hambur¬
ger Bevölkerung, die sich in so wunderbarer Weise hinter Adolf Hitler
und die von ihm verkörperte nationalsozialistische Revolution gestellt
hat.
Das ist auch einmal anders gewesen! Es ist nicht das erste Mal, daß ich
nach Hamburg komme. Vielleicht fünfundzwanzig- oder dreißigmal habe
ich in dieser Stadt gesprochen. Zuerst vor einigen Dutzend, dann vor
1 Nach den Presseberichten und nach der Ansage des Norddeutschen Rundfunks,
der ja für noch weitere Verbreitung sorgte, waren in den Gartenanlagen des
Hamburger Zoo 100 000 oder sogar 120 000 Menschen versammelt. Goebbels
konnte es sich jetzt jedoch schon leisten zu reden, als ob er lediglich seine
Parteigenossen vor sich hätte: unverhüllt diffamiert er die bürgerlichen Koali¬
tionspartner und Steigbügelhalter, brüskiert er die zahlreichen »Märzgefal¬
lenen" und sonstigen Mitläufer und reklamiert er den eroberten Staat als
„Beute" der siegreichen NSDAP.— Zum Ort der Kundgebung vgl. Nr. 12,
Anm. 3. Goebbels redete von der Eulenburg herab.
8 Mit dem „Reichsstatthaltergesetz", dem 2. Gesetz zur Gleichschaltung der
Länder mit dem Reich vom 7. April 1933, wurde die föderalistische Struktur,
soweit Weimar sie vom Bismarck-Reich geerbt hatte, beseitigt. Die Länder¬
regierungen blieben zwar bestehen, waren jedoch nun nur noch Verwaltungs¬
instanz, einzusetzen und zu entlassen durch den von Berlin (formal zunächst
noch vom Reichspräsidenten) bestellten Reichsstatthalter, bei dem auch sonst
alle Befugnisse lagen, die von Belang waren. Reichsstatthalter wurden — mit
Ausnahme von Preußen (Hitler selbst) und Bayern (Ritter v. Epp) — der bzw.
ein Gauleiter des betreffenden Gebietes (hier in Hamburg Gauleiter Karl
Kaufmann).
113
einigen Hundert, dann vor einigen Tausend und dann vor einigen Zehn¬
tausend. Und im Verlaufe dieser Entwicklung hat sich wie in Hamburg,
so auch im ganzen Deutschen Reich das Volk erhoben, hat das republi¬
kanische Schandsystem von sich abgeschüttelt und in einer grandiosen
nationalsozialistischen Revolution der neuen Regierung die Macht und
damit die Verantwortung übergeben. Heute kommen wir als die Reprä¬
sentanten des Staates, als die Verkörperer eines neuen nationalen Lebens¬
willens in Deutschland, als die Vollstrecker der Volksforderungen und
als die eherne Spitze am bleiernen Keil der breiten Massen, die sich in
Deutschland unter unserer Führung hinter das Regime und hinter die
großen nationalen Aufgaben gestellt haben, die diese Regierung sich vor¬
gehalten hat.
Am 30. Januar dieses Jahres ist diese Revolution ausgebrochen. Nur
die, die neben der Zeit lebten, sahen in ihr etwas Unerwartetes. Wir
aber, wir Nationalsozialisten, haben sie kommen gesehen. Nicht nur das,
— wir haben diese Revolution planmäßig vorbereitet! Wir haben ihr die
geistigen Grundlagen gegeben. Wir verliehen ihr den heißen revolutionä¬
ren Atem und den durchschlagenden, wunderbar aktivistischen Elan. In
einem siegreichen Ansturm ohnegleichen in der Geschichte haben wir das
November-System zur Strecke gebracht, haben wir die Ketten abge¬
schüttelt, die ein fluchwürdiges Regime, das aus der Kapitulation vom
November 1918 hervorgegangen war, über Deutschlands Schultern ge¬
legt hatte. Seit dem 30. Januar nun hat die nationalsozialistische Bewe¬
gung in unverminderter Angriffslust eine Machtposition nach der ande¬
ren genommen. Sie hat ihre politischen Gegner zu Paaren getrieben. Sie
hat in einer Gleichschaltung quer durch die Länder und die Stände und
die Berufe und die Parteien in Deutschland wieder einen einheitlichen
nationalen und sozialistischen Volkswillen hergestellt, hat die breiten
Massen geeint in einer wahren Volksgemeinschaft aller Schaffenden aus
jedem Beruf, aus jedem Stand und aus jeder Konfession.
Man muß sich heute eigentlich darüber wundern, wo denn eigentlich
unsere Gegner geblieben sind. Und wenn man den Tatsachen Gehör
schenken wollte, dann sähe es so aus, als hätte es in Deutschland niemals
einen Kommunismus, niemals eine Sozialdemokratie, niemals ein Zen¬
trum oder irgendeine andere bürgerliche Partei gegeben. Sie alle erklären
heute mit hohlem Pathos, das, was wir heute täten, das hätten sie schon
immer gewollt. Schon immer hätten sie die Absicht gehabt, Deutschland
nach innen und nach außen zu reinigen, und sie begrüßten es deshalb aus
vollem Herzen, daß wir Nationalsozialisten ihnen diese von ihnen schon
immer geplante schwere Aufgabe abgenommen hätten [Heiterkeit],
Allerdings könnte man dagegen die Frage erheben, warum sie denn diese
schwere Aufgabe in den vergangenen vierzehn Jahren nicht erfüllt
114
haben. Denn sie hatten ja Zeit und Macht dazu, sie besaßen die Mehr¬
heit, sie hatten die öffentliche Meinung, das Volk stand hinter ihnen, sie
verfügten über Polizei, über Staatsapparat, über Parlamentarismus, über
Geld und Kapital. Sie hatten alles, was dazu gehört, um aus Ideen Reali¬
täten zu machen.
Trotzdem haben sie nichts getan. Und zwar deshalb, weil sie nichts
tuen wollten, weil sie zu feige waren, weil sie vor den großen Entschei¬
dungen auswichen, weil sie die Zeit nicht verstanden, weil sie, obschon
das Volk sie in die Sessel der Macht hinein gehoben hatte, das Volk im
Stich ließen und aus dem Elend und dem Jammer und der Not nur eine
Berechtigung für ihr eigenes parasitäres Prasserdasein schöpften. Darum
— [Beifall], darum hat das deutsche Volk sie mit Recht aus der Macht
herausgefegt. Und ich glaube, wohl niemals in der ganzen Weltgeschichte
hat es eine Usurpatorenschicht gegeben, die so feige und so jämmerlich
der Notwendigkeit ihrer eigenen Existenz ausgewichen wäre. Wir haben
sie ja niemals für tapfer gehalten. Aber daß sie so jämmerliche Feiglinge
und Zwerge waren, das haben selbst wir nicht für möglich gehalten!
[Beifall.] Sie hoben ihre Bankdepots ab und verdufteten dann in die
Schweiz [Heiterkeit]. Von dort aus ziehen sie jetzt die Zweite Interna¬
tionale 8 auf. Sie wollen den deutschen Arbeiter beglücken. Sie wollen
das deutsche Volk vom Terror befreien. Sie wollen, daß der Marxismus
wieder zur Herrschaft komme, um das nachzuholen, was er in den ver¬
gangenen vierzehn Jahren versäumt hat [Heiterkeit]. Aber sie irren sich.
Die Herren laufen hinter der Zeit her! Sie haben die Zeichen der Zeit
nicht verstanden! Ihre Uhr ist abgelaufen! [Einzelne Bravo-Rufe.] Nur
schade, daß sie sich unserem Zugriff entziehen konnten. Nur schade, daß
sie jetzt vom Ausland her dem deutschen Volke und der deutschen
Nation Schwierigkeiten bereiten können.
Daß sie die Macht verloren, das haben sie uns Nationalsozialisten zu
verdanken. Wir sind ihnen zu Leibe gerückt! In einer vierzehnjährigen
Oppositionszeit haben wir ihnen die Maske von der heuchlerischen
Fratze heruntergerissen [Beifall]. Wir haben sie nicht geschont. Wir
haben sie dem Volk gezeigt, wie sie sind: Arbeiter- und Volksbetrüger,
Landesverräter aus Beruf, die nur ihr eigenes fettes Dasein, aber nicht
die Lebensnotwendigkeit des deutschen Volkes anerkennen wollen! Wenn
sie gestürzt wurden, dann hat die Nation das uns zu verdanken! Wir
5 Der lockere, auf gemeinsamen Kongressen und in einem ständigen Büro do¬
kumentierte Zusammenschluß der sozialistischen Parteien, 1889 gegründet, mit
dem Beginn des Ersten Weltkriegs zerfallen, 1923 in Hamburg wiederbelebt,
jedoch ohne die frühere Universalität und auch durch die inzwischen erfolgte
Abspaltung der kommunistischen Parteien (3. Internationale, Komintern) ge¬
schwächt.
115
Nationalsozialisten haben die Revolution gemacht! Und wenn sich heute
an unsere Rockschöße bürgerliche Parteien und Verbände anheften und
vor der Öffentlichkeit und vor der Geschichte den Eindruck zu erwek-
ken versuchen, als wären sie auch dabei gewesen, dann können wir ihnen
nur zur Antwort geben: Ihr kommt zu spät! Revolutionen — [Beifall],
Revolutionen werden nicht nach dem Sieg, sie werden vor dem Sieg ge¬
macht! [Bravo-Rufe, Beifall.] Und wer auf dem Schlachtfeld nicht zu
finden ist, der soll auch keinen Anteil an der Beute haben [Beifall].
Diese Hyänen möchten sich in unserem Rücken als Leichenfledderer
aufspielen [Beifall], Sie tuen so, als wären sie überall dabeigewesen. Mit
einem Male soll das ihre Revolution sein. Mit einem Male sind sie ver¬
antwortungsbewußt, staatsbewußt, stellen sich hinter die neue Regierung
und erklären vor aller Welt, das hätten sie immer gewollt. Schaut ihnen
auf die Finger. Sie meinen es nicht ehrlich mit dem deutschen Volk. Sie
möchten wieder einmal die Massen hinters Licht führen. Sie, die heute zu
feige sind, sich offen als Feinde zu bekennen, sie tarnen sich heute als un¬
sere Freunde, spielen sich auf als die harmlosen Biedermänner, wollen
immer und überall dabeisein und wollen an der Beute Anteil nehmen, die
wir erobert haben! Ich aber sage Euch 4 5 : Das Recht, die Revolution aus¬
zugestalten, haben immer nur die, die die Revolution gemacht haben!
[Bravo-Rufe, Beifall.] Wir, die wir die Macht eroberten, wir können
heute für uns allein den Anspruch erheben, die Macht auch zu gebrau¬
chen. Und gebrauchen werden wir sie!
Das will auch das Volk. Alles können die breiten Massen verzeihen, —
eines aber nicht: daß einer die Macht hat, aber zu feige ist, die Macht zu
gebrauchen. Das Volk hat uns nicht die Macht gegeben, damit wir sie
unbenutzt lassen. Das Volk hat am 5. und 12. März in einer überwälti¬
genden Willenskundgebung dargetan 1 : Hier habt Ihr die Macht, nun ge¬
braucht sie auch! Und das haben wir denn getan [Beifall], Wir haben die
Organisationen gleichgeschaltet, haben die Parteien der Macht entklei¬
det, haben die Presse zum Staatsbewußtsein zurückgeführt, wir haben
aus dem Konglomerat von partikularistischen Rentländern' eine Reichs¬
einheit geformt, wir haben dem Volk eine einheitliche Idee und eine ein-
4 Nach stilistischen Anleihen bei Nietzsche wertet Goebbels jetzt, wie er das auch
sonst gern tut, die Bibel aus.
5 5. März: Reichstagswahl, vgl. Nr. 12, Anm. 1, und Nr. 13, Anm. 5. —
12. März: Kommunalwahlen in Preußen mit — in Anbetracht von Propa¬
ganda und Terror nicht sehr verwunderlichen — weiteren NSDAP-Erfolgen,
u. a. absoluter Mehrheit in sechs der zwölf Provinziallandtage. In Goebbels'
Berlin waren es freilich noch immer erst 38,3 Prozent gewesen, die der NSDAP
ihre Stimmen gegeben hatten.
• So deutlich zu verstehen. Ob es sich um ein unkorrigiertes Versprechen handelt
oder ob sich Goebbels dabei etwas gedacht hat (Analogie zu Rentamt?), muß
offenbleiben.
116
heitliche Organisation gegeben. Nun mit einem Male meint ein jeder, er
müsse nun Mitglied dieser Organisation werden. Und was schlimmer
noch ist: die, die da neu zu uns kommen, erheben den Anspruch, mit de¬
nen, die seit Jahren bei uns kämpfen, dieselben Rechte und Ansprüche zu
genießen. Das geht nicht an. Bei uns wird der Mensch nach Leistung be¬
urteilt. Jeder, der die Macht mit eroberte , der hat auch seinen Anspruch
auf einen Teil der Macht.
Gewiß soll das ganze Volk hinter uns stehen. Aber unsere Politik wird
von einer zielbewußten Minderheit gemacht. Und diese Minderheit kann
nur von unserer alten Parteigarde gestellt werden [Bravo-Rufe, Beifall].
Denn diese Parteigarde ist im Kampf gehärtet. Sie hat die Nerven, um
eine Sache durchzustehen. Sie fürchtet sich vor nichts. Sie ist auch ent¬
schlossen, das Leben einzusetzen. Sie ist durch eine Zehnjahresschule von
Terror und Verleumdung und Verfolgung hindurchgegangen. Diese alte
Parteigarde steht! Sie wankt nicht und sie weicht nicht! Sie ist das
scharfe Schwert in der Hand Adolf Hitlers! [Bravo-Rufe, Beifall.]
Nicht immer wird es uns gut gehen. Es werden auch böse und schlimme
Tage kommen. Die neue Regierung wird Belastungsproben ausgesetzt.
Krisen werden vielleicht über Deutschland hereinbrechen. Dann möchten
wir uns nicht auf eine unkontrollierbare, amorphe Mehrheit verlassen,
sondern dann wollen wir im Rücken gedeckt sein durch eine aktive,
kämpferische Minderheit, und die wird gestellt von unserer SA und SS
und unserer alten Parteigarde! [Beifall.]
Gewiß, wir haben den Marxismus schachmatt gesetzt. Zwar versucht
er heute noch auf landesverräterische Weise, vergiftete Pfeile aus Prag
und Paris und Zürich loszuschicken 7 . Zwar versucht er, das junge
Deutschland in der Welt zu diskreditieren. Der alte SPD-Vorstand teilt
sich in zwei Hälften, von denen die eine Hälfte von der anderen Hälfte
nichts wissen will 8 . Sie glauben uns täuschen zu können. Sie handeln
nach dem Wort ihres jüdischen Dichters: Blamier mich nicht, mein schö¬
nes Kind, und grüß mich nicht unter den Linden; wenn wir nachher zu
7 Prag war Sitz der „Sopade", des SPD-Parteivorstands im Exil, nachdem der
Gesamtvorstand am 4. Mai, nach der Besetzung der Gewerkschaftshäuser,
einen Teil seiner Mitglieder mit der Errichtung einer Auslandsstelle beauftragt
hatte. Paris und Zürich dürften nur als Aufenthaltsorte einzelner prominenter
Emigranten in diese Aufzählung gelangt sein.
8 Zwischen dem noch in Berlin befindlichen Rumpfvorstand der SPD (darunter
der ehemalige Reiehstagspräsident Paul Lobe) und dem Exil-Vorstand war
es über die Frage der Teilnahme oder Niehtteilnahme an der Reidistagssit-
zung vom 17. Mai zum Konflikt gekommen, der dann am 19. Juni zum Bruch
führte. Die Berliner vertraten die Linie der Legalität, d. h. sie machten den —
schon bald, mit dem SPD-Verbot vom 22. Juni endgültig gescheiterten — Ver¬
such, im NS-Regime irgendwie weiter zu existieren. So hatte etwa der Berliner
Vorstand am Vortage, am 15. Juni, offiziell alle Erklärungen widerrufen, die
im Ausland im Namen der Partei abgegeben worden waren.
117
Hause sind, dann wird sich alles finden 6 [Gelächter, Beifall], Aber sie
irren sich gründlich, wenn sie glauben, uns damit täuschen zu können.
Wir sind mit allen Wassern gewaschen [Heiterkeit], Wir kennen ihre
Tricks. Wir haben ihnen zu lange auf die schmutzigen Pfoten geschaut
[Heiterkeit], als daß wir ihr schlimmes Handwerk nicht erkennen sollten.
Wenn sie von Prag aus das Reich in internationale Schwierigkeiten stür¬
zen wollen, dann werden wir uns an die halten, die in Deutschland geblie¬
ben sind [Bravo-Rufe, Beifall]. Und wir werden mit ihnen nach dem
Sprichwort verfahren: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen! [Bravo-
Rufe, Beifall.] Wir tuen das nicht aus Parteiinteresse, aber wir lassen es
nicht zu, daß deutsche Arbeiter ihr Brot verlieren, weil gewissenlose
Arbeiterveiführer ihr persönliches Parteiinteresse über das Interesse der
deutschen Nation stellen! Darüber müssen die Herren vom Vorwärts 10
sich klar sein. Und wenn Herr Lobe mit der Miene eines falschen Bieder¬
mannes mit erhobener Hand erklärt: Ich kenne Euch nicht mehr, Ihr
Brüder in Prag und Zürich und Paris 11 , — so können wir ihm darauf
nur zur Antwort geben: Wir können sie nicht fassen, deshalb müssen wir
an Euch uns schadlos halten! [Bravo-Rufe, Beifall.] Im übrigen: Was
soll man auf solche Erklärungen geben? Herr Wels hat, bevor er aus
Deutschland flüchtete, pathetisch erklärt, er wolle nichts mehr mit der
Zweiten Internationale zu tuen haben 12 . Jetzt, wo er in Prag in siche¬
rem Gewahrsam sitzt, — jetzt mit einem Male erklärt er, diese erste Er¬
klärung habe er unter Druck abgegeben und die gelte nicht. Wer garan¬
tiert uns, daß das, was Herr Lobe heute erklärt, nicht morgen von ihm
im Ausland widerrufen wird als unter Druck abgegeben? Da muß ich
schon sagen: Sicher ist sicher [Heiterkeit] —, und was man hat, das hat
man! [Gelächter, Beifall.]
9 Richtig: . . . wird sich schon alles finden. — Der „jüdische Dichter" ist Hein¬
rich Heine (Erstdruck im „Berliner Gesellschafter" vom 31. März 1824), den
der junge Goebbels, bevor er der Parteikarriere zuliebe Antisemit wurde,
durchaus geschätzt hatte. Übrigens muß auch die NS-Publizistik den ver¬
femten Heine noch recht gut gekannt haben: überall wurde „unter den Lin¬
den" an sich falsch (denn gemeint ist die Straße in Berlin), aber originalgetreu
mit kleinem Anfangsbuchstaben gedruckt.
111 Bis zum Verbot vom 28. Februar 1933 als Tageszeitung das Zentralorgan der
SPD.
11 Vgl. Anm. 7 und Nr. 2, Anm. 21.
12 Otto W„ von 1919—1933 Vorsitzender der SPD, bekannt geworden insbe¬
sondere durch seine mutige Rede in der Reichstagssitzung vom 23. März 1933,
wo er als einziger Abgeordneter gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz die Stimme
erhob und die Ablehnung seiner Fraktion begründete. W. war z. B. im Fe¬
bruar aus dem Büro der 2. Internationale ausgetreten und hatte auch sonst den
nun nur noch von der Berliner Gruppe praktizierten Versuch, das Dritte Reich
in der Legalität zu überstehen, bis zu seiner Emigration Anfang Mai (vgl.
Anm. 7) mit vertreten. Erst der Aufenthalt im Ausland hatte zu einer anderen
— und, wie sich herausstellte, richtigen — Sicht der Verhältnisse im Reich
geführt.
118
Uber die bürgerlichen Parteien brauche ich —, ich nicht viel Worte zu
verlieren. Man kann ihnen nur den Nachruf nachsenden: Laßt die Toten
in Frieden! [Gelächter.] Sie schleichen nur noch als lebende Leichname
durch die Öffentlichkeit [Heiterkeit]. Sie erheben im Ernst gar keinen
Anspruch mehr auf Existenzberechtigung 11 . Hin und wieder erfährt die
deutsche Öffentlichkeit durch eine gewundene Parteierklärung über¬
haupt davon, daß sie noch leben. Da tummeln sich ein paar Rechtsan¬
wälte oder ein paar Oberlehrer oder ein paar stehengebliebene Parteise¬
kretäre herum [Heiterkeit] und verwalten die Konkursmasse [Geläch¬
ter], Niemand hat mehr an ihnen ein Interesse, die Entwicklung ist längst
über sie hinweggegangen, sie spielen nur noch eine Schattenrolle, sie die¬
nen zur Belustigung der Öffentlichkeit [Gelächter], Man kann nur
sagen: Spaß muß sein bei der Leiche [Gelächter],
Unterdes nun setzen wir unsere Revolution fort. Wenn man uns entge¬
genhält: Ihr seid radikal!, — dann können wir nur zur Antwort geben:
Haben wir denn je behauptet, daß wir nicht radikal wären? [Heiter¬
keit.] Wenn man uns sagt: Ihr seid gegen die Juden!, — dann können wir
nur zur Antwort geben: Ja, habt Ihr denn angenommen, wir wären für
die Juden? [Heiterkeit.] Wenn man uns sagt: Ihr seid zu rigoros! Ihr seid
zu deutlich! Ihr macht ja keine Kompromisse!, — dann können wir nur
zur Antwort geben: Wir haben darüber ja in unserer Oppositionszeit
auch niemals einen Zweifel gelassen. Und ich glaube, deshalb hat das
deutsche Volk uns seine Gefolgschaft geliehen. Das Volk will das. Das
Volk ist der Kompromisse satt! Das Volk will reinen Tisch! Es will, daß
ausgeräumt wird! Es sollen sich endlich Männer finden, die diese stinkige
Atmosphäre von Korruption und parteipolitischer Luderwirtschaft aus
Deutschland beseitigen! [Bravo-Rufe, Beifall.]
Wenn man uns vorwirft, wir gingen mit unseren Gegnern zu wenig
glimpflich um, dann können wir nur sagen: Unsere Gegner sollen froh
sein, daß wir mit ihnen umgehen. Es hätte auch anders kommen können.
Wenn das deutsche Volk mit ihnen umgegangen wäre, dann hätte das
vermutlich ganz anders ausgesehen. Das deutsche Volk 14 macht uns
nicht etwa den Vorwurf, daß wir zu radikal seien, — höchstens, daß wir
zu human vorgegangen sind [Beifall], Und das hinwiederum haben wir
nicht getan, weil wir mit unseren Gegnern Mitleid hätten, sondern weil
" Wie recht Goebbels damit hatte, erwies sich noch im gleichen Monat; vgl.
Nr. 16, Anm. 2.
14 Lies: die SA und die übrigen unzufriedenen oder zu kurz gekommenen
NSDAP-Kämpfer, deren Verlangen nach einer wirklichen, einer „zweiten Re¬
volution" Goebbels hier sowohl zu beschwichtigen wie auch zu vertreten
scheint, was seine Unsicherheit zeigt: Er selbst hätte zwar eine solche Ent¬
wicklung begrüßt, noch indes (und das dauerte ein weiteres volles Jahr) hatte
Hitler sich — und damit auch für Goebbels — nicht entschieden.
119
wir der Überzeugung sind, daß die Revolution noch nicht zu Ende ist.
Nur nicht drängeln, es kommt ein jeder dran! [Gelächter, Beifall.] Eins
nach dem andern! Wir schlucken nie etwas herunter, was wir nicht ver¬
dauen können [Eleiterkeit]. Aber so nach und nach fressen wir alles in
uns hinein [Eleiterkeit], Uns zwar: bis einmal Nationalsozialismus und
deutsche Nation ein und dasselbe sind! [Bravo-Rufe, Beifall.]
Das zu erreichen ist eine schwere Aufgabe. Und wir sind uns der
Größe der Verantwortung, die wir damit übernehmen, vollauf bewußt.
Wir scheuert auch diese Verantwortung nicht! Wir sind nicht nur verant-
wortungs bereit, wir sind auch verantwortungs/retet/rg/ Wir sind jung!
Wir haben nicht ein Leben hinter uns, wir haben ein Leben vor uns! Wir
wollen anfassen! Wir wollen dem Schlendrian ein Ende machen! Wir
wollen dem Volke Arbeit, Brot geben, und dazu haben wir das Ver¬
trauen des Volkes nötig! Wie wir das schon vor der Übernahme der
Macht gesagt haben: Wenn wir einmal die Macht haben — wir schlie¬
ßen uns nicht vom Volke ab, sondern wir kommen immer wieder zum
Volke zurück. Das Volk soll uns niemals vergessen. Es soll uns immer im
Gedächtnis behalten. In guten und in bösen Tagen wollen wir mitten im
Volk stehen, denn wir sind ja nur die Willensvollstrecker des Volkes
[Beifall.]
Wir schließen uns deshalb auch nicht in den luftleeren Räumen der
Wilhelmstraße ab. Sondern immer wieder gehen wir ins Land hinaus!
Immer wieder öffnen wir die Herzen und die Gehirne der Menschen.
Immer wieder geben wir dem Volk Trübsal in sein —, geben wir dem
Volk Trost in seiner Trübsal 15 . Immer wieder nehmen wir uns der Not
und des Elends der breiten Massen an. Und das Volk weiß auch, daß wir
nicht in einigen Wochen und Monaten die große Not beseitigen können.
Das Volk weiß aber auch, daß wir den Willen dazu haben und daß wir
entschlossen sind 18 (zu helfen. Wie haben die anderen sich mit der Not
der Arbeitslosen abgeplagt. Mit kleinsten Mitteln haben sie versucht, hier
und da Linderung zu bringen. Wir packen den Stier bei den Hörnern
und entwerfen ein grandioses Arbeitsbeschaffungsprogramm und vertei¬
len dieses Programm auf vier Jahre. Wir bauen Riesenstraßenzüge, ent¬
werfen ein Riesenbauprogramm, kurbeln die Wirtschaft in ganz großem
Stile an und sagen dann zum Volk: Nun mußt du auch mithelfen. Wir
sehen jetzt mit einem Male, wie die Zahlen der Arbeitslosen zu sinken
15 Ein Lapsus dieser Art könnte vor einer noch denk- und reaktionsfähigen
Hörerschaft leicht verderblich werden, — hier zeigt sich Goebbels mit vollem
Recht auch nicht eine Spur irritiert.
18 An dieser Stelle fehlen die zwei Platten. Die Lücke ist nach den beiden oben
erwähnten Zeitungswiedergaben geschlossen worden, die jedoch erheblich
voneinander abweichen. Der Text mußte daher nahezu satzweise zusammen¬
gestellt werden und gibt nur einen ungefähren Anhalt.
120
beginnen, wie alle wieder Hoffnung schöpfen und wie das, was an gro¬
ßer Not noch übriggeblieben ist, vom Volke deshalb leichter getragen
werden kann, weil es weiß: Wir haben eine Regierung, die uns niemals
im Stich lassen wird. Wenn man von Rußland sagt, das charakteristische
Merkmal dieses Volkes sei, daß man keinen Menschen mehr lachen sieht,
so kann man sagen: Das deutsche Volk hat das Lachen wieder gelernt!
Wir haben uns dem Leben wieder hingegeben, mit einer inneren Freudig¬
keit versehen wir den Dienst, und wer noch von der Arbeit ausgeschlos¬
sen ist, ist überzeugt, daß die Regierung kein Mittel unversucht läßt, ihm
seine Arbeit wieder zurückzugeben. Das ist das große, aktive Vertrauens¬
kapital, das wir in Deutschland aufgehäuft haben. Schon steigt überall
das Vertrauen, langsam weicht die Not. Was bleibt an Not, wird leichter
ertragen. Wenn wir Nationalsozialisten heute erneut Vertrauen verlan¬
gen, Hilfe und Opfersinn, so wird das Volk sie uns geben.
Das ist das Wesen einer Revolution, daß sie ein Volk innerlich umge¬
staltet und daß das Volk nach der Revolution gar nicht mehr wiederzu¬
erkennen ist gegenüber dem Volk vor der Revolution. Unsere Revolution
hat das Volk umgestaltet! Revolutionen können schlechter und besser
machen. Die von 1918 sah andere Menschen, als es 1914 gab. Sie hat
diese Menschen noch schlechter gemacht. Das Volk von 1933 ist nicht
mehr zu vergleichen mit dem Volk von 1918, denn unsere Revolution
hat das deutsche Volk wieder gut gemacht. Neue Tugenden erwachsen
überall, Merkmale des revolutionären Umbruchs, dem sie entsprießen:
Edelmut, Heroismus, Männlichkeit, Opferbereitschaft, Disziplin, Einord¬
nungsvermögen, glühende Hingabe an den Staat und an die gemeinsame
nationale Sache. Das alles sind die charakteristischen Merkmale des
revolutionären Umbruchs, den wir vollzogen haben.
So wollen wir in dieser feierlichen Abendstunde geloben: So, wie wir
waren, so sind wir und so wollen wir bleiben: kompromißlos, radikal,
zielbewußt, immer nach vorn marschierend.) niemals zurückweichend, in
gläubiger Flingabe dem Vaterland, der Partei und dem Führer ergeben
und zugetan. Ihr Männer der SA und der SS, Ihr Jungens von der Hit¬
ler-Jugend, — Ihr seid die junge Garde der deutschen Revolution.Ihr
habt den Führer auf Euren Schultern in die Macht hineingetragen. Ihr
habt den Staat erobert, und Ihr könnt heute mit Stolz sagen: Es ist unser
Staat, es ist unser Reich, es ist das Dritte Reich, das wir nun ausbauen
wollen, dem wir all unser Sinnen und Trachten und Handeln zu widmen
entschlossen sind. Diese Garde der deutschen Revolution wird weiter¬
marschieren. Sie wird niemals feige sein, sie wird die hohen, idealen Ziele
unseres Glaubens und unserer Weltanschauung Zug um Zug und Stück
für Stück in die Wirklichkeit übersetzen.
Und so grüße ich Euch denn, Ihr schaffenden Männer und Frauen von
121
Hamburg, die Ihr zu vielen Zehntausenden an diesem Abend vor mir
aufmarschiert seid: Ihr, die Träger unseres Staates, — Ihr, die Rücken¬
deckung dieses Regimes und dieser Regierung, — Ihr, die Ihr in blindem
und gläubigem Vertrauen der Sache Eures Führers ergeben und ver¬
schrieben seid. Seid stolz darauf, was Ihr geleistet habt, und gelobt es
Euch selbst: Die Tugenden, mit denen Ihr die Macht erobert, sie sollen
auch dazu dienen, die Macht zu halten! Jetzt beginnen wir mit dem
Aufbau! Jetzt wollen wir unsere Kräfte regen! Jetzt fordern wir die Not
in die Schranken! Jetzt werden wir dem Hunger und der Arbeitslosigkeit
den Krieg erklären! Und wir werden diese Feinde des deutschen Glücks
zu Boden werfen! Nichts ist unmöglich, wenn das deutsche Volk es will
und wenn die Führer des deutschen Volkes die dazu geeigneten Wege zu
beschreiten entschlossen sind. Ihr, die Avantgarde der deutschen Revolu¬
tion, und das ganze Volk hinter uns, das ganze Volk in allen Ständen,
Berufen und Konfessionen — so, wie der Dichter sagt 17 : Das ganze
Deutschland soll es sein!
Dann werden wir auch die Schwierigkeiten überwinden, die uns von
draußen drohen. Dann wird niemand uns zu Boden werfen. Dann wird
unser im nationalsozialistischen Feuer gestählter und gehärteter Wille
alle Hindernisse beseitigen. Dann treten wir vor die Welt hin — ein jun¬
ges deutsches Geschlecht, eine Generation, emporgewachsen aus Krieg
und Revolution — und sagen es der Welt: Wir wollen den Frieden, aber
wir wollen auch unsere nationale Ehre. Wir wollen der Welt die Hand
reichen, aber die Welt muß auch in unsere Hand einschlagen ls . Dieses
deutsche Volk will in Ehren und Achtbarkeit seiner Arbeit nachgehen. Es
ist entschlossen, den schweren Kampf um das tägliche Brot aufzuneh¬
men. Es will nichts anderes, als daß die Welt es dabei in Ruhe und in
Frieden läßt.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott und uns nicht fürchten vor
der Macht der Menschen. Dem Führer, dem Volke, der Bewegung und
der Idee wollen wir auch in dieser feierlichen Abendstunde noch einmal
unsere glühende Hingabe, unsere Bereitschaft, unsere innere Begeisterung
verpflichtend darreichen, indem wir Zehntausende aus übervollem Her¬
zen ausbrechen in den Ruf: Adolf Hitler — Heil! [Zuhörer: ..Heil!"],
Heil! [Zuhörer: „Heil!"], Heil! [Zuhörer: „Heil!"] 1 »
17 Ernst Moritz Arndt: Des Deutschen Vaterland (1813).
18 Dies (der sonst so zitierfreudige Goebbels hätte auch den 1848er Vers „Und
willst du nicht mein Bruder sein, so schlag' ich dir den Schädel ein!” benutzen
können) war in der Tat die — zum Scheitern verurteilte — außenpolitische
Maxime gegenüber Ländern wie England oder auch Frankreich.
" Anschließend dankte der Veranstalter, Gauleiter Kaufmann, seinem Freunde
Goebbels, und dann erfreute die Hamburger nach dem rhetorischen noch ein
pyrotechnisches Feuerwerk.
122
NDR Nr. 03 — 1246 (37* 39"). Die Rede wurde vom Norddeutschen Rund¬
funk übertragen; kurze Auszüge wurden in der Presse (VB vom 18. Juni 1933)
nachgedruckt, in den lokalen Zeitungen eine ausführlichere, jedoch auch sehr
lückenhafte Wiedergabe. Danach (Hamburger Fremdenblatt [Morgenausgabe]
und Hamburger Nachrichten vom 17. Juni 1933) wurden zwei in der Auf¬
nahme fehlende Platten in < > ergänzt.
123
Nr. 16
30. 6. 33 — Berlin, Deutsches Stadion (Grunewald) — Sonnwendfeier der
Gaupropagandastelle der NSDAP Groß-Berlin
Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Die am heutigen Abend trotz des Wetters 1 hier Versammelten sind sozu¬
sagen die Unentwegten unserer Partei. Ich glaube — [Heilrufe], ich
glaube, daß von denjenigen, die seit dem 30. Januar bei uns eintraten,
um die Konjunktur auszunützen, nicht sehr viele unter uns weilen [Heil¬
rufe]. Und das ist auch ganz natürlich so. denn wir alten Nationalsozia¬
listen, wir haben anderes durchgemacht als einen Regenabend. Und wir
sind der Überzeugung: Wir werden auch noch anderes durchzumachen
haben. Denn unsere Art ist es nicht, sich in Illusionen zu wiegen. Und
wenn wir auch seit dem 30. Januar in einer unheimlichen Dynamik unse¬
rer Bewegung Zug um Zug das deutsche Volk eroberten, die Parteien
zerschlugen, die Organisationen auflösten oder gleichschalteten, — das
will an sich noch nichts besagen. Der Feind lebt noch, er stellt sich nur
tot. Er ist durch den Vollzug der nationalsozialistischen Revolution in
einen panischen Schrecken versetzt worden. Aber ich glaube nicht, daß
er das Feld endgültig aufgegeben hat. Er wartet auf seine Stunde; und es
braucht über uns nur eine große Krise hereinzubrechen, dann, bin ich der
Überzeugung, — dann würde der Gegner wieder sein Haupt erheben.
Und deshalb dürfen wir alten Nationalsozialisten nicht lässig werden,
wir dürfen uns nicht in Sicherheit wiegen, wir dürfen niemals glauben,
daß die Revolution schon zu Ende sei. Wir sind erst mitten drin! Vieles
haben wir hinter uns gebracht, aber mehr noch liegt vor uns, das gelöst
1 In der vergeblichen Hoffnung auf besseres Wetter hatte man den Beginn der
Feier um eine Stunde verschoben. Der Goebbels-Rede vorangegangen waren
übrigens trotzdem eine Ansprache des Gaupropagandaleiters, sportliche
Übungen und Wettkämpfe von HJ und BDM sowie ein „Germanenzug von
mehreren hundert Teilnehmern zu Fuß und zu Pferde".
124
und gemeistert werden muß. Und deshalb tuen wir gut daran, uns in all
unseren Arbeiten und Entscheidungen auf den Kern unserer alten Partei
zu verlassen und zu berufen. Denn der Kern der Partei muß unversehrt
und unangetastet bleiben. Es ist jene eherne Avantgarde der deutschen
Revolution, die niemals wankte und niemals wanken wird, die in den
vergangenen Jahren Haß, Verleumdung, Terror und Verfolgung willig
auf sich genommen hat, um der Sache zu dienen und die Idee ans Ziel zu
bringen. Diese alte Garde hat sich auch am heutigen Abend wieder trotz
Regen und Unwetter hier versammelt, denn diese alte Garde fühlt sich
als eine große Familie, als eine Familie, die in Leid und Verfolgung an¬
einandergewachsen ist, die in der Partei mehr sieht als ein billiges Ver¬
gnügen oder eine bequeme Möglichkeit, zu Amt und Würden und Beruf
zu kommen.
Wir stehen in entscheidenden Stunden. Im Verlauf von acht Tagen ist
die deutsche Revolution wieder um einige Schritte vorwärtsgekommen.
Parteien, die vor ein oder zwei Wochen noch politische Bedeutung besa¬
ßen, haben sich selbst aufgelöst oder befinden sich in der Selbstauflö¬
sung 2 . Männer, von denen man glaubte, daß sie auch noch für die Zu¬
kunft ein gewichtiges Wort in der deutschen Politik mitzureden hätten,
sind in der Versenkung verschwunden“" und durch neue, junge Kräfte des
Nationalsozialismus ersetzt worden. Ein Schwung und eine Begeisterung
klingt in dieser Bewegung mit, wie sie sonst niemals in Deutschland fest¬
zustellen gewesen ist. Und nachdem die Männer der nationalsozialisti¬
schen Revolution die politischen Fragen bereinigt haben und sie zu einem
gewissen Abschluß brachten, beginnen sie jetzt damit, die großen Pro¬
bleme der deutschen und Weltwirtschaftskrise in Angriff zu nehmen 4 .
Was haben Regierungen, die uns vorangingen, den kühnen Plänen, mit
denen wir uns tragen, entgegenzusetzen? Wo gab es in Deutschland seit
1918 jemals Männer, die so großzügig, so verwegen und so auf weite
8 So geschehen unter dem Druck der siegreichen Hitler-Partei. Nachdem die SPD
am 22. Juni verboten worden war, lösten sich die übrigen „freiwillig" auf:
am 27. Juni der „Koalitionspanner" DNVP, am 28. Juni die Staatspartei und
am 4. und 5. Juli dann noch BVP und Zentrum, — am 14. Juli wurde durch
Reichsgesetz die Neubildung von Parteien unter Strafe gestellt.
5 Damit dürfte der linke Flügelmann Goebbels in erster Linie den Bilderbuch-
Reaktionär und DNVP-Chef Hugenberg gemeint haben, der am 27. Juni
auch als Reichs- und kommissarischer preußischer Wirtschafts- und Ernäh¬
rungsminister zurückgetreten war.
4 Der Zeitungsbericht führt anstelle der nächsten drei Sätze merkwürdiger¬
weise folgenden Text an: „Wir wissen aber, daß diese Regierung nichts ver¬
mag, wenn das Volk nicht hinter ihr steht und ihr mit seinem ganz großen
Vertrauen für ihre Entschlüsse die nötige Rückendeckung zu geben bereit ist.
Darum verschanzen wir uns nicht in dem luftverdünnten Raum der Wilhelm¬
straße, sondern schlagen begeistert Brücken zu<m> Volk in Stadt und Land."
Im Tondokument befindet sich an den Nahtstellen jedoch eindeutig keine Un¬
terbrechung (Plattenwechsel allerdings vor dem dritten Satz).
125
Sicht eingestellt die Probleme der Zeit in Angriff nahmen? Alles kann
man uns vorwerfen — nur nicht, daß wir keinen Mut hätten, uns mit
den Fragen der Zeit auseinanderzusetzen. Der erste Spatenstich zu einem
Riesenbauwerk von 5000 Kilometer neuen Autobahnen ist getan; seitdem
Adolf FEtler die Macht angetreten hat, ist die Erwerbslosigkeit um
1 700 000 gesunken; durch das große Reformwerk der deutschen Land¬
wirtschaft ist der Bauer vor den furchtbarsten Folgerungen geschützt,
die Fabriktore fangen wieder langsam an, sich zu öffnen, die Kommunen
werden Zug um Zug gereinigt, die Länder versuchen ihre Finanzen in
Ordnung zu bringen, und zum ersten Male seit vielen Jahren legt diese
Regierung einen Reichsetat vor, der in sich ausgeglichen und balanciert
ist. Wir haben getan, was wir tuen konnten, und sind auch in Zukunft
entschlossen zu tuen, was menschenmöglich ist.
Das aber wissen wir: daß diese Regierung nichts vermag, wenn das
Volk nicht hinter ihr steht und ihr mit seinem ganz großen Vertrauen
für ihre schweren Entschlüsse die nötige Rückendeckung zu geben bereit
und gewillt ist. Darum verschanzen wir uns nicht in den luftverdünnten
Räumen der Wilhelmstraße, darum sehen wir unsere einzige Aufgabe
nicht darin, Gesetzentwürfe zu fabrizieren, — von der Wilhelmstraße
aus schlagen wir die geistigen Brücken zum Volk in Stadt und Land,
suchen wir Arbeiter, Bauer und Bürger unmittelbar zu erfassen und die
Massen in eine unmittelbare Beziehung zum Regime, zu den Männern
der Regierung und zu den großen Entschlüssen, die sie fassen müssen, zu
tragen. Und da ist es wieder die nationalsozialistische Bewegung, die hier
diese unmittelbare Verbindung zum Volke herstellt. Sie ist in der Tat das
Stahlgerippe des deutschen Staates, sie hat diesem Staat wieder Kraft
und inneren Halt, Selbstbewußtsein und Stärke zurückgegeben. Wenn
das deutsche Volk sich heute wieder seiner Kraft bewußt ist, wenn die
Menschen wieder anfangen zu glauben, wenn sie den Mut aufbringen,
mit den schädlichen Erscheinungen der Zeit den Kampf aufzunehmen, so
können wir das unserer jungen, aktivistisch-revolutionären Bewegung
und der Führerhierarchie dieser Partei verdanken.
Wir haben vierzehn Jahre lang gepredigt das, was wir heute wahrma¬
chen: daß nämlich alles möglich ist, wenn das Volk an die Möglichkeit
glaubt, und daß ein Volk alles kann, wenn es alles will , und daß Hinder¬
nisse von Menschen gemacht werden und deshalb auch von Menschen be¬
seitigt werden können, und daß die Ketten, die man uns anlegte, von
Menschen geschmiedet wurden und daß Menschen auch wieder die Kraft
aufbringen können, diese Ketten zu zerbrechen [Bravo-Rufe, Beifall],
Diesen Glauben — [Beifall], diesen Glauben haben wir dem Volk einge¬
impft, wir haben ihm das Gefühl der Minderwertigkeit wieder entrissen,
wir haben ihm Selbstbewußtsein und Kraft zurückgegeben. Diese Bewe-
126
gung ist so stark, daß sie entschlossen ist, alle Krisen und alle Verfolgun¬
gen auf sich zu nehmen, — sie mögen kommen von Kräften, die im In¬
land noch ihr Unwesen treiben, oder von Mächten, die sich uns im Aus¬
land entgegenstellen.
Und so, glaube ich, ist auch dieser Abend wieder ein Beweis unserer
Unbesiegbarkeit, ein Beweis blinden Glaubens und blinder Hingabebe¬
reitschaft. Es stehe noch in Deutschland irgendeine andere Organisation
auf, die es fertigbrächte, Menschen zu so viel Tausenden an diesem
Regenabend zusammenzurufen! Das kann nur die nationalsozialistische
Bewegung, und das können nur Menschen, die an ihre Sache glauben!
Und deshalb bin ich der Überzeugung, meine Parteigenossen und Volks¬
genossen: Sie stellen sich selbst das beste Zeugnis damit aus, daß Sie hier
in Regen und Wetter ausharren und sich nicht beirren lassen und daß Sie
der Sache dienen und daß Sie ihr ergeben sind, ob's regnet oder schneit
oder Ungewitter, ob das Glück über uns steht oder das Unglück, ob man
es gut oder ob man es bös' mit uns meint. Sie bringen damit zum Aus¬
druck, daß Sie das Wort Richard Wagners verstanden haben, daß
Deutschsein heiße, eine Sache um ihrer selbst willen tuen 5 .
Und deshalb grüße ich Sie gerade an diesem Abend mit besonderer
Herzlichkeit und fühle mich gerade an diesem Abend besonders mit
Ihnen verbunden. Und ich glaube, gerade an diesem Abend müssen wir
allem Regen und allem Ungewitter zum Trotz uns erheben und dieser
unserer Bewegung und unserm Führer unsern Gruß entbieten, indem wir
rufen: Unsere Partei und Adolf Hitler — Heil! [Zuhörer: „Heil!"], Heil!
[Zuhörer: „Heil!"], Heil! [Zuhörer: „Heil!"]»
DRA Nr. C 1161 (15' 40"). Der Schluß fehlt. Mit Auslassungen und Korrek¬
turen in der Presse abgedruckt (VB vom 2. Juli 1933).
5 „Deutsche Kunst und deutsche Politik" (1867), 11. Kap. (. . . was deutsch sei,
nämlich: Die Sache, die man treibt, um ihrer selbst und der Freude an ihr
willen treiben . ..); von W. jedoch bei Carl Maria v. Weber (Besprechung von
Theodor Körners „Bergknappen", 1820) entlehnt (. . . die Sache eben um der
Sache willen zu tun).
• Anschließend flammten Sonnwendfeuer auf, die Jungen und Mädchen spran¬
gen durch flammende „Sonnenräder", und den Abschluß bildete — so der
VB — „ein pyrotechnisches Meisterwerk ,Die Sonnenwende' in einem noch nie
gesehenen Ausmaß".
127
Nr. 17
9. 10. 33 — Berlin-Friedrichshain, Hof des Horst-Wessel-Krankenhauses
— Einweihung des Sterbezimmers von Horst Wessel 1
Ein Volk ehrt sich nur selbst, wenn es seine Toten ehrt. Uber jede Bewe¬
gung steigt ein Mann als Symbol auf, und die Bewegung tut dann gut
daran, dieses Symbol rein und unversehrt zu erhalten. Heute ist es billig
und bequem, hinter den Toten zu treten und ihn zu leichten Effektha¬
schereien zu mißbrauchen. Da aber treten wir an und dulden das nicht!
Denn nicht um Effekte zu haschen ist dieser junge Student in den Tod
hineingegangen, nicht lachend, sondern sich der Bitterkeit des Todes sehr
wohl bewußt, aber sie auf sich nehmend, weil es für Deutschland und
weil es für das deutsche Volk notwendig war.
Wir, die Lebenden, die wir diesen Toten unseren Kameraden nennen
durften, wir haben nicht nur ein Recht, sondern wir haben die Pflicht,
das Andenken dieses Toten rein und unversehrt zu bewahren. Wir sind
seine Beschützer, wenn eine feile Tagesmeinung wagt, sich an ihn heran¬
zuschleichen. Wir haben dafür zu sorgen, daß er bleibt, was er war. Wir
müssen vor ihn hintreten, wenn heute eine billige Meinung, die früher
mit uns nichts zu tuen hatte, glaubt, sein Bild und sein Andenken verfäl¬
schen zu können. Dieser Tote ist für die Nation gestorben! Und sein Lied
hat er für das deutsche Volk gedichtet. Und sein Leiden und sein Hinsie¬
chen ist ein Opfergang für die Zukunft von 66 Millionen gewesen. Wenn
wir das nicht unversehrt erhielten, wer sollte es nach uns tuen? Wenn wir
1 Die damaligen Feiern (auf dem Berliner Nikolai-Friedhof fand ein umfang¬
reiches Gedenk-Defilee statt) erfolgten aus Anlaß des 26. Gebunstages des
am 23. Februar 1930 gestorbenen nationalsozialistischen „Märtyrers". Wessel,
Dichter des dann im Dritten Reich zur zweiten Nationalhymne erhobenen
SA-Liedes „Die Fahne hoch", war sechs Wochen zuvor in seiner Wohnung von
einem Kommunisten zusammengeschossen worden, wobei jedoch nicht nur po¬
litische, sondern ebenso und vielleicht mehr noch private Motive im Spiel ge¬
wesen sind.
128
sein Bild nicht unverfälscht der Zukunft überreichen wollten, von wem
könnten wir es anders verlangen?
Und deshalb kann ich seine Kameraden nur bitten, in seinem Geiste
vorwärtszumarschieren, sich nicht beirren zu lassen durch eine feile
Tagesmeinung, sich nicht vom Wege abdrängen zu lassen durch billige
Popularitätshascherei. Wir sind nicht gekommen, der öffentlichen Mei¬
nung zu dienen, — wir sind gekommen, der Wahrheit das Wort zu geben!
Und ich glaube, ich darf mir ein Urteil darüber anmaßen, — nicht ein¬
mal, ein dutzendmal habe ich in diesem einsamen Zimmer gesessen und
die Todeskämpfe unseres jungen Kameraden miterlebt. Ich habe seine
Sorge um die Bewegung und um die Zukunft unseres Volkes aus seinem
eigenen Munde vernommen. Ich habe versucht, ihm das Sterben leichter
zu machen im Hinblick auf die Größe unseres Werkes, das getan werden
mußte.
Ich glaube, die nationalsozialistische Bewegung hat sich seines Opfer
würdig erwiesen. Sie ist ihren Weg gegangen, ohne nach links und ohne
nach rechts abzuweichen®. Sie hat die Fahnen heilig gehalten, für die er
gestorben ist. Aus dem furchtbaren Leid, das seine Angehörigen und die
ganze Bewegung erfüllte, als er von uns ging, ist die Freiheit unsres Vol¬
kes emporgestiegen, und das Lied, das damals nur kleine, in Hinterzim¬
mern der Kneipen gastierende Gruppen und Sekten sangen, — das Lied
ist heute zum Sehnsuchtsschrei einer ganzen erwachten Nation gewor¬
den. Es tut gut für uns alle, wenn wir uns oft und innig an jene Zeit er¬
innern. Es tut gut für uns alle, wenn wir in stillen Augenblicken uns vor¬
zustellen versuchen, wie Deutschland einmal ausgesehen hat und wie es
einmal in Zukunft aussehen soll.
Und deshalb, glaube ich, werden wir des Andenkens dieses Toten am
besten gerecht, wenn wir in seinen Fußstapfen fortschreiten. Auch diese
Bewegung hat Menschen verbraucht, — sie mußte das, um zum letzten
Ziele zu kommen. Diese Menschen gingen schon in die Unsterblichkeit
ein. Man wird von der Wiedererhebung des deutschen Volkes in Zukunft
niemals reden dürfen, ohne des Namens Horst Wessels Erwähnung zu
tuen. Und so bitte ich Euch denn, meine Kameraden: Haltet diese Fah-
Diese Bemerkung ist insofern etwas irreführend, als es rechts von der NSDAP
eigentlich nichts mehr gab, links hingegen sich — der parlamentarischen Sitz¬
ordnung und dem allgemeinen Verständnis nach — die Deutschnationalen an¬
schlossen. Der „Sozialift" Goebbels jedoch wird unter „rechts" die — über¬
wundene — Gefahr verstanden haben, von den konservativen Kräften in der
koalierenden DNVP umgarnt und infiltriert zu werden, unter „links" die
u. a. mit dem Namen der Brüder Straßer (vgl. Nr. 23, Anm. 35) verbundenen
Abspaltungen mit sozialistischer und nationalbolschewistischer Tendenz, einen
Prozeß, den Goebbels selbst (von Hitler und wohl auch von der Aussicht auf
Karriere fasziniert) unter Verleugnung seiner eigentlichen ideologischen Vor¬
stellungen offenbar ohne Anfechtungen überstanden hatte.
129
nen hoch und heilig, bleibt, was Ihr seid, laßt Euch nicht in Eurem gera¬
den Sinn erschüttern durch billige Lobeshymnen derer, die nie bei uns
waren, wenn's gefährlich war, und die auch wieder gehen werden,
wenn's wieder einmal gefährlich würde! Sondern haltet zu denen, die bei
Euch standen in der Gefahr, und dient treu den Ideen, die die Gefahr
überwinden halfen und die Euch auch alleine die Kraft geben werden,
kommende Gefahren zu überdauern.
Das Lied, das unser Kamerad uns hinterließ, ist nun unser Lied gewor¬
den. In seinem Sinne und in seinem Geiste haben 66 Millionen sich in
herrlicher Wiedergeburt neu erhoben. Deutschland steht wieder groß und
stolz und ehrlich da. Und die Fahnen, die man damals von seinem Sarge
herunternahm, sind jetzt auf den Zinnen des Reiches aufgegangen. Große
erfüllte Aufgaben liegen hinter uns, größere unerfüllte liegen vor uns.
Wir werden sie nicht nur meistern mit Klugheit und Intelligenz, — wir
werden sie nur meistern, wenn zu Klugheit und Intelligenz auch Mut
und Charakter hinzukommt. Das aber zu pflegen ist jedermanns Sache:
des Mannes von der Straße, des Mannes, der in Reih 1 und Glied mar¬
schiert, des einfachen Mannes aus dem Volke, der an Schraubstock und
Maschine steht. Das alle zu lehren, sind wir gekommen; damit alle zu er¬
füllen war unsere Aufgabe. Und diese Aufgabe wird wirklich zur letzten
Konsequenz durchgeführt.
Ihr, meine Kameraden, tragt das Andenken unseres Toten auf Euren
Händen. Wenn Ihr dieses Zimmer betretet, das wir seinem Gedächtnis
geweiht haben, so versenkt Euch in Schmerz und Wehmut, aber auch in
Stolz darüber, daß der Tote unser war. Und denkt an die Kameraden,
die damals, als Horst Wessel in den letzten Todeskrämpfen lag und sie
ihn noch einmal sehen wollten, — die damals auf bloßen Füßen an seiner
Türe vorbeigingen, um den Toten nicht mehr zu stören.
Damals waren wir eine verschworene Gemeinschaft! Diese verschwo¬
rene Gemeinschaft wollen wir bleiben, dann kann keine Not und keine
Gefahr uns etwas anhaben. Liebet die Freunde und Kameraden, die
damals zu uns fanden, und habet acht, daß das, was wir sind und was
wir wollen, niemals verfälscht werden kann. Wenn wir bleiben, wie wir
sind und wie wir waren, dann werden wir das Wort unseres Toten wahr¬
machen können. Und in diesem Sinne, meine Kameraden und Parteige¬
nossen, bitte ich Euch, dem Spruch des Toten gerecht zu werden, in
seinem Geiste weiterzumarschieren und die Fahnen hochzuheben zum
Marsch ins leuchtende Leben!
DRA Nr. C 1206 (9' 30"). In der Presse (VB vom 11. Oktober 1933) wurde
die Ansprache zwar nur ziemlich frei und umgestellt referiert, doch scheint dar¬
aus hervorzugehen, daß der Anfang dieser Rede hier fehlt.
130
Nr. 18
15. 11. 33 — Berlin, Großer Saal der Philharmonie — Eröffnung der
Reickskulturkammer 1 („Die deutsche Kultur vor neuen Aufgaben")
Mein Führer!
Meine Damen und Herren!
Die Revolution, die wir gemacht haben, ist eine totale. Sie hat alle Ge¬
biete des öffentlichen Lebens erfaßt und von Grund auf umgestaltet. Sie
hat die Beziehungen der Menschen untereinander, die Beziehungen der
Menschen zum Staat und zu den Fragen des Daseins vollkommen geän¬
dert und neu geformt. Es war in der Tat der Durchbruch einer jungen
Weltanschauung, die vierzehn Jahre lang in der Opposition um die
Macht gekämpft hatte, um dann unter ihrer Zuhilfenahme dem deut¬
schen Volk ein neues Staatsgefühl zu geben. Das, was sich seit dem 30. Ja¬
nuar dieses Jahres abgespielt hat, ist nur der sichtbare Ausdruck dieses
revolutionären Prozesses. Hier aber hat die Revolution an sich nicht be¬
gonnen, sie ist damit nur zu Ende geführt worden. Es handelte sich um
den Daseinskampf eines Volkes, das nach seinen alten Lebensformen und
überwundenen Anschauungen sonst reif gewesen wäre für den Zusam¬
menbruch.
Revolutionen haben ihre eigene Gesetzlichkeit und auch ihre eigene
Dynamik. Wenn sie eine bestimmte Phase ihrer Entwicklung überschrit¬
ten haben, entziehen sie sich der Macht der Menschen und gehorchen nur
1 Die mit Gesetz vom 22. September 1933 errichtete „Reichskulturkammer" war
die staatliche Zwangsgewerkschaft aller „Kulturschaffenden". Als Dachorgani¬
sation der sieben (nach Auflösung der Reichsrundfunkkammer im Oktober
1939 dann noch sechs) Einzelkammern „erfaßte" sie alle, die irgendwie mit
„Kulturgut" zu tun hatten: vom Dichter, Schauspieler und Künstler über den
Setzer und Geräuschemeister bis zum Biliettverkäufer und Schallplattenhänd¬
ler. Wer auf diesen Gebieten beruflich tätig sein wollte, mußte Kammermit¬
glied sein, — oder anders ausgedrückt: Wer nicht in die zuständige Kammer
aufgenommen oder aber aus ihr ausgeschlossen wurde, erhielt damit Berufs¬
verbot.
131
noch dem Gesetz, nach dem sie angetreten sind. Es liegt im Wesen jeder
echten Revolution, daß sie auf das Ganze geht und keine Kompromisse
kennt. Entweder hat sie die Absicht, bis zum letzten Ziele durchzusto¬
ßen, — dann wird sie von Dauer und Bestand sein. Oder aber sie be¬
gnügt sich mit halben Erfolgen, — dann wäre es besser, sie würde über¬
haupt nicht gemacht. Es ist dabei ganz unerheblich, welcher Mittel sie
sich bedient, um an die Verantwortung zu kommen. Ausschlaggebend ist
nur, ob sie in der Tat eine Umwälzung großen Stiles mit sich bringt und
damit den Völkern eine neue Grundlage ihres nationalen Daseins gibt. Es
ist nicht Aufgabe der Revolution, eine Wissenschaft ihrer neuen Erkennt¬
nisse festzulegen. Das bleibt späterer, evolutionärer Entwicklung Vorbe¬
halten. Ihr liegt es lediglich ob, einen Fundamentalsatz zum Durchbruch
zu bringen. Der allerdings muß dann so allumfassend sein, daß er das ge¬
samte menschliche Dasein in seinen Schatten stellt.
Es gibt Revolutionen von oben, und es gibt Revolutionen von unten.
Die von oben sind meistens nur von kurzer Lebensdauer, denn es ist
schwer, wenn nicht unmöglich, von oben her einem Volk eine neue Ge¬
setzlichkeit aufzuzwingen. Revolutionen von unten tragen diese Gesetz¬
lichkeit schon in sich. Sie werden vom Volk gewollt, getragen, durchge¬
setzt und zu Ende geführt. Das Volk selbst ist nicht nur Gestalter der
Revolution, sondern auch der ihr innewohnenden Gesetzlichkeit. Es han¬
delt sich dann in der Entscheidung nur noch darum, diese Gesetzlichkeit
auf den eroberten Staat zu übertragen, um den historischen Werdeprozeß
der Revolution zu vollenden.
Revolutionen beschränken sich niemals auf das rein politische Gebiet.
Sie greifen von da über auf alle anderen Bezirke menschlichen Zusam¬
menlebens. Wirtschaft und Kultur, Wissenschaft und Kunst bleiben
davon nicht verschont. Es ist Politik in einem höheren Sinne, als wir ihn
gemeinhin verstehen. Darauf läßt sich keineswegs das Wort anwenden,
daß sie den Charakter verderbe. Auch der schöpferische Mensch, und ge¬
rade er, wird in den Strudel des revolutionären Geschehens mit hineinge¬
zogen. Nur dann ist er seiner Zeit und ihren Aufgaben gewachsen, wenn
er sich nicht damit begnügt, die Revolution passiv an sich Vorbeigehen
zu lassen, sondern vielmehr wenn er aktiv in sie eingreift, sie bewußt be¬
jaht, ihren Rhythmus in sich aufnimmt und ihre Zielsetzung zu der sei¬
nen macht. Kurz und gut: Wenn er nicht in ihrer Nachhut, sondern in
ihrer Vorhut mitmarschiert.
Jede Revolution hat ihre Tendenz, sie hat ein Ziel, das sie verficht und
dem sie mit leidenschaftlichem Bemühen zustrebt. Sie wird nicht Ruhe
geben können, bis dieses Ziel erreicht ist. Und ist es erreicht, dann muß
sie eifersüchtig darüber wachen, daß es ausgebaut und gesichert wird.
Hier aber wird das Wort „Tendenz" in eine höhere Bedeutung hineinge-
132
hoben, als es sie im trivialen Sinne genießt. Tendenz an sich ist weder gut
noch böse und weder bejahens- noch verneinenswert. Es geht immer um
das Ziel, das sie will. Seine Größe gibt auch der Tendenz ihre Größe,
und seine Bedeutungslosigkeit läßt auch sie zum bloßen Schemen verblas¬
sen. Revolutionen, die eine Umwälzung größten hyste-, historischen Aus¬
maßes vollziehen, verfechten eine Tendenz, deren Größe dementspre¬
chend ist. Sie muß bejaht werden, wenn man die Revolution bejaht. Ver¬
neint man sie, dann stellt man sich nicht gegen die Tendenz, sondern ge¬
gen die Revolution selbst und wird früher oder später in ihrem Strudel
untergehen.
Revolutionen sind im Leben der Völker notwendig, und zwar werden
sie immer dann kommen, wenn die normale Entwicklungsfähigkeit eines
Volkes infolge der Erstarkung ihres organischen Lebens so verkrustet
und verknorpelt ist, daß damit eine ernsthafte Bedrohung des gesunden
Volksdaseins eintritt. Krisen, die gesetzmäßig nicht mehr gelöst werden
können, werden entweder durch Gewalt gelöst, oder sie treiben zum Un¬
tergang des Volkes, das von ihnen bedroht ist. Revolutionen haben des¬
halb auch ihre sittliche Berechtigung. Sie vollziehen sich nach einer höhe¬
ren Moral, als sie legalen Vorgängen innewohnt. Es verdient dabei kaum
eine Beachtung, ob sie von gelegentlichen Exzessen begleitet sind. Man
kann ein Kind nicht nach den Kinderkrankheiten beurteilen, und man
darf ein Licht nicht ausblasen, um den Schatten zu beseitigen.
Der Sinn der Revolution, die wir gemacht haben, ist die Volkwerdung
der deutschen Nation. Diese Volkwerdung zwar zweitausend Jahre lang
die Sehnsucht aller guten Deutschen. Man hatte sie auf gesetzmäßige
Weise — ich weiß nicht, wie oft — versucht. Jeder dieser Versuche war
fehlgeschlagen. Erst in diesem heißen Ausbruch der nationalen Leiden¬
schaften unseres Volkes wurde sie möglich. Ihr Vollzug war um so mit¬
reißender, spontaner und wilder, je länger man versucht hatte, sie durch
künstliche Staudämme aufzuhalten. Was von oben nicht gekonnt und
meistenteils auch nicht gewollt wurde, das haben wir von unten prak¬
tisch durchgeführt: Das deutsche Volk, einst das zerrissenste der Welt,
durch Parteien und Meinungen fast atomisiert, in seine Bestandteile auf¬
gelöst und damit zur weltpolitischen Ohnmacht verurteilt, seit 1918
ohne Waffen und, was noch schlimmer war, ohne Willen, sich unter den
anderen Völkern zu behaupten, erhob sich in einer einzigartigen Demon¬
stration seines nationalen Kraftgefühls und vollzog damit eine Einigung,
die bis dahin nur von wenigen starkgläubigen Menschen für möglich ge¬
halten, von allen anderen aber als unwahrscheinlich, gegen jede Erfah¬
rung und Lehre der Geschichte gerichtet belächelt und abgelehnt wurde.
Wir können heute die historische Tragweite dieses Volkwerdungs-Pro-
zesses überhaupt noch nicht überblicken. Wir selbst, die wir ihn vorberei-
133
tet haben, stehen vor ihm in staunender Bewunderung, ohne uns seiner
Größe und seiner in die Zukunft hineinwirkenden Bedeutsamkeit über¬
haupt im ganzen bewußt zu sein. Wir haben durch unsere Revolution
eine Vergangenheit deutscher Ohnmacht überwunden, das deutsche Volk
hat sich in ihr selbst wiedergefunden, sie hat dem deutschen Wesen einen
neuen Charakterzug aufgeprägt. Man wird für alle Zukunft von
Deutschland nicht reden können, ohne von ihr auszugehen.
Das System, das wir niederwarfen, fand im Liberalismus seine tref¬
fendste Charakterisierung. Wenn der Liberalismus vom Individuum aus¬
ging und den Einzelmenschen in das Zentrum aller Dinge stellte, so
haben wir Individuum durch Volk und Einzelmensch durch Gemein¬
schaft ersetzt. Freilich mußte dabei die Freiheit des Individuums inso¬
weit eingegrenzt werden, als sie sich mit der Freiheit der Nation stieß
oder in Widerspruch befand. Das ist keine Einengung des Freiheitsbegrif¬
fes an sich. Ihn für das Individuum überspitzen heißt die Freiheit des
Volkes aufs Spiel setzen oder doch ernsthaft gefährden. Die Grenzen
des individuellen Freiheitsbegriffes liegen deshalb an den Grenzen
des völkischen Freiheitsbegriffes. Kein Einzelmensch, er mag hoch
oder niedrig stehen, kann das Recht besitzen, von seiner Freiheit Ge¬
brauch zu machen auf Kosten des nationalen Freiheitsbegriffes. Denn
nur die Sicherheit des nationalen Freiheitsbegriffes verbürgt ihm auf die
Dauer persönliche Freiheit. le freier ein Volk ist. desto freier können
sich seine Glieder bewegen, — je eingeengter aber seine nationale Daseins¬
grundlage, um so illusorischer eine vermeintliche Freiheit, die seine Kinder
genießen.
Das gilt auch für den schaffenden Künstler. Die Kunst ist kein absolu¬
ter Begriff, sie gewinnt erst Leben im Leben des Volkes. Das war viel¬
leicht das schlimmste Vergehen der künstlerisch schaffenden Menschen
der vergangenen Epoche: daß sie nicht mehr in organischer Beziehung
zum Volke selbst standen und damit die Wurzel verloren, die ihnen täg¬
lich neue Nahrung zuführte. Der Künstler trennte sich vom Volk, er gab
dabei die Quelle seiner Fruchtbarkeit auf. Von hier ab setzt die lebenbe¬
drohende Krise der kulturschaffenden Menschen in Deutschland ein.
Kultur ist höchster Ausdruck der schöpferischen Kräfte eines Volkes, der
Künstler ihr begnadeter Sinngeber. Es wäre vermessen zu glauben, daß
seine göttliche Mission außerhalb des Volkes vollendet werden könnte.
Sie wird (für das Volk)" durchgeführt, und die Kraft, deren er sich
dabei bedient, stammt aus dem Volk. Verliert der künstlerische Mensch
einmal den festen Boden des Volkstums, auf dem er mit harten, marki¬
gen Knochen stehen muß, um den Stürmen des Lebens gewachsen zu sein,
2 Im Tondokument ist diese Stelle etwas verschwommen; hier ergänzt nach dem
Buchabdruck.
134
dann ist er damit den Anfeindungen der Zivilisation preisgegeben, denen
er früher oder später erliegen wird.
Ist die eben überwundene deutsche Geistesepoche nicht ein beredter
Beweis dafür? Die deutsche Kunst, losgelöst von den Kräften des Volks¬
tums und nur noch einem individuellen Freiheitsbegriff huldigend, der
sehr bald in der geistigen Anarchie ausmündete, verlor sich im Gestrüpp
des modernen Zivilisationstaumels und war bald nur noch Experiment,
Spielerei oder Bluff. Sie hatte jede Kühnheit der Konzeption, jeden Mut
der Gestaltung und jede Verwegenheit des Stils verloren, sie sank herab
zum bloßen Artistentum. Ihre Probleme waren nicht mehr die Probleme,
die die Welt erschütterten. Und das war für ihren Fortbestand um so ge¬
fährlicher, je gefüllter die Zeit mit großen Aufgaben war. Eine Kunst,
die sich vom Volke trennt, hat kein Recht, sich darüber zu beklagen, daß
das Volk sich von ihr trennt. Das Volk vergilt nur Gleiches mit Glei¬
chem. Es geht seinen eigenen Weg und sucht auf die ihm eigene Art der
Probleme Herr zu werden, die das Schicksal ihm aufgegeben hat. Wenn
die Kunst nur noch für die Kunst gilt, wenn ihre Gesetze nur noch dem
künstlerischen Menschen verständlich sein sollen, dann verengert sich der
Kreis ihrer Gläubigen in einem Umfange, daß ihre primitivste Existenz¬
fähigkeit auf das tödlichste bedroht ist. Wenn die akuten Probleme des
Lebens nicht mehr die großen Würfe sind, mit denen der künstlerisch
schaffende Mensch nach der Unsterblichkeit zielt, dann hat er bereits
seine eigentliche Sendung verspielt, und es wird dann nicht mehr lange
dauern 3 , bis er sich in den Abwegen eines bloß artistischen Snobismus
verirrt, um damit dem tätigen Leben für immer verlorenzugehen. Die,
die berufen waren, dem Volk die geistigen Führer zu schenken, verber¬
gen sich hinter dem Volk, statt vor ihm zu stehen. Sie überlassen das
Volk sich selbst, das nun im öden Genußtaumel einen Ersatz für fehlende
Kultur sucht, um am Ende vor der trostlosen Leere seines geistigen
Daseins schaudernd zurückzuschrecken.
Damit ist die Klassenscheidung auch auf kulturellem Gebiet gegeben.
Der Künstler, der Dolmetsch eines ganzen Volkes sein soll, stellt sich ein¬
deutig auf die Seite von Besitz und Bildung. Er wird dem Volke fremd,
— so, wie das Volk ihm fremd geworden ist; der Liberalismus endet im
Verfall des geistigen Lebens. Und nun beginnt der Kampf um das täg¬
liche Brot. Der künstlerische Mensch sieht sich schwersten Bedrohungen
seines rein materiellen Lebens preisgegeben. Die breite Volksmasse, die
Konsument seines Schaffens sein muß, um ihn am Leben zu erhalten,
fehlt. Die kleinen gehobenen Schichten, die dafür als Ersatz eintreten,
reichen nicht aus, um der Kunst eine materielle Daseinsgrundlage zu ge¬
ben. Der Künstler entfernt sich weiter und weiter von der Zeit und ihren
' Audi hier wieder „dauren".
135
Menschen, die ihn bald vergessen, um ihn am Ende nur noch als überflüs¬
sig oder gar lächerlich zu empfinden. Aus der trostlosen Leere seines
materiellen und geistigen Daseins flüchtet er in die Organisation. Die
Organisation selbst aber meidet peinlichst die Auseinandersetzung mit
den geistigen Problemen der Zeit. Ihr Problem ist nur und immer nur die
Sicherung des materiellen Lebens. Sie wird Gewerkschaft wie jede andere
Vertretung eines Berufsstandes im liberalen Staate, nur schwächer in
ihrer Stoßkraft als die anderen, weil die individuelle Absonderlichkeit
der in ihr vereinigten Menschen jede Einheitlichkeit der Forderung und
jede durchschlagende Wirkung des organisierten Auftretens von vornher¬
ein unmöglich macht. Wo sonst Disziplin gewahrt wird als schärfstes
Mittel im Kampf um das tägliche Brot, da herrscht hier Anarchie und
Formlosigkeit. Die Forderung nach wirtschaftlicher Sicherheit verliert
an Druck, je entbehrlicher sich der künstlerisch schaffende Mensch für
das tägliche Leben der Gesamtheit gemacht hat. Er gilt nur noch als
Überbleibsel aus der guten, alten Zeit, da es uns besser ging und wir Geld
genug hatten, um unser Leben durch ihn und sein Schaffen verschönen
zu lassen. Die Kunst ist nicht mehr unabdingbare Lebensäußerung des
Volkstums, — sie hat die Zeit im Stich gelassen, und nun läßt die Zeit sie
im Stich. Ganz wenige Einzelgänger, die die liberale Gesellschaft sich
hält, um nach außen hin das Prestige zu wahren, wandeln auf den
Höhen des Geldes und der Bewunderung. Die übrigen aber, die vielen
oder allzu vielen, sinken hernieder in die amorphe Masse des Kunstprole¬
tariats, um hier den Kampf aller gegen alle zu eröffnen. Gedichte wer¬
den belächelt, Bücher nicht mehr gekauft, Musik ist nicht mehr Bedürf¬
nis, sondern gelegentliche Abwechslung im grauen Alltag, die Theater
stehen leer, und durch ihre öden Räume geistern die Schatten einer Zeit,
die längst vergangen ist, während draußen auf den Straßen das Volk
aufsteht, um den Marsch ins leuchtende Leben anzutreten.
Das ist die Tragödie des kulturschaffenden Menschen in Deutschland,
der, an der Wende zweier weltgeschichtlicher Epochen stehend, den
Bruch mit der Vergangenheit zu vollziehen und den Weg zur Zukunft zu
finden nicht den geistigen Mut aufbringen will, — eine tödliche Krise,
wenn sie von langer Dauer ist, eine Zeit der Selbstbesinnung und des gei¬
stigen Umbruchs, wenn der künstlerische Mensch die Kühnheit besitzt,
den luftleeren Raum, der sich zwischen dem Gestern und Morgen aufge¬
tan hat, zu durchstoßen und mit festem Fuß das gewonnene Neuland zu
betreten.
Der Aufmarsch, den wir begonnen haben, ist ein Aufmarsch der Ge¬
sinnung. Diese Gesinnung hat nichts gemein mit dem gleichlautenden Be¬
griff, den wir aus der Vergangenheit nur noch in verächtlicher Erinne¬
rung haben. Es ist eine Gesinnung der Tat, die eine Umwertung der
136
Werte eingeleitet hat, um ihre Neuwertung zu vollziehen. Der Durch¬
bruch dieser Gesinnung ist überall im öffentlichen wie im privaten Leben
spürbar. Sie hat die Menschen umgeformt und mit neuem Lebensmut und
stärkerer Daseinskraft erfüllt. Was uns an materiellem Glück vom
Schicksal in dieser Zeit versagt blieb, das haben wir durch die Beglük-
kung neuer Ideen doppelt und dreifach aufgeholt. Kein Volk der Erde
hat heute mehr Grund als das deutsche, mit Vertrauen und fester Zuver¬
sicht in seine Zukunft zu schauen. An die Stelle einer zermürbenden
Schlappheit, die vor dem Ernst des Lebens kapitulierte, ihn nicht wahr¬
haben wollte oder vor ihm flüchtete, trat jene heroische Lebensauffas¬
sung, die heute durch den Marschtritt brauner Kolonnen klingt, die den
Bauern begleitet, wenn er die Pflugschar durch die Ackerschollen zieht,
die dem Arbeiter Sinn und höheren Zweck seines schweren Daseinskamp¬
fes zurückgegeben hat, die den Arbeitslosen nicht verzweifeln läßt und
die das grandiose Werk des deutschen Wiederaufbaues mit einem fast
soldatisch anmutenden Rhythmus erfüllt. Es ist eine Art von stählerner
Romantik, die das deutsche Leben wieder lebenswert gemacht hat: eine
Romantik, die sich nicht vor der Härte des Daseins versteckt oder ihr in
blauen Fernen zu entrinnen trachtet, — eine Romantik vielmehr, die den
Mut hat, den Problemen gegenüberzutreten und ihnen fest und ohne
Zucken in die mitleidlosen Augen hineinzuschauen. Diese neue Gesinnung
gibt Deutschland ein Tempo und eine Durchschlagskraft seiner aufbau¬
enden Arbeit, wie sie bis dahin für unmöglich gehalten wurden. Nur ein
künstlerisches und kulturelles Bestreben, das sich von ihnen willig und
widerstandslos erfüllen läßt, wird von Dauer sein und die Zukunft ge¬
winnen.
Lassen Sie mich, um der Gefahr des Mißverständnisses auszuweichen,
eine Reihe von Befürchtungen, die laut geworden sind, gleich hier wider¬
legen und zurückweisen. Niemand von uns ist der Meinung, daß Gesin¬
nung Kunst ersetzen könnte. Auch bei der Kunst kommt es nicht darauf
an, was man will, sondern vielmehr darauf, was man kann. Die Gesetze
der Kunst können niemals geändert werden, sie sind ewig und nehmen
ihre Maße aus den Räumen der Unsterblichkeit. Nur geweihte Hände
haben das Recht, am Altar der Kunst zu dienen. Was wir wollen, ist
mehr als dramatisiertes Parteiprogramm. Uns schwebt als Ideal vor eine
tiefe Vermählung des Geistes der heroischen Lebensauffassung mit den
ewigen Gesetzen der Kunst. Wir verstehen Tendenz in einem höheren
Begriff, für uns zielt sie nach dem Volk, in dessen Boden die Wurzeln
allen Schöpfertums liegen. Niemand hat das Recht, uns in den Verdacht
zu nehmen, daß wir aus Gründen tendenziöser Propaganda jenem Dilet¬
tantismus das Feld freigeben wollten, der noch immer die wahre, edle
Kunst zu Tode geritten hat und damit auch einer echt verstandenen Pro-
137
paganda nur Schaden zufügen konnte. Wir empfinden selbst zu künstle¬
risch, um vor dem Dilettantismus die Waffen zu strecken. Mag sein und
wahrscheinlich, daß den zitternden Geburtswehen unserer neuen Zeit
einmal das ewige Genie entspringt, das dieser Zeit auch den mitreißenden
künstlerischen Ausdruck verleiht. Wir dürfen es hoffen und wünschen;
wir haben das Recht, demütig darauf zu warten. Bis dahin aber steht es
uns nicht zu, den großen Wurf des Genies ersetzen zu lassen durch den
herz- und blutlosen Dilettantismus eines Heeres von Nichtskönnern, die
der Herr in seinem Zorn erschaffen hat [Beifall], Vielleicht wird die
Kunst sich früher oder später der Stoffe und Probleme bemächtigen, die
wir aufgeworfen haben. Es würde ihr und uns zum Nutzen gereichen.
Wir haben nicht die Absicht, das zu kommandieren, aber es steht uns das
Recht zu, darüber zu wachen, daß, wo sie aufgegriffen, sie auch gemei¬
stert werden. Niemand befiehlt, daß die neue Gesinnung über die Bühne
oder Leinewand marschiere. Wo sie aber darüber marschiert, da müssen
wir eifersüchtig dafür sorgen, daß sie auch in ihrer künstlerischen For¬
mung der Größe des historischen Prozesses entspricht, den wir in der
deutschen Revolution durchgeführt haben [Beifall].
Darüber hinaus aber wollen wir nur die guten Schutzpatrone der
deutschen Kunst und Kultur auf allen Gebieten sein. Der Hunger, der
das deutsche Volk erfaßt hat, erstreckt sich nicht allein auf den Magen,
es ist ebenso ein Hunger der Seele. Auch der will gestillt werden. Wie
jede echte Revolution, so zielt auch die unsere auf eine umwälzende
Neugestaltung unseres kulturellen Bestandes und geistigen Schöpfertums
hin. Kein Vorwurf hat uns in der Vergangenheit so tief zu treffen ver¬
mocht wie der, daß der Nationalsozialismus geistige Barbarei sei und am
Ende zur Vernichtung des kulturellen Lebens unseres Volkes führen
müsse. Wir haben die schöpferischen Kräfte der deutschen Nation wieder
freigelegt, sie mögen sich ungehindert entfalten und reiche Früchte tra¬
gen am Baum eines neu erstandenen Volkstums.
Das ist auch der Sinn der Reichskulturkammer, die wir, dem Gesetz
entsprechend, heute feierlich eröffnen und konstituieren. Sie stellt den
Zusammenschluß aller Schaffenden in einer geistigen Kultureinheit dar.
Sie beseitigt die nur noch mechanisch wirkenden Organisationsüberbleib¬
sel der vergangenen Zeit 4 , die der freien Entwicklung unseres kulturellen
und künstlerischen Lebens bloß im Wege standen. Die schaffenden Men¬
schen sollen sich in Deutschland wieder als eine einzige Einheit ernpfin-
4 Das heißt also: die der „planmäßigen Einwirkung" und „einheitlichen Aus¬
richtung" im Wege stehenden alten Berufsgenossenschaften und -verbände, von
denen es in der Begründung zum Kulturkammergesetz abfällig hieß: „Die ver¬
schiedenen Verbände und Organisationen führen auf diesem Gebiete einen
Kampf aller gegen alle."
138
den; es soll ihnen jenes Gefühl trostloser Leere genommen werden, das sie
bisher von der Nation und ihren treibenden Kräften trennte. Nicht ein¬
engen wollen wir die künstlerisch-kulturelle Entwicklung, sondern för¬
dern. Der Staat will seine schützende Hand darüberhalten; die deutschen
Künstler sollen sich unter seinem Patronat geborgen fühlen und das be¬
glückende Gefühl zurückgewinnen, daß sie im Staate ebenso unentbehr¬
lich sind wie die, die die Werte seines materiellen Daseins schaffen [Bei¬
fall]. Arbeiter der Stirne und der Faust werden sich die Hände reichen
zu einem Bund, der für alle Ewigkeit unauflösbar sein soll. Die Gemein¬
schaft aller Schaffenden wird Wirklichkeit, und jeder gilt an seinem Platz
das, was er für die Nation und ihre Zukunft zu leisten entschlossen ist.
Die neugegründete Reichskulturkammer steht über den überlebten Be¬
griffen von modern und reaktionär. Ihre Arbeit soll ebenso abhold sein
dem modern scheinenden Großmannstum, hinter dem sich künstlerisches
Nichtskönnen verbirgt, wie sie abhold ist dem reaktionären Rückschritt,
der der Jugend und ihren gesunden Kräften den Weg verbauen will. Die
deutsche Kunst — [Beifall], die deutsche Kunst braucht frisches Blut.
Wir leben in einer jungen Zeit, ihre Träger sind jung, die Ideen, die sie
erfüllen, sind jung, sie haben nichts mehr mit der Vergangenheit, die hin¬
ter uns liegt, gemein. Auch der Künstler, der dieser Zeit Ausdruck geben
will, muß jung empfinden und neu gestalten. Nichts wäre irrtümlicher,
als wenn die Gründung der Reichskulturkammer, die der Entwicklung
und nicht dem Stillstand dienen soll, so verstanden würde, als wäre
damit dem Banausentum die Bahn frei gemacht und der Jugend der Weg
nach oben versperrt. Man mag unserer Zeit Vorwürfe, welche auch
immer, machen, niemand aber wird behaupten wollen, daß sie langweilig
sei. Sie ist jedem Muff und jedem Muckertum abhold. Sie hat keine
Angst vor der Kühnheit und sieht nicht im bürgerlichen Ruhebegriff der
Weisheit letzten Schluß. Für sie gilt das Huttenwort: O Jahrhundert!
O Wissenschaften! Es ist eine Lust zu leben. Du nimm den Strick, Barba¬
rei, und mache dich auf Verbannung gefaßt!
Der neue Staat hat seine eigenen Gesetze; ihm unterliegen alle, vom
ersten bis zum letzten. Auch der Künstler hat die Pflicht, sie anzuerken¬
nen und zur Richtschnur seines schöpferischen Handelns zu machen.
Darüber hinaus aber ist er frei und ungebunden. Seine Phantasie kann
wieder in die ewigen Räume der Unendlichkeit vorstoßen. So sicher er
auf dem festen Boden des Volkstums steht, so stolz und selbstbewußt
kann er mit kühnem Scheitel die Sterne stoßen. Das Beste ist gerade gut
genug, dem deutschen Volk in seiner Not und Bedrängnis Speise det
Seele zu geben. Der Staat hat hier nur die Pflicht zu fördern, zu pflegen
und dem Neuen die Wege frei zu machen. Im Rahmen der Reichskultur¬
kammer soll jede Konjunkturhascherei von vornherein ausgeschlossen
139
sein. Wir wollen einen deutschen Künstlertyp züchten, der bewußt und
offen, mit Stolz und Eigenart den Aufgaben dient, die die Zeit uns gege¬
ben hat. Niemand fürchte, daß hier die Gesinnungsriecherei eine Heim¬
stätte finden könnte. Wir haben den Mut, großherzig zu sein, und wün¬
schen und hoffen, daß unsere Großherzigkeit durch gleiche Großherzig¬
keit seitens der Künstlerwelt belohnt wird [Beifall],
Die neue nationale Kunst Deutschlands wird in der Welt nur dann
Achtung genießen und über die Grenzen unseres Landes hinaus vom
wachen Kulturwillen des jungen Deutschland zeugen können, wenn sie
fest und unlösbar im Mutterboden des eigenen Volkstums verwurzelt ist.
Was deutsch und echt, das soll die Welt aufs neue erfahren. Die deutsche
Kunst, die zum Volke zurückkehrt, wird den schönsten Lohn dadurch
empfangen, daß das Volk wieder zu ihr zurückkehrt. Dieser Wunsch und
diese Hoffnung steht am Anfang unserer gemeinsamen Arbeit. Sie wird
reiche Frucht bringen für die Gegenwart und in der Zukunft dafür zeu¬
gen, daß das große deutsche Erwachen unserer Zeit nicht nur ein politi¬
sches. sondern auch ein kulturelles war. Ziehen wir unter die Vergangen¬
heit, die wir mit dieser Rechenschaftslegung hinter uns lassen, einen
Strich, und fangen wir mutig mit der Zukunft an! Jeder, der dem neuen
Staat seine Kraft zur Verfügung stellt, ist uns willkommen. Der Dank
aber der Männer der Revolution gilt all den deutschen Künstlern, deren
begnadetes Schaffen uns in den vergangenen Jahren Trost in der Trübsal
und Stärke im Kampf gab. Auch sie waren darin Wegbereiter des neuen
Staates, der nun beglückende Wirklichkeit geworden ist.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, Ihnen die Präsidenten
der einzelnen Kammern bekanntzugeben.
Kraft Gesetzes übernehme ich selbst die Führung der Reichskultur¬
kammer insgesamt [Beifall], Kraft der mir im Gesetz verliehenen Voll¬
machten ernenne ich
zum Vizepräsidenten der Reichskulturkammer: Staatssekretär Wal¬
ther Funk; für die Reichs- [schwacher Beifall],
für die Reichsmusikkammer zum Präsidenten: Generalmusikdirektor
Dr. Richard Strauß [Beifall]; zu Mitgliedern des Präsidialrates: Gene¬
ralmusikdirektor Staatsrat Dr. Wilhelm Furtwängler [Beifall], Professor
Dr. Paul Graener, Präsident der Akademie für Musik Professor Dr.
Fritz Stein, Professor Gustav Havemann, Geschäftsführendes Vorstands¬
mitglied des Reichskartells der Musiker Heinz Ihlert;
für die Reichskammer der Bildenden Künste zum Präsidenten: Profes¬
sor Eugen Honig; zu Mitgliedern des Präs- [schwacher Beifall], zu Mit¬
gliedern des Präsidialrats: Professor Franz Lenk, Professor Paul Ludwig
Troost, Professor August Kraus, Direktor Walter Hoffmann, Ministe¬
rialrat Otto von Keudell, Hans Weidemann;
140
für die Reichstheaterkammer zum Präsidenten: Präsident der Bühnen¬
genossenschaft Ministerialrat Otto Laubinger [Beifall]; zu Mitgliedern
des Präsidialrates: Werner Krauss, Kammersänger — [schwacher Bei¬
fall], Kammersänger Wilhelm Rode, Reichsdramaturg Dr. Rainer Schlös¬
ser, Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins Dr. Otto
Leers, Direktor Heinz Hilpert;
für die Reichsschrifttumskammer zum Präsidenten: Hans Friedrich
Blunck; zu Mitgliedern des Präsidialrates: Dr. Hans Grimm, Präsident
der Dichterakademie Hanns Johst, Verleger Dr. Friedrich Oldenbourg,
Buchhändler Theodor Fritsch und Dr. Heinrich Wismann;
für die Reichspressekammer zum Präsidenten: Verlagsdirektor Max
Amann; zu Mitgliedern des Präsidialrats: Reichspressechef der NSDAP
Dr. Otto Dietrich, Verleger Willi Bischoff, Geheimrat Professor Dr.
Walther Heide. Ministerialrat Dr. Jahncke;
für die Reichsrundfunkkammer zum Präsidenten: Ministerialrat Horst
Dreßler; zu Mitgliedern des Präsidialrats: Direktor Eugen Hadamovsky,
Intendant Waither Beumelburg, Intendant Dr. Heinrich Glasmeier und
Rechtsanwalt Dr. Bernhard Knust;
für die Reichsfilmkammer zum Präsidenten: Dr. Fritz Scheuermann;
zu Mitgliedern des Präsidialrats: Theodor Loos, Führer der Reichsfach¬
schaft Film Carl Auen. Direktor Dr. Franz Belitz, Rechtsanwalt Dr.
Walther Plügge, Ministerialrat Dr. Botho Mülert und Oberregierungsrat
Arnold Raether.
Möge der deutschen Kunst und Kultur aus der neugegründeten Reichs¬
kulturkammer Segen und Förderung erwachsen. Wir danken dem Füh¬
rer, daß er uns die Möglichkeit hierzu gab. Wir werden durch Fleiß,
Hingabe und Bereitschaft diesen Dank am wirksamsten abstatten. Der
kulturschaffende Mensch in Deutschland hat hier den Weg zum neuen
Staat gefunden. Möge er dabei die Beglückung erfahren, die uns alle er¬
füllt: Bahnbrecher, Formgeber und Gestalter eines neuen Jahrhunderts
zu sein. Und nun an die Arbeit und „Glückauf zum Meistersingen"!
[Beifall.]
DRA Nr. C 1214 (39' 20"). Abgesehen von einzelnen Auslassungen nahezu
genauer Abdruck in der Tagespresse (VB vom 16. November 1933); ferner Ab¬
druck in: Dr. Joseph Goebbels, Signale der neuen Zeit, München 1934, S. 323 ff.
5 Schreibweise der Namen und Vornamen nach: Degeners Wer ist's?, X. Aus¬
gabe 1935, — und: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35. — Statt — wie Goeb¬
bels sagt — „Mülert" hier: Mulert.
141
Nr. 19
6. 5. 34 — Zweibrücken, Turn- und Festhalle — Saarkundgebung der
„Deutschen Front" 1
Deutsche Männer und Frauen von der Saar!
Ich überbringe Euch zuerst die Grüße des Reichspräsidenten, des Gene¬
ralfeldmarschalls von Hindenburg, und die Grüße des Führers [Heil¬
rufe]. Der Reichspräsident und der Führer weilen im Geiste in dieser
Stunde mitten unter uns. Ich überbringe Euch aber zugleich die Grüße
des ganzen deutschen Volkes, das sich mit Euch verbunden fühlt und in
dieser Stunde vor aller Welt bekennt, daß Ihr Geist von unserm Geist
und Ihr Fleisch von unserm Fleische seid. Denn die Zeiten sind vorbei,
daß die deutsche Nation der Welt das schimpfliche Beispiel innerer Zer¬
rissenheit und parteipolitischer Zerklüftung zeigte. Deutschland ist wie¬
der eine Nation geworden, und in dieser Nation lebt wieder ein einiges
und geschlossenes Volk, das bereit ist, vor sich selbst und der Welt gegen¬
über den schweren Kampf ums Dasein und ums tägliche Brot zu kämp¬
fen. Dieses Volk ist in dieser Stunde über die Wellen des Äthers mit uns
allen hier verbunden. Es sendet auf diesen Platz, der angefüllt ist von
Zehntausenden und Zehntausenden treudeutscher saarländischer Männer
und Frauen, seine brüderlichen Grüße und zugleich seine Entschlossen¬
heit, auf seinem Recht zu bestehen und Frankreich und dem Völkerbund
gegenüber dieses Recht — komme, was kommen mag — zu verteidigen
[Heilrufe]. Es ist heute nicht mehr möglich, daß eine ausländische
1 Ein zentrales Thema der deutschen Politik von 1934 war die Vorbereitung der
ab 10. Januar 1935 fälligen Volksabstimmung in dem unter der Treuhand¬
schaft des Völkerbundes stehenden Saargebiet, die dann gemäß Versailler
Vertrag über die Rückkehr zu Deutschland, die Angliederung an Frankreich
oder die Aufrechterhaltung des Status quo entscheiden sollte. Am 6. Mai ver¬
anstalteten die zur „Deutschen Front" zusammengeschlossenen deutschen Par¬
teien an der Saar unter dem Patronat der Reichsregierung eine Kundgebung
im 15 Kilometer östlich der Saargrenze gelegenen pfälzischen Zweibrücken.
142
Macht, sie sei welche auch immer, sich in Deutschland auf eine Gruppe,
eine Partei oder eine Organisation berufen kann, die mit ihr zusammen
ihr schimpfliches Spiel zur Vernichtung des Deutschtums spielen könnte.
Die Parteien des Klassenkampfes und des Landesverrates in Deutschland
sind zu Boden geworfen, das Ausland verhandelt nicht mehr mit Par¬
teien [Heilrufe] und nicht mehr mit Klassenkampforganisationen: das
Ausland hat es heute zu tuen mit einem im Nationalsozialismus geeinig¬
ten 66-Millionen-Volk! [Heilrufe.] Noch sind wir im Reich alle inner¬
lich erfüllt und ergriffen von der wunderbaren und einzigartigen Millio¬
nendemonstration am 1. Mai. bei der sich dieses deutsche Volk geschlos¬
sen und einig zum Führer und zu seiner Idee bekannte, und die Tatsache,
daß an diesem Tage im ganzen Saargebiet trotz Terror, Schikane und be¬
hördlichen Drucks die Fahnen Adolf Hitlers wehten, soll der ganzen —
[Heilrufe], soll der ganzen Welt ein eindeutiger Beweis für die Tatsache
sein, daß nicht nur das deutsche Volk sich zum Saargebiet, sondern daß
das Saargebiet sich zum deutschen Volk bekennt [Heilrufe] und daß die
Grenze, die man zwischen uns gezogen hat, und die Zollschranken, die
man zwischen uns errichtete, Grenze und Zollschranke der Willkür und
der Vergewaltigung ist und daß Grenzen und Zollschranken nicht ein
ewiges Recht wegschaffen können, das in den Sternen hängt und auf das
das deutsche und das saarländische Volk 2 sich zu dieser Stunde und
zu allen Stunden in der Zukunft bekennen wird. Ihr, meine Volks¬
genossen und Volksgenossinnen, die Ihr zu Zehntausenden glühenden
Herzens und wachen Verstandes hier zusammengekommen seid, um das
Bekenntnis abzulegen zum einigen, uns alle verbindenden deutschen
Volkstum, Ihr macht wahr das Wort: Deutsch die Saar — immerdar!
[Heilrufe.]
Und so stehen wir denn einig und geschlossen auf dem Boden unseres
Rechts und bekennen vor aller Welt, daß keine Willkür, keine Gewalt,
keine Schikane und kein Winkelzug uns von diesem Recht und seiner
Verfechtung jemals abbringen kann, — bekennen vor aller Welt, daß
nur Gewalt und Willkür uns voneinander trennen konnte und daß Ge¬
walt und Willkür nur zum Ziele kommen konnte in einer Zeit, da
Deutschland seine innere Geschlossenheit verloren hatte, daß diese Zeit
aber hinter uns liegt und daß wir wieder ein Volk der Einigkeit und des
geschlossenen nationalen Lebenswillens geworden sind! [Heilrufe.] Denn
das Reich, das ich in dieser Stunde vor Euch die hohe Ehre habe zu ver¬
treten, ist nicht zu vergleichen mit dem Reich, das die Schmach des
November 1918 über sich ergehen lassen mußte. Wenn vierzehn fahre
Erniedrigung und Selbstschändung der Welt scheinbar ein Recht gegeben
' Dies wohl ein lapsus linguae: ein »saarländisches Volk' neben dem deutschen
konnte es für Goebbels kaum geben.
143
haben, nicht mehr an die Ehre und den nationalen Anstand des deut¬
schen Volkes zu glauben, so sei es dieser Welt heute gesagtfDas Deutsch¬
land der Schmach und der Entehrung ist versunken, und aus den Trüm¬
mern der verfallenen Kriegs- und Nachkriegspolitik hat sich aufs neue
erhoben das Reich der Ehre, des Selbstbewußtseins, der Kraft und des
nationalen Daseinswillens! [Heilrufe.] Die Zeiten sind vorbei, daß
Deutschland nur Objekt der internationalen Weltpolitik war. Wir haben
den Willen, nun unser Recht vor der Welt wieder selbst zu vertreten;
und wenn die Welt darauf fußt, daß wir keine Waffen besitzen: Mag
sein, daß alle anderen Staaten uns in dieser Beziehung überlegen sind, —
in einer Beziehung aber läßt die deutsche Nation sich von keiner anderen
der Welt übertreffen: in der Entschlossenheit, mit allen Kräften und
allen Mitteln ihr nationales Leben der Welt gegenüber zu verteidigen
und zu vertreten! [Heilrufe.] Denn dieses Deutschland hat seinen inne¬
ren Frieden wiedergefunden, es ist ein Deutschland der Volksgemein¬
schaft geworden. Und deshalb ist auch Eure Frage, die Frage Eurer
Heimkehr ins Reich, nicht mehr eine Sache der Parlamente und nicht
mehr eine Sache der Parteien und nicht mehr eine Sache von Kabinetten,
die heute kommen und morgen wieder gehen müssen [Heilrufe], — es ist
eine Sache des ganzen großen 66-Millionen-Volkes deutscher Nation ge¬
worden! [Heilrufe.] Und deshalb haben wir allen Grund, in Beruhigung
und in gesammelter Kraftreserve der kommenden Entwicklung entgegen¬
zusehen.
Und vor allem Ihr, saarländische Arbeiter, die Ihr unter großen mate¬
riellen Opfern hierhergekommen seid, um allem behördlichen Druck zum
Trotz Euren Willen zum Deutschtum zu bekunden, — Ihr könnt davon
überzeugt sein: Neben Euch und hinter Euch steht nicht etwa nur die
deutsche Intelligenz, stehen nicht etwa nur die Adligen oder die Kapita¬
listen, — neben und hinter Euch steht das Vielmillionenheer des deut¬
schen Arbeiters! [Heilrufe.] Und er ist entschlossen, wie jeder andere
gute Deutsche, Euch zum Reich zurückzuholen und Eure Sache zu seiner
eigenen [Heilrufe] zu machen! Denn dieser Arbeiter hat das Leben wie¬
der lieben gelernt. Dieser Arbeiter hat, nachdem er vierzehn Jahre lang
von marxistischen Landesverrätern mißleitet und in die Irre geführt war,
sich wieder zum Deutschtum zurückgefunden, er hat dem Reich seine un¬
gebrochene Kraft geliehen, und in seiner Kraft ist das Reich wieder auf¬
erstanden. Und wir alle, ob Arbeiter, Bauern, Bürger, ob Protestanten
oder Katholiken, — wir alle kennen zu Euch nur ein Gefühl brüderlicher
Verbundenheit, nur ein Gefühl blutsmäßiger und schicksalhafter Bestim¬
mung. Und Euch gegenüber können wir es vor aller Welt bekennen: So
weit man in anderen Fragen der Außenpolitik gehen mag oder will oder
kann, in der Saarfrage kennen wir kein Zurückweichen und keinen
144
Kompromiß! [Heilrufe.] Saarland ist deutsch [Heilrufe] und Saarland
wird deutsch bleiben! [Heilrufe.]
Und wir werden nicht ruhen und rasten, bis die Schranken der Will¬
kür, die uns heute noch trennen, niedergerissen sind [Heilrufe] und Ihr
wieder als Brüder des Blutes in den Verband des Reiches zurückkehren
könnt [Heilrufe]. Denn Willkür hat Euch vom Mutterlande weggerissen,
— Willkür ist es, die über Euch eine fremde Regierung eingesetzt hat, die
aus vier Ausländem und einem Saarländer besteht® [Pfui-Rufe], —
Willkür ist es, die die Männer, die heute über Euch die Herrschaft füh¬
ren, treibt, wenn sie versuchen. Euch mit kleinen, lächerlichen Schikanen,
mit Zollschwierigkeiten, Paßschwierigkeiten und Zeitungsverboten, das
politische Leben sauer zu machen [Pfui-Rufe, Ruf: „Verräter!"]. Es
scheint, sie haben aus der Vergangenheit nichts gelernt [Rufe], und wir,
meine Volksgenossen, können ihnen dankbar sein, daß sie uns durch Ver¬
folgung und Terror noch härter machen, als wir ohnehin sind [Heilrufe].
Denn glaube niemand, daß Schikane und kleinliche Quälerei einem deut¬
schen Mann oder einer deutschen Frau das deutsche Gefühl und Bewußt¬
sein aus der Brust herausreißen könnte! [Rufe: „Nein! Nein!"]. Sie
mögen heute mit französischem Geld den saarländischen Grubenarbeiter
von sich abhängig zu machen versuchen, sie mögen den Versuch unter¬
nehmen, seine Kinder unter wirtschaftlichem Druck in französische
Schulen hineinzupressen [Pfui-Rufe], sie mögen die Tatsachen wegzudis¬
putieren versuchen, — sie können nicht über die tatsächliche Situation
hinweg. Sie können nicht leugnen, daß vor dem Kriege nur ein Halb pro
—, ein Halb pro Tausend im deutschen Saargebiet sich zu Frankreich
bekannte und die französische Sprache sprach und daß selbst einer, der
der Nutznießer des Versailler Vertrages mit war, der italienische Mini¬
sterpräsident Nitti 4 , über die Vergewaltigung des Saargebietes sagte:
Auf 700 000 Deutsche kommen noch nicht hundert Franzosen [Zurufe,
Heilrufe].
Da gehen Männer im Lande hemm, die Euch, Saarländer, in den
Ohren liegen [Rufe] und Euch weiszumachen versuchen, daß im Reich
der Terror herrsche und daß es deshalb das beste sei, die Fremdherrschaft
des Völkerbundes auch für die Zukunft freiwillig auf sich zu nehmen
[Pfui-Rufe], Ich erspare es mir, diese schimpfliche Begründung näher zu
charakterisieren, ich müßte mich vom Boden parlamentarischer Um¬
gangsformen entfernen [Heiterkeit], Aber aus Euren Zwischenrufen ent-
' Die das Saargebiet verwaltende „Regierungskommission" wurde vom Völker¬
bundsrat ernannt und setzte sich zusammen aus einem Franzosen, einem nicht¬
französischen Saarländer und drei Staatsangehörigen anderer Länder als
Deutschland und Frankreich.
4 Francesco N-, italienischer Ministerpräsident von Juni 1918 bis Juni 1920.
145
nehme ich schon, wie Ihr über diese Sorte Landesverräter denkt [Heil¬
rufe, Zurufe]. Merkwürdig und erstaunlich, daß ausgerechnet die aus
Deutschland bei Nacht und Nebel geflüchteten Emigranten sich nun mit
einem Male warmen Herzens der Saarfrage annehmen [Gelächter, Zu¬
rufe]. Sie haben doch in Deutschland vierzehn Jahre lang die Macht ge¬
habt. Da hatten sie ja ausreichend Gelegenheit, ihr warmes Herz für das
Saargebiet auch praktisch zu bestätigen. Statt dessen aber sahen wir sie
nur in illustrierten Zeitungen bei Sekt- und Kaviargelagen [Gelächter,
Zurufe], Sie hatten so wenig Verbindung mit dem von ihnen angeblich
vertretenen deutschen Volk, daß sie nicht einmal merkten, daß ihre
Glanz- und Gloriazeit eines Tages zu Ende gegangen war [Heiterkeit],
Sie wurden davon höchlich überrascht. Sie fielen von dem Himmel mar¬
xistischer Blütenseligkeit [Heiterkeit] auf den allzu harten Boden neuer
Tatsachen herunter [Beifall], Vor dem Eklat gingen sie unter Mitnahme
dicker Bankdepots über die Grenze. Nun beglücken sie Euch! [Unruhe,
Pfui-Rufe.] Und Ihr seid in der Tat wenig darum zu beneiden [Unruhe],
Wenn aber eine hohe Regierungskommission diese — [Pfui-Rufe], diese
Emigranten zu ihren politischen Beratern macht [Pfui-Rufe], so kann
man ihr nur zurufen 5 : Es tut mir in der Seele weh, daß ich dich in der
Gesellschaft seh 1 ! [Beifall.]
Über die Emigranten selbst erübrigt sich jedes Wort. Sie sind die lan¬
desverräterischen Büttel unserer Feinde [Rufe der Empörung]. Sie ver¬
kaufen für Geld ihr eigenes Volk und ihr eigenes Blut [Pfui-Rufe], —
das schimpflichste Verbrechen, dessen ein deutscher Mann sich überhaupt
schuldig machen kann. Sie sind im Saargebiet Zugewanderte, sie haben
dort eigentlich gar nichts zu suchen [Zurufe]. Es ist schon eine freche
Provokation, daß sie dort überhaupt das Wort ergreifen können [Pfui-
Rufe], Trotzdem aber dürfen sie im Schutze des Völkerbundes arbeiten,
reden und agitieren. Und sie stellen sich da vor die Welt hin mit dem
Anspruch, daß sie das eigentliche deutsche Saarvolk repräsentierten [Ge¬
lächter, Pfui-Rufe], Die deutsche Regierung hat vorläufig kein Mittel,
diesen schimpflichen Tatbestand zu beseitigen. Es gibt nur eine Instanz,
die die Macht besitzt, darauf eine wirksame Antwort zu geben [Heil¬
rufe], — und die Instanz seid Ihr! [Heilrufe.] Ihr könnt die Antwort ge¬
ben. und zwar dadurch, daß Ihr heute den Emigranten mit Verachtung
den Rücken kehrt, um ihnen bei der Wahl einen Denkzettel zu verabrei¬
chen, der sie dann der allgemeinen Lächerlichkeit der Welt preisgeben
wird! [Heilrufe.]
Es hieße auch den Emigranten zuviel Ehre antuen, wenn man ihre
Lügen im einzelnen widerlegen wollte. Sie sagen: Im Reich herrscht der
5 Vgl. oben Nr. 3, Anm. 28.
146
Terror. Nun leben im Reich dieselben Menschen wie an der Saar. Ich bin
nun der Überzeugung: Wenn der Terror der Saar-Regierung das Saar¬
volk nicht niederzwingen kann, dann könnte auch der Terror unseres
Regimes, wenn er vorhanden wäre, das deutsche Volk nicht zwingen!
[Beifall.] Wenn das deutsche Volk sich zu uns bekennt, dann aus freien
Stücken, und zwar weil es einsieht, daß wir sein Bestes wollen. Wenn die
Emigranten behaupten, wir hätten eine Willkürherrschaft gegen den
deutschen Arbeiter aufgerichtet, so möchte ich dem nur entgegenhalten,
daß wir nicht nur sozialistische Arbeiterpartei heißen, sondern auch
sozialistische Arbeiterpartei sind! [Heilrufe, Beifall.] Wir aber waren
nicht der Meinung, daß man dem Arbeiter einen Dienst damit tut, daß
man ihm in Versammlungssälen nur Phrasen von internationaler Solida¬
rität vortischt, denn wir wußten: der Arbeiter wird mit Phrasen nicht
satt. Wir haben dem Arbeiter Arbeit und Brot gegeben! [Heilrufe.]
Und damit haben wir uns als wahrhaftige Sozialisten bewiesen [Bravo-
Rufe], Wir sind vor der Größe der Aufgaben, die uns gestellt wurden,
nicht zurückgeschreckt. Im Gegenteil: Wir haben den Unrat, den die
sozialdemokratische Mißwirtschaft hinterlassen hatte, weggeräumt und
sind nun schon seit Monaten an der Arbeit, die deutsche Wirtschaft und
das gesamte öffentliche Leben in Deutschland auf neuer Basis wiederauf¬
zurichten. Welches andere Land kann von sich behaupten, daß seine
Arbeitslosigkeit in einem fahr um nahezu vier Millionen gesunken wäre?
Welches andere Land kann in diesen Zeiten allgemeiner Weltkrise von
sich behaupten, daß seine Wirtschaft schon sozusagen wieder eine Kon¬
junkturzeit erlebe? Und wenn wir vier Millionen aus dem Reich wieder
in Arbeit brachten, dann sollten wir es nicht fertigbringen, 40 000
Arbeitslose von der Saar wieder in Arbeit zu bringen? [Heilrufe.]
Das ist für uns eine Frage der Selbstverständlichkeit und eine Frage
des nationalen Prestiges [Bravo-Rufe], Das ist nach Rückkehr der Saar
zum Reich unsere allererste Aufgabe [Heilrufe]. Denn wir wissen: Eine
Regierung, die nicht auf den starken Schultern des schaffenden Volkes
steht, wird kein Regiment von Dauer errichten können. Und darum
haben wir uns der Liebe, des Vertrauens und der Gefolgschaft der brei¬
ten arbeitenden Massen versichert. Und deshalb appellieren wir auch in
dieser Stunde an das schaffende Saarvolk, an das Saarvolk der Faust
und der Stirne, an das Saarvolk, das die Massen der Hunderttausende
stärkt, das Brot schafft, das nach Arbeit verlangt und das auch in seiner
nationalen Lebenskraft so ungebrochen ist, daß kein Zwang und kein
Terror — er sei, wie auch immer, und komme, woher auch immer — es
jemals zu Boden zwingen kann. Wenn der deutsche Arbeiter heute der
Träger des Reiches ist, so hat er dem Prinzip des Klassenkampfes Valet
gesagt; er ist in die nationale Wirtschaft durch das Gesetz zum Wieder-
147
aufbau der deutschen Wirtschaft 6 mit einbezogen und eingeschlossen.
Der Staat ist wieder der ehrliche Makler zwischen Arbeitgebern und
Arbeitnehmern. Und wie tief sich diese neue Gesinnung im ganzen deut¬
schen Volke verankert hat, das hat der 1. Mai bewiesen, an dem sich die
ganze Nation zu Hitler und seiner Bewegung bekannte.
Das allerdings wissen wir auch: daß, wenn das Saargebiet zu Deutsch¬
land kommt, man die Probleme, die dadurch aufgeworfen werden, ganz
großzügig anfassen muß. Und dafür, glaube ich, sind wir in der Welt be¬
kannt, daß wir nicht kleinlich sind, daß wir es nicht an Mut fehlen las¬
sen, um Probleme anzufassen, daß wir Courage haben, etwas zu wagen
und etwas zu riskieren! [Heilrufe, Beifall.] Wenn man uns heute vor¬
wirft, wir hätten auch manchmal danebengeschlagen, so gebe ich zur
Antwort: Allerdings; einer, der oft schlägt, wird auch einmal daneben¬
schlagen dürfen [Beifall]. Nie danebenschlagen wird der. der überhaupt
auch nie schlägt [Beifall]. Und zu der Sorte allerdings gehören wir nicht.
Wir haben etwas riskiert, wir haben die Probleme, die uns gestellt waren,
ganz großzügig angefaßt. Wir haben uns auf lange Sicht eingestellt,
denn wir waren ja keine Greise mit langen Bärten, sondern junge Män¬
ner [Heilrufe], — Männer, die ein ganzes Leben noch vor sich, aber
nicht ein ganzes Leben hinter sich hatten [Bravo-Rufe], Und wir hatten
ja nicht die Absicht, in der deutschen Politik ein Gastspiel zu geben, son¬
dern wir hatten und wir haben die Absicht, an der Stelle, an der wir ste¬
hen, zu bleiben! [Heilrufe.] Deshalb konnten wir uns auch auf lange
Sicht einstellen. Und deshalb haben wir auch in der Saarfrage — wie
man in Berlin sagt — die Ruhe weg [Gelächter], Wir können schon bis
Januar nächsten Jahres warten. Unsere Stunde kommt! [Bravo-Rufe.]
Wir haben auch die Nerven, um das schamlose Treiben der Emigranten
über uns ergehen zu lassen [Bravo-Rufe], Denn wir wissen, daß ihre
Bäume auch nicht in den Himmel hineinwachsen [Bravo-Rufe]. Wir
haben ja gesehen, wie schnell und wie überraschend ihr Regiment im
6 Das „Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaues der deutschen Wirt¬
schaft" vom 27. Februar 1934, das den Reichswirtschaftsminister (Schmitt) er¬
mächtigte, Wirtschaftsverbände anzuerkennen, zu errichten, aufzulösen oder
zu vereinigen, und eine Art ständischen Aufbau mit vergrößertem Gewicht der
überwiegend nationalsozialistischen Klein- und Mittelbetriebe auf Kosten der
bisher in den Wirtschaftsverbänden dominierenden Großbetriebe und Kon¬
zerne herbeiführen sollte, hatte mit dem „deutschen Arbeiter" kaum etwas zu
schaffen. Im übrigen blieb es praktisch wirkungslos: mit Hilfe der an einer
leistungsfähigen Rüstungsindustrie interessierten Wehrmacht und des ab Juli
amtierenden Wirtschaftsministers Schacht wurde es von den Betroffenen ohne
große Mühe unterlaufen. — Von größerer Bedeutung hingegen wurde (und
vielleicht meint Goebbels es schon hier) das „Gesetz zur Ordnung der na¬
tionalen Arbeit" vom 20. Januar 1934. Auf dieses Gesetz, das zur „Erhaltung
des Arbeitsfriedens" als Reichsbeamte sogenannte „Treuhänder der Arbeit"
einführte, bezieht sich jedenfalls der folgende Satz.
148
Reich zusammenbrach, und wissen: Genauso wird es einmal im Saarge¬
biet sein [Zustimmung], Man muß nur warten, ausharren, kämpfen und
arbeiten! Man muß nur in sich den blinden Glauben tragen, daß die
Stunde kommt, wenn man sich für die Stunde bereithält.
Allerdings haben wir dabei die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die
Emigranten dem anständigen Saarländer nicht den Kopf scheu machen.
Wir müssen den Emigranten die Maske vom Gesicht reißen. Denn sie ge¬
hen herum als Biedermänner, in Wirklichkeit aber sind sie separatistische
Landesverräter [Beifall], Und jedes Mittel ist ihnen nur recht, dem
Deutschtum Abbruch zu tuen. Sie kleiden sich in jede Tarnung: hier tre¬
ten sie für den Arbeiter ein, dort treten sie für die Sittlichkeit ein [Hei¬
terkeit], dort sind sie die Verfechter des Katholizismus [Pfui-Rufe], Man
kann schon sagen: Die Böcke sind zu Gärtnern gemacht [Beifall], In
ihrer glorreichen Vergangenheit im Reich wollten sie von Christentum
und Katholizismus nicht allzuviel wissen [Heiterkeit], Dort haben sie die
Gottlosigkeit propagiert, haben Kirchenaustrittsbewegungen organisiert,
haben jede Sittlichkeit mit Füßen getreten, haben die Demoralisation auf
der Bühne, in der Presse, im Film nicht nur geduldet, sondern staatlich
und amtlich gefördert [Pfui-Rufe], Jetzt mit einem Male sind sie päpst¬
licher als der Papst [Beifall], jetzt gehen sie ins katholische Saarvolk und
rufen: Die Kirche ist in Gefahr! Die Atheisten sind zu frommen Gottes¬
dienern geworden. Sie reden nicht davon, daß wir die Kirche vor ihnen
gerettet haben. Sie sagen nicht, daß sie die Bedrohung der Kirche waren.
Sie sagen auch nicht, daß unser Kampf nicht den Kirchen gilt, sondern
den Organisationen, die ein glatter Hohn auf Kirche und Christentum
darstellen [Beifall], Wenn wir beispielsweise das Zentrum in Deutsch¬
land nicht mehr geduldet haben, so nicht, weil das Zentrum die Kirche
beschützte, sondern weil das Zentrum mit der Sozialdemokratie zusam¬
mengegangen war [Beifall] und weil die Gefahr bestand, daß durch die¬
ses widernatürliche Bündnis jede christliche Gesinnung in Deutschland zu
Schaden kam 7 [Bravo-Rufe], Wir haben in unserem Programm prokla¬
miert, daß wir auf dem Boden eines positiven Christentums stehen 8 . Die¬
ser Satz hat heute wie gestern und morgen seine Gültigkeit [Bravo-
Rufe], Wir haben in diesem Satz weiter gesagt, daß wir uns nicht an ein
bestimmtes Bekenntnis binden können. Das dürfen wir auch nicht, weil
7 Die Frage, ob Goebbels faustdicke Lügen dieser Art (denn natürlich waren
Hitler und seine Partei ebensowenig um die Wahrung „christlicher Ge¬
sinnung in Deutschland" bemüht wie sie etwa nur das nicht mehr geduldet
hatten, was „mit der Sozialdemokratie zusammengegangen war") wenigstens
im Moment glaubte bzw. sich suggerierte, berührt ein nicht uninteressantes
psychologisches Phänomen.
8 Im — wie die meisten anderen rein deklamatorischen und praktisch bedeu¬
tungslosen — Punkt 24 des Parteiprogramms vom 24. Februar 1920.
149
Deutschland aus Protestantismus und Katholizismus gemischt ist. Aber
der Staat leiht den Kirchen, wenn sie christliche Gesinnung verfechten,
seine starke, schützende Hand, und der Staat überläßt die Übersetzung
christlicher Gesinnung ins praktische Leben nicht nur den Kirchen, son¬
dern er selbst betreibt diese Übersetzung [Bravo-Rufe]. Denn wenn wir
im vergangenen Winter 320 Millionen im Winterhilfswerk aufbrachten
und damit die Ärmsten der Armen über die Not und die seelische Be¬
drängnis hinwegretteten, so sind wir der Überzeugung, daß das im Sinne
unseres göttlichen Lehrmeisters geschah! [Bravo-Rufe.] Denn es war ein
Christentum der Tat. war ein Christentum, in dem sich die Gesinnung in
praktische Nächstenliebe umsetzte. Eine Regierung, die das leistet, hat es
nicht nötig, ihre christliche Gesinnung unter Beweis zu stellen, und eine
solche Regierung hat auch das Recht, Saboteure des Staates, die sich in
kirchliches Gewand hüllen, in die Schranken zurückzuweisen! [Beifall.]
Das und nichts anderes haben wir getan. Wenn wir erklären, daß der
Priester auf die Kanzel, aber nicht auf die politische Tribüne gehört
[Beifall], so tuen wir damit nicht nur dem Staate, sondern auch der
Kirche einen Dienst*.
(Niemand kennt die wirtschaftlichen Nöte der Saar besser als wir,
niemand weiß aber auch besser als wir, wie groß die Mittel sein müssen,
die wir zur Rettung der Saarwirtschaft einmal einsetzen werden. Ihr,
meine Männer und Frauen von der Saar, könnt mit Recht von uns ver¬
langen,) daß wir im Saarland kein Fremdland, sondern Heimatland
sehen und erkennen, daß Saarland ewiges Deutschland ist und das Be¬
kenntnis dieses ewigen Deutschland zum einigen Reich für heute und für
alle Zukunft seine Gültigkeit haben soll. Vor allem Ihr Saararbeiter seid
berechtigt dazu, von uns zu verlangen, daß wir uns heute zu Euch im
Wort, morgen aber zu Euch in der Tat bekennen, und Ihr könnt davon
überzeugt sein: Niemand hat größeres Verständnis für den Heroismus
und die schweigende Geduld, mit der Ihr Schikane, Terror. Verleumdung
und Verfolgung auf Euch nehmt. Wir wissen, was das heißt, denn wir
haben das im Reich selbst vierzehn Jahre lang durchgemacht. Wir wis¬
sen, wie schweren seelischen Belastungsproben der einzelne ausgesetzt ist
und wie schwerer diese Belastungsproben werden, je auswegloser die
materielle Not ist, in der sich der einzelne befindet. Wir wollen nicht
den Stab brechen über die wenigen, die aus Verzweiflung und Sorge und
Angst um den Bestand ihrer Familie dem Terror zum Schein gewichen
sind, — wir wollen uns aber mit Freude, mit Genugtuung und mit Stolz
bekennen zu den Zehntausenden und Zehntausenden von Unentwegten
und Treuen und Nimmerwankenden, die sich in allen Gefahren und
allen Unterdrückungen dem ewigen Deutschtum verpflichtet gehalten
* Hier die unten erwähnte Lücke.
150
haben. An ihnen hat sich wieder einmal in herrlicher Weise das Dichter¬
wort verwirklicht, daß der ärmste Sohn Deutschlands auch sein getreue¬
ster ist 10 ! [Heilrufe.] Jene armen und manchmal hungernden Bergleute,
die Arbeit und Beruf verließen, um zu ihrem Vaterlande zu halten, die
Schikane und Verfolgung über sich ergehen ließen, aber ihre Kinder
nicht französischer Erziehung überantworteten [Bravo-Rufe], — sie
können gewiß sein, daß das große Herz des ewigen Deutschland mit
ihnen schlägt und daß die große Gesinnung des ganzen deutschen Volkes
eins ist mit ihrer Gesinnung und daß die ganze Nation stolz ist auf ihre
Söhne, die in Not und Gefahr beweisen, daß das Deutschtum ein Strom
des Blutes ist, der brüderlich durch uns alle geht und uns unzertrennlich
aneinanderkettet und aneinanderbindet.
Deshalb, glaube ich, kann so, wie die Saar vom Reich verlangt, auch
das Reich von der Saar verlangen. Das Reich erwartet von Euch, Män¬
ner und Frauen von der Saar, daß Ihr in den wenigen Monaten des
Kampfes, der gewiß von Tag zu Tag härter und unerbittlicher werden
wird, nicht die Nerven verliert, daß Ihr besonnen bleibt, daß Ihr immer
das große Vaterland im Auge behaltet, daß Ihr Euch nicht provozieren
laßt, daß Ihr davon überzeugt seid, daß die Regierung und das Volk
hinter Euch stehen und Euch den Rücken stärken und, wo es not tut, vor
Euch hintreten werden, daß wir alle die Schäden, die man Euch heute
antut, mit der gesammelten und geballten Volkskraft nach Eurer Heim¬
kehr ins Reich wiedergutmachen werden [Heilrufe], daß wir Euch die
Lasten nicht alleine aufbürden, sondern daß Schäden und Mängel und
Gefahren, die dieser Kampf nun einmal mit sich bringt, vom ganzen
deutschen Volk getragen werden müssen.
So steht Ihr, Männer und Frauen, treu und unbeirrt zum Reich; so
schenkt Ihr den falschen Propheten, die im Aufträge ausländischer
Mächte zu Euch kommen, um Euch den Glauben an das einige Deutsch¬
land aus dem Herzen zu reißen, keinen Glauben; so gebt Ihr Landesver¬
rätern und Emigranten die Quittung Eurer Verachtung und seid davon
überzeugt, daß die kurze Dulderzeit, die noch vor Euch liegt, überwun¬
den wird mit Kraft und Mut und daß die Stunde nicht mehr fern ist, wo
Ihr heimkehrt ins große, einige deutsche Vaterland! [Heilrufe.] Die
Regierung kennt Eure Not. Die Regierung steht dieser Not nicht untätig
gegenüber. Sie kennt die Fremdherrschaft, unter der Ihr schmachtet. Sie
kennt den Fremdkapitalismus, der Euch nicht in den Genuß Eurer Arbeit
" Sdiluß des Gedichtes „Bekenntnis” (1914) des ursprünglich sozialdemokra¬
tischen, später nationalistischen und ein Jahr zuvor (Rede vom 10. Mai 1933
auf dem Arbeiterkongreß) bereits von Hitler persönlich zitierten „Arbeiter¬
dichters" Karl Bröger: Herrlich zeigt es aber deine größte Gefahr, daß dein
ärmster Sohn auch dein getreuester war. Denk es, o Deutschland.
151
kommen laßt —, läßt. Sie kennt die Methoden, mit denen man Euch eine
französische Schulerziehung aufzwingen will. Sie kennt den wirtschaft¬
lichen Druck, mit dem man Euch zum Nachgeben zwingen möchte. Sie
weiß, daß man versucht, den Arbeiter in französische Verbände hinein¬
zupressen. Sie weiß, daß die Emigranten ihr Vaterland Tag für Tag und
Stunde um Stunde verraten. Deshalb hat sie mich zu Euch geschickt, und
deshalb stehe ich in dieser Stunde vor Euch, um Euch den Mut zu stär¬
ken und Euch Glauben und Zuversicht wieder über die Grenzen, die
Willkür zwischen uns gezogen hat, mitzugeben, um Euch zu sagen: Har¬
ret aus, stehet fest, gebt nicht nach! Es kommt in diesem Kampfe darauf
an, wer die härteren Nerven hat. Man mag Euch Eure Zeitungen verbie¬
ten, — das deutsche Wort, das in diesen Tagen nicht in den Zeitungen
geschrieben werden kann, steht in Euren Herzen geschrieben! [Heilrufe.]
Man mag Euch am l.Mai die Teilnahme am großen Nationalfeiertag
Eures Volkes und Eures Reiches zu unterbinden versuchen, trotzdem
wehen aus jedem Haus und von jedem Dachfirst die Fahnen Adolf Hit¬
lers und die Standarten der nationalsozialistischen Revolution [Heil¬
rufe]. Man mag Abstimmungsberechtigten des Saargebietes die Propa¬
ganda mit kleinlichen Schikanen zu hemmen und zu unterbinden versu¬
chen, man mag demgegenüber zugewanderten Emigranten und Landes¬
verrätern jede Möglichkeit agitatorischer Auswirkung überlassen, — es
nutzt ihnen nichts, sie kommen zu spät, ihre Zeit ist vorbei, das Saarvolk
will heim zum Reich, und das Reich — [Heilrufe], und das Reich breitet
seine Arme aus, um das Saarvolk wieder an sein Herz zurückzunehmen!
[Heilrufe.] Sie mögen aus Deutschland geflohene, kriminelle Landesver¬
räter über Euch zu Bütteln und Polizisten machen [Pfui-Rufe], sie
mögen Euch Schmach und Demütigung antuen, sie mögen mit Gewalt
versuchen, Euch das Bekenntnis zum Reich aus dem Herzen zu reißen,
— Ihr werdet, ob ausgesprochen oder unausgesprochen, immer wieder
mit dem Satz antworten: Zurück zum Reich, komme, was kommen mag!
[Heilfufe.]
Und so gestehe ich denn vor Euch, Männer und Frauen, daß das Reich
nicht von Euch lassen wird. Ich gestehe vor Euch, daß Ihr zu uns gehört,
wie wir zu Euch gehören. Ich gestehe vor Euch, daß wir Eure Rückkehr
ins Reich ganz großzügig vorbereiten und durchführen werden [Heil¬
rufe], und kann Euch versprechen, daß die Eingliederung in die Mutter¬
heimat für uns eine Sache des ganzen Volkes ist. Fühlt Euch in dieser
Stunde in Euren Herzen verbunden mit den vielen Millionen, die über
die Wellen des Äthers hinweg Zeuge dieses Aufmarsches saarländischen
Deutschtums sind. Seid davon durchdrungen, daß Deutschland in all sei¬
nen Ständen, Schichten, Berufen und Konfessionen zu Euch steht und
Eure Sache auch zu seiner Sache machen wird. Kein Nachgeben und kei-
152
nen Kompromiß [Bravo-Rufe], in Ruhe und Besonnenheit, aber mit ge¬
sammelter und bewußter Kraft wollen wir den kommenden Kämpfen
entgegensehen.
Bisher hat das Reich sich zu Euch bekannt, mit großen finanziellen
Hülfen hat es in die Regelung der sozialen Versicherung eingegriffen für
das ganze Saargebiet, es hat die Aufrechterhaltung eines sozialen Lebens¬
standards möglich gemacht, der, wäre der saarländische Arbeiter nur
französischem Geld ausgeliefert, längst schon aufgegeben worden wäre.
Kommt Ihr zurück zum Reich, dann wird die Niederkämpfung der saar¬
ländischen Arbeitslosigkeit für uns genauso eine nationale Volksaufgabe
sein, wie die Niederkämpfung unserer eigenen Arbeitslosigkeit eine
nationale Volksaufgabe war [Bravo-Rufe] und heute noch ist. Wir ken¬
nen auch die schwere Notlage, in der sich der saarländische Bergarbeiter
befindet. Wir sind auch entschlossen, diese Not zu wenden. Wir verspre¬
chen Euch, Bergarbeiter, die Ihr mit harten Händen und zerfurchten Ge¬
sichtern der Arbeiter vor mir steht, — wir versprechen Euch kein Him¬
melreich auf Erden und sind nicht gleisnerisch genug, Euch ein Leben in
Schönheit und Würde vorzugaukeln 11 , wir versprechen Euch aber, daß
wir Eure Not zu der unseren machen werden, daß wir Eure furchtbare
Situation zu ändern versuchen, daß wir den sozialen Lebensstandard des
saarländischen Bergarbeiters heben werden durch große Maßnahmen der
Erschließung des Warndtkohlengebietes 12 [Bravo-Rufe], durch Neuan¬
lagen —, durch Neuanlagen von Gruben, durch Instandsetzung der alten
Gruben, durch technische Verbesserungen und durch Schaffung ausrei¬
chender Absatzmöglichkeiten für die Saarkohle. Die Saar wird in diesem
Regenerationsprozeß seiner Produktion in den großen, umfassenden
Arbeitsbeschaffungsprozeß des Reiches bewußt mit eingegliedert. Die
saarländische Landwirtschaft werden wir durch Beschaffung ausreichen¬
der Absatzmöglichkeiten wieder lebensfähig zu machen versuchen und
das gesamte Saarvolk eingliedern in das große und umfassende Sied¬
lungswerk des Reiches, insbesondere unter besonderer Berücksichtigung
der im und beim Saargebiet liegenden Möglichkeiten. Ein großer und
umfassender Plan des Wiederaufbaues des deutschen Saargebietes nach
seiner Rückgliederung ins Reich ist in Bearbeitung und Vorbereitung,
und ich glaube, auf Grund der Leistungen, die hinter uns liegen, kann ich
mit Fug und Recht sagen: Es wird kein Plan sein, der in Aktenschränken
verschimmelt, sondern es wird ein Plan sein, der in das lebendige Leben
übersetzt wird [Bravo-Rufe].
So also steht Ihr, Männer und Frauen, national, völkisch, politisch,
11 Vgl. oben Nr. 3, Anm. 51.
11 Warndt: Waldgebiet mit tiefliegenden und damals noch wenig genutzten Koh¬
lenflözen westlich von Saarbrücken.
153
kulturell und wirtschaftlich unter der starken, schützenden Hand des
Reiches. Ihr braucht Euch nicht verlassen zu fühlen. Diese Hand, die ich
Euch entgegenstrecke, ist die Hand des ganzen deutschen Volkes [Heil¬
rufe]. In dieser Hand strecken sich Euch 66 Millionen Hände 13 Eurer
Volksbrüder und Eurer Volksschwestern entgegen. Seid getrost, steht
aufrecht, verliert nicht den Mut und nicht die Nerven, laßt Euch nicht
beugen und laßt Euch nicht brechen, beweist Euch als deutsche Männer
und deutsche Frauen, über die das Schicksal nur Not und Bedrängnis
schickte, um sie härter, bewußter und tüchtiger zum Kampf um das täg¬
liche Brot zu machen!
So seid denn gegrüßt, Ihr Männer und Frauen von der Saar, seid ge¬
grüßt von Eurem Volk und seid gegrüßt von Eurem Führer und seid ge¬
grüßt von der stolzen, großen Volksbewegung, deren Fahnen Ihr um
Euch flattern seht, die nicht nur das Volk wieder zu sich selbst zurück¬
führte. sondern die das Saarvolk auch wieder zu Deutschland zurück¬
führen wird. Dieses ganze Volk steht bei Euch, und diese Fahnen sind
auch für Euch getragen worden. Und die Vierhundert, die sterbend über
diesen Fahnen zusammensanken, sind auch für Euch gestorben. Und die
Zehntausende, die diese Fahnen mit ihrem Blut benetzten, haben auch
für Euch gelitten und gedarbt und geduldet und sind in die Gefängnisse
des marxistischen Terrorregimes des vergangenen —, des vergangenen
sozialdemokratischen Novemberstaates hindurchgegangen. Verliert nicht
den Mut! Was Ihr heute erduldet, — wir haben es auch erduldet! Auch
wir sind durch die Fegefeuer der Verfolgung und durch die Höllen der
Demütigung und der Schmähung hindurchgegangen, auch wir haben
vierzehn Jahre lang unter der Fremdherrschaft des Marxismus ge¬
schmachtet, aber herrlicher, größer und leuchtender denn je hat sich aus
Unterdrückung und Not wieder das ewige Deutschtum erhoben. Wir
haben die Qual überwunden, und nun stehe ich vor Euch nicht als Ver¬
treter einer Partei, nicht als Vertreter einer Parlamentsgruppe, — ich
stehe vor Euch als Vertreter des deutschen Volkes, und ich sage Euch als
einer von denen, die die Kämpfe, die Ihr heute durchmacht, selbst durch¬
gemacht haben, — ich sage Euch: Ihr werdet die Sieger sein! Ihr werdet
die Sieger sein, wenn Ihr tapfer bleibt und zähe seid; Ihr werdet die Sie¬
ger sein, wenn Ihr besonnen, klar und zielbewußt Euren Weg geht! Nie¬
mals werdet Ihr vom Schicksal verlassen, wenn Ihr Euch selbst nicht
verlaßt!
Und so wollen wir denn in dieser feierlichen Stunde, da das ewige
Deutschland sich mit Euch und da Ihr Euch mit dem ewigen Deutsch¬
land verbindet und verbrüdert, — so wollen wir die Hände und die
Herzen heben, wollen rufen und schwören, daß wir zum Reich halten und
niemals vom Deutschtum lassen werden! So soll denn die Parole für die
154
kommenden Monate heißen: Saarland. Tritt gefaßt! Saarland einig und
geschlossen marschiert in die Zukunft, die nach Not und Bedrängnis
auch wieder die Sonne über dieser ewig deutschen Provinz aufgehen las¬
sen wird! [Heilrufe.] Einig und geschlossen tretet den Marsch an ins
ewige Deutschtum, in Euer Volk und zu Eurem mütterlichen Boden zu¬
rück! Deutsch die Saar — immerdar [Heilrufe], zurück zum Reich! Das
alles vereinigen wir in dem Ruf, der in dieser Stunde aus schmerzerfüll¬
tem und leidgequältem Herzen zum Himmel emporschallen soll: Unser
ewiges deutsches Volk, das im Nationalsozialismus geeinigte Reich, das
mit ihm untrennlich verbundene Saarvolk und Saarland und der über
allem stehende Führer Adolf Hitler— Sieg Heil! [Zuhörer: „Heil!"]. Sieg
Heil! [Zuhörer: „Heil!"], Sieg Heil! [Zuhörer: „Heil"] 13
DRA Nr. C 1401 (67'). Ein fehlendes Stück nach dem Zeitungsabdruck (mit
Kürzungen in der Tagespresse — YB — vom 8. Mai 1934) in < > ergänzt.
" Bei der Volksabstimmung am 13. Januar 1935 wurden 90,76 8 /o der Stimmen
für die Rückgliederung an Deutschland abgegeben (8,84°/o für den Status quo,
0,4% für die Angliederung an Frankreich).
155
Nr. 20
10. 7. 34 — Rundfunkansprache („Der 30. Juni 1 im Spiegel des Aus¬
landes")
\Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Wenn ich heute abend zu Ihnen spreche, so möchte ich mich mit Ihnen
an das gesamte Ausland wenden. Ich rufe Sie alle zum Zeugen auf für
einige, in der ganzen Journalistik fast beispiellos dastehende Fälle der
Lüge, Verleumdung und Verzerrung eines wahren Tatbestandes. Der
30. Juni ist in Deutschland reibungslos und ohne jede innere Erschütte-
1 Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme hatte es einflußreiche Kreise
der „Bewegung” gegeben, die — trotz der Ausschaltung der bürgerlich¬
deutschnationalen Steigbügelhalter Mitte 1933 — die von der regierenden
Partei eingeschlagene Linie als einen faulen Kompromiß mit der „Reaktion"
ansahen und nach der eigentlich nationalsozialistischen „Zweiten Revolution"
verlangten. Hauptträger dieser Unzufriedenheit war die Kampforganisation
der Partei, die SA, die sich bei der Verteilung der Beute benachteiligt und um
die Früchte ihrer oft verlustreichen Straßenschlachten betrogen fühlte. Primäres
Objekt der Mißstimmung wurde die Reichswehr: die SA forderte die Ent¬
machtung der feudal-konservativen Reichswehrführung und die Verschmelzung
von SA und Reichswehr zu einem nationalsozialistischen Volksheer unter Füh¬
rung der SA (während die Reichswehr ihrerseits die vier- bis fünfmal so starke
SA zu einer bloßen Schule für vor- und nachmilitärische Ausbildung machen
wollte). Hitler hatte — wie immer — lange gezögert und sich nicht festge¬
legt, doch konnte ihm die heraufziehende und seine eigene Position bedrohende
Machtfülle der SA-Führung kaum angenehm sein. Hinzu kam, daß ihn die
Partei-Rechte unter Göring gemeinsam mit der SS und in Zusammenarbeit
mit der Reichswehrführung planvoll in den Präventivschlag hineinmanövrierte.
In den frühen Morgenstunden des 30. Juni begann dann die „Nacht der
langen Messer": Hitler selbst hob in Bad Wiessee den dort Urlaub machenden
SA-Stabschef Rohm aus, und noch bis zum übernächsten Tage starben hohe
SA-Führer vor den Erschießungspelotons der SS, deren steiler Aufstieg an
diesem Tage begann. Einige widerspenstige Konservative und Parteirebellen
sowie private Gegner, die bei der guten Gelegenheit gleich mit liquidiert
wurden, verwischten kaum die Konturen dieses vom demoralisierten deutschen
Bürgertum mit großer Erleichterung begrüßten Blutbades, mit dem der Führer
wieder „Ruhe und Ordnung" hergestellt hatte.
156
rung verlaufen. Der Führer hat mit seiner Autorität und einer bewun¬
dernswerten Kühnheit die Revolte eines kleinen Klüngels von Saboteu¬
ren und krankhaften Ehrgeizlingen blitzartig niedergeschlagen. Die
Ruhe und Ordnung wurde dabei im ganzen Lande nicht gestört. Das
tägliche Leben ging seinen normalen Gang. Die Menschen in Deutschland
fuhren, als wäre nichts geschehen, in ihre Ferien oder setzten ihre Arbeit
ohne jede Unterbrechung fort. Das Volk in seiner Gesamtheit aber be¬
grüßte mit einem befreienden Aufatmen die rettende Tat des Führers, die
Deutschland und damit die ganze Welt vor schwersten Katastrophen be¬
wahrte. Eine ungeheure Vertrauenswelle schlug Adolf Hitler bei seinem
mutigen Vorgehen aus der ganzen Nation entgegen. Wenn sich etwas in
Deutschland geändert hat, so höchstens, daß das Volk seitdem mit noch
größerer Liebe und Anhänglichkeit dem Führer und dem von ihm reprä¬
sentierten politischen Regime zugetan ist.
Es wäre anzunehmen gewesen, daß die internationale Weltpresse, die
ja doch ihre Beauftragten und gut bezahlten Vertreter in Berlin) und an¬
deren großen Städten des Reiches unterhält und damit die Möglichkeit
hatte, sich über die Vorgänge des 30. Juni durch Augen- und Ohrenzeu¬
gen einwandfrei und objektiv unterrichten zu lassen, mit der im interna¬
tionalen Verkehr üblichen Wahrheit und Klarheit auch diese Vorgänge
dargestellt und beurteilt hätte. Denn es ist ja ihre Aufgabe, ihr Lesepu¬
blikum nach bestem Wissen und Gewissen zu unterrichten, um ihm damit
die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Urteil über die großen politi¬
schen Bewegungsmomente unserer Zeit zu bilden. Was ist aber statt des¬
sen der Fall gewesen? Abgesehen von einer Reihe seriöser Auslandszei¬
tungen, die auch in diesem Falle die ruhige Überlegung und die Nüch¬
ternheit des Urteils nicht verloren haben, ist der übrige Teil der interna¬
tionalen Weltpresse geradezu in einen Taumel böswilliger Verhetzung
und hysterischer Verleumdung hineingeraten. Man muß schon ein
Übermaß von krankhafter Phantasie sein eigen nennen, um diesen
Spülicht feiger Lüge überhaupt in sich aufzunehmen, geschweige ihn
herzurichten. Das deutsche Volk aber soll in dieser Stunde der Abwehr
und des Protestes als Zeuge aufgerufen werden gegen die Böswilligkeit,
mit der man wieder einmal versucht, Deutschland und seine Führung
systematisch in den Augen der Welt herabzusetzen und zu verun¬
glimpfen.
Die deutsche Regierung hat bisher zu all diesen skandalösen Vorgän¬
gen geschwiegen. Sie erachtete es als unter ihrer Würde, sich mit dieser
Art von boshafter und verleumderischer Journalistik auseinanderzuset¬
zen. Sie hat die Vorgänge des 30. Juni mit einer beispiellosen Offenheit
dem eigenen Volk und der Welt dargelegt. Sie hat mit nichts zurückge-
157
halten und in allem der Wahrheit die Ehre gegeben 2 . Denn sie war der
Überzeugung, daß die Niederschlagung der Revolte von der Nation und
von der Welt dann am besten verstanden würde, wenn ihre Hinter¬
gründe und die daraus ohne Eingreifen des Führers vermutlich entstan¬
denen Gefahren ohne jede Vertuschung der Öffentlichkeit zur Kenntnis
gebracht wurden. Auch darin unterscheidet sie sich von ihren Vorgänge¬
rinnen, daß sie Dinge, die die öffentliche Kritik herausfordern, nicht mit
dem Mantel der Liebe zudeckt, sondern sie ohne jede Rücksicht den
Augen des Volkes preisgibt, damit das Volk erkenne, wie notwendig und
richtig ihr Handeln ist.
Die deutsche Presse hat der Regierung bei diesem Beginnen mit einer
dankenswerten Disziplin und Aufgeschlossenheit helfend zur Seite ge¬
standen. Sie hat damit bewiesen, daß die große Erziehungsarbeit, die der
Nationalsozialismus und sein Regime an ihr geleistet haben, nicht ohne
Früchte geblieben sind. Der Paragraph 13 des Schriftleitergesetzes vom
4 . Oktober 1933 3 bestimmt, daß Schriftleiter die Aufgabe haben, die Ge¬
genstände, die sie behandeln, wahrhaft darzustellen und nach ihrem be¬
sten Wissen zu beurteilen. Lind nach Paragraph 14 desselben Gesetzes
sind sie verpflichtet, aus ihren Zeitungen alles fernzuhalten, was die Ehre
oder das Wohl eines anderen widerrechtlich verletzt, seinem Rufe scha¬
det, ihn lächerlich oder verächtlich macht.
Mit heuchlerischem Pathos ist ein großer Teil der Auslandspresse in den
vergangenen Monaten gegen dieses Gesetz zu Felde gezogen. Sie behaup¬
tete, es stelle eine brutale Knebelung der Meinungs- und Gewissensfrei¬
heit dar, in Deutschland könne kein offenes Wort mehr gewagt werden,
die Wahrheit sei aus der Presse unseres Landes verbannt. Jedenfalls aber
haben Regierungen und Völker anderer Nationen von diesem Gesetz
auch ihre Vorteile gehabt, denn mit derselben Strenge, mit der wir dar¬
über wachten, daß es im innerpolitischen Verkehr gewahrt und geachtet,
haben wir auch dafür gesorgt, daß es im Verhältnis der deutschen Presse
zum Ausland eingehalten wurde. Wir haben es nicht geduldet, daß
Staatsmänner anderer Nationen in der deutschen Presse beleidigt, herab¬
gesetzt oder verächtlich gemacht wurden. Wir haben mitleidlos jeden
Schriftleiter zur Rechenschaft gezogen, der etwa versuchen wollte, das
Verhältnis Deutschlands zur Welt durch journalistische Privatfehden zu
2 Diese Behauptung ist ebenso verlogen wie die gesamte damalige Rechtferti¬
gung des Regimes: weder war eine geplante Revolte in letzter Minute nieder¬
geschlagen noch Landesverrat (zugunsten Frankreichs) verübt worden, weder
hatte es „nur" 77 Tote gegeben noch war das Morden am 1. Juli beendet
gewesen, weder hatte Straßer Selbstmord begangen noch war Schleidler bei
Gegenwehr getötet worden und so weiter und so fort.
' Goebbels' Gesetz zur Säuberung der Redaktionen. Seine hier gebrachten Zitate
stimmen, die Wirklichkeit sah natürlich ganz anders aus.
158
trüben oder zu stören. Jeder Minister eines anderen Landes wird in
Deutschland mit derselben Achtung behandelt wie der Minister des eige¬
nen. Denn wir sind der Meinung, daß eine Schmälerung der Autorität
auch einer fremden Regierung sich am Ende auch in einem allmählichen
Dahinschwinden des Autoritätsgefühls im eigenen Lande auswirken
würde.
Viele Länder Europas sind in den vergangenen Monaten von schweren
politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Krisen heimgesucht worden.
Diese Krisen übertrafen in ihrem Umfang manchmal die Niederschla¬
gung des geplanten Hochverrates vom 30. Juni um ein Vielfaches. Trotz¬
dem hat die deutsche Presse sie jedesmal mit der nötigen Zurückhaltung
behandelt und dargestellt und sich lediglich mit der Veröffentlichung des
rein Tatsächlichen begnügt. Sie hat niemals den Versuch gemacht, aus
dem augenblicklichen Pech oder Unglück anderer Völker Vorteil zu
schlagen, und hätte sie es getan, sie wäre von der Autorität des Staates
daran gehindert worden.
Und wie hat die Auslandspresse diese noble Auffassung vom Journa¬
lismus seitens der deutschen Presse in den hinter uns liegenden Tagen be¬
antwortet? Jeder Journalist, der als Auslandsvertreter in Berlin oder in
einer anderen Stadt des Reiches die Augen und Ohren aufmachte, konnte
unschwer feststellen, daß im ganzen Lande die Ruhe und Ordnung kei¬
nen Augenblick gestört oder bedroht war, daß alles sich ordnungsgemäß
abspielte, daß das Volk in seiner Gesamtheit die Vorgänge im Zusam¬
menhang mit dem geplanten Hochverrat mit einer beispiellosen Begeiste¬
rung begrüßte, daß die Autorität des Führers auch in den kleinen Krei¬
sen, die uns bisher reserviert gegenüberstanden, um ein Vielfaches gestie¬
gen ist, daß von einer Krise des Regimes überhaupt nicht geredet wer¬
den konnte) 4 , daß es vielmehr durch die Beseitigung der Meuterer erst
seine letzte Festigung erhalten hat. Was hat ein beträchtlicher Teil der
Auslandspresse und der ausländischen Sender daraus gemacht? Eine
Lügenkampagne, die in ihrer Bosheit nur noch verglichen werden kann
mit dem Greuelmärchenfeldzug, der während des Krieges gegen Deutsch¬
land inszeniert wurde.
Allerdings war sie diesmal miserabel organisiert. Man kann den Inspi¬
ratoren dieser Hetze nur den guten Rat geben, in Zukunft vorkommen-
denfalls bessere Verbindung untereinander aufrechtzuerhalten, weil sonst
auch der blindeste Leser zu argwöhnen anfängt, daß hier nach Strich
und Faden gelogen wird. Während der Daily Herald 5 am 6. Juni berich¬
tet, daß der Führer erschossen worden sei, wußte Oeuvre zu vermelden,
4 Fehler in der Schallplatte; Ergänzung nach dem Zeitungsabdruck.
6 Von Goebbels ausgesprochen »Dalli Herold". So auch unten „Görden" für
»Guardian" u. ä.
159
daß es überhaupt kein Komplott gegen Adolf Hitler gegeben habe. Die
Republique aber brachte zwei Tage vorher die erstaunenswerte Neuig¬
keit, daß Adolf Hitler eine Diktatur im Namen der Reichswehr ausübe
und nur noch als ihr Beauftragter handle. Der Matin meldete am näch¬
sten Tage, daß die Stellung des Reichskanzlers durch die letzten Ereig¬
nisse stark geschwächt sei, während der Intransigeant gleich zwei Atten¬
tate auf den Führer mitzuteilen wußte. Nachdem also Adolf Hitler er¬
schossen worden war, wurden auf ihn zwei Attentate versucht, seine
Stellung wurde dadurch außerordentlich geschwächt, und als sich oben¬
drein noch herausstellte, daß gar kein Komplott gegen ihn bestanden
hatte, übte er nunmehr im Namen der Reichswehr die Diktatur aus.
Am 7. Juli bringt der Matin einen Tatsachenbericht von einem Augen¬
zeugen, der als SS-Mann bei der Verhaftung in Wiessee zugegen gewesen
sein soll. Danach ist Adolf Hitler überhaupt nicht nach Wiessee gefah¬
ren. Er habe im Braunen Haus gesessen, und die Verhaftung selbst sei
durch Major Buch' vorgenommen worden. Ein seriöses französisches
Blatt also schenkt dem sogenannten Augenzeugenbericht eines mysteriö¬
sen. vielleicht von ihm selbst erfundenen SS-Mannes mehr Glauben als
dem Zeugnis des Führers selbst und seiner nächsten Mitarbeiter. Wir
müssen also alle Gespenster gesehen haben oder traumgewandelt sein, als
wir das Vorgehen des Führers in Wiessee erlebten.
Der Attentatsruhm des Intransigeant läßt den Figaro nicht ruhen.
Und so erfindet er denn ein neues Privatattentat auf den Führer. Der In¬
transigeant hatte es auf eine Landstraße verlegt, der Figaro verlegt es
zur Abwechslung in ein Arbeitsdienstlager. Um dieselbe Stunde weiß
Rußland der Welt mitzuteilen, daß Adolf Hitler nach diesem Blutbad
zweifellos das Ausland anfallen werde, während der Straßburger Sender
feststellt, daß Deutschland nunmehr keineswegs mehr in der Lage sei,
einen Krieg zu unternehmen. Der Intransigeant erfährt am 5. Juli, daß
der Führer von einem Heer von Spitzeln umgeben sei und sich deshalb
seine Briefe nur noch an die Adresse von Frau Goebbels senden lasse, —
was um so gemeiner ist, als der Intrasigeant damit dem Führer durch
Verrat dieses Geheimnisses die letzte Möglichkeit nimmt, über¬
haupt unkontrolliert Briefe zu empfangen. Der Moskauer Sender stellt
fest, daß der Führer nur noch von der Bourgeoisie gehalten werde. Lei¬
der hat er das Pech, daß die Moskauer Istwestija am selben Tage
erklärt, Adolf Hitler habe sich durch sein Vorgehen die bürgerliche
Massenbasis seiner Partei zerstört. Bedauernswert ist dabei nur das
russische Lese- und Hörpublikum, das sich in diesem blühenden Unsinn
zurechtfinden soll.
• Reichsleiter Major a. D. Walter Buch, Vorsitzender des Obersten Partei¬
gerichts.
160
Havas 7 teilt der Welt mit, daß Hitlers Popularität durch die letzten
Ereignisse gesunken sei, was Daily Express nicht ruhen läßt und ihn ver¬
anlaßt zu entdecken, daß der Führer nie mehr an der Spitze des deut¬
schen Volkes stehen könne. Dasselbe Blatt aber teilt zwei Tage vorher
seinen Lesern mit, daß im deutschen Volke über die Maßnahmen Adolf
Hitlers allgemeine Zufriedenheit herrsche. Die Morning Post hat Ein¬
blick in ein ganz geheimes Testament des Herrn Reichspräsidenten getan
und dort entdeckt, daß er Herrn von Papen zu seinem Nachfolger einge¬
setzt habe 8 . Der Daily Telegraph meldet 24 Stunden später, daß der
Herr Reichspräsident im Sterbe* liege. Am selben Tage empfängt Hin-
denburg den Führer und am folgenden Tage das siamesische Königspaar
in Neudeck 9 . Infolgedessen sieht sich der Manchester Guardian veran¬
laßt mitzuteilen, daß der Herr Reichspräsident zurücktreten wolle. Zur
selben Stunde werden die Danktelegramme des Generalfeldmarschalls an
den Führer und an den Preußischen Ministerpräsidenten veröffent¬
licht 10 .
Man sollte meinen, daß damit den Lügenfabrikanten der letzte Wind
aus den Segeln genommen sei. Aber fehlgeschossen: der Daily Express
hat des Rätsels Lösung gefunden. Die Danktelegramme Hindenburgs
wurden erzwungen mit der Drohung, daß man zwei der engsten Freunde
des Reichspräsidenten sonst erschießen werde. Am selben Tage weiß der
Straßburger Sender als letzte Neuigkeit zu vermelden, daß Hindenburg
bereits vor zwei Monaten ein Einschreiten gegen Göring, Goebbels und
Rosenberg gefordert habe, und überläßt es seinen Hörern, sich zu erklä¬
ren, wieso nun dieses Einschreiten gegen ganz andere Leute gerichtet
wurde.
Ein riesiges Feld sensationeller Lügenmeldungen ergibt sich vor allem
' Das damalige französische Nachrichtenbüro.
6 Um Hindenburgs Testament gab es vor allem dann nach seinem Tod am
2. August Gerüchte, die sich jedoch weniger um eine — kaum diskutable —
Nachfolge Papens, sondern vielmehr um eine Empfehlung zur Restauration
der Hohenzollern-Monarchie drehten. Einen dem Testament beigefügten Brief
dieses Inhalts hat Hitler offenbar unterschlagen.
* Hindenburgs Gut in Ostpreußen, — ein ruinierter Familienbesitz, den ihm
der „Hindenburg-Dank" der deutschen Soldatenverbände, Wirtschaftsver¬
bände und Agrarier 1927 geschenkt hatte. — Am 5. Juli hatte der schon
schwerkranke Reichspräsident in Neudeck den siamesischen König Prajadhipok
empfangen.
19 Die Telegramme vom 2. Juli, die „tief empfundenen Dank" und „aufrichtige
Anerkennung" für „Errettung des deutschen Volkes aus schwerer Gefahr" aus-
sprachen, stammten zwar aus dem Propagandaministerium, jedoch hatte Hin¬
denburg sie tatsächlich unterzeichnet, obschon ein SS-Mordkommando auch
seinen einstigen engen Vertrauten, den Reichskanzler und General a. D.
v. Schleicher, ermordet hatte. So erleichtert waren eben im Grunde — Rechts¬
staat hin, Rechtsstaat her — die Konservativen über die Ausschaltung der ge¬
fürchteten, pöbelhaften Partei-Armee.
161
für die englische Presse in bezug auf das Haus Hohenzollern. Danach
hat der ehemalige Kaiser aus Trauer auf seinem Schloß in Doorn eine
schwarze Fahne gehißt, der ehemalige Kronprinz und Prinz August Wil¬
helm haben Hausarrest erhalten 1 ' 1 . Zur gleichen Zeit teilt der Intransi-
geant mit, daß der ehemalige Kronprinz aufgefordert worden sei, Deutsch¬
land sogleich zu verlassen und im Flugzeug bereits in Doorn eintraf. Der
Lügenkollege vom Daily Telegraph hatte das leider nicht gelesen, und so
passiert ihm das Mißgeschick zu erklären, der ehemalige Kronprinz sei in
der Schweiz angekommen. Die Daily Mail entschied sich indes für An¬
kunft in Doorn, während Daily Express in diesem Falle zweifellos den
Vogel abschoß mit der Mitteilung, Deutschland sei auf dem besten Wege,
die Monarchie wieder einzuführen, — Adolf Hitler schwankte nur noch
zwischen dem ehemaligen Kronprinzen und dem Prinzen Louis Ferdi¬
nand 18 .
Der Paris Soir indes geht den Dingen auf den Grund. Er hat von
einem ganz sicheren Gewährsmann erfahren, daß der ehemalige Kaiser
den Nationalsozialisten 35 Millionen zur Verfügung gestellt habe und er
nun mit Recht erbost sei, daß sie ihr Versprechen nicht einhielten und
ihn wieder zum Kaiser machten.
Wie stümperhaft aber diese englischen und französischen Meinungsfa¬
brikanten sind, beweist Radio Wien am 1. Juli mit der Mitteilung, daß
alle Hohenzollernprinzen verhaftet worden sind; wogegen Radio Stra߬
burg erklärt, daß Prinz August Wilhelm ins Ausland geflüchtet sei. Nun
aber wird Daily Express die Sache zu dumm. Ohne sich durch vorge¬
faßte Meinungen und Darstellungen in seinen eigenen Spalten irgendwie
beirren zu lassen, spürt er die Wurzeln dieser ganzen Entwicklung auf
und findet zu seinem Erstaunen, daß die monarchistische Restauration
seit langer Hand vorbereitet war, daß sie nicht etwa in Potsdam oder
Doorn ausgekocht, sondern — man sehe, wie einfach und klar! — zwi¬
schen Mussolini und Hitler in Venedig 15 beschlossen worden sei.
Helfe, was helfen mag, denken sich nun die Südeiköche und nehmen
sich der Einfachheit halber reihum alle deutschen Reichsminister vor.
Am 1. Juli meldet Information die Verhaftung von Papen, Schwerin-
Krosigk und Seldte 14 , worauf der Wiener Rundfunk vor Neid erblaßt
11 Prinz A. W. („Auwi") von Preußen, der vierte Sohn des ehemaligen, im hol¬
ländischen Schloß Doorn im Exil lebenden Kaisers, war Parteigenosse von
1939, Reichstagsabgeordneter und SA-Gruppenführer; der Kronprinz stand
im Ruf zu sympathisieren.
12 Der zweite Sohn des Kronprinzen und heutige Chef des Hauses Hohenzollern.
13 Am 14./15. Juni hatten sich in Venedig die beiden Diktatoren erstmalig ge¬
troffen; die politischen Ergebnisse waren ebenso mäßig wie Mussolinis Ein¬
druck von Hitler.
14 Lutz Graf S. v. K war Reichsfinanzminister, der ehemalige Stahlhelmführer
Franz S. Reichsarbeitsminister.
162
und fromm und gottesfürchtig mitteilt, daß soeben — man bedenke:
soeben, wie wahrheitsgetreu das klingt! — soeben also Reichsbankpräsi¬
dent Dr. Schacht in Lichterfelde erschossen worden sei. Während also
der Wiener Sender nur mit einem erschossenen Reichsbankpräsidenten
aufwarten kann, läßt Radio Straßburg sich nicht lumpen und richtet
Herrn von Papen hin 15 . Und um das Bild abzurunden, vernimmt er
ganz deutlich Kanonendonner aus der Richtung München.
Jetzt aber geht der Moskauer Rundfunk aufs Ganze und erschießt in
einer Massenexekution den sächsischen Ministerpräsidenten von Killin-
ger, General von Hammerstein, Herrn von Gleichen, den ehemaligen
Reichsminister Treviranus, den Chef der Heeresleitung, General von
Fritsch, und Graf Helldorff 18 , — wohlgemerkt: Männer, die im öffent¬
lichen Leben eine Rolle spielten oder spielen und bei denen sich jeder¬
mann unschwer davon überzeugen kann, daß sie noch außerordentlich
lebendig sind.
Um nicht so leicht beim Lügen ertappt zu werden, läßt der Sender in
Wien eine Anzahl von hohen Polizeioffizieren erschießen, obschon er
wissen muß, daß nicht ein einziger Polizeioffizier überhaupt etwas mit
der Meuterei zu tuen hatte. Unterdes meldet Straßburg, daß die deut¬
schen Städte menschenleer sind und durch die Straßen bis an die Zähne
bewaffnete Polizei und SA herumziehen. Von Rußland erfahren wir zur
gleichen Zeit, daß die Reichswehr in schweren, blutigen Kämpfen mit
der SA in Pommern, Schlesien und Bayern liegt, bei denen es Tote und
Verwundete in Massen gegeben hat. Woraus der Rundfunksprecher in
Moskau schlicht und einfach die Konsequenz zieht und über den Äther
den Satz in die Welt hinausschmettert: In Deutschland herrscht blutiges
Chaos. Dieser Satz trifft sich um dieselbe Minute im Weltenraum mit
15 Papen hatte die Tage unter Hausarrest verbracht, seine Vizekanzlei war be¬
setzt und durchsucht, zwei seiner Mitarbeiter waren erschossen, andere, dar¬
unter seine Sekretärin, verhaftet worden.
18 Der sächsische Ministerpräsident Manfred v. K. war SA-Obergruppenführer;
General d. Inf. Curt v. H.-Equord war Anfang 1934 als Chef der Heeres¬
leitung verabschiedet worden; Heinrich Frhr. v. G. war der Gründer des
feudal-konservativen „Herrenklubs", der vor allem in der Papen-Zeit eine
Rolle gespielt hatte; Dr. Gottfried T., ein ehemaliger Deutschnationaler, später
Volkskonservativer und Minister unter Brüning, hatte vor dem Fangkom¬
mando der SS aus seinem Haus und ins Ausland fliehen können; General
d. Art. Werner Frhr. v. F. war Hammersteins Nachfolger (und wurde im Fe¬
bruar 1938 in der berüchtigten „Fritsch-Krise" unter unwürdigen Umständen
entfernt); Wolf Graf v. H. war SA-Gruppenführer und Polizeipräsident von
Potsdam (später Berlin; 1944 als Beteiligter am 20. Juli hingerichtet). Diese
Irrtümer der ja auf Gerüchte angewiesenen Auslandspresse zählt Goebbels
genüßlich auf, — von den zutreffenden Meldungen, den tatsächlichen Opfern,
deren Namen ja vielfach erst durch die ausländische Presse bekannt wurden,
ist hier natürlich nicht die Rede.
163
dem Satz des Prager Ansagers, der erklärt, daß in Deutschland völlige
Ruhe herrsche.
Mit diesen primitiven Feststellungen hat man also offenbar, weil sie
sich immer widersprechen, kein Glück, und so begibt man sich sporn¬
streichs ins Gebiet der hohen Politik. Der Wiener Sender erklärt, daß die
deutsch-englischen Transfer-Verhandlungen abgebrochen worden sind,
weil alle Weisungen aus Berlin plötzlich ausblieben. Am selben Tage
wird unglücklicherweise in London das deutsch-englische Transferab¬
kommen unterzeichnet 17 . Da lob' ich mir doch den Luxemburger Sender,
der am 4. Juli entdeckt, daß in Rumänien und Bulgarien von der Donau
massenhaft Leichen angeschwemmt worden sind. Unterdes hat der In-
transigeant festgestellt, daß das Propagandaministerium ausgehoben
worden sei. Eine Wiener Meldung geht gleich der Sache auf den Grund
und weiß mitzuteilen, daß Ministerpräsident Göring am 30. Juni gerade
zu der Zeit, als der Propagandaminister in einem anderen Räume seines
Hauses vor der Auslandspresse sprach, höchstpersönlich in dessen Dienst¬
zimmer eine Haussuchung veranstaltete. Was bekümmert es einen Jour¬
nalisten von Weltruf, daß in Wirklichkeit, wie jedermann weiß, der
Preußische Ministerpräsident selbst vor der Auslandspresse sprach, wäh¬
rend der Propagandaminister mit dem Führer zusammen in Wiessee war.
Man erspare mir weitere Einzelheiten. Der Ekel kommt einem hoch,
wenn man sich jetzt, da die Auslandspresse insgesamt vorliegt, einen
Überblick darüber verschafft und dann damit vergleicht, wie vornehm,
nobel und anständig Vorgänge des Auslandes in der deutschen Presse be¬
handelt werden, — man kann dann nur mit Seelenruhe ausrufen: Ach,
was sind wir Wilde doch für bessere Menschen!
Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen, ich wende mich an Sie
und mit Ihnen an die ganze Welt. Ich frage die Welt, ob sie diese Metho¬
den einer bewußten und systematischen Vergiftung der öffentlichen Mei¬
nung billigt und sich zu eigen macht. Ich frage den anständigen Aus¬
landsjournalisten, ob er sich durch das gewissenlose und hinterhältige
Treiben seiner Berufskollegen selbst kompromittieren lassen will. Ich
frage jeden Mann der Öffentlichkeit, der noch ein Gefühl für Wahrheit
und persönliche Sauberkeit im Verkehr von Menschen und Völkern un¬
tereinander besitzt, ob diese Abirrungen und Verwilderungen der Welt¬
journalistik rechtens sein und in Zukunft den Umgangston unter den
Völkern abgeben sollen. Ich glaube im Namen des ganzen deutschen
Volkes zu sprechen, wenn ich mit Empörung und Entrüstung dagegen
Protest einlege und mit aller Deutlichkeit erkläre, daß die deutsche
Regierung nicht gewillt ist, weiterhin Ausländskorrespondenten in
17 Unterzeichnet am 4. Juli. Das Abkommen regelte die Zinszahlungen aut' die
Dawes- und Young-Anleihe.
164
Deutschland zu dulden, die auf solche Weise die Völker gegeneinander¬
hetzen und eine Atmosphäre heraufbeschwören, die jede ehrliche und un¬
voreingenommene Beziehungsetzung der Nationen zueinander unmöglich
macht. Das hat nichts mehr mit Freiheit der Meinung zu tun. Was sich
hier austobt, ist übelste Art von Revolverjournalistik, die keinem Volke
zur Ehre gereichen kann. Sie trifft nicht den, gegen den sie gerichtet ist,
sondern den, der sie betreibt. Mit einer Skrupellosigkeit ohnegleichen
vergiften hier gewerbsmäßige Lügenfabrikanten die Weltmeinung, und
die Völker selbst müssen am Ende die Folgen davon bezahlen.
Danken wir selbst dem Schicksal, das uns die Möglichkeit gab, diese
Art von Lügenjournaille in Deutschland zu beseitigen. Nur so konnten
wir unseren inneren Frieden zurückfinden. Die deutsche Presse und der
deutsche Rundfunk können stolz darauf sein, daß sie durch eine neue
Verpflichtung zu Staat und Volk aus dieser kompromittierenden Gesell¬
schaft herausgenommen worden sind. Das deutsche Volk geht in Ruhe
und Ordnung seiner täglichen Arbeit nach. Es hat vor allen anderen Völ¬
kern, die ein Gleiches tun, nur Achtung und Respekt. Es verfällt nicht in
den Fehler, diese anderen Völker mit solchen Journalisten zu verwech¬
seln. Es weiß auch, daß es überall anständige und saubere Pressemänner
gibt, die nach bestem Wissen und Gewissen der Wahrheit dienen wollen.
Von der hier geschilderten Art von Lügenfabrikanten aber wendet es
sich mit Ekel und Abscheu ab und quittiert ihre hysterischen und patho¬
logischen Wut- und Haßausbrüche nur mit einem lauten und hörbaren
„Pfui-Teufel!"
DRA Nr. C 1410 (26' 30"). Der Anfang der Ansprache fehlt (hier nach dem
Zeitungsabdruck in < > ergänzt). Sie wurde 20.00 Uhr von allen deutschen
Stationen gesendet, 20.45 Uhr und 23.05 Uhr wiederholt und dann die ganze
Nacht hindurch sowie am nächsten Vor- und Nachmittag in Englisch, Fran¬
zösisch, Spanisch und Portugiesisch durch den deutschen Kurzwellensender und
Richtstrahler nach Nord-, Mittel- und Südamerika sowie nach Asien, Afrika und
Australien ausgestrahlt. BBC übernahm die Ansprache vom Deutschlandsender,
außerdem waren italienische und argentinische Sendergruppen angeschlossen.
165
Nr. 21
30. 9. 34 — Bückeberg bei Hameln — Eröffnung der Kundgebung zum
2. Erntedanktag 1
Deutsches Landvolk!
Die größte deutsche Bauernkundgebung zur Feier des Erntedankes auf
dem Bückeberg ist eröffnet!
Mein Führer! [Heilrufe.] Am 1. Mai dieses Jahres standen Sie auf
dem Tempelhofer Feld in Berlin vor zwei Millionen schaffender Men¬
schen aus der Stadt. Heute, am 30. September, stehen Sie vor 700 0C0
deutschen Bauern, die aus dem weiten Gebiete Niedersachsens und aus
dem ganzen Reich hierhergeeilt sind, um aus Ihrem Munde Weg, Rich¬
tung und Ziel für ihr kommendes Arbeitsjahr zu vernehmen. Diese
700 000 deutsche Bauern, Menschen der Scholle und aus bestem deut¬
schen Blut, sagen Ihnen, mein Führer, den Dank der Nation. Sie haben
— [Heilrufe], Sie haben nach vierzehn Jahren Schmach und Demüti¬
gung unserem Volke seine nationale Ehre zurückgegeben [Heilrufe]. Sie
haben nach vierzehn Jahren, in denen die Novemberdemokratie die Zeit
des deutschen Volkes mit fruchtlosen Phrasen und Debatten verbrauchte,
dem deutschen Volke wieder die Möglichkeit gegeben, sich in Ehren und
Anstand sein tägliches Brot zu verdienen [Heilrufe]. Diese 700 000 deut¬
sche Bauern, mit denen sich in dieser Stunde, durch die Wellen des
Äthers verbunden, die ganze deutsche Nation vereinigt, legt Ihnen ihre
Huldigung zu Füßen. Sie haben ein Reich der Bauern, Arbeiter und Sol¬
daten wiederaufgerichtet. Wie tief — [Heilrufe], wie tief dieses Reich im
Herzen des ganzen Volkes befestigt und verankert ist, das konnte Ihnen
diese Fahrt von Goslar zum Bückeberg durch bestes deutsches Bauern-
1 Vgl. Nr. 13, Anm. 13. Hitler war an diesem Tage im Triumphzug von der
„Reichshauernstadt” Goslar über Hildesheim und Hameln zum Bückeberg ge¬
fahren, um — wie es nun alljährlicher Brauch wurde — die Erntekrone zu
empfangen und vor den Bauern zu sprechen.
166
land zeigen, die einem wahren Triumphzug geglichen hat. Sie, mein Füh¬
rer, gaben uns unsere Ehre zurück; Sie, mein Führer — [Fleilrufe]. Sie,
mein Führer, gaben uns wieder unser tägliches Brot. Dafür steht eine 66-
Millionen-Nation wie ein Kraft- und Stahlblock geeint und zusammen¬
geschweißt hinter Ihnen! Und diese sechs- [Heilrufe], und diese 66
Millionen vereinigen sich mit uns, wenn 700 000 deutsche Bauern zur Er¬
öffnung des deutschen Erntedankfestes die Hände erheben und rufen:
Unser Reich und unser Führer — Sieg Heil! [Zuhörer: „Heil!"], Sieg
Heil! [Zuhörer: ..Heil!"], Sieg Heil! [Zuhörer: „Heil!"]
DRA Nr. C 1237 (6' 50") In der Presse (VB vom 1. Oktober 1934) abgedruckt.
167
Nr. 22
5. 11. 34 — Berlin, Sportpalast — Eröffnung der „ Woche des deutschen
Buches" 1
Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Wenn ich zum deutschen Buch spreche, dann möchte es fast den An¬
schein haben, als wollte ich pro domo reden. Denn ich gehöre ja selbsc
zur Gilde der Bücherschreiber, und ich befinde mich dabei, Gott sei
Dank, in einer guten Gesellschaft [Heiterkeit, Beifall], Es gibt heute
kaum einen Mann des öffentlichen Lebens, der sich nicht durch die Feder
verlautbaren wollte, sei es als Journalist, sei es als Leitartikler, sei es als
Bücherschreiber. Und es ist nichts falscher als die Ansicht, der National¬
sozialismus verachte die Kunst des Bücherschreibens. Wahr ist allerdings,
daß die Bewegung in erster Linie durch ihre Redner zum Siege geführt
worden ist. Und das lag auch — [Beifall], und das lag auch in der Natur
der Sache. Das Budi gibt einen mittelbaren und die Rede gibt einen un¬
mittelbaren Eindruck. Wir kennen in der Weltgeschichte überhaupt keine
Revolution, die von Büchern gemacht worden wäre, sondern immer stan¬
den an ihrem Anfang die Agitatoren, die Propagandisten, die oratori-
schen Talente. Und so auch hier. Das heißt aber nicht, als wenn wir auf
der anderen Seite der Geige nicht zu spielen verstünden oder als wenn
wir auf ihr nicht spielen wollten. Wir kennen sehr wohl den ungeheuer
weitreichenden Einfluß, den ein Buch ausüben kann. Und nicht umsonst
hat der Führer während seiner Festungshaft in Landsberg sein Buch ge¬
schrieben, denn er hatte keine andere Möglichkeit, um seine Gedanken
an die breiten Volksmassen heranzutragen. In der Revolution regiert die
Rede, in der Evolution rückt dann wieder das Buch in seine alten Stel-
1 Goebbels' Rede wurde eingerahmt von einer Ansprache des Reichsschrifttums¬
kammer-Präsidenten Hans Friedrich Blunck und Lesungen aus eigenen Wer¬
ken von Hanns Johst und Josef Magnus Wehner. Das Publikum bildeten
15 000 Volksgenossen, darunter zahlreiche Diditer, Schriftsteller und Verleger.
168
hingen ein. Wir haben durch Wort und Schrift zu wirken versucht, und
das Ergebnis dieses Wirkens war die nationalsozialistische Revolution.
Denn Ideen an sich sind zu nichts wert, wenn sie nicht die breiten Mas¬
sen erobern; es kommt in der Geschichte nicht darauf an, daß man recht
hat, sondern es kommt darauf an, daß man recht behält [Beifall]. Aller¬
dings waren wir uns von vornherein darüber im klaren, daß wir weder
reden noch schreiben durften für eine dünne Oberschicht von Intellek¬
tualismus. Wir wollten uns an die breiten Massen des Volkes wenden,
sowohl mit der Rede als mit der Schrift. Und wir mußten deshalb auch
eine andere Sprache sprechen, als sie sonst in den Bezirken der sogenann¬
ten Geistigkeit Mode war. Wir waren nämlich der Meinung, daß, wenn
eine Idee richtig ist, man sie auch jedermann erklären könnte und daß,
wenn einer seine Idee — [Beifall], und daß, wenn einer seine Idee in un¬
durchsichtige Phrasen einwickelt, das immer ein gutes Zeichen dafür ist,
daß mit seiner Idee nicht viel daran ist [Beifall]. Wir haben deshalb frei
nach Luther dem Volk aufs Maul geschaut, weil wir [Heiterkeit, Beifall]
uns ja auch mit dem Volke unterhalten wollten.
Jetzt rückt das Buch wieder in seine alten Stellungen ein, und man
hört überall die Klage: Das Volk hat kein Verhältnis mehr zum Buch!
Eine ungerechte Klage. Richtiger wäre der Satz umgekehrt, nämlich:
Das Buch hat kein Verhältnis mehr zum Volk! Das Volk [Beifall] nimmt
niemals Abschied von Kräften, die sich nicht von ihm selbst schon abge¬
wandt haben, und es besteht deshalb für das Buch keine andere Möglich¬
keit, will es seine Existenzfähigkeit retten, als sich wieder zum Volke zu
wenden. Denn solange ein Buch nur für eine dünne Schicht von Intellek¬
tuellen geschrieben ist, solange kann es nicht der Hoffnung sein, daß es
in den breiten Volksmassen Eingang findet. Und solange es in den brei¬
ten Volksmassen keinen Eingang findet, kann es nicht auf Massenkonsum
rechnen. Und kann es nicht mehr auf Massenkonsum rechnen, dann ver¬
liert es seine Lebensfähigkeit. Es geht vielleicht bei wissenschaftlichen
Werken noch an, daß sie sich an eine kleine Schicht wenden. Das große
Buch der Zeit gehört dem Volke, und es muß sich deshalb an das Volk
unmittelbar wenden, sowohl wenn es die historische Entwicklung der
Dinge darstellt, als wenn es sie sei es in dramatischer oder in romanhaf¬
ter Form darzustellen versucht. Es gibt keine Zeitfrage, die das Volk
nicht verstehen könnte, — es kommt nur immer darauf an, wie man die
Zeitfragen dem Volke verständlich zu machen versucht.
Gewiß wird der Intellektuelle die ganze Kompliziertheit der Dinge
beim ersten Blick erkennen; die Kunst des Redens und Schreibens aber
besteht darin, die Dinge ihrer Kompliziertheit zu entkleiden und sie auf
den reinen, klaren, wahren und natürlichen Kern wieder zurückzuführen
[Beifall], Es wäre deshalb sehr wohl schon denkbar, daß zwischen Volk
169
und Buch eine unzerstörbare Freundschaft entstände, — aber nur dann,
wenn der den ersten Schritt zueinander tut, der den ersten Schritt von¬
einander getan hat. Das heißt also: Das Buch darf nicht warten, bis das
Volk zu ihm kommt, sondern das Volk wartet, daß das Buch zum Volke
komme. Und die Dichter und Schreiber der Zeit werden Bestand haben,
die diese Grundwahrheit unseres literarischen und schriftstellerischen
Schaffens erkannt haben. Denn die Zeit, in der wir leben, ist darin
grundsätzlich von der vorangegangenen unterschieden, daß wir das Volk
in Beziehung zu allen wesentlichen Institutionen des öffentlichen Lebens
wieder gestellt haben und daß diese Institutionen überhaupt erst wieder
Lebenskraft durch das Volk gewinnen. Ein L'art-pour-l'art-Standpunkt
ist im nationalsozialistischen Staate ganz undenkbar: daß die Kunst den
Künstlern gehört und daß der Künstler das Vorrecht habe, über dem
Volk in einer luftverdünnten Atmosphäre der Ästhetik oder der Litera¬
tur ein einsames und unbekanntes Dasein zu fristen. Wenn der Künstler
nicht im Volke steht, dann hat er seine eigentliche Zeitaufgabe nicht er¬
kannt, und er darf dann nicht —, er darf es dann dem Volke nicht ver¬
argen, wenn das Volk ihn nicht kennt und nicht versteht und deshalb
auch nicht achtet.
Das war der Grundfehler der Vergangenheit: daß die Dichter unter
sich eine kleine Clique bildeten und daß sie sich mit dieser kleinen Clique
an eine ganz dünne Oberschicht des Volkes wandten. Daß sie deshalb
auch die Probleme dieser Oberschicht behandeln mußten, — daß also zu
derselben Zeit, in der das öffentliche Leben vollgepreßt war mit dyna¬
mischen Problemstoffen, die Dichter der Zeit sich dieser Problemstoffe
nicht bemächtigten. Daß deshalb das Volk zu uns gekommen ist, weil es
in den Büchern der Zeit keine Befriedigung mehr fand 2 . Es ist genau die¬
selbe Klage, die wir heute von den Kirchen hören, wenn sie sich darüber
beklagen — [Beifall], wenn sie sich darüber beklagen, daß die Gottes¬
häuser leerstehen — nicht durch unsere Schuld, sondern durch ihre
Schuld [Bravo-Rufe, starker Beifall], Wollen wir deshalb dem Buche
eine neue Lebenskraft geben, dann müssen wir die zerstörten Bindungen
zum Volke wiederherstellen. Der blasse Ästhetizismus muß einer neuen
Vitalität Platz machen 3 . Das Buch muß wieder ins Volk hinein und wird
2 Eine merkwürdige und wohl einmalige Begründung für das Anwachsen der
Hitler-Bewegung. Übrigens hat sich Goebbels hier verheddert: daß „das Volk
zu uns kam", bezeichnet er hier, wenn man genau nachliest, als einen „Grund¬
fehler der Vergangenheit", — was zwar in der Tat richtig ist, von ihm indes
kaum so gemeint gewesen sein dürfte.
3 Wenn man im Nationalsozialismus, dieser möglichst kompletten Befriedigung
aller Massenwünsche und -Sehnsüchte, überhaupt so etwas wie einen philoso¬
phischen Gedanken entdecken kann, so ist es diese Wiederbelebung und Her¬
vorkehrung des £lan vital und seine Konfrontierung mit — gewöhnlich durch
solche Adjektive wie „blutleer" oder „blaß" noch weiter abqualifizierten —
170
dann auch das Volk wieder erobern können. Das Buch muß sich der Pro¬
bleme der Zeit bemächtigen, damit das Volk sein eigenes Sein und
Dasein, sein Leben, seine Sorge, seine Not, seine Freude, seine Begeiste¬
rung im Buche auch wiederfindet. Wie kann sich das Buch als einzige In¬
stanz aus der Zeit heraushalten? Wie kann der Dichter glauben, daß ihn
die Zeit nichts anginge? Wie kann er sich auf große Vorbilder berufen,
wo die ganze Literaturgeschichte ein einziger Beweis dafür ist, daß nur
die dichterische Größe vor der Zeit Bestand behalten hat, die in ihrer
Zeit auch verwurzelt gewesen ist. Denn das ist die wahre Kunst des
Dichters: die Zeit zu gestalten und damit über die Zeit hinauszuragen
und sich der Probleme der Zeit zu bemächtigen, um sie am Ende dann
zeitlos darzustellen [Beifall].
Ich rede damit nicht dem Kitsch und dem Dilettantismus eines Heeres
von Nichtkönnern das Wort, die glauben, daß die Konjunktur dasei und
daß es nun an der Zeit sein müsse, mit Parademärschen und wehenden
Hakenkreuzfahnen über die Bühne und über die Filmleinewand zu mar¬
schieren [Beifall], Das ist nicht das Ausschlaggebende, das sind nur die
äußeren Symbole unseres Aufbruchs. Der Geist, der hinter diesen Symbo¬
len steht, — der will gestaltet werden, und er braucht [Beifall] seine
Stoffe nicht aus der Gegenwart zu nehmen, er kann sie aus der Vergan¬
genheit emporzaubern. Möglich, daß ein großer, schöpferischer Geist das,
was wir fühlen und empfinden, an Figuren wie Friedrich dem Großen
oder Scharnhorst oder Gneisenau oder Fichte oder Schleiermacher aufs
neue zur Darstellung bringt. Denn das, was wir denken und empfinden,
ist nicht neu, sondern das haben zu großen Zeiten große Menschen
immer gedacht und empfunden. Und die Weltanschauung, die wir dem
deutschen Volke zurückgegeben haben, ist nicht neu erfunden worden,
sondern wir taten nichts anders, als eine aus den Fugen geratene Welt
wieder in ihre Fugen zurückzustellen 4 [Beifall], Ich weiß sehr wohl, daß
man die Dichtung nicht kommandieren kann, und niemand von uns hat
je den Versuch dazu gemacht. Ich weiß sehr wohl, daß wirtschaftliche
und politische Blütezeiten vorausgehen müssen, ehe sie von künstlerischen
und dichterischen Blütenzeiten gefolgt werden.
Ich weiß sehr wohl, daß wir in Demut auf die großen Geister warten
müssen, die die Kraft besitzen, unsere Zeit in Gestalt und Form zu gie¬
ßen. Ich weiß auch sehr wohl, daß wir uns dabei mit Geduld wappnen
Begriffen wie Intellektualismus und Ästhetizismus, — das heißt also die Ver¬
herrlichung des primitiven und auch brutalen Lebenswillens auf Kosten dessen,
was den Menschen vom Tier unterscheidet: des Denkens wie der Aufge¬
schlossenheit für das Schöne.
4 Auch ein versierter Redner verfängt sich hin und wieder in einem völlig
schiefen Bild.
171
müssen, denn auch zu unserer Zeit gilt noch das Wort Nietzsches: Wer
viel einst zu verkünden hat, schweigt viel in sich hinein 6 . Das soll aber
keine Entschuldigung sein, das soll nicht für die Dichter der Zeit heißen,
daß sie sich den Problemen der Zeit entziehen könnten und auf kom¬
mende Generationen warten dürften. Ich meine, daß nun der geschicht¬
liche Augenblick gekommen sei, daß sie das erste Wagnis unternehmen
müßten. Und ich bin der Überzeugung: die Gedanken, die wir politisch
geformt haben, sind jetzt so weit schon einer inneren Klärung zugeführt,
daß sie sich auch dichterisch und künstlerisch in eine neue Form gießen las¬
sen. Der Dichter muß den Mut zu neuen Problemen haben. Und wenn
die nationalso-, nationalsozialistische Revolution ihn etwas in den
Hintergrund gedrängt hat, so ist jetzt der Weg frei, daß er nach vorne
marschieren kann [Beifall], Und deshalb glaube ich, daß man diese
Buchwoche nicht auf das Materielle abstellen sollte. Ich meine, es wäre
an der Zeit, in dieser Buchwoche vom Volke aus einen Aufruf an die
Dichter der Zeit ergehen zu lassen, daß sie sich nun der Zeit bemächtigen
sollen! [Starker Beifall.] Denn dann werden wir in Zukunft keine Buch¬
wochen mehr zu veranstalten brauchen, weil das Volk ein natürliches
Verhältnis zum Buch hat. Dann braucht man nicht mehr zu klagen, daß
keine Bücher mehr gelesen werden, weil das Volk diese Bücher verschlin¬
gen wird. Dann braucht man nicht mehr zu lamentieren, daß das Buch
das Verhältnis zum Volke verloren habe, weil das Volk dann seinerseits
das Verhältnis zum Buch wiederherstellen wird.
Das, meine ich, ist eigentlich der Sinn dieser Buchwoche. Wir wissen
alle, was uns das Buch ist. Der, der von der Arbeit des Tages zermürbt
und vergrämt sich in die Stille seiner Studierstube zurückflüchtet, — er
greift zum Buch, er versenkt sich in ein Reich der Ideale, er läßt seinen
Blick zurückschweifen in vergangene lahrhunderte, um an der Kraft,
mit der ehedem deutsche Menschen ihr Schicksal gemeistert haben, neue
Kraft zu suchen und zu finden. Jedermann weiß, was das Buch für ihn
bedeutet, und jedermann empfindet das Buch als ein unabdingbares
Lebensbedürfnis, denn es ist uns allen Wegweiser und Freund und Trost
und Stärkung in den bitteren Stunden unseres Lebens gewesen. Das gute
Buch wird seinen Einzug wieder in das Volk halten müssen. Es kommt
nicht darauf an, möglichst viele Bücher abzusetzen, sondern es kommt
darauf an, möglichst gute Bücher abzusetzen. Denn ich persönlich —
[Beifall], denn ich persönlich kann es von mir wenigstens offen gestehen:
Ich lese lieber ein gutes Buch zehnmal als zehn schlechte Bücher hinter¬
einander [Beifall], Man könnte schon sagen: Ich frage dich, was du liest,
und ich sage dir, wer du bist! [Beifall.]
5 Bei Nietzsche nicht zu ermitteln; die Authentizität wird von Nietzsche-Kennern
angezweifelt.
172
Und darum, meine ich, muß das deutsche Volk in dieser Woche dem
Buch seine Dankbarkeit bezeugen. Eine Dankbarkeit, die dem Buch wie¬
der Lebensfähigkeit gibt. Hunderte und Tausende von ernsten Köpfen
sind bestrebt, dem Volke ein gutes Buch zu geben; Hunderte und Tau¬
sende von Menschen sind bestrebt, den Absatz des Buches zu organisieren
und ihn so billig wie möglich für die breiten Volksmassen zu gestalten.
Hunderte und Tausende von Menschen haben im Buch überhaupt ihre
Lebenskraft wiedergefunden. Und ich glaube, Hunderte und Tausende
und Hunderttausende wären bereit, mit mir zusammen zu erklären, daß
ohne das Buch das Leben arm und hoffnungslos geworden wäre.
Deshalb halten wir fest an diesem Besitz! Lassen wir es nicht zu, daß
der Kampf um das Buch auf die materielle Basis abgedrängt wird! Ge¬
stalten wir diese Woche wirklich zu einer Woche der Dankbarkeit für
das deutsche Buch! Und lesen wir es nicht nur in den Zeitungen nach,
sondern machen wir es zur Richtschnur unseres eigenen und privaten
Handelns: Haltet fest am deutschen Buch und Ihr bewahrt damit den
köstlichen Schatz unseres deutschen Geistes! [Beifall.]
DRA Nr. C 1243 (20'). Überarbeitete Auszüge abgedruckt in der Tagespresse
(VB vom 7. November 1934).
173
Nr. 23
18. 11. 34 — Berlin, Sitzungssaal des ehemaligen Preußischen Herren¬
hauses — 1. Reichspressetag des Reichsverbandes der Deutschen Presse 1
Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Als ich das letzte Mal zu Ihnen sprach, hatten wir, wie Sie wissen, nur
sehr wenig Erfreuliches miteinander auszumachen. Das Pressegesetz 1
war damals erst eine kurze Zeit in Geltung, und es hatten sich in dem
großen Umbruch, der stattgefunden hatte zwischen der Vergangenheit
und der Gegenwart, eine ganze Reihe von Mängel und Fehler einge¬
schlichen. Es gab innerhalb des deutschen Journalismus noch eine ganze
Reihe von Personen, die nur sehr schwer von der sogenannten Pressefrei¬
heit der liberalen Welt Abschied nehmen konnten und die sich das Pres¬
segesetz des nationalsozialistischen Staates ungefähr so vorgestellt hat¬
ten, daß es ihnen doch irgendwie wieder eine Möglichkeit geben konnte,
im alten Ton und im alten Stil weiterzuarbeiten.
Das ergab auf der andern Seite eine ganze Reihe von Konfliktsmög¬
lichkeiten mit den Journalisten, die unseres Geistes und unserer Überzeu¬
gung waren und auch mit der nationalsozialistischen Staatsführung.
Staat und Presse hatten sich noch nicht zueinandergefunden. Und die
Presse beging dabei den größten Fehler, den sie überhaupt begehen
konnte: Sie fing an, über sich selbst zu diskutieren. Sie stellte sich selbst
zur Debatte, redete über ihre Aufgabe, über ihr Ziel, über ihre Zukunft,
über ihre Lebensmöglichkeiten und ihre Existenzberechtigung. Und diese
Debatte reizte nun auch das lesende Publikum an, sich seine Gedanken
über die Presse zu machen. Die Debatte fiel für die Presse nicht allzu gut
1 Als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Berufsstandesorganisation der
Redakteure mit dem im Dritten Reich üblichen Zwangscharakter: „Schrift¬
leiter" durfte sich nur nennen, wer Mitglied des Reichsverbandes und in die
„Berufsliste" eingetragen war.
1 Gemeint ist das Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933, das die Presse gleich¬
geschaltet hatte.
174
aus, und in einer gewissen Resignation über die ganze Situation des deut¬
schen Journalismus kamen dann Konfliktsstoffe zutage, die ja einmal
ausschwären mußten, um überhaupt eine neue Basis unserer gemeinsamen
Arbeit möglich zu machen.
In dieser Situation mußte ich zu Ihnen sprechen. Und ich stand auch
damals auf dem Standpunkt: Der Angriff ist die beste Parade; es hat gar
keinen Zweck, daß wir uns über Äußerlichkeiten unterhalten, sondern
wir müssen den Versuch machen, den Dingen auf den Grund zu gehen
und sie bis zum Kern zu entblößen. Ich habe damals sehr viele Vor¬
würfe, gerade aus Kreisen der Presse selbst, erhalten. Und ich habe auch,
meinem Versprechen getreu, diese Vorwürfe auf mir sitzen lassen. Ich
bin nicht kleinlich gegen die Journalisten vorgegangen, die anderer Mei¬
nung waren und auch diese andere Meinung offen zum Ausdruck brach¬
ten. Ich habe der Diskussion freien Lauf gelassen. Denn ich meinte, daß
in dieser Lage das Beste für die Presse sei die Klärung und die gegensei¬
tige Aussprache. In der Diskussion haben wir dann eine ganze Reihe von
Grundsätzen gefunden, auf denen wir nun unsere neue Pressearbeit auf¬
bauen konnten. Wenn ich hier noch einmal kurz zusammenfassen darf,
was ich damals der deutschen Presse vorhielt, so werden Sie schon an
dieser Zusammenfassung erkennen können, wieviel sich in dieser relativ
kurzen Zeitspanne geändert hat.
Ich habe Ihnen damals den guten Rat gegeben, den Nationalsozialis¬
mus nicht aus Redensarten oder Büchern zu lernen, sondern in die Orga¬
nisationen des Nationalsozialismus hineinzugehen, um ihn am Fleisch
und Blut unserer Bewegung zu studieren. Ich habe dann zu meiner
Freude feststellen können, daß meine Mahnungen und Warnungen bei
der Presse auf einen aufnahmebereiten Boden gefallen sind, daß die
Presse nunmehr mit sich selbst ins Gericht ging und daß sie dieses Gericht
weniger in der öffentlichen Diskussion mit sich abhielt, sondern daß
jeder einzelne sich Rechenschaft ablegte, wo er im Bezirk des National¬
sozialismus stand und welche Stelle er im Bezirk des Nationalsozialismus
in Zukunft einzunehmen beabsichtigte. Denn die Presse hatte zweifellos
damals noch nicht den ihr gebührenden Platz im öffentlichen Leben.
Und das schloß insofern eine aktute Gefahr für die deutsche Presse in
sich, als ja damit überhaupt die Diskussion über die Frage eröffnet
wurde, ob der Presse überhaupt noch ein Platz im öffentlichen Leben ge¬
bührte. Die Existenz der Presse selbst wurde in Frage gestellt! Und auch
Männer des öffentlichen Lebens scheuten sich nicht, offen zu bekennen,
daß die Existenz der Presse auf das schwerste gefährdet sei und daß man
sich im Ernst die Frage vorlegen müsse, ob die Presse in Zukunft über¬
haupt noch ein wichtiger, ein lebensnotwendiger Faktor der öffentlichen
Politik und Lebensgestaltung sein könnte.
175
Diese akute Krise mußte überwunden werden! Vor allem, weil diese
akute geistige Krise sich mit einer akuten wirtschaftlichen Krise verband
und nunmehr wirtschaftliche und geistige Krise im Bereich des deutschen
Journalistenstandes eine gewisse Lähmung und Resignation hervorrief
und viele anständige deutsche Journalisten nach und nach der Überzeu¬
gung waren, es hätte ja doch keinen Zweck mehr, sich auf diesem Ge¬
biete irgendwie zu betätigen, die Presse sei unmodern, sie sei überkom¬
men aus einem vergangenen Jahrhundert, das nun hinter uns läge und
überwunden sei, und es täte schon gut, sich nach anderen Lebensbetäti¬
gungen umzusehen.
Ich habe damals vor dieser Resignation gewarnt, habe versucht, dem
deutschen Journalismus Mut zu geben, und nicht indem ich ihm schmei¬
chelte und nach dem Stil und der Methode der uns vorangegangenen
Regierungen bei der Presse um gut Wetter bat, sondern indem ich der
Presse offen und unverblümt sagte, was ich glaubte an ihr auszusetzen zu
müssen, ihr aber auch dabei Wege wies, wie diese Fehler und diese Män¬
gel nach und nach überwunden werden konnten. Das wichtigste Mittel
dazu war eine bessere und solidere Personenauswahl. Denn alle mensch¬
lichen Reformen gehen ja am Ende vom Persönlichen aus, und auch in
der Presse gilt das Wort, das für die Politik gesprochen worden ist: daß
Männer die Geschichte machen'.
Wenn wir uns nun heute, meine Damen und Herren, Rechenschaft ab-
legen über das, was sich in dieser Zeitspanne geändert hat, so werden
wir, ohne daß wir uns selbst schmeicheln wollen, zu dem Ergebnis kom¬
men müssen, daß sich sehr vieles, und zwar das meiste zum Guten, für
die deutsche Presse geändert hat. Ich möchte damit nicht zum Ausdruck
bringen, daß uns nichts mehr zu tuen übrigbliebe, denn ich weiß so gut
wie Sie, wo es bei der deutschen Presse noch im argen liegt. Aber eins ist
doch — und das erscheint mir das Primärste und Wichtigste —, eins ist
doch anders geworden, nämlich daß die Presse wieder ein Verhältnis zur
Regierung und daß die Regierung wieder ein Verhältnis zur Presse be¬
sitzt. Daß wir wieder miteinander verkehren können, daß wir nicht in
Kampfstellung zueinander stehen. Daß einerseits die Presse wieder die
Regierung und andererseits die Regierung wieder die Presse versteht.
Daß einerseits die Presse das Bedürfnis hat, der Regierung zu helfen, und
andererseits die Regierung auch wieder das Bedürfnis empfindet, der
Presse in ihren schweren Lebenskämpfen beizustehen.
Und es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß der damals so viel
beklagte Mangel der Eintönigkeit und Langeweile in der deutschen
3 Sentenz des im Dritten Reich geschätzten preußisch-kleindeutschen Historikers
und Verherrlichers der ethisch neutralen Machtpolitik Heinrich v. Treitschke
(Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Leipzig 1928, Bd. 1, S. 28).
176
Presse schon weit als überwunden gelten kann. Gewiß, wir haben heute
nicht mehr diese — äh, subversive Neigung, alles und jedes in der Presse,
und zwar in der hemmungslosesten Weise, zur Diskussion zu stellen.
Aber es gibt doch schon wieder bestimmte Probleme des öffentlichen
Lebens, die in der Presse frank und frei diskutiert werden können 4 . Und
der damals so vielbeklagte Übelstand der Langeweile ist überwunden, die
deutsche Presse hat heute wieder ein Gesicht. Und es lohnt sich auch für
einen geistigen Menschen, sie wieder zu lesen: sie ist interessant, aktuell,
anregend, sie gibt Impulse, sie schwenkt au/ ihre Art und nach ihrem Stil
und ihrer Methode in die Linie der großen Gesamtpolitik ein.
Die Presse hat damit auch allmählich wieder ihr eigenes Selbstbewußt¬
sein zurückgewonnen. Und aus diesem Selbstbewußtsein heraus erobert
sie sich nach und nach auch wieder den Platz im öffentlichen Leben, der
ihr gebührt. Denn diesen Platz konnte man ihr nicht anweisen, sondern
diesen Platz mußte die Presse von sich aus besetzen. Der Platz stand frei,
und wenn die Presse sich nicht sehr bald entschloß, ihn zu besetzen, so
wurde er vermutlich von irgendeinem anderen besetzt — sei es vom
Film, sei es von der Wochenschau, sei es vom Rundfunk oder von was
auch immer. Die Presse hat sich mit Mut und Selbstvertrauen wieder im
öffentlichen Leben die Stellung erkämpft, die ihr gebührt, und sie hat im
Zurückerkämpfen dieser Stellung auch ihr eigenes Selbstbewußtsein zu¬
rückgefunden. Sie diskutiert nicht mehr so sehr über sich selbst als über
die Gegenstände und Vorgänge des öffentlichen Lebens. Und erkennt
und erfüllt damit wieder ihre eigentliche Aufgabe, nämlich nicht von
sich, sondern von den Dingen zu sprechen, die Dinge darzustellen, zu be¬
leuchten und zu kommentieren. An die Stelle einer klagenden Resigna¬
tion ist nun die mutige Selbsthilfe getreten, und zwar aus der Überzeu¬
gung heraus, daß niemand der Presse helfen kann, es sei denn, sie hülfe
sich selbst.
Wir unsererseits sind in dieser Zeit auch nicht untätig geblieben, und
Sie werden die segensreichen Auswirkungen unserer Entschlüsse und
Maßnahmen ja in Ihrer täglichen Redaktionsarbeit in steigendem Maße
zu verspüren bekommen haben. Es war allerdings sehr schwer, die vielen,
manchmal unfaßbaren anonymen Beeinflussungsmöglichkeiten allmäh¬
lich zurückzudrängen. Denn man kannte sie ja meistens nicht. Ich wußte
ja nicht, von welchen Organisationen oder Einzelpersonen nun bei den
Redaktionen angeklingelt wird und gefragt wird, warum die und die
Rede und die und die Nachricht nicht gebracht worden sei und ob die
Redaktion Lust habe, nun mit dieser Organisation oder mit dieser Per-
4 Die gibt es natürlich auch in der Diktatur, nur sind — und inbesondere waren
hier — die Grenzen sehr eng gezogen und die derart freigegebenen „Pro¬
bleme" eher Problemchen.
177
sönlichkeit eine Privatfehde anzufangen. Das vollzog sich ja alles im
Dunkel der Anonymität. Und es war sehr schwer, hier reglementierend
einzugreifen, weil ja diese Vorgänge meistens nicht einmal zu unserer
eigenen Kenntnis kamen. Soweit wir sie aber sahen und soweit wir ihre
schädlichen Feststellungen, — ihre schädlichen Auswirkungen feststellen
konnten, so weit sind wir gegen diese Anonymitäten, die wie ein schwe¬
rer und dumpfer Druck auf der Presse lasteten, entgegengetreten. Damit
war auch für die Presse viel leichter die Möglichkeit, die Sphäre —, äh,
ich möchte mit einem harten Wort das ausdrücken: die Sphäre des Byzan¬
tinismus zu überwinden. Denn die Schuld daran lag ja nicht allein bei
der Presse, sondern lag ja andererseits auch bei den Stellen, die die Presse
zu beeinflussen versuchten.
Je mehr die Presse ihr eigenes Selbstbewußtsein zurückgewann und je
mehr sie nun mit sicherem Instinkt sich im Bereich des Nationalsozialis¬
mus festzusetzen anfing, um so mehr lernte sie nun auch einsehen, daß
das nicht das eigentliche Wesen des Nationalsozialismus sei. Und daß nur
der. der den Nationalsozialismus lediglich an der Außenfläche studiert
hatte, auf den Gedanken kommen konnte, das stelle den Kern der neuen
Überzeugung dar. An die Stelle dieser manchmal übertriebenen Lobes¬
hymnen, die ehedem in der deutschen Presse erklangen und ertönten, trat
nun das, was ich eigentlich gewünscht hatte, nämlich: eine neue Sach¬
lichkeit! Nicht eine Sachlichkeit, die nun zu vergleichen gewesen wäre
mit liberaler Objektivität, — mit einer Objektivität, die Freund und
Feind und Inland und Ausland und eigenem Volk und der Welt in glei¬
cher Weise gerecht zu werden versuchen, sondern eine neue Sachlichkeit,
die sich nun mit Ernst, mit Nüchternheit und mit Sentimentalitätslosig-
keit der Probleme der Zeit bemächtigt und sie mit ebendemselben Ernst,
derselben Nüchternheit und derselben Sentimentalitätslosigkeit darzu¬
stellen versucht. Und zwar in der Überzeugung, daß der Rausch und die
Begeisterung nicht Jahrzehnte anhalten können und daß deshalb weit¬
blickende Männer des öffentlichen Lebens gut daran tuen, zur rechten
Zeit aus der Atmosphäre des Rausches und des Überschwangs überzutre¬
ten in die Atmosphäre einer sachlichen Bearbeitung der Probleme des
Alltags und der Zeit.
So, wie die Regierung das in ihren Geschäften vorgemacht hatte, — so
versuchte die Presse es nun in dankenswerter Weise nachzumachen.
Nämlich den Überschwang und den Zauber und den Glanz einer großen
und hinreißenden Revolutionsepoche nun allmählich zu ersetzen durch
den Ernst und die graue Sachlichkeit der Arbeit des Tages. Dabei aber
auch allmählich zu lernen, daß auch das eine eigene Romantik hat, —
eine Romantik, die zwar nicht schimmert und nicht glänzt, die aber in
sich einen gesunden Lebenskern trägt, nämlich den gesunden Lebenskern,
178
der uns die Kraft gibt, nun den Alltag zu gestalten und nicht am Alltag
zu verzweifeln. Denn das sind nicht die besten Idealisten, die heute him¬
melhoch jauchzen und morgen zu Tode betrübt sind! Sondern das sind
die besten Sozia-, das sind die besten Idealisten, die zur rechten Zeit
wissen, die Begeisterung anzufachen, und die zur rechten Zeit auch wis¬
sen, die Arbeit des Alltags zu organisieren. Und das haben wir getan.
Denn wir wußten ja auch, daß die Probleme, die unsere Zeit uns aufge¬
geben hat, nicht allein mit Begeisterung gelöst werden konnten, sondern
daß man an diese Probleme Klugheit, Intelligenz, Weitsicht, Mut, Kühn¬
heit, Verbissenheit und Zähigkeit setzen mußte, wenn man überhaupt
den Ehrgeiz hatte, sie einer greifbaren Lösung entgegenzuführen. Und
daß auf die Dauer auch eine Begeisterung, die sich zum Schluß in kleinen
Dosen verzweigte und die am Ende nur in Portionen dem Volke verab¬
reicht wurde, — daß eine solche Begeisterung auf die Dauer schal wer¬
den mußte und daß sie dann am Ende nur einen bitteren Nachgeschmack
überließ, einen Nachgeschmack wie von abgestandenem Bier.
Der Gefahr sind wir glücklich entronnen! Und wenn heute die uns
feindliche Emigrantenpresse glaubt feststellen zu müssen, daß in
Deutschland nicht mehr so viel Hurra geschrien werde, so mag das schon
stimmen, aber das lag ja auch in unserer Zielsetzung. Denn wir wollten
aus dem Rausch der Revolutionsmonate nun an die sachliche Arbeit zu¬
rückkehren und wollten nun die ganze Begeisterungsfähigkeit und den
leidenschaftlichen Idealismus unseres Volkes auf diese sachliche Arbeit
konzentrieren. Die Presse hat sich wieder der großen Schicksalsfragen
unseres Volkes bemächtigt und hat sich nun mit ihnen Tag für Tag und
Nummer um Nummer auseinandergesetzt, hat sie von allen Seiten be¬
leuchtet und betrachtet und sie nach allen Seiten hin kommentiert und
sie dem Volke verständlich zu machen versucht. Und hat damit auch
ihre eigentliche Mission wieder erfüllt, — nämlich nicht, wenn Krisen
kommen, dem Volke nun den Kopf noch schwerer zu machen, als er
ohnehin schon ist, sondern in gefährlichen Situationen um so mehr die
Pflicht zu empfinden, den Kopf —, dem Volk den Kopf aufzurichten
und ihm Mut und Kraft und Selbstvertrauen zurückzugeben.
Wenn ich die großen und schwierigen Situationen, denen wir in den
vergangenen Monaten preisgegeben waren, manchmal ohne überhaupt
irgendeine Möglichkeit zu haben, uns über sie hinwegzusetzen, — wenn
ich diese großen und schwierigen Situationen heute noch einmal an mei¬
nem Auge Vorbeigehen lasse, so kann ich mit Stolz und mit Freude und
mit Dank feststellen, daß im großen gesehen die Presse diesen schwieri¬
gen Situationen gerecht geworden ist. Selbstverständlich hat es kleine
Fehler und kleine Mängel und kleine Pannen gegeben, aber die werden
immer Vorkommen. Ich habe aber nicht den Eindruck gehabt, daß es in
179
Deutschland Zeitungen gab, die bewußt gegen die große Tendenz unserer
nationalen Schicksalspolitik angetreten wären. Ich habe nicht den Ein¬
druck gemacht —, gehabt, daß von bestimmten Seiten aus mit Fleiß
gegen die nationalen Interessen gesündigt wurde, sondern daß, wenn
einmal hier und da ein Fehler unterlief, er aus Mangel an Instinkt oder
aus Mangel an Übersicht über die großen Zusammenhänge zu erklären
war. Im großen und ganzen gesehen aber hat die Presse sich wieder in
die großen Schicksalszusammenhänge hineingefühlt und hineingefunden
und hat auch mit einem immer wachenden Instinkt und mit einem
immer wachen Einfühlungsvermögen sich dieser Situationen bemächtigt
und sie für die Öffentlichkeit in der jeweilig — äh, ansprechenden und
zuträglichen Form darzustellen versucht.
Und das allein, meine Damen und Herren, hat der Presse den ihr ge¬
bührenden Platz zurückgegeben. Einen Platz, den wir Ihnen nicht geben
konnten, sondern den Sie sich selbst zurückerkämpfen mußten. Welche
Aufgaben sind nicht dem Staate, sind nicht der Bewegung und sind nicht
der öffentlichen Meinung in dieser relativ kurzen Zeitspanne gestellt
worden! Wenn ich sie noch einmal kurz und skizzenhaft an Ihrem geisti¬
gen Auge vorbeiziehen lassen darf: Als wir die Arbeit begannen, gab es
in Deutschland nur den Gedanken der Volksgemeinschaft, aber die
Volksgemeinschaft selbst war nicht vorhanden. Wenn wir damals in
äußerlicher Form zuerst die Volksgemeinschaft durch die Demonstratio¬
nen unserer großen Staatsfeiertage zum Durchbruch — äh, kommen zu
lassen versuchten, so hat die Presse uns doch dabei geholfen. Die Presse
war es doch, die nun das Trommelfeuer des Beginns der Offensive
schlug; die Presse war es, die den Gedanken eines solchen großen Staats¬
feiertages nun in der Öffentlichkeit festsetzte. Hinter den Staatsfeierta¬
gen stand nun die große, graue, unromantische Arbeitsschlacht 5 des
deutschen Volkes. Eine Arbeitsschlacht, die nicht lediglich einem großen
Impuls entsprang, sondern die Tag für Tag weiter fortgesetzt werden
mußte, die ein Unmaß von Mühen und Sorgen und Rückschlägen und
Pannen und Mängeln und täglich zuta- [Husten], zutage tretenden
Fehlern zeitigen mußte! Eine Arbeitsschlacht, bei der wir die Mithilfe
des ganzen Volkes zu beanspruchen hatten! Und eine Arbeitsschlacht, zu
der die Presse das entsprechende Begleitkonzert spielen mußte.
Es war Ihre Aufgabe, nun diese Arbeitsschlacht im Denken der Massen
zu verwurzeln, den Massen nicht lediglich Zahlen zu geben, sondern
ihnen auch die Größe dieser Zahlen vor Augen zu halten: was das be¬
deutet, Millionen Menschen wieder in den Arbeitsprozeß zurückzubrin¬
gen, — was das bedeutet, nun mit Mut und Initiative den Zeitproblemen
5 Der NS-Ausdruck für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit.
180
zu Leibe zu rücken und sich von ihnen nicht unterkriegen zu lassen, —
welche Kühnheit dazu gehört, vor der übergroßen Gefährlichkeit dieser
Probleme nicht zu kapitulieren, sondern ihr entgegenzutreten. Gewiß
kann man dem Volke Mut geben mit einzelnen Reden, die hier und da
und dann und wann gehalten werden, aber das ist nicht das allein Ma߬
gebende, sondern maßgebend ist darüber hinaus auch, ob die Massen Tag
für Tag mit diesem neuen Mut infiziert werden. Und daß den Massen
Tag für Tag der Kopf höher gerichtet wird, denn das wußten wir ja alle,
daß diese umwälzenden Prozesse auf dem Gebiet der Wirtschaft und der
Sozialpolitik nicht ohne Schwierigkeiten und ohne Krisen vonstatten ge¬
hen könnten, daß es sich in dieser Arbeitsschlacht genauso verhalten
würde wie in einem Kriege und daß es so auch hier, wie in jedem ande¬
ren Kriege, nicht nur Siege gibt, sondern auch Niederlagen, und daß es
am Ende eines Krieges nicht auf die Niederlagen ankommt, die man im
Verlauft des Krieges erlitten, oder auf die Siege, die man im Verlaufe
des Krieges errungen hat, sondern daß es darauf ankommt, ob man am
Ende unterliegt oder ob man am Ende siegt!
Es ist ganz natürlich, daß der Mann von der Straße diesen Überblick
über die Dinge nicht besitzt. Denn er sieht nur das, was sich am Tage ab¬
spielt. Und bringt der Tag ihm ein gutes Ereignis, dann wird er mit dem
Herzen dabei sein, und bringt der Tag ihm ein schlechtes Ereignis, dann
wird er müde und wankend und zweifelnd werden. Da ist es Aufgabe
der geistigen Führer der Nation in der öffentlichen Meinung und in der
Staatsführung, nun die Stimmung aufrechtzuerhalten und den Massen
Möglichkeiten zu geben, krisenhafte Momente zu überwinden und gerade
in Krisen Disziplin zu bewahren. Und nicht: Je größer die Krise, um so
größer die Kritik, — nicht diesen Standpunkt zu vertreten, sondern um¬
gekehrt zu handeln, nämlich: Je größer die Krise, desto größer die natio¬
nale Disziplin! Und wenn eine große Krise über ein Volk hereinbricht,
dann kann es nicht Aufgabe der Presse sein, nun gerade in diesem
Augenblick die Sonde der Kritik anzusetzen, sondern in diesem Augen¬
blick ist es vielmehr ihre Aufgabe, den Massen den Mut aufrechtzuerhal¬
ten, weil sie sonst unter der Schwere des Ereignisses ja zusammenbrechen
müßten.
Im Verlaufe der Arbeitsschlacht mußten sich notwendigerweise auch
alle die Mängel einstellen, die wir ja heute noch festzustellen haben, mit
denen wir uns noch heu-, mit denen wir uns noch heute abmühen. Es ist
ganz klar: Wenn viereinhalb Millionen Menschen wieder in Arbeit ge¬
bracht werden 6 — und Deutschland ist nun einmal ein rohstoffarmes
• Auch das „Statistische Jahrbuch für das Deutsche Reich" von 1935 ver-
zeichnete (S. 139) einen Rückgang an Arbeitslosen zwischen dem 31. Januar
1933 und dem 30. November 1934 von 6,01 auf 2,35 Millionen.
181
Land —, daß man Rohstoffe einführen muß, vor allem deshalb, weil ja
durch die Inarbeitsetzung von viereinhalb Millionen Menschen ja auch
der Konsum der Massen gewachsen ist. Daß sich aus diesem Umstand
nun natürlicherweise eine Krise ergeben muß, daß die Krise aber nicht
besser wird, wenn man den Kopf hängen läßt, sondern daß sie höchstens,
wenn sie überhaupt besser werden kann, dadurch besser wird, daß man
ihr entgegentritt und ruhig und sachlich und ohne Nervosität nun die
Maßnahmen trifft, die zu ihrer allmählichen Oberwindung führen.
Auch hier wieder kann der kleine Mann das nicht übersehen, — der
kleine Mann sieht nur, daß hier und da der eine oder der andere Gegen¬
stand des täglichen Lebens nicht so leicht zu kaufen ist wie gestern. Der
kleine Mann von der Straße sieht nur, daß dieses oder jenes teurer ge¬
worden ist, als es gestern war 7 . Man kann aber von ihm nicht verlangen,
daß er nun den Überblick über diese große nationale Schlacht um unsere
völkische Selbständigkeit geschlagen wird! Und daß, wenn wir in dieser
Schlacht nachgäben, wir denselben Fehler begingen, den wir im Novem¬
ber 1918 begangen haben, und daß es sich auf dasselbe wieder rächen
würde, wie es sich damals gerächt hat! Man kann vom kleinen Mann
von der Straße nicht verlangen, daß sein Gedächtnis so lange reicht, daß
der November 1918 noch lebendig und plastisch vor seinen Augen
stünde. Da aber ist es Aufgabe der Intelligenz eines Staates, das wieder
ins Gedächtnis zurückzurufen und dem Volke zu sagen: Jetzt geht es um
die nationale Disziplin, die wir bewahren und bewähren müssen; und
wenn wir diese nationale Disziplin aufgäben, wäre alles verloren!
7 Im folgenden und auch weiter unten überrascht, wie Goebbels die offenbar
gedrückte Volksstimmung zu heben trachtet, — diese Rede von Ende 1934
könnte ihrem Tenor nach auch in den letzten Kriegsjahren gehalten worden
sein. In der Tat hatte das Regime damals einen Tiefpunkt zu durchstehen,
nachdem die eigene Wirtschafts- und Autarkiepolitik sowie die Reaktion von
der NS-Politik versdireckter maßgebender Kreise des Auslandes eine kritische
Lage geschaffen hatten. Die deutsche Ausfuhr war rückläufig, entsprechend
verhielt sich der Zufluß an Devisen und damit die Einfuhr, Rohstoffe wurden
knapp, die Inlandpreise stiegen — und zwar, nach offizieller Erklärung, in
„unerträglichem Umfang". Dieser Entwicklung suchte das Regime soeben
gerade mit der Bestellung eines „Reichskommissars für die Preisbildung" (der
Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler) und entsprechenden Ma߬
nahmen, zunächst Anordnungen von Preissenkungen für Gegenstände des täg¬
lichen Bedarfs und Geschäftsschließungen bei Preissteigerungen, zu begegnen.
Ende Juli/Anfang August war auch der Reichswirtschaftsminister ausgewechselt
worden: der renommierte Reichsbankpräsident Dr. Schacht sollte nun die
Misere beheben. Im übrigen aber half dann auch vom nächsten Jahre ab —
nach bewährtem Rezept — eine Kette erfolgreicher außenpolitischer Coups und
nationaler Prestigeunternehmungen von inneren Kalamitäten ablenken: Saar¬
rückgliederung, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, Flottenvertrag mit
England, Einmarsch in das entmilitarisierte Gebiet, Olympische Spiele und
so fort.
182
Wieder hat die Presse sich hier mit einer mustergültigen Disziplin ein¬
gesetzt und dem Volke diese Aufgaben klargemacht. Hat ihm auch klar¬
gemacht, daß aus all diesen Übelständen und in der Natur der Sache lie¬
genden Krisenmöglichkeiten für das Volk gewisse soziale Aufgaben ent¬
stehen. Und daß diese sozialen Aufgaben gelöst werden müssen. Und daß
die Staatsführung und die Volksführung sich an diesen Aufgaben nicht
vorZ>e:dmcken kann: wenn sie nicht aus sozialer Wehleidigkeit gelöst
werden, so werden sie aus nationaler Existenznotwendigkeit gelöst wer¬
den müssen. Vor allem: daß die Öffentlichkeit einsieht, daß es besser ist,
wenn irgendeinem asozialen Individuum die Fensterscheiben eingeworfen
werden, als daß dieses Individuum das Recht hätte, dem Staat die Fen¬
sterscheiben einzuwerfen!
Aus diesen Überzeugungen heraus organisierten wir das Winterhilfs¬
werk 8 . Und auch da war es nicht mit einem Appell zu Beginn des Win¬
terhilfswerks getan. Gewiß, so ein Appell hält acht Tage oder vierzehn
Tage an. Bei den anständigen Menschen auch ein paar Monate. Aber der
kleine Mann wird immer geneigt sein, wieder in alte Schuld und Fehler
zurückzufallen. Und da muß es nun Aufgabe der Presse sein — und sie
hat ja auch diese Aufgabe in mustergültiger Weise erkannt und erfüllt
—, nun die Gesinnungsbereitschaft jeden Tag aufs neue zu organisieren
und dem Staate zur Verfügung zu stellen.
Das waren nur die — ich möchte fast sagen: die in der Natur der
Sache liegenden Krisenmöglichkeiten. Dazu aber traten eine Reihe von
Krisenmöglichkeiten, die nicht in der Natur der Sache lagen, sondern die
die Ungunst eines Schicksals uns übergab. Ich erinnere nur an den
30. Juni dieses Jahres 8 , erinnere an die österreichische Konfliktsfrage 10 ,
erinnere an den tragischen und für uns so erschütternden Tod des Reichs¬
präsidenten 11 , an die dadurch notwendig gewordene Neuwahl eines
8 Das Winterhilfswerk (WHW) — eine riesige Sammelaktion an allen nur denk¬
baren Ansatzpunkten und mit viel „freiwilligem Zwang" — war im Sep¬
tember 1933 erstmalig angelaufen und wurde dann in jedem Winter wieder¬
holt. Zu dem auf den ersten Blick etwas verblüffenden Zusammenhang mit
den Fensterscheiben jenes „asozialen Individuums" vgl. Anm. 23.
5 Vgl. oben Nr. 20.
15 Eine liebenswürdige Umschreibung für den gescheiterten Putschversuch der
österreichischen Nationalsozialisten am 25. Juli 1934, in dessen Verlauf Bun¬
deskanzler Dollfuß ermordet worden war. Nach dem Mißlingen der Aktion
hatte Hitler — zwischen „Röhmputsch" und dem in absehbarer Zeit zu er¬
wartenden Ableben Hindenburgs in etwas labiler Lage — sich schleunigst
distanzieren müssen: die Verantwortlichen waren desavouiert, die Mörder aus¬
geliefert und Papen schließlich, nach dem Tode Hindenburgs nun in Berlin ent¬
behrlich, als „Sühne-Prinz" nach Wien beordert worden.
11 Was Goebbels von Hindenburg hielt, ist — und es gibt noch deutlichere Bei¬
spiele — oben (Nr. 2 und 3) nachzulesen. Auch sonst dürfte von den national¬
sozialistischen Führern kaum jemand erschüttert gewesen sein; man hatte viel¬
mehr dieses Ereignis sehnlich erwartet.
183
Staatsoberhauptes, erinnere an den 19. August mit seinen großen innen-
und außenpolitischen Auswirkungen 1 ', — kurz und gut: ein Jahr, von
dem man wirklich sagen kann, es war angepreßt voll mit Problemen und
Krisenmöglichkeiten. An jedem einzelnen dieser Probleme wäre eine par¬
lamentarische Regierung gestürzt! Wir haben alle diese Probleme — ich
möchte fast sagen: mit einer spielerischen Leichtigkeit überwunden, weil
wir im Inneren gefestigt waren, jede andere Regierung wäre an der De¬
visen- oder an der Rohstoffknappheit oder an der Röhm-Revolte oder
an der österreichischen Konfliktsfrage oder am Tode Hindenburgs ge¬
stürzt. Uns haben diese Krisen nichts anzuhaben vermocht, weil wir auf
einem sicheren weltanschaulichen Boden standen und weil wir durch die
großen innerpolitischen ls Reformen des vergangenen Jahres das Volk
schon so zusammengeschweißt hatten, daß wir es nun als einheitlichen
Macht- und Willenskörper nun auch in die Waage der Entscheidungen
hineinwerfen konnten.
Da hat vielleicht mancher Pressemann, der uns früher nicht verstehen
wollte, einsehen gelernt, warum wir auf die nationale Disziplinierung des
deutschen Journalismus gedrungen hatten. Man stelle sich einmal vor,
daß in diesen kritischen Situationen noch die sogenannte Pressefreiheit
der liberalen Demokratie vorhanden gewesen wäre! Man stelle sich ein¬
mal vor, ein paar wildfremde, asoziale, jüdische Literaten hätten nun
mit spitzer Feder diese Dinge ins Volk hineingetragen, und stelle sich
dann die Folgen vor, die daraus entstanden wären: Deutschland würde
wahrscheinlich heute ein chaotisches Trümmerfeld sein. Wir aber hatten
— und das war in weiser Voraussicht geschehen — den deutschen Jour¬
nalismus so diszipliniert, daß wir in den entscheidenden Augenblicken
nicht einmal zu befehlen brauchten, sondern der deutsche Journalist
schöpfte schon aus seinem eigenen Instinkt die Aufgaben, die in den kri¬
tischen Situationen nun für ihn erwuchsen und entstanden 14 . Und des¬
halb kann die Presse auch ein gutes Teil des Erfolges für sich buchen.
" Am 19. August hatte Hitler das am 2. August, eine halbe Stunde nach der
Bekanntgabe des Todes Hindenburgs, verkündete Gesetz, kraft dessen er die
Befugnisse des verstorbenen Reichspräsidenten mit übernahm und beide Ämter
vereinigt werden sollten, per Volksabstimmung bestätigen lassen: 89,9°/o der
gültigen Stimmen hatten die Installierung der totalen Macht sanktioniert.
13 Insbesondere die NS-Führer benutzten — wie man auch hier wiederholt
beobachten kann — gern das markigere „innerpolitisch", obwohl es genauge¬
nommen (trotz Duden) Unsinn ist: es gibt nur eine Innenpolitik, aber keine
Innerpolitik.
14 Das dürfte wohl bewußter Hohn sein gegenüber den zahlreichen in den Re¬
daktionsstuben verbliebenen Regimegegnern, die zwar „zwischen den Zeilen”
zu schreiben versuchten (was jedoch nur zur Erbauung derer diente, die dort
etwas suchten und es also eigentlich nicht nötig hatten), denen man jedoch
im übrigen bereits nach anderthalb Jahren „nicht einmal zu befehlen brauchte",
sondern bei denen „ein leiser Wink genügte".
184
Als ich damals an jenem verhängnisvollen 30. Juni morgens Augen¬
zeuge der großen Aktion in Wiessee war und wir aus bestimmten, takti¬
schen Gründen der Presse bis zum Nachmittag um zwei Uhr keine Mit¬
teilung darüber machen konnten, als wir dann die erste Meldung an die
Presse ergehen ließen und ich abends, als ich mit dem Flugzeug in Berlin
wieder eintraf, die deutsche Presse, aus Berlin vor allem, zu Gesicht be¬
kam, da habe ich mit großer Freude festgestellt, daß die Presse richtig
reagiert hatte. Daß sie erkannt hatte, daß es in diesem Augenblick nicht
so sehr darauf ankam, nun alle faktischen Einzelheiten dieses Vorganges
zu erzählen, sondern daß es in diesem Augenblick darauf ankam, die
nationale Disziplin zu wahren. Daß es in diesem Augenblick darauf an¬
kam, jede akute Gefahr vom deutschen Volk wegzuhalten, daß es später
noch Zeit genug sei, über Einzelheiten dieser Aktion zu sprechen.
Genau dasselbe war beim Tode Hindenburgs der Fall. Ein leiser Wink
genügte, um der Presse klarzumachen: Jetzt gibt's keine Diskussionen
über Staatsrecht! Die Frage der Nachfolge des alten Herrn wird —, die
wird nicht von Zeitungen gelöst, sondern das ist eine Frage, die wird von
der Regierung gelöst. Und da diese Frage weder vom schreibenden noch
vom lesenden Publikum gelöst wird, hat es auch gar keinen Zweck, sich
darüber zu unterhalten, — warum? Warum? [Schwache Heiterkeit.]
Dinge, die an die nationale Existenz eines Volkes rühren und deshalb
von der Regierung gelöst werden müssen, die darf die Presse nur zur
Kenntnis nehmen. Denn dadurch, daß sie darüber diskutiert, werden sie
auch nicht anders 15 . Mag sein, daß der andere sich eine andere Lösung
vorgestellt hatte. Aber zu glauben, daß eine Regierung, die als Schutzpa¬
tron über sich einen ehrwürdigen 86jährigen Greis weiß, bei dem jeden
Tag selbstverständlich sein Ableben zu befürchten steht, — daß eine
Regierung sich nun keine Gedanken darüber machte, was dann gesche¬
hen sollte: das zu glauben ist doch geradezu absurd! Auch da wieder hat
die Presse ihren sicheren Instinkt angebracht, hat mit Zielsicherheit her¬
ausgefunden, worauf es ankam, und hat mit Zielsicherheit auch die Mög¬
lichkeiten schaffen helfen, die zu dem grandiosen Erfolg des 19. August
führten.
Das ist das, meine Damen und Herren, was wir an positiven Erfolgen
zu verbuchen haben. Ich möchte aber auch dieses Mal nicht den Mantel
der Liebe decken über die Dinge, die in der deutschen Presse noch fehler¬
haft oder mangelhaft oder der Kritik würdig sind. Ich möchte hier aber
vor allem bei dieser Gelegenheit nicht die Auswirkungen selbst kritisie¬
ren, sondern die Ursachen. Und zwar die Ursachen, die zum größten Teil
nicht bei der Presse, sondern bei den anonymen Stellen liegen, die die
15 Hier fehlt vermutlich ein Satz.
185
Presse zu beeindrucken versuchen. Und zwar will ich mich nicht sosehr
im Theoretischen, als im Praktischen ergehen. Um Ihnen auch zu zeigen,
daß mir diese Dinge nicht unbekannt sind, sondern daß ich mich täglich
mit diesen Dingen irgendwie auseinandersetzen muß.
Ich möchte als Grundsatz aufstellen: Man kann und soll die Presse
reglementieren in den großen, nationalen Schicksalsfragen, man darf und
soll es aber nicht in irgendwelchen Kleinigkeiten, die zu den Arbeiten des
Tages gehören. Es muß der Presse auf die Dauer jede Arbeitslust nehmen,
wenn man ihr so wie einem Schulkind alles schon gekaut und fast ver¬
daut vorsetzt und die Presse dann nichts anders mehr zu tuen hat, als das
zu umbrechen. Und selbst dann noch die kleinen Stellen Kritik üben —
[Heiterkeit], und selbst dann noch die kleinen Stellen Kritik üben, weil
das an die erste und das an die zweite Stelle gesetzt worden ist. Das geht
nicht gut.
Sie werden mir aber auch zugeben müssen, meine Herren, daß ein der¬
artig kleinliches Verfahren seitens meines Ministeriums nicht stattgehabt
hat, sondern daß wir, wo es eben anging, in der großzügigsten Weise der
Presse freie Hand ließen. Ich kann Ihnen verraten: Wie oft sind bei mir
Anträge gestellt worden auf Disziplinierung eines Schriftleiters oder
Verbot einer Zeitung, die ich rundweg abgelehnt habe! Vor allem, wenn
sie meine Person betrafen. Und vor allem, wenn sie Dinge betrafen, die
nicht zum unabdingbaren deutschen Lebensbestand gehörten. Dann habe
ich nicht nur alle Augen, sondern auch alle Hände zugedrückt und bin
über diese Dinge hinweggegangen. Und habe bei mir gedacht: Ach, es ist
ganz gut, daß einer mal das auch sagt; wenn es auch dem einen oder dem
anderen weh tut, dafür tut's dem einen oder dem anderen besonders
wohl [Heiterkeit, Beifall].
Dieses Reglement im Kleinen ist aber nicht nur dumm, es ist auch ge¬
fährlich. Beispiel: Am Kurfürstendamm wird von einer jungen Dame ein
Autounglück verursacht, bei dem ein Mann totgefahren wird. Da diese
junge Dame die Tochter eines ganz untergeordneten Beamten aus Halle
ist, erklärt man nun plötzlich: Der Name darf nicht genannt werden, da
leidet die Staatsautorität! Erfolg: daß man in der Zeitung schreibt „eine
Dame Ursula K." und daß zwei Tage später in der ganzen Auslands¬
presse erklärt wird: Das ist die Tochter des preußischen Justizministers
Kerrl 16 — was in keiner Weise zutraf, der Justizminister kannte nicht
einmal dieses junge Mädchen — und wir nun vierzehn Tage lang eine in¬
ternationale Pressehetze zu ertragen hatten, daß in Deutschland das
" Hanns K„ Parteigenosse von 1923, seit 1932/33 preußischer Landtagspräsident,
preußischer Justizminister bis zum 16. Juni 1934, später „Reichsminister für
die kirchlichen Angelegenheiten".
186
Recht gebeugt würde. Was steht nun hier höher: das persönliche Inter¬
esse irgendeiner untergeordneten Persönlichkeit oder das Interesse des
deutschen Staates?
Ein anderer Fall: In der Nähe irgendeiner Landeshauptstadt geschieht
ein Autounglück, und es werden dabei zwei oder drei Menschen totge¬
fahren. Der Oberbürgermeister dieser Stadt erklärt der Presse: Darüber
darf überhaupt nichts gebracht werden, abgesehen von einem ganz klei¬
nen Bericht im Amts ... blatte, denn eine Frau, die im Auto saß, war in
anderen Umständen. Erfolg: daß am nächsten Tag die ganze Auslands¬
presse voll davon ist, daß in der Nähe dieser Landeshauptstadt ein
Attentat auf den Führer verübt worden sei und daß die Behörden in
Deutschland die Zeitungen veranlaßt hätten, darüber nichts zu bringen.
Ein anderer Fall: Ein Feuerwehrhauptmann von Luckenwalde läßt
[Heiterkeit] an die Presse seines Kreises den allerhöchsten Befehl erge¬
hen, daß — äh, Berichte über Brandunglücke oder über Organisation
oder Arbeit der Feuerwehr nur in die Presse kommen dürften, wenn sie
vorher von ihm zensiert wären [Heiterkeit]. Und als die Presse sich
dagegen sträubt, erklärt der hochwohllöbliche Feuerwehrhauptmann von
Luckenwalde, daß er das der Presse schon wieder einreiben werde [Hei¬
terkeit]. Worauf ich diesem Herrn Feuerwehrhauptmann in den nächsten
Tagen erklären werde, wenn er das geringste gegen die Presse unterneh¬
men würde, würde ich es ihm einreiben! [Heiterkeit.]
Ein vierter Fall. Aber der ist so bezaubernd schön, daß ich ihn Ihnen
im Original vorlesen muß [Heiterkeit]. „Der Herr Landrat hält Sprech¬
stunde." Eine Pressenotiz für die Zeitungen des Kreises, vom Herrn
Landrat selbst verfaßt und herausgegeben. „Sprechstunde des Landrats
— gab es so etwas früher? Wohl niemand kann sich dessen erinnern
[Heiterkeit]. Heute, im Reiche Adolf Hitlers, wo so mancher Traum
schon Wirklichkeit wurde und Gestalt annahm, konnte es unser Herr
Landrat wagen, diese Sprechstunden einzurichten [Heiterkeit], Diese
Sprechstunden sind seine ureigenste Erfindung [Heiterkeit], Er hat damit
eine Einrichtung geschaffen, die nationalsozialistisches Gedankengut in
die Tat umsetzt [Heiterkeit.] Darum fährt der Herr Landrat hinaus in
seinen Kreis und läßt sich erzählen, was das Volk auf dem Herzen hat.
Gewiß, es kann nicht immer geholfen werden, aber auf dem Landrats¬
amt werden alle Klagen bearbeitet, erreichen sogar die Amtszimmer der
Regierung und werden dort eventuell vom Gesetzgeber im Dritten Rei¬
che zur Ausarbeitung von Gesetzen verwandt [Heiterkeit], In einem
Satz: Der Herr Landrat fährt hinaus in seinen Kreis. Das Tagespro¬
gramm wird danach eingerichtet, und am späten Nachmittag fährt der
bekannte graue Personenkraftwagen [Heiterkeit] vor dem Landratsamt
187
vor. Ihn besteigen der Herr Landrat, seine Sekretärin und sein Chauf¬
feur [große Heiterkeit], In eiliger Fahrt geht es durch die belebten Stra¬
ßen der Stadt. Nach einem kurzen Besuch auf dem Gemeindeamt, wo
der Kreischef vom Amtsvorsteher und kommissarischen Gemeindeschul¬
zen und der versammelten Beamtenschaft auf das freundlichste begrüßt
wird, begint sich der Herr Landrat z« Fuß zum Restaurant Hil. .. [Ge¬
lächter], Der Kreischef erscheint und wird vom Gemeindeschulzen vorge¬
stellt. Ein paar freundliche Worte aus seinem Munde [Heiterkeit]. Die
Sekretärin des Herrn Landrats nimmt alles fein säuberlich zu Protokoll
[Heiterkeit], Hier erkennt man, daß der Herr Landrat nicht mehr die
unnahbare Persönlichkeit ist, sondern mit seiner Bevölkerung Freud und
Leid teilt [Heiterkeit], Manch einer trat bangen Herzens zum Herrn
Landrat, und in freudig bewegter Stimmung verließ er wieder das
Sprechzimmer. So gehen die Stunden dahin [Heiterkeit], Und erst kurz
vor Mitternacht beendet der Herr Landrat seine Sprechstunde [Heiter¬
keit], Der Kraftwagen wird wieder bestiegen, und in eiliger Fahrt geht's
zurück, wo auf dem Landratsamt im Arbeitszimmer des Herrn Landrats
noch ein Aktenbündel wartet, um erledigt zu werden. Uber allem waltet
der Kreischef" — und man möchte hinzufügen: und der Blödsinn, der
solche Schwulstiaden zutage bringt! [Starker Beifall.]
Ich möchte Sie nur bitten, meine Herren, und Sie können da meines
Schutzes gewärtig sein, gegen solche —, gegen solche Schwulstiaden Stel¬
lung zu nehmen und sich einfach zu weigern, das zu bringen, denn Sie
blamieren nicht nur die Presse, sondern Sie blamieren das Dritte Reich
vor der Öffentlichkeit [Beifall], Die Presse ist nicht dazu da, Haus- und
Magenorgan irgendeines Landrats zu sein, sondern die Presse ist dazu da,
die öffentlichen Interessen zu vertreten. Und sollte man dann wagen, ge¬
gen Sie mit Repressalien vorzugehen, können Sie sich auf meinen Schutz
berufen, und ich werde Sie in jeder Beziehung zu schützen wissen [Bei¬
fall], Ich habe Ihnen in meinem letzten Expose über die Gestaltung der
deutschen Presse eindringlich zu Herzen geführt, daß dieser byzantini¬
sche Überschwang nun endlich einmal aufhören solle. Daß es nicht an¬
geht, wenn ein Herr Landrat oder ein Herr Kreisdirektor ein Jahr sein
Amt versieht, nun eine Schwulstiade zu schreiben. Und daß der —, der
22. Geburtstag irgend-, irgendeines —, eines Ortsgemeindesdiulzen
nun dazu angetan sein soll, eine ganze Zeitung mit dem Lebenslauf und
den Bildern von der Familie und von der Vergangenheit und von der
Feldzeit und von der —, den Verdiensten — äh, in den vergangenen
Jahren und von den Verdiensten, die sich dieser edle Herr wahrschein¬
lich noch in der Zukunft erwerben wird, der Öffentlichkeit des breiteren
Kenntnis zu geben. Das will die Öffentlichkeit gar nicht, das wollen wir
188
auch nicht! Alle bekannten Führer der NSDAP haben es sich verbeten
[der Redner klopft wiederholt auf das Pult], daß zu ihren Geburtstagen
Leitartikel geschrieben werden! Das will selbst der Führer nicht 17 , —
was geht uns dann so ein Landrat an! Wir haben keine Lust, uns unseren
guten Namen vom Überschwang und von der Selbstgefälligkeit irgend¬
eines Ortsbonzen verderben zu lassen.
Und im übrigen sind Sie da auch nicht Ihrer eigenen Pflicht entbun¬
den. Sie haben dann zu entscheiden, welche Pflicht höher steht, die
Pflicht einem Landrat gegenüber oder die Pflicht dem Ihnen zuständigen
Reichsministerium gegenüber. Ich kann beispielsweise auch nicht billigen,
wenn Sie bei irgendeiner ganz blödsinnigen Pressenotiz, die von irgendei¬
ner Stadtstelle ausgegeben worden ist, nun die Presse darauf reagiert und
sagt: Das ist amtlich, das kommt von der Stadt. Nein, da hat die Presse
doch noch ihren gesunden Menschenverstand walten zu lassen. Wenn
beispielsweise irgendwo in einer Stadt in der Nähe von Berlin eine —,
eine kommunale Notiz herauskommt, daß diejenigen, die ihre Miete be¬
zahlt —, nicht bezahlen, nun in Zukunft von der Stadt auf dem Schind¬
anger einquartiert werden, dann kann durchaus nicht der Chefredak¬
teur sagen: Ja, das hat doch die Stadt herausgegeben. Sondern da hat
vielmehr der Chefredakteur zu erklären: Das bringe ich nicht! Das
bringe ich deshalb nicht, weil es die Öffentlichkeit aufreizen wird. Weil
das dumm ist, blödsinnig, kindisch, nur von einem Menschen verfaßt, der
das Volk nicht kennt! Sondern wenn der andere Dummheiten macht,
dann sind Sie nicht verpflichtet, diese Dummheiten zu imitieren, sondern
Sie sind verpflichtet, diese Dummheiten irgendwie wiedergutzumachen.
Wenn beispielsweise eine Zeitung in Berlin einen in der Tat schlechten
und miserablen Film kritisiert und daraufhin die Filmfirma anruft und
sagt, das sei gegen die Aufbaupolitik des Dritten Reiches [Heiterkeit]
und sie werde sich nunmehr gestatten, dieser Zeitung keine Annoncen
mehr zukommen zu lassen, so kann ich Ihnen sagen: Als mir dieser Fall
zu Gehör kam, habe ich dieser Filmfirma erklären lassen: Wenn das bin¬
nen einer Stunde nicht zurückgezogen ist, werde ich mit der ganzen
deutschen Presse eine Kampagne gegen diese Firma eröffnen lassen, daß
ihr Hören und Sehen vergeht! Da war's zurückgenommen [Beifall]. Man
muß nur selbstbewußt auftreten und darf sich nicht als dumm verkaufen
lassen. Und darf nicht sofort zusammenknicken, wenn der sich auf diese
" Wenn das wirklich stimmen sollte, dann muß Hitler sich offenbar nicht haben
durchsetzen können, denn seit 1933 bis zum Schluß war der „Geburtstag des
Führers" ein nur durch die Kriegszeit dann verdunkeltes, sonst jedoch immer
rauschender werdendes „Fest des gesamten deutschen Volkes" mit den ent¬
sprechenden Veranstaltungen, — und die deutschen Zeitungen suchten sich an
byzantinischen Huldigungsartikeln womöglich zu übertreffen.
189
Behörde und der sich auf jene Behörde beruft. Sondern Sie können all
diesen an Sie herangetragenen Wünschen gegenüber erklären: Für uns ist
richtunggebend nur das politische Ministerium, mit seinen Unterstellen;
von denen bekommen wir Anweisungen, und dieses Ministerium ist gro߬
zügig genug, uns nicht im Kleinlichen zu reglementieren, sondern gibt
uns große, allgemeinverbindliche Richtlinien, und in diesen Richtlinien
arbeiten wir [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] aufgrund des
Pressegesetzes als eigenverantwortliche deutsche Schriftleiter und lassen
uns nicht in unseren Kram hineinpfuschen. Denn wenn wir so eine blöd¬
sinnige Notiz von einem Herrn Landrat, der nun in Verwirklichung
eines uralten Traumes des deutschen Volkes tatsächlich Sprechstunden
abhält [Heiterkeit], — wenn wir eine solche Notiz in der Zeitung brin¬
gen, so wird leider nicht dieser Herr Landrat blamiert, sondern [der
Redner klopft wiederholt auf das Pult] wir, die Zeitung, sind die Bla¬
mierte. Denn leider können wir unten nicht eine Fußnotiz mit Sternchen
daransetzen, daß dieser Bericht von dem Herrn Landrat selbst verfaßt
ist und ohne —, und ohne Verantwortlichkeit der Redaktion in die
Presse aufgenommen worden ist.
So geht es auch in der Theater- und Filmkritik. Sie brauchen gar nicht
zu denken, meine Herren, daß wir Ihnen Vorwürfe machen, wenn Sie
einen Film herunterreißen. Sie brauchen gar nicht zu denken, daß wir —
äh, bei Ihnen anstellig werden, wenn Sie ein Theaterstück kritisch unter
die Lupe nehmen. Das soll nicht heißen, daß Sie alles verreißen, sondern
Sie müssen das mit Maß machen, und Sie müssen hier den richtigen Stil
finden, und Sie müssen sich gewissermaßen nationalen Aufgaben ver¬
pflichtet fühlen. Wenn wir beispielsweise, sagen wir: hier in Berlin ein
Theater des Volkes aufmachen, mit viel Geld und mit viel Idealismus,
und wir schleusen durch dieses Theater zu billigstem Geld, für 50 Pfen¬
nige am Tage, in einem Monat 100 000 Menschen, jeden Tag drei- bis
viertausend Menschen, und die Regierung gibt einen riesigen Zuschuß
dazu, und es wird nun herumexperimentiert, wie man am besten diesen
Riesenraum des großen Zirkus mit Theaterleben erfüllt 18 , und das erste
oder zweite Experiment gelingen nicht ganz, — dann halte ich es nicht
für richtig, nun so einen Versuch in Bausch und Bogen, ohne Hemmung
und ohne irgendeine Verpflichtung und ohne Rücksichtnahme auf die
großen Mittel und den großen Idealismus, die hier angesetzt worden
18 Das „Theater des Volkes', bis 1933 „Großes Schauspielhaus", war eine
1917—1919 umgebaute Markthalle, deren Eisenkonstruktionen man mit Gips
kaschiert hatte. Bei der Eröffnung am 28. November 1919 meinten Besucher
eine Mischung von Ausstellungshalle und Tropfsteinhöhle zu sehen. Goebbels'
Bezeichnung rührte vielleicht von der Anschrift her: Am Zirkus 1. — Es han¬
delt sich übrigens um den heutigen Friedrichstadt-Palast am Schiffbauerdamm.
190
sind, nun das von oben herab herunterreißt. Nein, dann wird ein vorneh¬
mer und anständiger und verantwortungsbewußter Kritiker hingehen
und wird die Dinge ins rechte Licht setzen. Wird gute Ratschläge geben,
wird das aber in einem so freundlichen und so verbindlichen und auch so
vertrauenerweckenden Ton tuen, daß das Theater sich freuen wird, daß
es so einen guten Ratgeber hat.
Dann macht der Ton die Musik. Wenn Sie dagegen einen Film haben,
der entgegen den Richtlinien der nationalsozialistischen Staatsführung
immer noch auf dem alten Quatsch beruht — alte Militärfilme, Militär¬
lustspiele, „Schützenkönig wird der Felix" oder „Einmal eine große
Dame sein" —, und Sie sehen, daß in diesem Film ein Leben dargestellt
wird, das es in der Tat gar nicht gibt, dann brauchen Sie gar keinen An¬
stand zu nehmen, nun so einen Film nach Strich und Faden zu verreißen.
Es wird dann der Filmfirma wahrscheinlich allmählich einfallen, daß es
im neuen Staat auch gewisse [der Redner klopft wiederholt auf das
Pult] national verpflichtende Sittengesetze gibt, die ebenso wie für die
Zeitung, so auch für eine Filmfirma gelten.
Ich möchte überhaupt zusammenfassend sagen: Die Presse muß aus
sich heraus Mut schöpfen, und sie kann sich darauf verlassen, daß wir
uns nicht durch Kleinlichkeiten rächen werden. Die Presse muß aber
ebenso großzügig sein nationalen Aufgaben gegenüber. Und muß, wenn
sie nationale Aus-, Aufgaben irgendwie kritisch berurteilt, doch immer
zum Ausdruck bringen, daß sie das aus heißem Herzen und aus wacher
Verantwortungsfreudigkeit tut. Dann, meine Herren, werden Sie all¬
mählich auch in Ihre eigentlichen Aufgaben hineinwachsen, denn Sie
sind noch kein Stand, sondern Sie werden erst ein Stand werden. Das
geht nicht in ein paar Monaten, sondern das dauert Jahre. Jahre, Jahre.
Der Stand des preußischen Soldaten und der Stand des preußischen
Bauern 1 », — das hat Jahrhunderte ge-, Jahrhunderte gedauert, bis er
sich sichtbarlich als Stand von der Volksgemeinschaft abgehoben und
wieder als Stand in die Volksgemeinschaft hineingestellt hat. Die Selbst¬
verwaltung, die Ihnen als großes Gut und Geschenk des neuen Staates
überreicht worden ist, ist auch nicht von heute auf morgen zu praktizie¬
ren, sondern sie bedarf einer ungeheuer weiten Entwicklung und täglich
sich erneuernden Erfahrung. Und die Freiheit, die Sie besitzen, müssen
Sie auch gebrauchen lernen.
Ich bin durchaus nicht der Meinung, daß der Schriftleiter sich vom
Verleger allmählich unterbuttern lassen soll. Ich bin auch nicht der Mei¬
nung, daß der Verleger nun das Recht hat, die für ihn unangenehmen
Leitsätze des Schriftleitergesetzes dadurch zu inhibieren, daß er nun
14 Wieder: Bauren.
191
selbst Hauptschriftleiter wird, um nun in seiner Person beide Ämter zu
vereinigen. Das kann der Ausnahmefall bei irgendeiner kleinen Zeitung
sein, die sich einen Hauptschriftleiter nicht leisten darf und nicht leisten
kann, — das soll aber nicht die Regel werden. Und ich würde schon in
der richtigen Weise hier einzuschreiten wissen, wenn der deutsche Verle¬
gerstand versuchte, auf diese Weise das Schriftleitergesetz ad absurdum
zu führen. Anderseits aber bin ich der Meinung, daß die Auseinanderset¬
zung zwischen Verleger und Schriftleiter nicht auf dem Weg des Kamp¬
fes, sondern auf dem Wege der gütlichen Vereinbarung stattzufinden
hat. Denn der Verleger hängt ja auch an seiner Zeitung, es ist ja doch
seine Zeitung. Und der Verleger wird, wenn er ein offenes Herz und eine
heiße Liebe zum Journalismus hat — und das muß er ja haben, weil es ja
doch sein Beruf ist —, er wird dann auch immer einen wachen Verstand
für die Aufgaben haben, die der Journalismus zu verwalten und zu er¬
füllen hat. Ich bin also nicht dafür, daß momentane Schwierigkeiten, die
sich immer ergeben, zu einer Kampfstellung führen sollen, sondern ich
bin dafür, daß man diese momentanen Schwierigkeiten nun redlich aus¬
trägt. Immer im Sinne einer Betriebs- und einer Kameradschaftsgemein¬
schaft, die aufeinander angewiesen ist, um zu einem fruchtbaren Ergeb¬
nis zu führen.
Im übrigen ist es auch nicht Ihre Aufgabe, meine Herren, bei jeder
Frage auf ein Kommando zu warten. Sondern Sie können sich ruhig mit
eigener Verantwortungsfreude an die Probleme des Tages heranma¬
chen'". Ich liebe es auch nicht, wenn auf der Pressekonferenz der Presse
nun in jeder Kleinigkeit eine Route und eine Richtlinie mitgegeben wird.
Nein, ich bin viel mehr dafür, wenn die Pressekonferenz eine Fragekon¬
ferenz wird. Eine Fragekonferenz, bei der die Presse die Regierung inter¬
pelliert. Und wenn eine Frage gestellt wird, die im Augenblick nicht be¬
antwortet wird, — das müßte direkt eine stehende Regel werden, daß
der Vertreter der Regierung sagt: Die nationalen Interessen verbieten im
Augenblick, darauf zu antworten. Wenn die Presse aber glaubt, sie
wüßte selbst das eine oder das andere: Warum soll die Regierung es ihr
sagen? Es braucht doch nicht alles reglementiert zu werden. Es braucht
nur das ganz Große und Wichtige mit Richtlinien versehen zu sein, das
übrige soll sich aus sich selbst entwickeln 21 .
20 Das war in der Tat Goebbels' Ideal. Nur scheiterte die gute Absicht in der
Regel daran, daß das Risiko, das der „Schriftleiter" einging, wenn er im Aus¬
leben seiner „eigenen Verantwortungsfreude" wirklich einmal, und sei es auch
fahrlässig, den Intentionen des Regimes zuwiderhandelte, so gefährlich war,
daß er es gewöhnlich vorzog, überall auf „Sprachregelungen" und Verhaltens¬
vorschriften zu warten.
21 Hier fehlt offenbar eine Schallplatte.
192
Ja, wo kommen wir denn hin? Wo kommen wir denn hin? Dann wer¬
den wir in ein paar Jahren ein Leben figurieren, das es gar nicht gibt!
Werden uns selbst etwas einreden, was nicht vorhanden ist, und werden
uns damit immer weiter vom Leben entfernen. Der Nationalsozialismus
ist groß geworden, weil er das Leben gesehen und gefaßt hat! Und wenn
wir früher in unseren Versammlungen sprachen, so ist das Volk gekom¬
men, weil wir zum Volke sprachen, und zwar nicht in einer papiernen
Parlamentssprache, sondern in der Sprache des Volkes. Und die Kraft,
die uns zum Volk geführt hat, die soll uns nicht abhanden kommen,
damit wir min auch vom Volke wieder weggedrängt werden können,
sondern wir wollen zum Volk als Volk sprechen, ohne Prüderie und
ohne — äh, Moralinsucht. Es kommt beispielsweise bei der Zensur eines
Filmes nicht darauf an, ob man nun ein entblößtes Damenbein mit dem
Zentimeter abmißt: ob es soundso viel noch über das Knie entblößt ist,
dann wird's verboten, — wenn es soundso viel noch bis zum Knie ist,
dann darf es erlaubt werden. Sie werden das nicht glauben, meine Her¬
ren, dafür hat es früher im alten Staat eine bestimmte Regel gegeben:
Fünf Zentimeter über dem Knie sind erlaubt; was darüber hinaus ist,
muß weggeschnitten werden [Heiterkeit]. Das ist kein Scherz, sondern
das ist Ernst. Wir sind keine Zwickel-Regierung 81 [Heiterkeit], sondern
wir nehmen das Leben, wie es ist [Beifall], und wir sind leider durch die
wenigstens in den äußeren Formen so kompromittierende Nachbarschaft
zum bürgerlichen Patriotismus in einen Ruf gekommen, den wir gar
nicht verdienen. Wir haben damit gar nichts zu tuen, auch früher nie!
Und wollen damit auch in Zukunft nichts zu tuen haben: wir sind keine
Muff-Moralin-Prediger, sondern wir sind offene Renaissancemenschen
und wollen das auch in der öffentlichen Meinung zum Ausdruck brin¬
gen! Wenn ich beispielsweise sehe, daß eine Zeitung — was mir jetzt vor
ein paar Tagen gezeigt wurde —, daß sie eine —, eine nackte Männerfi¬
gur — äh, wenn sie das Bild davon bringt, mit einer —, mit einer Bade¬
hose umkleidet, um die etwas übertriebenen Gefühle ihrer Leserinnen
nicht zu beleidigen, dann muß ich schon sagen: Herr, vergib ihnen, denn
sie wissen nicht, was sie tuen! [Heiterkeit.]
Das Zukunftsträchtige muß die Presse aufspüren, muß dafür ein offe¬
nes Ohr und ein waches Organ haben. Die Presse soll nicht kritikastern,
sondern die Presse soll anregen, mithelfen. Soll Ratschläge geben, soll der
" Bezieht sich auf einen damals vielbelachten Erlaß des dem rechten Zentrums¬
flügel nahestehenden Papensdien Reichskommissars im preußischen Innen¬
ministerium Bracht vom Oktober 1932, der den Schnitt der Badeanzüge beim
„öffentlichen Baden" reglementierte: u. a. mußten sie „mit angeschnittenen
Beinen und einem Zwickel versehen" sein.
193
Regierung zur Seite treten und soll mit dem Volke reden in seiner Spra¬
che, — soll auf der Wacht stehen, wo sich irgendwo Fehler zeigen und
soll diese Fehler zu den zuständigen Stellen bringen. Und soll mit ihnen
beraten, wie man diese Fehler abstellen kann. Ich habe mit einer ganzen
Reihe von Berliner Zeitungen schon längst dieses Verhältnis. Die schik-
ken mir die Briefe, die aus dem Volk zu ihnen kommen, und die Briefe
werden bei uns bearbeitet, und je nach Bedarf werden sie dann auch an
die Öffentlichkeit gebracht. Beispielsweise der Fall Koeppen 2 ®, der ist
natürlich nicht so spontan aus der Volksgemeinschaft hervorgegangen,
sondern der ist, das kann ich in diesem Kreise ruhig sagen, von uns orga¬
nisiert worden. Und zwar um ein Schulbeispiel zu geben — [Beifall], und
zwar um ein 5ci«/beispiel zu geben, wie der nationalsozialistische Staat
mit diesen asozialen Elementen einmal umgehen wird. Da bringt man es
an die Öffentlichkeit. Das kann ich nicht jeden Tag machen; das kommt
einmal alle zwei, drei Monate vor. Sowie ein gewisser Zündstoff so Ge¬
walt hat, daß er Gefahr läuft zu explodieren, dann gibt man ihm eine
Explosionsmöglichkeit. Und zwar so, daß diese Explosionsmöglichkeit
sich nicht gegen den unschuldigen Staat, sondern gegen den schuldigen
Missetäter richtet. Denn wir stehen auf dem Standpunkt: Es ist besser,
das Volk wirft den Verbrechern, als es wirft dem Staat die Fensterschei¬
ben ein; es ist besser, der Staat läßt diese Verbrecher stäupen, als er wird
deshalb, weil er gegen die Verbrecher nichts unternimmt, vom Volk ge¬
stäupt.
Damit, meine Herren, komme ich zum Schluß. Mein Vorredner und
Parteigenosse Weiß 24 hat an ein Wort erinnert, das ich bei Verkündi¬
gung des Pressegesetzes zu Ihnen im Haus der deutschen Presse sprach,
— das Wort, daß das deutsche Pressegesetz das modernste Pressegesetz
der Welt sei. Damals hat noch mancher Journalist gelächelt; ich glaube,
viele sind mittlerweile überzeugt worden. Und wenn Sie so viel wie ich
Gelegenheit hätten, mit Ausländern zu sprechen, so würden Sie allmäh¬
lich auch eine Ahnung davon bekommen, wieweit wir den anderen vor-
13 Ein Reichsbankrat und Hausbesitzer in Berlin-Pankow, der einen Arbeitslosen
wegen einer unbedeutenden Mietrestschuld auf die Straße setzen wollte und
auch nach Zahlung und trotz Intervention der NS-Volkswohlfahrt die Exmit¬
tierung weiter betrieben hatte. Der Fall war am 6. November, entsprechend
kommentiert, durch die Presse gegangen, wobei es weiter hieß: „Kurz nach
Bekanntwerden dieses Tatbestandes sammelte sich vor dem Hause des K.
eine erregte Volksmenge, die dem Saboteur am Aufbauwerk des Führers ihre
Meinung über sein gewissenloses Verhalten „unzweideutig zum Ausdruck
brachte". Bei dieser „spontanen" Aktion dürften dann auch die hier von
Goebbels mehrmals erwähnten Fensterscheiben entzweigegangen sein.
24 Wilhelm W., stellvertretender Hauptschriftleiter des VB und Leiter des Reichs¬
verbandes der Deutschen Presse, hatte an diesem Sonntagvormittag die erste
Rede gehalten.
194
aus sind. Das erste, was jeder Ausländer von mir verlangt: Können Sie
mir ein Exemplar Ihres Pressegesetzes geben 25 ? Immer in der Erkennt¬
nis: Irgendwie und irgendwann müssen wir das zu Hause auch machen,
denn so geht's ja nicht mehr. So kann's ja nicht weitergehen, wo soll das
hinführen? So kann's ja nicht weitergehen, wenn in der englischen und in
der französischen Presse die delikatesten nationalen Fragen offen erör¬
tert werden und damit den schwersten Schaden in der internationalen
—. der schwerste Schaden in der internationalen Weltöffentlichkeit an¬
gerichtet wird, das geht nicht. Das kann sich ein Staat in diesen krisen¬
haft bewegten Zeiten überhaupt nicht mehr leisten, wo soll das hinfüh¬
ren? Ein Staat geht —, geht ja daran zugrunde.
Wie gesagt, wir sind den anderen weit voraus und haben dabei einen
Vorteil eingeheimst: Die Presse ist heute nicht mehr der Feind, sondern
die Presse ist der Mitarbeiter der Regierung. Presse und Regierung ziehen
heute eigentlich an einem Strang. Und ich habe gestern abend auf unse¬
rem Empfangsabend 28 das Gefühl gehabt: Hier ist eine große Kamerad¬
schaft im Werden; es wird einmal die Zeit kommen, sie liegt nicht allzu
ferne, dann braucht man gar nicht mehr zu diktieren, sondern man gibt
dann nur gute Ratschläge. Ein Zustand, der in der anständigen eng¬
lischen Presse seit —. seit Jahrzehnten selbstverständlich ist. Die haben
kein Pressegesetz, aber es ist selbstverständlich, daß eine englische Zei¬
tung niemals etwas —, etwas schreibt, was der englischen —, dem eng¬
lischen Staate abträglich sein könnte. In der ..Heiligen Johanna" von
Shaw steht ein sehr schönes Wort, das wir — es wird hier von England
gebraucht —, das wir eigentlich auf uns anwenden müssen lernen. Es
steht da: Im englischen Begriff ist schon der ein Verräter, der mit den
Interessen seines Landes nicht vollkommen übereinstimmt. Ein sehr schö¬
nes und ein sehr kluges Wort! Wenn wir das einmal gelernt haben, den
als Verräter zu empfinden, der nicht vollkommen mit den Interessen un¬
seres Landes übereinstimmt, dann werden wir ein Weltvolk sein, meine
Herren, und dann werden wir auch große Aufgaben, die in der Weltpo¬
litik uns gestellt werden, lösen können. Und dann wird die Staatsfüh¬
rung auch den Mut haben, an große Aufgaben heranzugehen, weil sie
selbstverständlich davon überzeugt sein kann, daß das Volk in den gro-
" So völlig abstrus, wie es klingt, ist das insofern nieht, als die nationalsoziali¬
stische Gesetzgebung die Journalisten zwar hart an die staatliche Leine ge¬
legt, ihre — in der Demokratie schon lange als heikel empfundene — Abhän¬
gigkeit von den Verlegern jedoch und deren EinflulSmöglichkeiten erheblich
eingeschränkt hatte.
" Am Vorabend hatte Goebbels in seinem Ministerium einer „Fülle von Ver¬
tretern der deutschen Presse aus allen Teilen Deutschlands" einen Empfang
gegeben, — Heinrich Sehlusnus und andere namhafte Künstler hatten den
Abend „zu einem Erlebnis werden lassen".
195
ßen nationalen Aufgaben ohne jeden Einspruch und ohne jeden Wider¬
spruch hinter ihr steht.
Und dazu müssen Sie die Basis mit schaffen. Die Regierung hat Ihnen
ein neues Standesbewußtsein gegeben; sie brauchte das nicht, sie hätte Sie
in eine —, in eine dienende Rolle hineinbringen können, die Ihrer ganz
unwürdig gewesen wäre, wir hatten ja die Macht dazu. Wir hätten un-
sern Rachekomplex abreagieren können. Wir hätten Zeitungen dutzend¬
weise vernichten können, wenn wir nur gewollt hätten. Wir haben das
nicht getan. Sondern wir sind Ihnen offenen Herzens entgegengetreten
und verzeichnen mit Dank, wenn deutsche Schriftleiter nun allmählich
sich im Ernst und mit Sachlichkeit sich mit der nationalsozialistischen
Gedankenwelt auseinandersetzen und dann den Weg zu uns finden.
Denn in gewisser Weise paßt auch bei uns das Wort, daß im Himmel viel
mehr Freude ist über einen, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die der
Buße nicht mehr bedürfen 87 .
Sie lernen nun in Ihrem eigenen Stand sich allmählich selbst verwal¬
ten. Sie sollen selbst die Unwürdigen aus dem Journalistenstand aussto¬
ßen. Und Sie sollen nicht mit jeder Frage, die nur die Journalisten an¬
geht, nun zum Kadi laufen, sondern Sie sollen Ihre eigenen Gerichte
haben 88 , — das müssen Sie unter sich selbst ausmachen. Es ist genau wie
in einer Familie. In einer Familie gibt es ein Oberhaupt, ein Familien¬
oberhaupt. und es ist nicht Sitte, daß, wenn der Bruder den Bruder oder
die Schwester die Schwester beleidigt, — daß nun die Schwester die
Schwester oder der Bruder den Bruder bei Gericht wegen Beleidigung
verklagt, das macht man in der Familie aus. Und dieses Ganze nennt
man dann — Familienbewußtsein. Es darf auch nicht Mode sein, daß
Menschen, die einer gemeinsamen Aufgabe dienen, nun bei jeder Beleidi¬
gung, bei jeder Ausstellung oder bei jedem Fehler oder bei jedem Mangel
zum Gericht laufen und dann vor der Öffentlichkeit ihre schmutzige
Wäsche waschen. Nein, das macht man im Stand aus. Und das Ganze
nennt man dann — Standesbewußtsein. Standesbewußtsein, das den An¬
gehörigen des Standes durchaus nicht von der Volksgemeinschaft trennt,
sondern das nur seinen Dienst zur Volksgemeinschaft regelt und regle¬
mentiert. Dann, meine Herren, sind Sie auch keine Schreiberseelen mehr,
sondern dann sind Sie tätige Männer einer großen Zeit, die der großen
Zeit ihre Kraft und ihren Verstand zur Verfügung stellen, und Sie helfen
dann auch die großen Aufgaben der Zeit erfüllen. Sie sind nicht Beamte,
sondern Sie sind Diener des Volkes.
27 Lukas 15,7.
28 Solche „Berufsgerichte der Presse" hatten bereits die §§ 27 und 28 des Schrift¬
leitergesetzes vorgesehen.
196
Hinter Ihnen tritt dann der Nachwuchs an. Ich sagte Ihnen beim letz¬
tenmal: Die kommenden Journalisten marschieren schon in den Gliedern
unserer Hitler-Jugend. Sie werden aber nicht von selbst Journalisten
werden, sondern wir müssen sie erziehen. Und deshalb müssen wir nun¬
mehr das Problem des Nachwuchses in Angriff nehmen. Der Nachwuchs,
der wird dann unser ideales Hochziel erreichen. Und dafür muß er erzo¬
gen werden. Genauso, wie es bestimmte Lebensgesetze des deutschen
Offiziers und des deutschen Soldaten gibt, so muß es bestimmte Lebens¬
gesetze des deutschen Journalisten geben. Das kann man nicht gesetzmä¬
ßig festlegen, sondern es muß dann allmählich im Journalistenstand sich
— äh, so die Überzeugung — äh, durchsetzen: Das tut man nicht! Und
wenn einer das tut, dann muß das der ganze Stand als — um es mit
einem englischen Wort zu übersetzen —, dann muß das der ganze Stand
als shocking empfinden: Das tut man einfach nicht, das tut man als
Journalist nicht! Darüber redet man auch gar nicht mehr, daß man das
nicht tut, sondern das tut man eben nicht. Genauso, wie man den Fisch
nicht mit dem Messer ißt, genauso gibt es bestimmte Gesetze, die —, die
müssen für den Journalisten ungeschrieben selbstverständlich sein. Das
müssen — Standesgesetze sein. Und zwar Gesetze, die [der Redner klopft
wiederholt auf das Pult] auf seinen Beruf Bezug haben; das ist nicht eine
besondere Privatehre des Journalisten, sondern der Journalismus, er be¬
sagt: Ich habe einen bestimmten Beruf zu erfüllen, der mich vom Volke
unterscheidet, ich muß nämlich für die Zeitung schreiben und in diesem
Beruf, da habe ich bestimmte Gesetze. Wie auch der Soldat, der Offizier,
— der hat nicht bestimmte Gesetze überhaupt im Leben, sondern nur in¬
nerhalb seines Berufes.
Das muß es auch bei uns geben, wir müssen das in unsern Nachwuchs
hineinimpfen und hineinprägen. Wir haben uns seitens unseres Ministeri¬
ums bereit erklärt, für die Erziehung des Nachwuchses im nächsten Jahr
dem Reichs verband der Deutschen Presse 200 000 Mark zur Verfügung
zu stellen. Mit diesen 200 000 Mark — [Beifall], mit diesen 200 000
Mark werden wir im nächsten Jahr vier dreimonatige Kurse in Deutsch¬
land veranstalten —, in Berlin veranstalten. In diesen dreimonatigen
Kursen, die von etwa hundert bis 150 jungen, nachwachsenden Journali¬
sten besucht werden, — in diesen dreimonatigen Kursen soll der Besucher
selbst fünfzig Mark zahlen und der Staat zahlt fünfzig Mark und der
Verleger zahlt fünfzig Mark. Mit diesen 150 Mark soll der junge Nach-
wüchsling nun ein zwar bescheidenes, aber immerhin sorgenloses Leben
in Berlin führen können, und er soll nun hier die große Maschinerie der
Wirtschaft und der Politik und der Kulturführung des Volkes kennenler¬
nen, damit er, wenn er später in seinem Leben in irgendeiner Provinz-
197
Stadt darüber schreiben soll, — daß er sich das dann auch vorstellen
kann. Ich halte es nicht für richtig, daß ein Journalist täglich in seiner
Zeitung schreiben muß: „In der Wilhelmstraße" — und er hat vielleicht
in seinem Leben noch nicht die Wilhelmstraße gesehen. Ich halte es nicht
für richtig, daß er über alle Dinge im öffentlichen Leben schreibt und er
kennt sie überhaupt nicht, sondern er muß das sehen. Er wird dann auch
viel leichter die Schwierigkeiten erkennen. Und er wird sich dann auch
viel eher als Mithelfer empfinden und nicht einfach als —, als Beamter
oder als Subjekt der Regierung.
Am 1. Januar wollen wir beginnen. Wir haben uns die Frage vorge¬
legt: Wollen wir diese jungen Zöglinge im Gemeinschaftslager erziehen
oder wollen wir ihnen eine gewisse Freizügigkeit geben? Ich habe mich
für das zweite entschlossen 2 *. Und zwar aus guten Gründen. Gemein¬
schaftslager sind meiner Ansicht nach nicht für bestimmte Berufe geeig¬
net, son-, das wird diese Berufe nicht zur Gemeinschaft, sondern zur
Abkapselung erziehen. Wenn die Studenten Gemeinschaftslager haben
und die Journalisten und die Techniker und die Ingenieure und die Uni¬
versitätsprofessoren, dann werden sie zwar Gemeinschaft halten unter
sich, aber sie werden die Gemeinschaft zum Volke verlieren. Der junge
Mann kann im Gemeinschaftslager des Arbeitsdienstes, durch das er ja
sowieso gehen muß auf die Dauer, oder im Gemeinschaftslager der SA
oder der SS, — da kann er die Gemeinschaft mit seinen Volksgenossen
pflegen, denn dann sind sie ja nicht nach Standesrücksichten zusammen¬
gefaßt. sondern dann sind sie einfach so aus dem Volk herausgegriffen.
Aber wenn junge Journalisten nach Berlin kommen, so sollen sie Berlin
[der Redner klopft auf das Pult] kennenlernen. Und sollen auch ein
gewisses Gefühl der [der Redner klopft auf das Pult] Freiheit besitzen.
Ich weiß sehr gut aus meiner eigenen Jugend: das [wiederholtes Klop¬
fen] Gefühl, nun einmal aus dem Elternhaus und aus dem Pennal entlas¬
sen zu sein und zum erstenmal als junger Student 111 in einer Universitäts¬
stadt ein eigenes, wenn auch bescheidenes Zimmer zu beziehen. — dieses
Gefühl ist ganz unbeschreiblich schön! Es ist ein Gefühl des [Beifall], es
ist ein Gefühl des Stolzes und des Selbstbewußtseins; man hat nun das
29 Hier vertritt Goebbels tatsächlich einen im lagerseligen Dritten Reich bemer¬
kenswerten Standpunkt: „Gemeinschaft" und „Gemeinschaftserziehung"
konnten sonst nicht groß genug geschrieben werden. Vermutlich zielte der
Propagandaminister damit in erster Linie auf den ihm herzlich unsympa¬
thischen Kollegen im Kultus-Ressort und erfolgreichen Rivalen im Wissen¬
schaftsbereich, Bernhard Rust, unter dessen Ägide in solchen Lagern als Ge¬
meinschaftserlebnis Professoren fleißig Schuhe putzten und angehende Do¬
zenten Latrinen reinigten.
M Goebbels hatte von 1917 bis 1922 in Bonn, Freiburg, Würzburg, München und
Heidelberg Germanistik, Altphilologie und Geschichte studiert.
198
—, die Überzeugung: Jetzt mußt du dir selbst dein Leben gestalten, jetzt
wirst du nicht mehr gegängelt und du kannst nicht mehr deine —, deine
Füße unter MUtters Tisch setzen, sondern du mußt jetzt selbst sehen: Wie
komme ich mit meinem Geld aus und wie richte ich mir mein Leben ein,
was mache ich abends, was mache ich nachmittags, wann stehe ich mor¬
gens auf und so weiter fort. Es gibt dabei selbstverständlich viele erste
Schwierigkeiten zu überwinden; zuerst schläft man mal ein Semester
lang bis mittags um 12 oder 1 Uhr, aber das gibt sich auf die Dauer
[Heiterkeit], Auf die Dauer findet man sich dann doch selbst zurück;
und es ist immer besser, es dauert etwas länger und der Mensch findet
sich selbst zurück, als er wird beim Ohr genommen und wird von einem
anderen zurückgeführt. So, meine ich, muß es auch in diesem großen Er¬
ziehungswerk werden. Der Journalist soll die Augen aufmachen, er soll
etwas sehen, er soll etwas lernen, er soll sich als junger Nachwuchs in
einem wichtigen und lebensnotwendigen Beruf des Staates fühlen und
empfinden.
Noch ein letztes Wort, meine Herren, über die Zukunft der Presse. Es
ist im Verlaufe der letzten Wochen lebhaft über den Begriff „Informa¬
tions- oder Instruktionspresse" debattiert worden. Wenn ich mich zwi¬
schen diesen beiden Begriffen entscheiden muß, so bin ich für die In¬
struktionspresse. Denn wenn wir nur informieren wollen, wenn wir nur
Nachrichten geben wollen, dann brauchen wir Sie alle nicht, dann geben
wir einen Staatsanzeiger heraus, der dem verehrlichen Publikum mitteilt,
was es Neues gibt. Nein — [Beifall], nein, wir wollen verantwortungs¬
bewußte Männer haben, die das Volk instruieren, die das, was es gibt, er¬
klären, kommentieren, die dem Volk das Verständnis für die Vorgänge
öffnen. Wenn eine Zeitung so geschrieben ist, dann braucht sie auch
nicht die heute so viel beredete Konkurrenz des Rundfunks zu fürchten.
Denn dann ist die Zeitung ganz etwas anders, als was der Rundfunk sein
kann und überhaupt sein will. Die Presse braucht auch nicht die Kon¬
kurrenz der Propaganda oder der Versammlung zu fürchten, sondern sie
ist dann ein eigenes Gewächs, das nach eigenen Lebens- und eigenen Stil¬
gesetzen sich entwickelt. Diese Zukunft, meine Herren, haben Sie selbst
in der Hand. Und diese Zukunft, die wird von dem von uns zu erziehen¬
den Nachwuchs geformt. Und für diese Zukunft müssen Sie alle Geduld
aufwenden, und für diese Zukunft müssen Sie am Ende auch Ihren Beruf
liebenlernen. Ich glaube, auf die Dauer wird sich bei der Zeitung nie¬
mand halten können, der nicht auch zur gleichen Zeit zeitungsbesessen
ist. Und ich kann von mir gestehen, daß ich das bin.
Und ich muß weiterhin sagen: Die meisten, die über die Zeitungen
schimpfen, sind doch die ersten, die zu den Zeitungen greifen. Und es ist
199
nur — ich möchte fast sagen: eine falsch ausgedrückte Liebe, die sich
durch Schimpfen kundtut [Gelächter, Beifall], Es ist doch so: Wenn mal
an zwei oder drei aufeinanderfolgenden Feiertagen keine Zeitung er¬
scheint, — was macht der deutsche Pfahlbürger, der sonst immer nur
über seine Zeitung geschimpft hat? Am letzten Abend sagt er: Herr¬
gott sei Dank, daß morgen wieder eine Zeitung kommt! [Heiterkeit.]
Ja, wenn er am Tage vor den Feiertagen ein besonders dickes Exemplar
der Zeitung hat, so —, so rationiert er sich diese dicke Zeitung für die
drei Tage und nimmt für den ersten Tag zwei Blätter, für den zweiten
Tag legt er sich dann zwei Blätter zurück und dann für den dritten Tag
noch zwei Blätter, so daß er jeden Tag etwas Zeitung hat. Das ist ja
ganz natürlich, die Zeitung ist etwas Modernes und ist etwas Faszinie¬
rendes. Und es ist eine wunderbare Aufgabe, die Sie damit erfüllen. Sie
müssen die Aufgabe nur richtig anfassen. Und es liegt eine geheimnis¬
volle Magie im gedruckten Wort, es ist doch nicht ein Zufall, daß man
dem gedruckten Wort mehr Glauben schenkt als dem gesprochenen. Und
es liegt etwas in der Zeitung, etwas Undefinierbares, Magisches, das nun
die Menschen anzieht und das nicht überwunden ist, sondern das, so
glaube ich fest, einer neuen Blütezeit entgegengeht. Und es liegt nur an
Ihnen, ob die Blütezeit früher oder später kommt.
Wir, meine Herren, haben uns über die Zeit, die wir heute durchleben
und die uns in der Zukunft bevorsteht, keine Illusionen gemacht, wir
waren keine Träumer. Sondern wir haben all die Schwierigkeiten, vor
denen wir stehen und die wir in Zukunft noch meistern müssen, alle gese¬
hen und alle gekannt und haben sie deshalb nur dem Volke nicht ge¬
nannt, weil wir sagten —, weil wir uns sagten: Sie werden noch früh ge¬
nug kommen; es hat keinen Zweck, heute dem Volk das Herz schwer zu
machen mit Sorgen, die es morgen erst belasten brauchen. Und somit ist
es für uns nicht schwer geworden, aus dem Rausch der Begeisterung nun
in die Sachlichkeit des Alltags hinüberzutreten.
Darüber hinaus erfüllen wir heute auch Aufgaben, von denen man gar
nicht sprechen kann. Wir dürfen nicht darüber sprechen. Aber könnten
wir darüber sprechen, so wären sie für die breite Öffentlichkeit der
Schlüssel der Lösung. Man würde dann vielleicht verstehen: Ja, da —,
aha so, darum sind die Löhne noch nicht erhöht worden! Und darum
sind die Rohstoffe so rar, ach, jetzt versteh' ich, — was bin ich dumm
gewesen, daß ich das nicht beachtet habe! Sehen Sie, meine Herren, wir
befinden uns in einer unglücklichen Situation, etwas tuen zu müssen, was
notwendig ist, und dem Volke nicht sagen zu dürfen, warum es getan
werden muß oder daß es überhaupt getan werden muß. Da muß man
dann eben in solchen kritischen Entwicklungsphasen den Mut haben, das
200
auf den Buckel zu nehmen und sagen: Na ja, schimpft mal, in Gottes
Namen; Ihr habt früher so viel über uns geschimpft, dann sollt Ihr jetzt
auch schimpfen, — in zehn Jahren, wenn wir vor die Nation hintreten
und sagen: Das haben wir unterdes getan, wird man uns verstehen. Und
dann wird das Volk sein großes „absolvo te" über uns aussprechen und wir
werden aller Schuld und Fehler freigesagt sein!
Und gerade in dieser Zeit ist es Ihre Aufgabe, meine Herren, die Sie
alle wissen, was ich meine, und die Sie auch alle diese Aufgaben kennen,
— ist es Ihre —, Ihre Pflicht, uns zu helfen. Es ist dann unfair, uns nicht
zur Seite zu stehen, denn wir haben ja schließlich die Verantwortung auf
uns genommen. Einer mußte sie ja auf sich nehmen, oder wir mußten
einfach die Dinge laufenlassen, wie sie laufen. Wir haben sie auf uns ge¬
nommen. Und haben uns gesagt: Wir scheuen das nicht, wir werden die
ganzen unpopulären Maßnahmen einfach vollziehen; das können wir
nicht mit dem Parlament machen, denn das Parlament wird uns nur ver¬
raten und verkaufen, wir müssen das auf eigene Faust machen und neh¬
men es auf unsere eigen Kappe in der Oberzeugung: Wenn's schiefge¬
gangen wäre, hätten wir dann eben auch die Folgen tragen müssen.
Und da ist es Ihre Aufgabe, uns beizustehen und sich mit uns solida¬
risch zu erklären und für uns einzutreten und unsere Aufgabe zu der
Ihren und unsere Pflicht zu der Ihren zu machen. Denn, wie ich schon
betonte: Es kommt am Ende nur auf den Enderfolg an. Wenn wir unser
großes, kühnes und verwegenes Ziel erreichen, wenn wir wirklich eine
deutsche Nation formen, eine deutsche Nation, die wieder Weltrang be¬
sitzt, und wenn wir wirklich wieder stolz sein können auf unsere reinge¬
waschene Ehre und wir können wiederum sagen: Nun sind unsere Gren¬
zen beschützt, jetzt brauchen wir nicht jede Nacht zu zittern, daß von
—, von irgendeiner Seite einer ungestraft auf unsern Boden rücken darf,
— ich sage: Wenn wir das einmal erreicht haben, meine Herren, ist das
nicht eine historische Aufgabe, die damit erfüllt ist? Und kann man da
nicht wirklich sagen: Wir haben nicht weiter geschwätzt, sondern wir
haben gehandelt und haben das getan, was notwendig ist! Und kann
man da nicht wirklich sagen: Dann wird das Volk alle Schwierigkeiten
vergessen haben, — wer wird dann noch sprechen, daß wir mal Löhne
heruntersetzen mußten und daß es sozial den Menschen nicht sehr gut
gegangen ist und daß wir Rohstoffschwierigkeiten und — äh, und Devi¬
senschwierigkeiten hatten und daß jenes nicht klappte und dieses nicht
klappte und da Organisationsschwierigkeiten und da personelle Mängel
aufgetreten sind), — davon wird dann nicht mehr die Rede sein".
S1 Hier wieder das nationalsozialistische Generalrezept für alle Schwierigkeiten
und Leiden.
201
Ich gebe Ihnen allen, meine Herren, den guten Rat, einmal das Buch
vom Obersten Hoffmann' 2 zu lesen über die strategischen Operationen im
deutschen Osten in den zwei ersten Kriegsjahren. Da sehen Sie nun das
Große Hauptquartier des Ostens aus der Froschperspektive. Und es wer¬
den Ihnen vorgeführt alle die Menschen, die Sie als große nationale
Heroen verehren gelernt haben, so, wie sie sind. Mit all ihren Fehlen»
und Mängeln, und auch die Operationen mit ihren — äh, mit ihren Un¬
terlassungen, mit ihren Krisen, mit ihren Pannen, — was da alles zusam¬
menkommt, welch ein nervöses Gehaste und welch ein Durcheinander;
und wenn Sie das Buch lesen und Sie wüßten nicht, wie der Ausgang ist,
so würden Sie sagen: Das kann ja nicht gutgehen — und es ist trotzdem
gutgegangen. Sie würden sagen: So eine Armee muß ja geschlagen wer¬
den! Nein, es kommt nicht darauf an, daß eine Führung einmal Fehler
macht, sondern es kommt darauf an, wer die meisten Fehler macht. Und
heute wird man davon nicht mehr reden; es ist interessant, historisch
nachzulesen. Geblieben aber sind die Namen Tannenberg und Brzeziny
und Gorlice — Tarnow 33 , und sie werden in der Geschichte unsterblich
sein. Wenn die menschlichen Schwächen längst vergangen und vergessen
sind, werden diese Namen noch in die kommenden Jahrhunderte hinein¬
leuchten.
Und so wird es auch für unsere Zeit sein: Das, was uns im Alltag be¬
drückt und was uns manchmal zu übermannen droht, — das wird eines
Tages untergebuttert! Bleiben aber werden die großen historischen Lei¬
stungen unserer Zeit. Vielleicht zwei, drei ganz große, kapitale Leistun¬
gen, die wir vollbracht haben und die dann unauslöschlich in das Buch
der deutschen Geschichte eingetragen werden. Das muß man sehen, um
mit dem Alltag fertigzuwerden. Und wenn man das nie aus den Augen
verliert, dann wird man tatsächlich ein Held des Alltags. Dann nimmt
man den Alltag so, wie er ist, und läßt ihn in sich selbst vergolden und
umglänzen durch den Schein eines Ideals, das in der Ferne liegt und dem
man wie einem leuchtenden Stern entgegengeht. Dann wird man auch
nie die Nerven verlieren, sondern dann wird man in kritischen Perioden
sich die Ohren zustopfen und sagen: Ich will nichts hören, ich will nichts
sehen, ich will nichts wissen, daß —, ich weiß, was ist, aber Ihr braucht
s2 Die Aufzeichnungen des Generalmajors Max Hoffmann. Hrsg, von Karl
Friedrich Nowak, 2 Bde., Berlin 1929. — H. war von 1914 bis 1916 Erster
Generalstabsoffizier beim Oberkommando der 8. Armee, 1916 bis 1918 Chef
des Generaistabs beim Oberbefehlshaber Ost gewesen.
" T.: Vertreibung der in Ostpreußen eingedrungenen Russen, 23. bis 31. August
1914; B.: Durchbruch des XXV. Reservekorps und der 3. Gardedivision durch
die russische Umklammerung, 23. bis 25. November 1915; G.—T.: Zuriick-
werfen der Russen von der Weichsel und Wisloka auf Bug und Dnjestr. 1. bis
3. Mai 1915.
2C2
mir das gar nicht zu sagen, verderbt mir meine guten Nerven nicht, ich
muß die Nerven behalten, denn ich muß arbeiten können. Das weiß ich,
daß das alles noch nicht so ist, wie es sein muß, ich weiß, daß es Schwie¬
rigkeiten gibt, und ich weiß, daß es Menschen gibt, die sehr schlecht
leben können und kaum das Notwendigste zum —, zum Essen und zum
Trinken und zum Kleiden haben, — das weiß ich alles, ich kann es aber
nicht ändern! Denn wenn wir unsere anderen Aufgaben nicht erfüllen,
dann werden wir am Ende überhaupt alle nichts mehr zu essen haben.
Und deshalb müssen wir den Aufbau organisch beginnen von unten
herauf. Und müssen uns dann auch auf eine Aufgabe konzentrieren und
müssen sie dann ganz sentimentalitätslos erfüllen, dürfen nicht wehleidig
werden und dürfen nicht die Nerven verlieren und dürfen uns nicht
durch kleinliche Mängel und Pannen, die am Tage immer überlaufen
werden —, unterlaufen werden, — dürfen uns dadurch nicht beirren las¬
sen, sondern müssen mutig, unbeirrt unseren Weg gehen — genauso, wie
es früher unsere Partei getan hat. Da hat's auch Krisen die Menge und
Katastrophen gegeben und manchmal auch Augenblicke, wo selbst die
Hartnäckigen sagten: Jetzt ist's aus, — und es war trotzdem nicht aus!
Und als wir am 30. Januar 33 an die Macht kamen, da hat niemand
mehr davon gesprochen: Ja, Sie haben aber im November des vorigen
Jahres zwei Millionen Stimmen verloren 34 und Sie haben eine Straßer-
Krise und eine Stennes-Krise durchgemacht 35 und Sie haben am 9. No¬
vember 1923 die ganze Partei zerschlagen 36 und es war ein Chaos und
ein Tu-, — davon hat niemand mehr geredet, es ist alles vergessen gewe¬
sen! Geblieben aber ist der Endsieg! Und was uns damals belastet, was
uns graue Haare gemacht hat in der Zeit unserer Opposition, — das ist
längst vergessen.
In dem Augenblick, in dem dann der große Enderfolg kommt, dann
werden sich auch alle anderen Fragen spielerisch leicht lösen lassen. Ich
34 In den Reichstagswahlen am 6. November 1932 (11,7 Millionen gegenüber
13,7 Millionen bei den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932).
35 Otto Str., prominenter Nationalsozialist und Bruder des Reichsorganisations¬
leiters und zweiten Mannes in der NSDAP Gregor Str., war im Sommer 1930
im Konflikt mit Hitler aus der Partei ausgeschieden („Die Sozialisten verlassen
die NSDAP!"), hatte eine eigene Gruppe nationalbolschewistischer Prägung
(die spätere „Schwarze Front") gegründet und sich ein Jahr darauf mit dem
nach einer mißglückten Rebellion aus der Partei ausgeschlossenen bisherigen
Osaf(= Oberster SA-Führer)-Stellvertreter Ost, Walter Ste„ zusammengetan.
— Mit der Amtsniederlegung des ebenfalls nach links ausscherenden Gregor
Str. im Dezember 1932 hatte dann die NSDAP eine zweite „Straßer-Krise"
erlebt.
" Nach dem an der Münchner Feldherrnhalle endgültig gescheiterten Putsch¬
versuch war die Partei (bis Februar 1925) verboten worden und — während
Hitler in Untersudiungs- und dann Strafhaft auf der Festung Landsberg ein-
sal! — infolge der Rivalitäten der Unterführer zerfallen.
203
weiß: Im Januar 1933, drei Wochen vor der Wahl, sind wir herumgelau¬
fen in der ganzen Weltgeschichte, um 20 000 Mark irgendwo zu pumpen,
daß wir den lippischen Wahlkampf führen konnten 87 . Heute haben wir
die Macht, Millionen einzusetzen, — wer spricht noch von diesen 20 000
Mark, die damals unser ganzes Denken und unser ganzes Sein erfüllten,
von deren Haben oder Nicht-Haben einfach unsere Existenz abhing! So
gibt's auch heute Fragen, die uns heute belasten, die wir gar nicht überse¬
hen können, wo wir glauben: Es ist aus! Nein, es ist nicht aus, — es ist
nur aus, wenn wir die Sache aufgeben! Und deshalb dürfen wir uns von
diesen Dingen nicht allzusehr beirren lassen, sondern wir müssen glau¬
ben: Es kommt einmal ein Rutsch, es kommt einmal irgendein Sprung,
den wir wagen müssen, und dann stehen wir wieder frei und dann wer¬
den wir diese Dinge aus dem Handgelenk schütteln.
Sehen Sie, meine Herren, das muß man wissen, um den Alltag unter¬
zukriegen. Das muß man sich auch immer vor Augen halten. Und dann
wird man sich am Ende auch der grauen Romantik unserer Tagesarbeit
bewußt, — einer grauen Romantik, die in einem dumpfen Gefühl in
jedem vielleicht von uns ist, wenn er morgens so an seinen Schreibtisch
geht und sich s agt: A ch, jetzt den ganzen Tag wieder Ärger und Ärger
und Sorgen und . Man muß damit fertig werden. Und wenn es das
nicht gäbe, dann brauchten wir ja gar keine Regierung zu haben. Gesetze
werden von einer Regierung nur in Ausnahmefällen erlassen. Ich habe,
soviel ich weiß, überhaupt nur drei Gesetze vor das Kabinett gebracht,
aber ich glaube, daß das historische Gesetze sind. Die übrige Zeit aber
habe ich dazu verwandt, alle Mängel, die aus den Gesetzen entstanden,
allmählich wieder abzustellen. Wäre das Gesetz so gefaßt gewesen —, es
könnte gar nicht so gefaßt sein, aber wäre es so gefaßt gewesen, daß
Mängel überhaupt nicht möglich wären, dann brauchte ich ja nicht mehr
Minister zu sein; ich hätte dann drei Gesetze gemacht und die andere
Zeit wäre ich nach Hause gegangen, und wenn ich dann wieder ein Ge¬
setz machen wollte, dann käme ich mal wieder ins Ministerium und
machte ein Gesetz [Heiterkeit]. Nein, man macht ein Gesetz — und
arbeitet dann [der Redner klopft mehrmals auf das Pult] monate- und
jahrelang, um das Gesetz durchzusetzen. Und dann macht man wieder
ein Gesetz, und wieder Monate und Jahre Arbeit, um allmählich mit die¬
sem Gesetz nun auch eine Form zu schaffen.
s7 Nach der Wahlniederlage vom 6. November 1932 (vgl. Anm. 34) hatte die
NSDAP alle Hebel in Bewegung gesetzt, um in den nächstfolgenden Wahlen
die Scharte auszuwetzen. Im kleinen Freistaat Lippe, wo am 15. Januar 1933
der Landtag neu zu wählen war, hatte daher allein Hitler in nicht weniger
als sechzehn Orten gesprochen. Neun von einundzwanzig Mandaten und ein
Stimmenzuwachs von 4,4'/o gegenüber dem 6. November lohnten die Mühen
und machten den Weg frei zu „Machtübernahme" am 30. Januar.
204
So ist es auf allen Gebieten. Auf dem Gebiet der Wirtschaft, auf dem
Gebiet der Innenpolitik, auf dem Gebiet der Außenpolitik, — überall ist
es dasselbe. Und dafür ist eine Regierung da, daß sie in Augenblicken, in
denen man die Nerven verlieren könnte, die Nerven nicht verliert. Wer¬
den wir so bleiben, dann könnte man mit mathematischer Genauigkeit
den Tag ausrechnen, an dem wir wieder eine Weltnation sind. Man
könnte mit mathematischer Genauigkeit feststellen, wann Deutschland
sich wieder in den Kreis der anderen Völker zurückstellen kann. Und
sind Sie. meine Damen und Herren, nicht auch der Überzeugung, daß
das eine Aufgabe ist, die des Schweißes der Besten wert erscheint? Sind
Sie nicht auch der Aufgabe, daß man für —, der, der Auffassung, daß
man für diese Aufgabe wirklich Sorge und Mühe und Tageslast auf sich
nehmen kann, immer im Hinblick auf das große, gemeinsame Ziel?
Und deshalb glaube ich, daß ich vor Ihnen nicht besser schließen
kann, als wenn ich auch an Sie noch einmal den Appell richte, aus
treuem Herzen unserem Vaterlande zu dienen, denn es hat ja keine ande¬
ren Freunde als uns. Wir haben in der Welt keine Freunde und wir wer¬
den in der Welt erst wieder Freunde besitzen, wenn wir eine Macht dar¬
stellen. Wir können uns deshalb auch auf die Welt nicht verlassen,wir
können uns nur auf uns selbst verlassen. Und deshalb müssen wir tapfer
und mutig sein und dürfen niemals müde werden! [Starker Beifall.]
DRA Nr. C 1244 (92' 35"). Ungefähr nach dem zweiten Drittel fehlt eine
Platte (mehrere?). Da Goebbels hier oft sehr schnell spricht, sind an einigen
wenigen Stellen ein oder zwei Wörter nicht zu verstehen (hier durch . . . ange¬
merkt). — In der Presse (VB vom 19. November 1934) wurden nur kurze Aus¬
züge gebracht.
205
Nr. 24
6. 4. 35 — Danzig, Heumarkt — Kundgebung vor der Wahl des Dan-
ziger Volkstages 1
Deutsche Männer und Frauen des Danziger Landes!
Voll tiefer innerer Bewegung stehe ich am heutigen Abend vor Ihnen.
Ich bin über eine Grenze gefahren, und trotzdem bin ich auf deutschem
Boden. Denn es ist eine deutsche Stadt, in der sich hunderttausend deut¬
sche Menschen zu dieser Stunde versammelten. Deutsch ist die Sprache,
die sie sprechen, — deutsch ist der Grund und Boden, auf dem sie stehen,
— deutsch sind die Türme und die Häuserfassaden, die auf uns hernie¬
dersehen. — deutsch ist die tausendjährige Geschichte, die Ihr und Eure
Vorfahren einmal erlebten. Dieser deutschen Stadt bringe ich den Gruß
des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes! [Heilrufe.] Denn ich
stehe vor Euch nicht als Vertreter einer parlamentarischen Partei, ich
vertrete nicht eine Gruppe des Volkes, — ich spreche zu Euch als der
Repräsentant der ganzen Nation. Denn die Zeiten, da Deutschland
durch die Parteien zerrissen war und deshalb in Kraftlosigkeit und Ohn¬
macht versank, — die Zeiten sind endgültig dahin! Aus dem Wirrwarr
der Parteien hat sich wieder strahlend und stark das ewige Deutsche
Reich erhoben, dieses ewige Deutsche Reich, das auch Euer Mutterland
ist und zu dem zu bekennen heute keine Schande mehr sein kann, denn
die Jahre, da wir in Schmach und Demütigung versanken, liegen hinter
uns, und vor uns liegen die Jahre, da das Reich sich wieder zu neuer
Macht und zu neuem Ansehen erheben wird! [Heilrufe, Beifall.]
1 In der (seit 1920 bzw. 1922 unter Völkerbundprotektorat stehenden und zum
polnischen Wirtschafts- und Zollgebiet gehörenden) Freien Stadt Danzig war
am 7. April der Volkstag neu zu wählen, — eine der wenigen Wahlen, in
denen die NSDAP noch auf Gegner traf. Nach Rust, Göring, Hell u. a. war
Goebbels, nach einer Fahrt durch das Gebiet der Freien Stadt, der Redner der
Abschlußkundgebung.
206
Glaube niemand, daß es ein Zufall war, daß dem so ist. Es waren
Menschen, die uns ins Unglück stürzten, und es waren auch wieder Men¬
schen, die uns aus dem Unglück herausbrachten [Heilrufe, Beifall], Es ist
auch nicht an dem, als hätten wir uns in jener Stunde, da wir auf den
politischen Boden traten, vorgedrängt. Wir haben die Dinge an uns ge¬
nommen, als in Deutschland kein anderer mehr da war, der sich des eige¬
nen Landes und des eigenen Volkes erbarmte! Wir hatten vergebens ge¬
wartet, daß diejenigen, die da behaupteten, daß sie von der Gnadensonne
Gottes beschienen waren, nun auch die Geschicke des Landes zu meistern
versuchten. Wir waren nicht in der Gönnerschaft des Geldes oder in der
Fürstengunst groß geworden, — was wir sind, sind wir aus eigener
Kraft, und wenn man uns heute entgegenhält, daß wir Glück gehabt
hätten, so können wir auch nur zur Antwort geben: Glück hat auf die
Dauer nur der Tüchtige"! [Heilrufe, Beifall.] Und wenn wir Glück hat¬
ten, so wahrscheinlich deshalb, weil wir Glück verdienten [Beifall],
Eigentlich hätten ja die Parteien mehr Glück haben müssen, die so tuen,
als ständen sie mit dem lieben Gott auf du und du [Gelächter, Beifall],
Sie haben ja manchmal den Eindruck zu erwecken versucht, als sei er ihr
Fraktionskollege [Gelächter], Auf den lieben Gott sich berufen, das ist
das einfachste, denn das kann man bekanntlich nicht mehr kontrollieren
[Heiterkeit], Jedenfalls: Wenn ich der liebe Gott wäre, ich würde mir
was andres —, auf Erden andere Vertreter aussuchen als die, die sich auf
ihn zu berufen pflegen [Beifall], Und im übrigen: Glück haben gehört
auch zur Politik! Ein Volk kann sich nichts dafür kaufen, wenn eine
Regierung dauernd Unglück hat. Wenn wir Glück hatten, so zum Gunsten
des deutschen Volkes. Und wir haben — [Beifall], und wir haben das
Glück auszunutzen versucht, denn wir haben nicht auf der faulen Bären¬
haut gelegen. Wir haben nicht zum Himmel gebetet: Hilf uns!, — wir
haben uns selbst geholfen, und der Himmel hat uns dazu seinen Segen
gegeben! [Heilrufe, Beifall.]
Allerdings, 50 fromm, wie das Zentrum tut, als ob es wäre, sind wir
nicht gewesen [Heiterkeit], Wir haben auch das Christentum nicht mit
den Lippen, sondern mit den Taten bekannt! Während die anderen sich
in dogmatischen Haarspaltereien ergingen, haben wir Christentum im
täglichen Leben verwirklicht! [Heilrufe, Beifall.] Wenn wir den Hun¬
gernden Brot und den Frierenden Wärme gaben, so waren wir Christen
im besten Sinne des Wortes [Heilrufe, Beifall], Und wir verbitten es uns,
daß diejenigen uns als schlechtere Christen anreden, die sonst Christus
nur im Munde führen! [Beifall.]
* Zitat aus der Abhandlung „Ober Strategie" (1871) des preußischen General¬
stabschefs Helmuth Graf v. Moltke (Glück hat auf die Dauer doch zumeist nur
der Tüchtige).
207
Nein, wir haben gearbeitet. Und aus der Arbeit ist Ernte aufgegangen,
und Ernte haben wir für das ganze Volk in unseren Scheuern geborgen.
Es ist kein Zufall, daß sich heute in der ganzen Welt alle deutschdenken¬
den Menschen wieder zum Vaterlande bekennen [Heilrufe, Beifall], In
den vergangenen Jahren mußte man sich manchmal schämen, Deutscher
zu sein, heute aber ist das wieder eine Ehre! [Heilrufe.] Denn hinter den
Deutschen jenseits unserer Reichsgrenzen steht nicht mehr eine ohnmäch¬
tige Republik, sondern steht das nationalsozialistische Deutschland der
Kraft und der Macht und der Stärke! [Heilrufe, Beifall.] Und auf dem
Boden dieses Deutschlands treiben nicht mehr zum Spott der Welt die
parlamentarischen Interessenhaufen ihr Unwesen, in diesem Deutschland
regiert Hitler! [Beifall, Heilrufe.] Und über diesem Deutschland liegt
nicht mehr der Aasgestank marxistischer Korruption, sondern über die¬
sem Deutschland weht wieder die reine Luft der Ehrlichkeit und der
Wahrhaftigkeit und der Anständigkeit! [Heilrufe, Beifall.]
Das haben wir aus Deutschland gemacht! Niemand hat uns die Kraft
geschenkt, wir haben die Kraft im eigenen Volke wiederaufgebaut. Mit
niemandem haben wir die Verantwortung geteilt, sondern wir haben die
Verantwortung insgesamt auf unsere Schultern genommen [Beifall].
Wenn aber ein paar Männer alleine die Verantwortung besitzen, dann
müssen sie auch die ganze Macht haben, denn sie können keine kühnen
Entschlüsse fassen, wenn sie nicht im Besitz aller Machtmittel des Staates
sind [Beifall]. Deshalb wachten wir eifersüchtig darüber, daß uns die
Macht allein Vorbehalten blieb, und ließen uns niemals dazu herbei, sie
mit anderen Parteien zu teilen. Es gehören aber nicht nur Köpfe dazu,
die Macht zu benutzen, sondern es gehören auch Köpfe dazu, die Macht
zu erhalten! [Beifall.]
Haben die anderen denn etwa die Macht verloren, weil sie zu schlau
waren, sie festzuhalten? [Heiterkeit.] Und sind wir etwa groß geworden,
weil wir zu dumm waren, klein zu bleiben? [Heiterkeit.] Nicht jeder ist
ein Kopf, der sich für einen Kopf hält [Heiterkeit], und ein Kopf ist
nicht deshalb ein Kopf, weil man einen großen Geniehut daraufsetzt
[Heiterkeit]. Unter manchem Geniehut verbirgt sich ein Strohschädel!
[Heiterkeit.] Und es macht mir manchmal den Anschein, daß diejenigen,
die uns Mangel an Köpfen vorwerfen, sich das Experiment insofern sehr
einfach stellen —, vorstellen, indem sie sagen: Ihr bringt die Macht, und
wir bringen die Köpfe! [Heiterkeit.] So einfach liegen die Dinge denn
doch nicht! Sondern ich bin der Meinung: Wer Verstand genug hat, eine
Bewegung zur Macht zu führen, der hat auch Verstand genug, einen
Staat zu regieren [Heilrufe, Beifall], Und wer nicht Verstand genug hat,
die Macht festzuhalten, der hat auch nicht Verstand genug, sie wieder
zurückzugewinnen.
208
Im übrigen: Welch eine Beleidigung ist das für Euch! Diese so hoch¬
weisen Herren sagen: Zwar läuft das Volk den Nationalsozialisten nach,
das kann ja schließlich nicht mehr angezweifelt werden. Aber, so denun¬
zieren sie, das Volk ist bekanntlich dumm, und deshalb läuft es nur
Dummköpfen nach. Es gibt ein altes Sprichwort, das sagt: Ein Volk ist
immer klüger als die, die sich über das Volk erhaben dünken [Beifall],
Und so ist es wahrscheinlich auch hier. So war es im Reich, so ist es im
Saargebiet gekommen, und so wird es vermutlich morgen auch in Danzig
kommen [andauernde Heilrufe, Beifall],
Ich kann verstehen — [die Heilrufe dauern an], ich kann verstehen —
[die Heilrufe schwellen noch weiter an], ich kann verstehen, daß Ihr die
Regierungsvertreter des deutschen Volkes früher nicht so offenen Her¬
zens begrüßt habt, wie das heute abend der Fall ist [Beifall]. Denn die
ehemals zu Euch kamen, das waren ja nur Parteiknirpse [Gelächter], Sie
vertraten ja nicht das Reich, sondern sie vertraten höchstens die Deut¬
sche Wirtschaftspartei 3 . Sie waren in Paris beliebt, und deshalb waren
sie naturgemäß in Danzig unbeliebt [Heilrufe]. Wir sind in Danzig be¬
liebt, deshalb können wir naturgemäß in Paris nicht beliebt sein [Heiter¬
keit. Beifall]. Die andern waren in Paris beliebt, weil sie ein Reich der
Schwäche vertraten, — uns haßt man in Paris, weil wir die Repräsen¬
tanten einer wiedererstandenen deutschen Macht sind! [Heilrufe, Bei¬
fall.] Denn wir haben Volk und Reich wiederaufgerichtet, und die Zeiten
sind vorbei, da wir an den Konferenztischen der Großen saßen, um die
Brosamen aufzulesen! [Beifall.] Wir haben so viel Stolz, entweder zu
fordern, daß wir an den Tischen der Großen gleichberechtigt sitzen, oder
die Tische der Großen zu verlassen und sie unter sich allein zurückzulas¬
sen 4 ! [Heilrufe, Beifall.]
Man hält uns manchmal entgegen: Ihr treibt Katastrophenpolitik, Ihr
riskiert zuviel! Wenn man nichts einsetzt, kann man auch bekanntlich
nichts gewinnen. Die Kiebitze pflegen ohne Einsicht gewinnen zu wollen
[Heiterkeit]. Wer um den Preis würfelt, der muß einen Einsatz wagen!
Und deshalb haben wir das Wort Nietzsches wahrgemacht: Habe den
Mut, gefährlich zu leben 3 ! [Beifall, Heilrufe.]
* Der Deutschen Wirtscbaftspartei der Weimarer Republik, Vertreterin der
.Interessen des selbständigen Mittelstandes", galt Goebbels' besondere Ver¬
achtung, sie machte er mit Vorliebe lächerlich. Die W. erlangte 1928 immerhin
23 Reichstagsmandate und stellte 1930/31 den Reichsjustizminister im ersten
Kabinett Brüning.
4 Bezieht sich auf den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund am 14. Ok¬
tober 1933.
5 Genau: Denn, glaubt es mir! — das Geheimnis, um die größte Fruchtbarkeit
und den größten Genuß vom Dasein einzuernten, heißt: gefährlich leben! (Die
fröhliche Wissenschaft, Nr. 283.)
209
Es kann nun niemand bezweifeln, daß diese kühne Politik schon sicht¬
bare Erfolge aufzuweisen hat. Denn als wir die Macht übernahmen, war
das Reich ein Chaos. Heute, nach zweijähriger Regierungstätigkeit, ist
das Reich wieder ein Staat der Zucht, der Ordnung und der Disziplin
[Heilrufe, Beifall]. Als wir die Macht übernahmen, saßen im Deutschen
Reichstag noch siebzehn Parteien, — wir haben sie weggefegt und haben
eine Bewegung zur alleinigen Macht geführt! [Heilrufe, Beifall.] Will
nun etwa jemand behaupten, daß wir damit dem Volke Schaden zuge¬
fügt haben? Glaubt Ihr, in Deutschland gäbe es noch einen Menschen,
der etwa der Wirtschaftspartei blutige Tränen nachweinte? Nein, wir
haben die Parteien beseitigt, weil wir große Projekte durchführen woll¬
ten und weil wir wußten: Wir können sie nicht durchführen, wenn uns
diese Parteien dauernd zwischen den Füßen herumlaufen! [Heiterkeit.]
Wie hätten wir beispielsweise eine Armee aufbauen wollen, solange im
Reichstag noch 130 sozialdemokratische Landesverräter saßen? Wie hät¬
ten wir beispielsweise Reichsautobahnen bauen können, solange im
Reichstag noch Dutzend von Parteien saßen, die an diesen Reichsauto¬
bahnen nur verdienen wollten? Hätten wir ein solches Projekt dem
Reichstag vorgelegt, — die Sozialdemokraten hätten vermutlich gesagt:
Wir bauen keine Autobahnen, denn die Arbeiter haben ja doch keine
Autos [Beifall]. Die Deutsche Volkspartei hätte gesagt: Wir sind mit
dem Projekt einverstanden, wenn die Mitglieder der Deutschen Volks¬
partei ein bestimmtes Aktienpaket für Zementfabriken bekommen [Hei¬
terkeit], Die Wirtschaftspartei hätte vermutlich gesagt: Wir sind einver¬
standen, wenn man unserrn Parteivorsitzenden, dem Bäckermeister Dre¬
witz', die Erlaubnis gibt, an den Autobahnen Bäckerläden aufzuschla¬
gen [Heiterkeit]. Wollen Sie mit diesen Parteien We/igeschichte machen?
Diese Parteien machen keine Geschichte, sie machen Geschichten! [Bei¬
fall.]
Darum haben wir sie durch eine starke, zentrale Führung ersetzt. Ehe
wir die Reichseinheit vollzogen, drohte ein bayerischer Ministerpräsident
mit Namen Held 7 , daß er einen etwa von der Regierung gesandten
Reichskommissar beim überschreiten der bayerischen Grenze verhaften
* Hermann D., selbständiger Bäckermeister in Berlin-Mahlsdorf, war Vorsitzen¬
der (und Fraktionsvorsitzender im Reichstag wie im Preußischen Landtag)
der Wirtschaftspartei gewesen.
7 Heinrich H., Poltiker der Bayerischen Volkspartei (BVP) und entschiedener
Föderalist, war von Juli 1924 bis zum 9./15. März 1933 (seit August 1930
geschäftsführend) Bayerischer Ministerpräsident sowie zeitweise auch Aulien-
und Handelsminister gewesen. Die im folgenden angeführte „Drohung"
stammt jedoch nicht von Held, sondern der BVP-Vorsitzende, Staatsrat Fritz
Schäffer, hatte sie in einer Unterredung mit Papen geäußert und dann in
Wahlversammlungen in Wolfratshausen und Bad Aibling am 19. Februar 1933
wiederholt.
210
lassen würde [Pfui-Rufe]. Wir haben diesem Held gezeigt, daß er in
Wirklichkeit gar kein Held war! [Heiterkeit.] Man muß nur Mut haben,
dann setzt man sich schon durch. Fünfzehn Jahre lang haben die anderen
Parteien am Arbeitslosenproblem herumexperimentiert. Wir haben dieses
Problem angefaßt, und in zwei Jahren haben wir es zu zwei Dritteln
bereits gelöst! [Heilrufe, Beifall.]
Die sich so christlich dünkenden Parteien haben uns Heidentum vorge¬
worfen; und während sie uns das vorwarfen, haben wir im Winterhilfs¬
werk eine der größten aller christlichen Taten der Weltgeschichte vollzo¬
gen! [Heilrufe, Beifall.] Die parlamentarischen Parteien waren zu
schwach, das Reich zu einigen. Jedesmal, wenn eine deutsche Regierung
in Genf oder in Paris oder in Spa oder in Cannes verhandelte, fiel ihr
entweder eine Partei oder fiel ihr ein deutsches Land in den Rücken 8 !
Heute ist das vorbei, das Ausland kann sich auf keinen Bundesgenossen
im Reiche selbst mehr berufen! [Heilrufe, Beifall.] Denn heute spricht im
Namen des Reiches ein Mann! Und in seiner Stimme klingen die Stim¬
men von 66 Millionen Deutschen wider! [Beifall, Heilrufe.]
Damit aber nicht genug. Wir haben nicht nur die gefahrlosen, wir
haben auch die gefährlichen Probleme angefaßt. Wir haben nicht aus
Angst vor dem Weltjudentum den Griff ins jüdische Wespennest in
Deutschland unterlassen, — wir haben die Juden aus dem öffentlichen
Leben herausgefegt 8 ! [Heilrufe, Beifall.] Sie können nicht mehr auf den
Bühnen oder im Film oder in den Zeitungen im Namen des deutschen
Volkes reden [Heilrufe], sie haben kein Recht mehr, die deutsche Nation
zu repräsentieren.
Erst nach dieser inneren Reinigung hatten wir die Möglichkeit,
Außenpolitik im großen zu betreiben. Wir gingen von Genf weg, wir
haben seitdem zielbewußt und ohne Furcht die deutsche Armee in an-
8 Genf war der Sitz des Völkerbundes; in Paris hatte im ersten Halbjahr 1929
die Saehverständigenkonferenz über den Young-Plan (vgl. Nr. 2, Anm. 8)
getagt. Im belgisAen Badeort Spa hatten die Alliierten im Juli 1920 mit
deutschen Vertretern über Fragen der Entwaffnung Deutschlands verhandelt,
im französischen Rivierabad Cannes im Januar 1922 über die Reparationen.
Niemand war den deutschen Regierungsdelegationen bei ihrer gewöhnlich
äußerst schwierigen Aufgabe mehr „in den Rücken gefallen" als die Völ¬
kischen und die NSDAP.
* Zu diesem Zeitpunkt bedeutete das noch (abgesehen von Goebbels' eigenem
Bereich): aus dem öffentlichen Dienst (Verwaltung, Justiz, Schulen und
Hochschulen usw.), wo durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs¬
beamtentums vom 7. April 1933 alle Bediensteten mit einem oder mehreren
jüdischen Großelternteilen entfernt worden waren, sofern sie nicht (diese
Einschränkungen aufgehoben durch das Reichsbürgergesetz vom 15. No¬
vember 1935) bereits 1914 Beamte gewesen oder Kriegsteilnehmer mit Kampf¬
einsatz oder aber Väter oder Söhne von Gefallenen waren. Später, vor allem
nach der „Kristallnacht" vom 9./10. November 1938, wurde dann Goebbels'
Bemerkung buchstäblich wahrgemacht.
211
derthalbjähriger Arbeit wiederauf gebaut' 0 '. [Beifall, andauernde Heil¬
rufe.] Wir haben uns unser souveränes Lebensrecht nicht von anderen
Nationen schenken lassen, sondern wir haben es uns auf Grund eines
Naturgesetzes selbst genommen! [Heilrufe, Beifall.] Ist es da verwunder¬
lich, daß nun die ganze deutsche Nation wieder von innerem Glauben
erfüllt ist? Ist es verwunderlich, daß das ganze Volk wieder zu hoffen
und zu vertrauen beginnt? Ist es verwunderlich, daß heute wieder ein
Lachen in deutschen Augen liegt, daß die Menschen wieder mit Mut und
Kraft an ihre Tagesarbeit herangehen? Früher sagten sie: Warum sollen
wir etwas unternehmen, es ist doch alles zwecklos. Heute sagen sie: Man
muß arbeiten, damit Deutschland wieder auferstehe! [Heilrufe, Beifall.]
Einem solchen Volk kann man selbstverständlich auf die Dauer auch
seine internationalen Lebensrechte nicht vorenthalten. Als wir 1933 an
die Macht kamen, steckten wir noch in der Zwangsjacke des Versailler
Vertrages. Diesen Vertrag haben wir zerbrochen! [Andauernde Heil¬
rufe.] Wir haben die eiserne Umklammerung, in die man unt hineinge¬
zwungen hatte, durchstoßen! [Beifall.] Wir haben nicht auf falsche
Humanitätsphrasen gehört, sondern wir haben uns zu dem Standpunkt
bekannt: Wer Macht besitzt, bekommt dann auch sein Recht! [Beifall.]
Wir bauten ein Heer auf, nicht um Krieg zu führen, sondern um den
Frieden zu beschützen 11 [Heilrufe, Beifall], Denn wir wußten: Solange
Deutschland ganz allein entwaffnet zwischen hochgerüsteten Staaten
liegt, solange bietet es für alle anderen, aufgerüsteten Staaten eine billige
Einladung, es mit Krieg zu überziehen. Nicht das bewaffnete Deutsch¬
land beunruhigt Europa, — das unbewaffnete Deutschland hat Europa
beunruhigt!
Jeder Staat an unseren Grenzen konnte seine innerpolitischen Schwie¬
rigkeiten an uns auslassen. Wir waren das Freiwild Europas, auf unserm
blutigen Rücken wurden alle internationalen Streitigkeiten ausgetragen.
Verständlich, daß die Welt es als beunruhigend empfindet, daß das heute
nicht mehr möglich ist. Wir sind aber nicht gekommen, um die Welt,
sondern wir sind gekommen, um das deutsche Volk zu beruhigen [Heil¬
rufe, Beifall], Und wir glauben: In der Beruhigung des deutschen Volkes
liegt der Anfang einer kommenden Beruhigung der Welt! [Beifall.]
Wie stark und opferbereit die deutsche Friedenspolitik ist, das zeigt
14 Die bisherige Geheimhaltung der Wiederaufrüstung war im Vormonat mit der
Enttarnung der Luftwaffe, der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht
und der Erhöhung der Stärke des Heeres auf 36 Divisionen aufgegeben
worden.
11 Dieser Frieden allerdings, das war spätestens seit dem Erscheinen von Hitlers
„Mein Kampf" bekannt, hatte eine Pax Germana zu sein, nach Unterwerfung
der dafür vorgesehenen Völker.
212
unsere Verständigung mit Polen". Wir sind bereit, für den Frieden
Opfer zu bringen. Wir sind bereit, uns mit anderen Völkern zu verstän¬
digen. Wir sind bereit, im Interesse dieser Verständigung auch Zuge¬
ständnisse zu machen [Bravo-Rufe]. Wir wären ebenso bereit, mit
Frankreich zum Frieden zu kommen; wir bedrohen Frankreich nicht, wir
lassen uns aber auch nicht bedrohen! [Heilrufe, Beifall.] Oft genug hat
der Führer der Welt seine offene Friedenshand entgegengehalten. Diese
Hand bleibt ausgestreckt, und es liegt an der Welt, darin einzuschlagen.
Wir sind bereit zum Frieden, aber wir dulden es nicht, daß man ein 66-
Millionen-Volk als minderwertig behandelt! [Beifall.] Denn wir haben
keine Minderwertigkeitskomplexe. Wir sind der Meinung: Wenn ein ein¬
ziges Volk vier Jahre lang gegen die ganze Welt standhält, dann hat es
keinen Grund, sich als minderwertig zu fühlen oder als minderwertig be¬
handeln zu lassen! [Beifall. Heilrufe.] Denn daß wir den Krieg verloren
haben, das ist keine Schande, andere Völker haben auch Kriege verloren.
Wir hätten ihn nicht verloren, wenn wir im eigenen Lande nicht die Ver¬
räter sitzengehabt hätten [Beifall]. Wir haben ihn aber verloren, aber
deshalb darf die Welt nicht in alle Ewigkeit in Sieger und Besiegte zer¬
rissen werden! Und einmal mußte in Deutschland eine Regierung kom¬
men, die diesem unwürdigen Zustand ein Ende machte, — und das haben
wir getan! [Beifall, Heilrufe.]
Man wirft Deutsch-, man wirft Deutschland vor, daß es zum Kriege
hetze. Hat je ein deutscher verantwortlicher Staatsmann von Krieg ge¬
sprochen? Wer redet denn von den sechs Millionen Stahlbajonetten, die
bereitstehen? [Zuruf: „Frankreich!"] Wer redet denn von den Riesenar¬
meen, die sich in Bewegung setzen sollen? Wer befestigt denn seine Gren¬
zen? [Zuruf: „Frankreich!"] Wer erfüllt die Welt mit einem hysterischen
Kriegsgeschrei: die andern oder wir? [Rufe: „Die andern!"] Nein, vom
Krieg überhaupt zu reden ist heute schon ein Verbrechen. Wir sind nicht
so dumm zu glauben, daß die Schäden des vergangenen Krieges, die wir
in fünfzehnjähriger Friedensarbeit nicht beseitigen könnten, nur durch
einen neuen Krieg beseitigt werden könnten. Nein, wir haben die Ab¬
sicht, Europa wirklich zu befrieden. Und deshalb muß an allen Zen¬
tren", in denen [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] Möglich¬
keiten zu Streitigkeiten liegen, klare Verhältnisse geschaffen werden.
" Durch den am 26. Januar 1934 abgeschlossenen Nichtangriffspakt mit Polen,
einen geschickten Schachzug, der der bisherigen Politik der Partei zu wider¬
sprechen schien und in Deutschland wenig Begeisterung auslöste. Hitler hat
ihn dann 1939 ohne Bedenken gebrochen, als Polen sich der ihm zugedachten
Rolle, Glacis gegen die Sowjetunion zu sein, verweigerte.
" Goebbels sagte .Zentern"; dies jedoch sicherlich ein Versprechen bzw. eine
seiner sprachlichen Eigentümlichkeiten, denn das heutige Modewort Center
dürfte ihm kaum geläufig gewesen sein.
213
Wenn [unter ständigem Klopfen] in dieser Stadt neunzig Prozent
Menschen anderer als deutscher Nationalität lebten, dann würde ich
nicht hier reden, sondern diese Stadt der Nation überlassen, die hier ihre
Bevölkerung stellt! [Heilrufe, Beifall.] Wenn in dieser Stadt aber neun¬
zig Prozent und mehr deutschfühlende Bevölkerung lebt, dann wünsche
ich, daß diese deutschfühlenden Menschen auch alle sich zu Deutschland
bekennen und nicht Scharlatanen nachlaufen! [Beifall, Heilrufe.] Denn
diese Scharlatane sind die wirklichen Unfriedenstifter in Europa. Nur
aus egoistischstem Interesse versuchen sie, die Dinge in eine falsche Bahn
hineinzulenken; das kann doch kein Mensch bezweifeln, daß diese Stadt
deutsch ist! Das kann doch kein Mensch bezweifeln, daß Deutschsein
und Nationalsozialistisch-Sein heute ein und dasselbe ist! [Beifall, Heil¬
rufe.] Und das kann doch auch kein Mensch bezweifeln, daß, wenn diese
Stadt sich zum Deutschtum bekennen will, sie sich damit auch zum
Nationalsozialismus bekennen muß! [Beifall.] Das hat gar nichts zu tuen
mit der Absicht einer gewaltsamen Änderung der Grenzen, — das wollen
wir nicht und das können wir nicht. Wir haben nicht die Absicht dazu,
aber wir haben die Absicht, vor aller Welt zu zeigen, wie diese Stadt
fühlt, wie sie denkt und wie sie empfindet! [Beifall. Heilrufe.]
Das aber kann nur geschehen mit der grandiosen Demonstration einer
großen Weltanschauungsbewegung. Wer kennt denn in der Welt Herrn
Weise oder Herrn Ziehm 14 ? [Heiterkeit.] Wer wagt es denn, diese ob¬
skuren Namen dem Namen eines Adolf Hitler entgegenzustellen? Für
Herrn Ziehm hätte es sich geziemt, in der Versenkung zu verschwinden
[Heiterkeit, Beifall]. Und der Herr Weise war nicht weise, als er sich auf
seine Weise noch einmal in die Politik hineinmischte [Beifall]. Und Herr
Penner 15 soll pennen gehen [Heiterkeit], aber uns nicht belästigen.
Adolf Hitlers Name ist heute eine weltgeschichtliche Figur; die ihm hier
— [anhaltende Heilrufe], die ihm — [Zwischenruf], die ihm hier entge¬
genzutreten wagen, das sind Unterweltfiguren [Heiterkeit], politische
Karikaturen [Beifall], Grenzmenschen, nicht ernst zu nehmen. Köpfe
ohne Verstand [Heiterkeit, Zuruf], Das Volk selbst charakterisiert sie
besser, als ich das kann [Heiterkeit], Es ist zuviel der Ehre, sich mit ihnen
überhaupt zu beschäftigen [Beifall]. Wir können getrosten Mutes sagen:
Was kümmert den Mond, wenn ihn der Hund anbellt! [Heiterkeit, Bei¬
fall.] Daß wir ihre Namen erwähnen, das geschieht nur aus der Sorge
heraus, daß einige Dumme ihnen trotzdem nachlaufen und [der Redner
14 Zwei Deutschnationale: Dr. Ernst Z. war 1930—1933 Vorsitzender der Dan-
ziger DNVP und 1931—1933 Senatspräsident der Freien Stadt gewesen; W.
war jetzt Spitzenkandidat der — nicht mehr unter dem alten Parteinamen
aufgesteilten — „Liste Weise".
16 Nicht ermittelt.
214
klopft wiederholt auf das Pult] diese Karikaturen damit das Recht
haben, sich im Namen des Danziger Volkes gegen den deutschen Gedan¬
ken in dieser Stadt an den Völkerbund zu wenden! [Pfui-Rufe.] Und das
wollen wir ihnen austreiben, morgen am Tage [Beifall]. Sie mögen zum
Völkerbund laufen, aber höchstens mit Privatpraxis [Heiterkeit], Die
Öffentlichkeit sollen sie nicht mehr im Munde führen dürfen.
Und deshalb wird hier gewählt. Und deshalb wird hier deutsch ge¬
wählt [Heilrufe, Beifall]. Und deshalb werden wir ihnen morgen die
letzte zahlenmäßige Bedeutung nehmen! [Die Heilrufe dauern an.] Und
deshalb werden wir morgen nicht nur ein Urteil abgeben über die Arbeit
der Danziger Regierung, sondern wir werden auch ein Urteil abgeben
unter —, über die deutsche Gesinnung dieser Stadt [Beifall, lang an¬
dauernde Heilrufe], Die Welt glaubt das nicht, — das ist ihre Sache
[Zwischenruf, Gelächter], Sie hat's auch vor der Saarabstimmung nicht
geglaubt. Und als sie dann das Ergebnis zur Kenntnis nahm, bekam sie
einen Nervenschock [Gelächter], Das ist ein ganz angenehmer Anblick,
und den Anblick dürft Ihr uns morgen nicht vorenthalten [Heiterkeit,
Beifall], Die Welt soll sehen, daß diese Stadt nicht nur deutsch war , son¬
dern deutsch geblieben ist! [Beifall, andauernde Heilrufe.]
Was indes —, was indes die uns feindlichen Parteien hier Voraussagen,
das hat keine Ewigkeitsgültigkeit, das wird sich morgen schon selbst
widerlegen [Heiterkeit]; die Prophezeiungen dieser Parteien, die kennen
wir nun zur Genüge. In Deutschland haben sie immer gesagt: Ach, die
Nationalsozialisten, das ist eine antisemitische Radaupartei, die ist gar
nicht ernst zu nehmen [Heiterkeit], — das sind Gassenapostel [Heiter¬
keit], — das sind Erscheinungen der Wirtschaftskrise, das ist eine Kurve,
die ist einmal heraufgegangen, die wird jetzt aber auch wieder herunter¬
fallen. Na, auf das Herunterfallen dieser Kurve haben sie lange warten
müssen [Heiterkeit], Unterdes ist ihre Kurve unter den Gefrierpunkt ge¬
sunken [Heiterkeit], Und eines Tages mußten sie unter Mitnahme ihrer
Habseligkeiten über die Grenze retirieren [Heiterkeit], Dann haben sie
ihr Prophezeiungsgeschäft im Saargebiet aufgemacht. Da haben sie ge¬
nau dasselbe wieder prophezeit und wurden von der Entwicklung dann
genauso widerlegt. Wenn einer das Geschäft des Prophezeiens betreibt
und er hat sich bereits zweimal geirrt, dann kann man mit einigem Recht
annehmen, daß er sich auch das dritte Mal irren wird [Gelächter, Beifall],
Sie sind trotzdem gute Propheten, man muß sie nur richtig verstehen
[Heiterkeit], Wenn man immer das Gegenteil von dem annimmt, was sie
Voraussagen, dann kann man absolut richtiggehen [Heiterkeit], Wenn
dann aber ihre Lage verzweiflungsvoll geworden ist, dann stellen sie sich
nicht etwa vor ihre Mannschaft und sagen: Der Weg zu unserer Mann¬
schaft führt nur über unsere Leichen! Nein, sie gehen dann ins Ausland
215
und sind dort höchstens als Bierleichen wiederzufinden [Gelächter], Also
soll das Experiment morgen noch einmal wiederholt werden, — für die
Dummen. Damit auch die letzten es merken. Da sollen also auch hier
zum drittenmal die Schmierenkomödianten des Parlamentarismus an die
Wand gequetscht werden [Heiterkeit, Zurufe],
Was haltet Ihr beispielsweise von der Kommunistischen Partei? [Ge¬
lächter, Zurufe.] In Deutschland kennen wir sie nur noch vom Hörensa¬
gen. Wenn wir beispielsweise in den Zeitungen lesen, daß der kommuni¬
stische Oberkommissar Litwinow 1 * in Rußland die englische National¬
hymne spielen läßt [Gelächter] und die glaubenstreuen Bolschewiken
sich dann von den Plätzen erheben [Gelächter] und dann unisono statt
der Internationale singen: „Gott segne den König" [Gelächter]. Den
König — das ginge ja noch an, aber daß sie obendrein auch Gott anru-
fen, das ist für die bolschewistische Glaubenstreue doch etwas zuviel
[Heiterkeit], Wie konnten sie ehedem so herrlich gegen den Völkerbund
zu Felde ziehen! Jetzt sind sie selbst hineingekrochen 17 [Gelächter],
winselnd und klein wanzten sie sich bei den kapitalistischen Mächten an.
Von Heroismus und Barrikaden wird bei ihnen nicht mehr viel geredet.
Im Gegenteil, zu Hause dürfen sie Kohldampf schieben [Heiterkeit],
Was haltet Ihr beispielsweise von der Sozialdemokratischen Partei?
[Heiterkeit.] Eine schöne Partei [Gelächter], — eine schöne, aber keine
große Partei [Heiterkeit, Zurufe], Eine Partei, die über ein anständiges
Programm verfügt. Leider hat sie das Programm niemals durchzuführen
versucht. Eine Partei mit edlen Zeitgrößen, mit Leuten, die in aller Her¬
ren Länder hineingewandert sind und dort überall den Sauerteig ausma¬
chen [Heiterkeit], Was sie gut verstanden haben — sie haben es leider
nicht als Grundsatz in ihr Programm aufgenommen —, das ist das Abhe¬
ben von Bankkonten, die anderen Leuten gehören [Heiterkeit], Das war
zwar nicht ihr Programm, aber das haben sie, im Gegensatz zu ihrem
Programm, durchgeführt! [Gelächter.]
Was haltet Ihr beispielsweise vom Zentrum? [Gelächter.] In diese
Frage möchte ich mich nicht hineinmischen, denn das Zentrum steht mir
in einer zu engen Verwandtschaft mit dem lieben Gott. Das Zentrum
führt sehr oft Christentum und Kirche im Munde, was jedoch diese Par¬
tei nicht etwa abhalten kann, in einer bierehrlichen Koalition mit der
gottesleugnerischen Sozialdemokratie zusammenzusitzen. Diese Partei
Maksim L. (-Finkeistein), 1930—1939 sowjetischer Volkskommissar des Äußeren
und Protagonist der Zusammenarbeit mit den westlichen Demokratien. Goeb¬
bels bezieht sich auf den Moskau-Besuch des britischen Lordsiegelbewahrers
Anthony Eden vom 28. bis 30. März 1935; das Abspielen der englischen Na¬
tionalhymne war eine protokollarische Selbstverständlichkeit.
17 Die Sowjetunion war im September 1934 in den Völkerbund eingetreten.
216
war in Deutschland fünfzehn Jahre lang das Zünglein an der Waage. Sie
konnte rechts und sie konnte links, sie konnte einmal rot sein, sie konnte
einmal schwarz-weiß-rot sein [Heiterkeit!. Was bei ihr gleichblieb, das
war der ewig sich wiederholende Versuch, auf Kosten des Volkes Ge¬
schäfte zu machen [Pfui-Rufe]. Und diese Geschäfte dann — ich möchte
fast sagen: vom lieben Gott querschreiben 18 zu lassen [Gelächter].
Was haltet Ihr beispielsweise von der Nationalen Front 19 ? Sie ist
weder national noch Front [Heiterkeit]. Sie ist ein Stänkerverein [große
Heiterkeit, Beifall].
Diese Parteien geben Flugblätter heraus. Da ich ohnehin vor meiner
Abreise noch meine Hände waschen muß, werde ich sie einmal vorlesen
[Heiterkeit]. Die Kommunistische Partei sagt beispielsweise:
„Die Bankfürsten machen nach wie vor ihre Börsengeschäfte (sie sagt
leider nicht, daß das in Sowjetrußland der Fall ist). Die Warenhäuser
sind immer noch Privatbesitz, die Vertrustung und Monopolisierung der
Wirtschaft ist gefördert. Die Unternehmer sind mehr als bisher die Dik¬
tatoren der Wirtschaft. Niedrige Löhne, geringe Unterstützungen — das
alles tritt im Dritten Reich immer schärfer in die Erscheinung. [Zwi¬
schenruf: „Stimmt nicht!"! Die nationalsozialistische Bewegung ist an die
Stelle der Weimarer Parteien getreten und ist heute eine Systempartei
[Zurufe] .. ."*>
14 Ausdruck der Umgangssprache für das Akzeptieren eines Wechsels durch den
Bezogenen, der als Schuldanerkenntnis seine Unterschrift quer über den
Wechsel setzt.
" Nicht ermittelt; vermutlich identisch mit der „Liste Weise".
M Der Rest der Rede fehlt bis auf den hier folgenden letzten Teil de» Schlu߬
satzes. Nach den Presseberichten (hier die Münchner Neuesten Nachrichten)
sagte Goebbels etwa folgendes:
Der landesverräterische Renegat Rauschning [der nach Bruch mit der
NSDAP 1934 zurückgetretene erste nationalsozialistische Senatspräsident
von 1933/34], der einmal das Vertrauen der nationalsozialistischen Bewe¬
gung genossen und dann schmählich mißbraucht hat, ist ebenfalls mit einem
Elaborat an die Öffentlichkeit getreten, das er bezeichnenderweise zuerst in
der sozialdemokratischen Zeitung veröffentlichte. Er habe Angst, er könne
erschossen werden. Er brauche gar nicht erschossen zu werden, erklärte
Dr. Goebbels, denn er habe sich selbst moralisch getötet. „Die Zeit der Par¬
teien ist um. An ihre Stelle müssen Männer treten, und über diesen Män¬
nern erhebt sich siegreich das Hakenkreuzzeichen. In diesem Zeichen wer¬
den wir das Schicksal meistern. Macht Platz, ihr Alten, eine junge Zeit ist
angebrochen! Wir wollen die ganze Macht, um die ganze Verantwortung
übernehmen zu können!" (Tosender Beifall.) „Durch Euer Bekenntnis zum
Deutschtum werdet Ihr einen neuen Streitpunkt aus der internationalen Dis¬
kussion herausnehmen. Ihr werdet F.udi zum Deutschtum, d. h. zum Na¬
tionalsozialismus, d. h. zum Führer bekennen. In des Führers Hand liegt
das Schicksal unserer Nation, und vor uns liegt die Bewegung, die heute
Deutschland vor aller Welt repräsentiert." (Gewaltiger Jubel.) „Dieses
Deutsche Reich, sein Volk, das Danziger Volk und unser aller Führer, zu
dem Ihr Euch morgen bekennt — Sieg Heil!"
217
... das Danziger Volk, das sich zu ihm gehörig fühlt, und unser aller
Führer — Sieg Heil! [Zuhörer: „Heil!"], Sieg Heil! [Zuhörer: „Heil!"],
Sieg Heil! [Zuhörer: „Heil!"] 21
DRA Nr. C 1256 (51' 30"). Der DRA-Katalog spricht von „Ausschnitten"; die
Rede scheint jedoch lückenlos zu sein bis auf den fehlenden Schlußteil, nach den
Zeitungsberichten (Auszüge bzw. referierende Zusammenfassungen in der Presse
vom 8. April 1935) offenbar nur ein kleinerer Abschnitt.
21 Die NSDAP gewann am 7. April zu ihren 38 Sitzen fünf dazu. Die weiteren
Ergebnisse: SPD: 12 (13), Kommunisten 2 (5), Zentrum 10 (10), Liste Weise
(früher Deutschnationale) 3 (4), Polen 2 (2) Mandate.
218
Nr. 25
17. 6. 35 — Hamburg, Musikhalle — Eröffnung der 2. Reichs-Theater¬
festwoche
Die 1 Kunst ist eine Leidenschaft, die den ganzen Menschen erfordert
und ausfüllt. Wer einmal von ihr ergriffen ist, kommt nicht mehr los
davon. Es gibt kein größeres Glück unter den Menschen, als ihr dienen
zu dürfen. Und ein Staatsmann kann sich nichts Höheres zur Ehre an¬
rechnen, als ihr die Wege bereiten zu helfen. Die Kunst ist eine un¬
abdingbare Lebensnotwendigkeit. Völker, die sie nicht in den
Kreis ihres nationalen Daseins einbeziehen, können nicht den An¬
spruch auf den Rang einer Kulturnation erheben. Der Mensch, der
der Kunst dient, muß ganz und gar von ihr besessen sein. Sie ist
jene heilige Macht, die den Menschen in grauen Stunden erfüllt und
die ihm eine Möglichkeit gibt, über die Sorgen und die Qualen des
Alltags hinauszukommen.
Es ist nicht wahr, daß der Künstler unpolitisch sei. denn politisch sein
heißt nichts anderes, als mit Verstand der Öffentlichkeit zu dienen. Und
wenn einer, dann tut der Künstler das. Er hat die geistige und die see¬
lische Kraft, dem Leben der Völker Werte zu geben, — Werte, die über
den Tag hinauswirken und in die Ewigkeit hineinreichen. Die großen
Würfe, mit denen die Künstler der Geschichte nach der Unsterblichkeit
zielten, sind auch in die Unsterblichkeit eingegangen, und sie haben Mil¬
lionen und Millionen Menschen Trost und innere Stärke im schweren
Kampf des Lebens gegeben. Wir dürfen das den Künstlern auch niemals
vergessen. Wenn sie ihre persönlichen Eigenarten besitzen, so haben sie
ein Recht dazu. So viel Sorgen sie den Menschen bereiten, deren Aufgabe
darin besteht, sie zu fördern und ihnen Wege zu zeigen, so viel Freuden
1 Merkwürdigerweise ist weder auf der Platte noch im Zeitungsabdruck eine
Anrede der Versammlung wiedergegeben.
219
geben sie ihnen auch. Sie verschönen und vergolden das Dasein. Und ein
Leben ohne Kunst wäre nicht mehr wert, daß es gelebt würde.
Die nationalsozialistische Bewegung hat von Anfang an diese innere
Stellungnahme zum deutschen Künstlertum gehabt. Denn sie kam an sich
aus künstlerischen Urgründen. Sie sah auch in der Politik nicht ein blo¬
ßes Handwerk, sondern sie meinte, daß die Politik eigentlich die edelste
und größte aller Künste sei. Denn so, wie der Bildhauer aus dem toten
Stein eine Leben atmende Gestalt meißelt, und so, wie der Maler Farbe
in Leben verwandelt, und so, wie der Komponist die toten Töne in him¬
melentrückende Melodien umsetzt, so hat der Politiker und Staatsmann
eigentlich keine andere Aufgabe, als eine amorphe Masse in ein lebendi¬
ges Volk zu verwandeln. Deshalb gehören auch Kunst und Politik zu¬
sammen. Und so, wie der Künstler ein Anrecht darauf hat, seine eigene
Individualität auszuleben, so auch der Staatsmann. Dieses Ausleben der
eigenen Individualität aber findet da eine Grenze, wo es sich mit den In¬
teressen der Öffentlichkeit stößt. Denn niemand, der sich ja unterfängt,
einem Volke zu dienen und ihm über den Alltag hinausreichende Werte
zu geben, hat das Recht, sich nur als Individualität zu fühlen. Gr hat
darüber hinaus die Pflicht, dem Volke zu dienen und sein Leben und
Arbeiten in den Lebenskreis des Volkes einzuspannen.
Diese Pflichten hatte das deutsche Künstlertum zu einem großen Teile
in den furchtbaren Jahren seit dem November 1918 versäumt und ver¬
gessen. Es war jene Epoche des hart pour Part, wo der Künstler glaubte,
nur dem Künstler und am Ende nur sich selbst Rechenschaft schuldig zu
sein, — eine Entwicklung, die den Künstler immer mehr von der Zeit
und vom Volk zu trennen versuchte, eine Entwicklung, die am Ende die
Kunst zu einer bloßen artistischen Spielerei herab würdigte. Es konnte
nicht wundernehmen, daß diese Art von Kunst das Beiwort „deutsch"
nicht mehr verdiente, denn sie hatte mit dem deutschen Volke gar nichts
mehr zu tuen. In Wirklichkeit aber ist die Kunst nichts anderes als der
plastischste seelische Ausdruck eines Volkstums. Und der Künstler ist das
lebendigste Kind seines Volkes. Je tiefer er seine Wurzeln in das
Schollenreich seines Volkstums hineinversenkt, um so höher wird er sich
entfalten können, gleichwie der Baum mit den tiefsten Wurzeln den
höchsten Stamm besitzt. Und je höher der Stamm, desto breiter der
Schatten, den er wirft.
Das ist audi die einzige Möglichkeit, über die dynastischen Grenzen
eines Landes hinaus in die Welt vorzudringen. Es gibt keine internatio¬
nale Kunst, die nicht ihren internationalen Wert aus nationalen Ursprün¬
gen geschöpft hätte. Shakespeare — [Beifall], Shakespeare wurde des¬
halb ein Weltkünstler, weil er der beste Engländer, Corneille deshalb ein
Weltkünstler, weil er der beste Franzose, und Goethe deshalb ein Welt-
220
künstler, weil er der beste Deutsche gewesen war. Sie schöpften am Ende
— [Beifall], sie schöpften am Ende ihre Kraft aus dem Volkstum, aus
dem sie entsprungen waren.
Internationale Kunst an sich ist ein erdachter Wen. der genauso am
Ende Schiffbruch leiten —, leiden wird wie eine Sprache, die man inter¬
national erfinden wollte. Sie würde am Ende unter der Härte der Tatsa¬
chen zusammenbrechen. Man kann sich theoretisch vorstellen, daß ein
Mensch eine einfache Sprache ersinnt, man kann sich theoretisch vorstel¬
len, daß alle Völker sich auf diese Sprache einigten, — und man wird
am Ende zugeben müssen, daß schon in fünfzig Jahren die Völker aus
dieser internationalen Weltsprache wieder ihre eigene Sprache gemacht
haben. So auch in den Künsten. Es gibt keine Kunst, die an sich interna¬
tional wäre. Die Kunst ist international, die in ihrer nationalen Wertig¬
keit so vollendet ist, daß sie die Grenzen des eigenen Landes sprengt und
den ganzen Weltkulturkreis auszufüllen in der Lage ist. Denn am Ende
ist die Kraft des Volkstums immer stärker als die Kraft eines individuel¬
len Gehirns, das sich eine Art von Kunst oder eine Art von Sprache am
Ende selbst erdenken könnte.
Im Volkstum liegen deshalb die Wurzeln aller künstlerischen Kraft.
Der Künstler ist deshalb der vornehmste geistige Diener seines eigenen
Volkes und seines eigenen Volkstums. Aus dem Volke selbst steigt er
empor, und zum Volke muß er deshalb immer wieder zurück. Und in
dem Augenblick, in dem seine Bindungen mit dem Volke zerreißen, in
dem Augenblick gerät die Kunst auf Irrwege, und sie versackt dann am
Ende im bloßen Experiment. Das ist das, was wir Kulturbolschewismus
nennen, eine wurzellose Asphaltliteratur, eine wurzellose Asphaltmalerei,
eine wurzellose Asphaltmusikalität, die nicht mehr aus dem vollen eines
Volkstums schöpft, sondern die in blassen und lebensfremden Gehirnen
am Ende erdacht worden ist.
Der Begriff des Kulturbolschewismus ist kein Schlagwort, sondern er
hat seine Wertigkeit im Verhältnis zu dem, was wir in den vergangenen
Jahren in Deutschland feststellen mußten: eine Kulturpflege, die gar
nichts mehr mit dem Volke zu tuen hatte und mit der das Volk deshalb
auch nichts mehr zu tuen haben wollte, eine vollkommene Entwurzelung
aller kulturellen Kräfte, eine Internationalisierung der künstlerischen
Potenzen eines Landes, die am Ende dann überhaupt mit dem Volke kein
inneres Verhältnis mehr gewinnen konnte und die in den luftverdünnten
Räumen eines bloßen Ästhetizismus dann allmählich ihr leeres und
freudloses Dasein fristen mußten. Auch der Kulturbolschewist kennt gei¬
stig kein Vaterland mehr, das Deutschland heißt 2 . Der Künstler im
2 Artur Crispien auf dem Parteitag der USPD in Leipzig am 8. Januar 1922.
221
wahrsten Sinne des Wortes dagegen ist der gehorsamste Diener seines
Volkes und seines nationalen Lebens.
Diese Grundsätze müssen sich auch auf das Theater und auf seine Auf¬
gaben in der modernen Zeit des Dritten Reiches anwenden lassen. Schon
zu allen Zeiten hat in den Menschen der spielerische Trieb gesteckt; bei
arischen Völkern hat sich dieser spielerische Trieb in eine ungeheure
organische Gestaltungskraft umgesetzt. Der Künstler flüchtet aus dem
Leben, um das Leben in einer höheren Einheit wiederzufinden. Die
Bühne ist seine Welt — die Welt, die er auf den Brettern wiederfindet.
Es muß sich also auf der Bühne für ihn und für seine Mitwelt ein Stück
Leben abspielen, und zwar ein Stück Leben so, wie das Leben ist, ohne
zu beschönigen und ohne schwarzzumalen, ein Leben in seiner ganzen
Tragik, aber auch in seinem ganzen Humor. Es wird deshalb nicht Auf¬
gabe der Bühnenkunst sein, blutlose Gestalten auf die Bretter zu stellen
— blutlose Gestalten, die das Gehirn erdacht hat, sondern blutvolle Ge¬
stalten — so, wie das Lehen sie bildet. Wir müssen deshalb protestieren
gegen eine Bühnen- und Filmkunst, die da versucht, uns Menschen vor¬
zustellen, die es in Wirklichkeit nicht gibt, die entweder — [Beifall], die
entweder schwarz in schwarz oder weiß in weiß gezeichnet sind. Wir
fordern dagegen Menschen, die aus dem Leben selbst herausgenommen
sind: Menschen von Fleisch und Blut, die die Sorgen und die Qual und
die Freuden unserer Zeit auch in der eigenen Brust beherbergen.
Die eben geschilderten Mängel fanden wir bei der Bühne vor, als wir
in Deutschland die Macht übernahmen. Sie konnten alle nur mit Behut¬
samkeit beseitigt werden, nicht von heute auf morgen und nicht durch
einen machtpolitischen Diktatakt. Denn die Kunst gehorcht keinem
Kommando. Wenn etwas, dann kann die Kunst sich nur organisch ent¬
wickeln. Nur aus den Kräften dieser Zeit selbst liegend 3 und gespeist
von den Wurzeln, die im eigenen Volkstum versenkt sind, kann die
Kunst ihr eigenes Leben entfalten. Es ist deshalb besser, zeitweilig das
gute und anerkannte Alte zu pflegen, als sich dem schlechten Neuen zu
widmen, nur weil das Neue neu ist! [Beifall.] Was andererseits jedoch
nicht von der Pflicht entbindet, mutig jederzeit nach dem wirklich
Neuen Ausschau zu halten.
Wie zu allen Zeiten, so auch zu unserer Zeit ist die Kunst in großem
Umfange eine Brotfrage. Es ist nicht wahr, daß die Kunst sich selbst er¬
nähren müßte; sie hat es niemals getan und wird es niemals tuen. Alle
großen Kunstwerte aller großen Zeiten sind nur entstanden, weil sich in
diesen großen Zeiten sei es Fürsten oder Päpste oder Bank- oder Indu¬
striemänner gefunden haben, die Geld und Mut genug hatten, der Kunst
3 Soll wohl heißen: fließend.
222
auch ihr finanzielles Dasein zu sichern. Denn die Kunst schreit nach
Brot, und solange man der Kunst keine finanzielle Lebensmöglichkeit
gibt, solange kann man von ihr nicht verlangen, daß sie die großen see¬
lischen und geistigen Aufgaben eines Zeitalters zu lösen versucht.
Das war auch beim Theater der Fall. Niemals haben die deutschen
Theater sich aus sich heraus ernährt, sondern sie fanden entweder Für¬
sten oder Könige, die ihre großzügigen und generösen Mäzene waren.
Wenn Fürsten und Könige nicht mehr da sind und deshalb die Kunst
nicht mehr unterstützen können, so wird eine wahrhaft künstlerisch
gestimmte Regierung diese Pflicht an ihrer Stelle übernehmen müssen
[Beifall]. Wir haben das nach besten Kräften zu erfüllen versucht.
Darüber hinaus aber haben wir all die Potenzen, die auf dem deut¬
schen Bühnengebiete tätig waren, in einer großen Organisation zu¬
sammengefaßt.
Das war notwendig. Es war deshalb notwendig, weil die Organisatio¬
nen des Bühnenschaffens zu bloßen Gewerkschaften herabgesunken
waren. Es gab in Deutschland bei unserer Machtübernahme keine große
Bühnenorganisation, die der Bühne als Bühne diente. Wenn man aber
dem Künstler mit seiner stark ausgeprägten Individualität die Möglich¬
keit gibt, sich organisatorisch auszuleben, dann wird man meistenteils
nur sehr üble Erfahrungen machen. Wenn ein Stand, dann der Stand —,
hat der Stand der schaffenden Künstler eine starke und leitende Hand
notwendig. Man darf ihn in Fragen, von denen er nichts versteht, nicht
sich selbst überlassen [Beifall], Deshalb haben wir die widerspenstigen
Elemente unter ein Kommando zu bringen versucht 4 : nicht, um ihnen in
ihr künstlerisches Schaffen hineinzureden, sondern um ihnen jene organi¬
satorische Grundlage zu geben, von der aus sie sich in möglichst konzen¬
trierter Form der Öffentlichkeit zur Schau stellen konnten. Denn der
Kredit des deutschen Künstlertums war in den damaligen Monaten bis
zu einem letzten kleinen Rest aufgebraucht. Er bedurfte der Zunahme
des politischen Kredites, um ihn überhaupt wieder öffentlich kreditfähig
zu machen.
Es blieb uns deshalb auch nicht die Möglichkeit über, uns mit bloßen
Theorien zu beschäftigen. Denn die Fragen brannten uns unter den Fin¬
gernägeln, wir mußten handeln. Große Bühnen standen vor dem Ruin,
die künstlerischen Existenzen gingen zugrunde, die Ensembles liefen aus¬
einander, der Spielplan war verwüstet. Wir durften nicht nach dem Be¬
sten ausschauen, das da als Taube auf dem Dach saß, sondern wir mu߬
ten das Gute nehmen, das uns als Sperling in die Hand flog. Das haben
wir getan.
4 In der Reichskulturkammer (vgl. Nr. 18).
223
Ich weiß, daß an der Kulturpolitik des Reiches wie an allen Arten un¬
serer politischen Betätigung sehr viel auszusetzen ist, aber ich habe es oft
genug im Volke betont und ich wiederhole es hier wieder einmal: Der
Nationalsozialismus hat das souveräne Recht, sich auch zu seinen Feh¬
lern zu bekennen. Denn wenn ein junges Regime die ungeheure vitale
Kraft besitzt, in [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] zweiein¬
halb Jahren viereinhalb Millionen Menschen in Arbeit zu bringen und
dem Volke eine neue nationale Moral zu geben und große technische
Projekte zu entwerfen, die dem Geist der Zeit das plastische Gesicht ge¬
ben sollen, wenn dieses junge Regime zur gleichen Zeit einem durch einen
furchtbaren Vertrag gefesselten Volk seine nationale Souveränität zu¬
rückgibt, dann, meine ich, hat dieses junge Regime das Recht, auch ein¬
mal einen Fehler zu machen [Beifall],
Es ist uns vielfach der Vorwurf gemacht worden, daß wir die deutsche
Kunst zu einer bloßen Propagandaangelegenheit herabwürdigten. Her¬
abwürdigten — wieso? Ist die Propaganda etwas, zu das man etwas an¬
ders herabwürdigen könnte? Ist die Propaganda, wie wir sie verstehen,
nicht auch eine Art von Kunst? Und hat diese Art von Kunst nicht etwa
dem deutschen Volk in den vergangenen fünfzehn Jahren sehr große
Dienste getan? Ist die nationalsozialistische Bewegung vielleicht durch
die Theoretiker oder durch die Propagandisten an die Macht gekommen?
[Beifall.] Hätten wir nur Theoreme aufgestellt und keine Menschen be¬
sessen, die die Kraft hatten, Theoreme nun dem Volke zu Glaubenssätzen
umzuwandeln, — ich glaube, wir wären ewig Theoretiker geblieben!
Denn es genügt nicht, daß eine Idee an sich richtig ist, um sich durchzu¬
setzen, — die Weltgeschichte hat Dutzende Beweise dafür, daß sich
Ideen durchsetzten, die unrichtig waren. Eine richtige Idee wird sich
immer nur durchsetzen, wenn in ihren Dienst gestellt werden richtige
Mittel der Macht! Und Macht konnten wir auf keine andere Weise er¬
werben als durch Eroberung des Volkes, und das Volk wurde nicht allein
erobert von den Ideen, sondern auch von den Methoden, mit denen die
Ideen vorgetragen wurden.
Was wäre diese Bewegung ohne die Propaganda geworden! Und
wohin geriete unser Staat, wenn nicht eine wirklich schöpferische Propa¬
ganda ihm heute noch das geistige Gesicht gäbe! Ist die Kunst nicht auch
eine Ausdrucksform dieser schöpferischen Gestaltungskraft? Und heißt es
die Kunst herabwürdigen, wenn man sie an die Seite einer edlen Kunst
stellt, die mit in vorderster Linie das Reich vor dem Abgrund zurückriß?
Nein, mit Theoremen allein kann man in solchen Notzeiten einem Volke
nicht helfen, sondern man muß ihm praktische Möglichkeiten geben, ein
neues Leben anzufangen. Und das haben wir getan.
Wir wissen dabei sehr wohl, was uns zu tuen noch übrigbleibt. Wir
224
übersehen nicht die Aufgaben, die uns gestellt sind, und schmeicheln uns
nicht in pharisäerhafter Weise, daß wir den Stein der Weisen gefunden
hätten. Wieviel uns noch zu tuen übrigbleibt, das wissen wir am besten,
die wir täglich und stündlich damit beschäftigt sind. Und die wir Tag
für Tag an der Lösung dieser Aufgaben arbeiten. Die wir Tag um Tag
Änderungen und Entschlüsse fassen müssen, — sowohl im Personellen als
auch im Sachlichen. Denn daß der Nationalsozialismus als Idee in der
deutschen Intelligenz noch nicht vollends durchgesetzt ist, das erweist
die Kunst heute auf Schritt und auf Tritt.
(Es ist bei dieser Jahresversammlung der Reichs-Theaterkamrner 5
meine Pflicht, auf einige Schäden aufmerksam zu machen, die sich im
vergangenen Spieljahr innerhalb des deutschen Theaterwesens gezeigt
haben. Uns alle bewegt die Sorge um den Spielplan. Ich weiß, wie
schwer es ist für einen Theaterleiter, einen Spielplan zusammenzustellen,
der den modernen Erfordernissen genügt. Ich muß aber betonen, daß der
Spielplan der vergangenen Saison zu ausdruckslos gewesen ist. Der Pen¬
del ist zu stark nach der anderen Seite geschlagen. So wenig es gelingen
konnte, daß im ersten Jahre unserer Revolution nun jeder deutsche
Theaterleiter nur in Nationalsozialismus machte, so wenig kann es ande¬
rerseits gebilligt werden, daß heute Theaterleiter vielfach den Versuch
unternehmen, von Nationalsozialismus überhaupt nicht zu reden. Es ist
nicht an dem, daß die Ideale unserer Zeit künstlerisch nicht gestaltungs¬
fähig wären. Sie verlangen nur künstlerische Kräfte, die groß genug sind,
sie zu gestalten! [Starker Beifall.]
Wenn eine Idee die Kraft besitzt, ein 66-Millionen-Volk auf das tief¬
ste aufzuwühlen, dann ist sie an sich voll gestalterischer Vitalität. Sie
muß dann aber auch Gestalter finden, die die Kraft haben, diese Vitali¬
tät zu formen. Es genügt deshalb nicht, daß der Spielplan sich vom
Negativen fernhält, um aber auch ebenso peinlich das Positive zu mei¬
den*. Es genügt nicht, ein ausdrucksloses Repertoire aufzustellen, das aus
der Vergangenheit jene alten Schwarten hervorsucht, die zwar nicht
direkt gegen den Nationalsozialismus geschrieben wurden, die aber auf
der anderen Seite auch nichts von dem Geiste unserer Zeit in sich tragen.
Es reicht auch nicht aus, wenn man diesen alten Schwarten von Anno
dazumal ein paar nationalsozialistische Injektionen eingibt. Nur Klassi¬
ker und auf der anderen Seite nur naive Harmlosigkeiten, das ist für un¬
sere Zeit zuwenig. Etwas muß schon hinzukommen. Es ist auch nicht
5 Die „Reichs-Theaterfestwoche" fiel zusammen mit der Jahrestagung der Reichs¬
theaterkammer.
* Dies der Fluchtweg der Kultur-Reproduzenten und insbesondere des Theaters
in jedem ideologisch ausgerichteten und gleichgeschalteten Staatswesen; nirgend¬
wo finden Klassiker wie Klamotten ähnlich begeisterte Aufnahme.
225
rechtens, in der Not um das zu spielende Stück sich nun in zu starkem
Umfang auf das Ausland zu werfen.
Gewiß, wir sind großzügig in diesen Dingen. Wir schätzen jede künst¬
lerische Kraft. Wir haben Achtung vor der Leistung, ob sie dem franzö¬
sischen oder dem englischen oder dem italienischen Volke entspringt.
Manchmal aber hat es bei Übersicht über manche Spielpläne den An¬
schein, als gebe es in Deutschland überhaupt keine Dichter und als hätte
es bei uns überhaupt keine Dichter gegeben, als müßten beispielsweise
Gesellschaftsstücke nur von Franzosen oder von Engländern geschrieben
werden. Diese Kalamität hat sich vor allem im Spielplan der Reichs¬
hauptstadt bemerkbar gemacht. Die Provinz hat die Stücke gefunden,
und es wäre doch allzu jämmerlich, der Reichshauptstadt das Zeugnis
ausstellen zu müssen, daß sie von der Provinz belehrt werden müsse, wo
Stücke zu finden seien 7 . Man muß dann auch einmal den Mut zum Ex¬
periment haben. Ein Bühnenleiter muß etwas wagen! Es ist zuwenig für
die künstlerische Kraft eines Bühnenleiters, für eine Saison ein Serien¬
stück zu finden und dieses Serienstück dann lediglich 300- oder 400mal
aufzuführen. Vor allem demoralisiert das Serienstück den Schauspieler,
weil es dem Schauspieler keine künstlerische Möglichkeit gibt. Es wird
ein Schauspieler am Ende dabei verblöden, wenn er 300mal ein und die¬
selbe Rolle spielen muß. Das Serienstück zerstört auf die Dauer die
künstlerische Moral. Es läßt keine Vergleichsmöglichkeiten zu. Es ist
kein Risiko mehr da. Man beurteilt das Bühnenleben nur nach dem Ge¬
sichtspunkt der Kasse. Die Kasse wird voll und die Fierzen werden leer.
Die Bühne aber wird am Ende dann nur beherrscht von ein paar Büh¬
nendiktatoren, die die Virtuosität besitzen, ein Serienstück zu schreiben.
Das gleiche Problem ist die Frage „Star oder Ensemble?" Es ist für
einen Bühnenleiter so einfach, sich einen Star zu engagieren. Man weiß
dann, dieser Star macht die Kasse voll, die anderen Schauspieler sind nur
dritte oder vierte Garnitur und haben nur die Aufgabe, dem Star die
Stichworte zu seinen Pointen zu geben. Dieser Star-Unfug ist nicht etwa
beseitigt, sondern er grassiert heute noch) [Beifall], Und ich halte den
Bühnenleiter nicht für einen echten Künstler, der am Anfang der Spiel¬
zeit nur Ausschau hält nach einer Serie und nach einem Star — in der
festen Überzeugung: Besitze ich Serie und Star, dann kann ich getrost
den Winterschlaf beginnen. Ein Ensemble zu erziehen dagegen erfordert
7 Das heißt also: in der Provinz war die Gleichschaltung der Theater reibungs¬
loser vonstatten gegangen als in Berlin, da man dort in der Vereinzelung hilf¬
loser war und mehr auf dem Präsentierteller saß, mehr dem Obereifer der lo¬
kalen Parteigrößen ausgeliefert war. Daß es im Zentrum des Orkans noch
immer am ruhigsten zu sein pflegt, ist eine nicht nur meteorologische Er¬
kenntnis.
226
Zeit und Geduld und Liebe zur Sache. Aber am Ende wird der Künstler
sich im Enselble auch am wohlsten fühlen. Auch der große Künstler ver¬
gibt sich nichts, wenn er als dienendes Glied in einem künstlerischen Kol¬
lektiv mitspielt. Im Gegenteil: Auch er kann noch etwas dabei lernen!
[Beifall.] Und ist er wirklich ein großer Künstler, dann wird er auch die
Kraft besitzen, sich sehr bald unter den Gleichen zum Ersten emporzuar¬
beiten.
Ich komme damit zum Grundproblem des künstlerischen Lebens in
Deutschland überhaupt: Wie steht der Nationalsozialismus zur Kunst,
und wie steht die Kunst zum Nationalsozialismus? Es wird heute viel¬
fach der Standpunkt vertreten, daß der Nationalsozialismus nur eine
politische Lehre sei. Eine politische Lehre, die sich deshalb ausschließlich
mit Politik beschäftige. Die Kunst gehöre den Künstlern und die Wirt¬
schaft gehöre den Wirtschaftlern und die Börse gehöre den Bankiers und
die Landwirtschaft gehöre den Landwirten und der Kleinhandel gehöre
den Kleinhändlern und das Handwerk gehöre den Handwerkern. Das
würde auf die Dauer eine vollkommene Auflösung unseres öffentlichen
Lebens nach sich ziehen. Der Nationalsozialismus ist nicht nur eine poli¬
tische Lehre, er ist eine totale und umfassende Gesamtschau aller öffent¬
lichen Dinge. Er muß deshalb die selbstverständliche Grundlage unseres
ganzen Lebens werden. Wir hoffen, daß einmal die Zeit kommt, daß
man über Nationalsozialismus nicht mehr zu sprechen braucht, sondern
daß er die Luft ist, in der wir atmen! [Starker Beifall.]
Der Nationalsozialismus kann deshalb sein Genüge nicht daran fin¬
den, nur mit den Lippen bekannt zu werden, — man muß ihn mit den
Händen und mit den Herzen tuen. Man muß sich dieser Haltung inner¬
lich angleichen, man muß sie zur eigenen Haltung machen, — dann erst
wird man auch erkennen, daß aus dem Nationalsozialismus ein neuer
Kulturwille entspringt und daß dieser Kulturwille organisch unser gan¬
zes nationales Dasein bestimmt. Von diesem Kulturwillen wird einmal
der geistige Aufbruch unserer Zeit ausgehen. Wir leben und atmen darin,
und wir alle arbeiten daran.
Würde man die Wirtschaft zur Sache der Wirtschaftler machen und
die Religion zur Sache der Pfarrer und die Kunst zur Sache der Künstler
und das Handwerk zur Sache der Handwerker, so würde man am Ende
das ganze Staatsleben auflösen. Wir besitzen nicht den Ehrgeiz, dem
Dirigenten vorzuschreiben, wie er eine Partitur zu dirigieren habe. Aber
[der Redner klopft wiederholt auf das Pult] was gespielt wird und was
dem Geiste unserer Zeit entspricht, darüber behalten wir uns das souve¬
räne Vorrecht vor zu bestimmen [Beifall]. Es wird nie ein Minister versu¬
chen, der Wirtschaft vorzuschreiben, wie sie den Betrieb einzurichten
habe. Aber was sie produziert und wie sie es produziert und welche
227
Methoden sie dabei anwendet und welche Löhne sie zahlt und wieviel
Freizeit sie gibt und welchen Geist sie im Betriebe hochzüchtet, — dar¬
über zu bestimmen, das ist das Vorrecht der politischen Führung eines
Landes. Und die politische Führung bestimmt den Stil einer Zeit.
Es kann deshalb ein Theaterleiter nicht sagen: Was bühnenwirksam
ist, das bestimme ich, denn ich bin ja schließlich für die Bühne allein ver¬
antwortlich. Es kann deshalb ein Dirigent nicht sagen: Was Musik ist,
das bestimme ich, denn das sind doch keine Musikanten. Es kann deshalb
ein Wirtschaftler nicht sagen: Welche Devisenpolitik ich betreibe, das
bestimme ich, denn ich bin ja der Wirtschaftler. Das ist ein liberaler
Grundsatz, der der Flaltung des Nationalsozialismus diametral entgegen¬
gesetzt ist. Die Politik macht nicht die Technik der Dinge, aber sie gibt
den Dingen ihren Kurs, sie kontrolliert ihren Einsatz und überwacht die
Durchführung dieses Einsatzes.
Was der Staat beseitigt und was d«r Staat fördert, das ist seine Sache.
Da aber der Staat heute diese ungeheure Machtfülle besitzt, deshalb ist
er sich auch immerdar der ungeheuren Verantwortung bewußt, die er
dabei mit sich trägt. Denn es gibt heute in der Tat kaum noch ein Kon¬
trollorgan, dem wir uns zu fügen hätten. Die Kontrolle, die über uns
ausgeübt wird, die ruht nur im eigenen Gewissen 8 . Und deshalb treten
wir mit einer heiligen Scheu an die großen Dinge des Lebens heran. Und
deshalb dienen wir dem künstlerischen Dasein unseres Volkes nicht nur
von Amts wegen als muffige und verstaubte Bürokraten, sondern des¬
halb, weil es uns heilige und leidenschaftliche und ernste Herzensangele-
genheit ist. Denn es gibt auf der Erde nichts —, auf der Erde nichts Er¬
habeneres, als zu sehen, wie unter uns Sterblichen die unsterbliche Gott¬
heit im Künstler Gestalt gewinnt! [Starker Beifall.]
DRA Nr. C 1271 (31’ 20'). Gegen Ende der Rede fehlen eine oder zwei Platten;
dieser Teil ist hier in < » nach dem — gekürzten und überarbeiteten — Ab¬
druck in der Tagespresse (VB vom 19. Juni 1935) eingefügt.
Was, wie sich herausstellen sollte, nidit ausreidue.
228
Nr. 26
30. 8. 35 — Berlin, Lustgarten — Trauerfeier für die Opfer des Einsturz¬
unglücks am Brandenburger Tor 1 2
Es ist für ein Volk nicht schwer, im Glück zusammenzustehen, — schwer
aber ist es, Unglück gemeinsam und aufrecht zu ertragen. Die schweren
Schläge, die die deutsche Nation in den vergangenen Monaten getroffen
haben*, haben jeden einzelnen von uns getroffen. Und wohl selten ist ein
ganzes Volk mit seinem gespannten und leidgequälten Herzen dabei ge¬
wesen wie bei der mühevollen und schwierigen Bergung der Toten, die
nun in ihren Särgen vor uns liegen.
Unglück und Schmerz gemeinsam zu ertragen, das haben wir Deut¬
schen wieder gelernt. Und so mögen die Hinterbliebenen dieser Toten
davon überzeugt sein: Die ganze Nation wird an ihrem Schmerz aufrich¬
tig Anteil nehmen und wird sie alle einschließen in ihrer verstehenden
Liebe. Die Toten aber, die von —, vor uns ruhen, mögen wissen: Ihre
Namen werden unvergeßlich sein! Spaten und Schaufel, die ihren Hän¬
den entrissen wurden, werden von neuen Händen aufgenommen, — am
Werk arbeitend, das der Führer uns allen aufgegeben hat.
DRA Nr. C 1275 (2'). Wiedergabe in den Presseberichten über die Trauerfeier
(VB vom 31. August 1935).
1 Beim Bau der Nord-Süd-S-Bahn war am Mittag des 20. August in der da¬
maligen Hermann-Göring-Stralie (zuvor Budapester, dann Friedrich-Ebert-,
heute Ebertstralie) ein Großkran mitsamt dem Sandboden in 60 Meter Länge
in die Baugrube abgerutscht und hatte die dort tätigen Arbeiter verschüttet.
Bei den tagelangen Rettungsarbeiten waren 19 Tote geborgen worden.
2 Nachdem am 13. Juni bei einem Explosionsunglück in einer Sprengstoff¬
fabrik in Reinsdorf bei Wittenberg sechzig Arbeiter umgekommen waren, hat¬
ten am 15. Juli ein Grubenunglück bei Dortmund 15 Tote, am 23. Juli ein
Brand im I.G.-Farben-Werk Höchst 2 Tote gefordert. Am Tage vor dem
S-Bahn-Bauunglück war während der Berliner Funkausstellung die Ausstel¬
lungshalle IV am Funkturm völlig ausgebrannt.
229
Nr. 26
16. 9. 35 — Nürnberg, Apollo-Theater — Sondertagung der Gau- und
Kreispropagandaleiter anläßlich des 7. Reichsparteitags der NSDAP
(„Wesen, Methoden und Ziele der Propaganda")
Meine Parteigenossen und Parteigenossinnen!
Es ist schwer, nach den Nürnberger Tagen mit ihren tiefen und bleiben¬
den Eindrücken zur sachlichen Tagesarbeit zurückzufinden. Und trotz¬
dem ist das notwendig. Die großen Ereignisse, die wir in der vergange¬
nen Woche bis zum gestrigen Tage erleben durften, sind alle nur Ergeb¬
nisse einer in ihren Einzelheiten ganz unabmeßbaren Kleinarbeit, die von
der nationalsozialistischen Bewegung im Verlauf von sechzehn Jahren
geleistet worden ist. Von nichts kommt nichts. Und es ist kein Zufall,
daß es uns am gestrigen Abend möglich gewesen ist, Gesetze von säkula¬
rer und fundamentaler Bedeutung im Deutschen Reichstag zu beschlie¬
ßen 1 . Es mußte schon — [Beifall], es mußte schon eine Unsumme von
Arbeit vorgeleistet werden, um überhaupt die Basis zu errichten, auf der
solche Gesetze möglich sind. Denn es genügt nicht allein, daß man das
Richtige weiß, sondern man muß das Richtige auch tuen können. Und
Ideen werden nicht immer deshalb siegen, weil sie richtig sind, sondern
sie müssen sich auch in ihren Dienst stellen Methoden, Angriffsweisen,
Arbeitsarten, die den Sieg verbürgen.
Das hat die nationalsozialistische Bewegung von allem Anfang an er-
1 Hitler hatte sich den Reichstag nach Nürnberg kommen lassen, was freilich
keine großen Umstände bedeutete, da er nun ja sowieso fast nur aus Partei¬
funktionären bestand. Bei den Gesetzen des 15. September handelte es sich
erstens um das „Reichsflaggengesetz", welches das seit dem 12. März 1933
bestehende Nebeneinander von Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuzfahne be¬
endete und die Parteifahne zur einzigen Reichsflagge erklärte, zweitens um
das „Reichsbürgergesetz", das neben dem nun minderen „Staatsangehörigen"
den — nur arischen — „Reichsbürger” schuf, und drittens um das „Gesetz zum
Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre”, das Eheschließungen
und Geschlechtsverkehr zwischen Deutschen und Juden verbot (die beiden
letztgenannten die „Nürnberger Gesetze" im engeren Sinne).
230
kannt. Sie war nicht von jenem bürgerlich-reservierten Charakter, der
das Richtige zwar ausspricht, aber nicht die Möglichkeiten hat, das
Richtige in einer Art und Weise auszusprechen, daß die breiten Massen
auch dafür mobilisiert werden können. In der nationalsozialistischen Be¬
wegung stand deshalb am Anfang unserer ganzen Arbeit die Propaganda
als scharfe Waffe unseres Angriffs. Und wenn heute vielfach gefragt
wird, ob die Propaganda denn, nachdem wir die Macht erobert hätten,
überhaupt noch nötig sei, so ist das dieselbe dumme Frage wie die, ob
denn die Partei noch nötig sei, da wir doch den Staat besitzen [Heiter¬
keit], Das sagen alle diejenigen, die wissen, daß wir in der Partei und in
der Propaganda jene Instrumente besitzen, die uns nicht nur die Macht
erobert haben, sondern uns die Macht auch erhalten werden [Beifall],
Denn wir haben, nachdem wir die Macht besitzen, nicht die Absicht, uns
in die verdünnte Luft der Amtsräume zurückzuziehen. Wir glauben
nämlich nicht daran, daß ein Volk von der Bürokratie regiert werden
kann [Bravo-Rufe, Beifall], Die Bürokratie hat bestimmte Verwaltungs¬
aufgaben zu lösen, und dazu ist sie auch allein befähigt. Wenn aber hin¬
ter der Verwaltung nicht eine einheitliche, in sich geschlossene Volks¬
masse steht, die die Dinge der Regierung nun zu ihrer eigenen Sache
macht, dann wird die Lebensdauer einer Regierung nur von kurzem Be¬
stand sein.
Als wir die Macht eroberten, erklärten wir vor aller Öffentlichkeit:
Wir sind nicht gekommen wie irgendeine der vorhergehenden Koalitio¬
nen, um an einem bestimmten Tage wieder abzudanken, — wir sind hier
und wir bleiben hier! Und wir haben auch nicht die Absicht, uns auf die
Spitze der Bajonette zu setzen, sondern wir haben die Absicht, mit dem
Volk und für das Volk zu regieren [Bravo-Rufe. Beifall], Wenn man uns
damals entgegenhielt: Ihr habt aber Maßnahmen zu treffen, die so unpo¬
pulär sind, daß das Volk sie gar nicht verstehen kann, — so geben wir
heute noch zur Antwort: Es ist nichts, was das Volk nicht verstehen
könnte; es handelt sich nur darum, daß man es dem Volk in einer Art
und Weise klarmacht, daß es es verstehen kann! [Beifall.] Das Volk ist
nicht so kurzsichtig, wie die Herren der Intelligenz in ihrer Kurzsichtig¬
keit glauben möchten [Beifall], Allerdings muß man dann die Kunst ver¬
stehen, das Volk an der richtigen Seite anzufassen. Und ich glaube, in
dieser Kunst sind wir in den vergangenen sechzehn Jahren geradezu vir¬
tuose Meister geworden [Beifall]. Weil wir die Sprache des Volkes spra¬
chen, haben wir das Volk erobert! Und nur, wenn wir weiterhin die
Sprache des Volkes zu sprechen verstehen, werden wir das Volk auch be¬
halten können.
Die Frage, ob Propaganda denn im Dritten Reich überhaupt noch
nötig sei, wird deshalb von uns mit einem knappen, aber kräftigen Ja be-
231
antwortet. Sie ist nötig wie das tägliche Brot, denn sie erhält den Staat
und sie ist jene Kraft, die immerdar mit dem Staate das Volk verbindet.
Es ist doch nicht wahr, als sei die Propaganda ein notwendiges Übel; das
sagen alle die, die nichts davon verstehen. Sie möchten gerne den Ein¬
druck erwecken: Ja, — Gott ja, sie ist ja notwendig, man muß ja was
für das liebe Volk tuen, aber angenehm ist es natürlich nicht [Heiter¬
keit], Sie verwechseln allem Anschein nach Propaganda mit Reklame
[Heiterkeit, Beifall] und sehen in uns allen so eine Art von Reklamechefs
[Gelächter] des nationalsozialistischen Deutschland. Genauso wie eine
Farbenfirma sich einen Reklamechef engagieren muß, um ihre Farben¬
produkte anzupreisen und an den Mann zu bringen, — genauso, glauben
sie, muß sich ein Staat Reklamechefs halten, um seine Gesetze an den
Mann zu bringen [Gelächter]. So liegen die Dinge denn doch nicht, denn
wenn das so einfach wäre, dann hätte sich ja beispielsweise auch die
Republik genauso wie die Firma IG Farben einen Reklamechef dingen
können [Heiterkeit]. Reklame ist vielleicht erlernbar, die Propaganda
aber ist eine Kunst, die man beherrscht oder die man nicht beherrscht. Es
gibt Menschen, die sind von der Natur aus dazu prädestiniert, und an¬
dere lernen's spät oder gar nicht.
Es ist deshalb auch nicht möglich. Propaganda in Schulen zu lehren,
— genauso, wie man Malerei nicht in einer Schule lehren kann. Man
kann für die Propaganda vielleicht eine Akademie errichten, in der das
Handwerkliche der Propaganda den Schülern vermittelt wird, — ge¬
nauso, wie das bei der Malerei oder bei der Plastik oder bei der Archi¬
tektur der Fall ist. Das Wesen der Propaganda aber ist — ich möchte
fast sagen: eine Kunst. Und der Propagandist ist im wahrsten Sinne des
Wortes ein Künstler der Volkspsychologie. Er muß — [Beifall], er muß
vor allem die Volksseele kennen. Und die Volksseele kann er nicht ken¬
nen, wenn er selbst nicht ein Stück dieser Volksseele ist. Seine wichtigste
Aufgabe besteht darin, täglich und stündlich sein Ohr an den Herzschlag
des Volkes zu legen und zu lauschen, wie es schlägt, und seine Maßnah¬
men auf den Takt dieses Herzschlages einzurichten. Ich kann einem
Volk auch unpopuläre Maßnahmen aufzwingen, ich kann die Gewalt
der Waffen dahinterstellen, aber ich wiederhole das Wort, das ich im
vorigen Jahr auf dem Kongreß unseres Parteitages am Schluß meiner
Rede 1 gebrauchte: Es mag vielleicht schön sein, über die Bajonette zu ge¬
bieten, aber schöner ist es, über die Herzen zu gebieten! [Bravo-Rufe,
Beifall.]
1 Also nicht vor den Propagandaleitern, sondern in seiner Qbliehen (auch auf
diesem Parteitag — am 13. September — gehaltenen) Rede vor dem gesamten
Kongreß in der Luitpoldhalle am 6. September 1934.
232
Die Propaganda nun hat wesentliche Charakterzüge, die — ob sie nun
in einem revolutionären Kampf um die Macht oder in einem revolutio¬
nären Kampf um die Behauptung der Macht angewandt werden —
immer dieselben sind. Die Propaganda hat ihrem Wesen nach etwas
Aggressives an sich. Sie beschränkt sich nicht darauf, einen Zustand zu
verteidigen, sondern sie geht revolutionär für diesen Zustand zum An¬
griff über. Und vielleicht ist das der schwerste Fehler, den wir in den
vergangenen Monaten hier und da gemacht haben: daß wir uns aus der
Offensive in die Defensive abdrängen ließen [Beifall]. Ich habe das
manchmal erlebt bei den alten und besten Parteigenossen, die sich nicht
damit begnügten, hier und da auftretende Mängel unseres Staates, die
ganz natürlich sind und aus der menschlichen Unzulänglichkeit erklärt
werden müssen, etwa im engsten Freundeskreise darzustellen und zu be¬
obachten. um sie damit abstellen zu können, sondern die sich nicht ent-
blödeten, über diese Fehler auch zu Menschen zu sprechen, von denen sie
wußten, daß sie an sich gegen unseren Staat stehen. Ich halte das für
grundsätzlich falsch! Wenn heute ein Gegner unseres Staates einem Pro¬
pagandisten der Bewegung entgegentritt, um darüber zu klagen, daß das
Schweinefleisch teurer geworden ist, so hat der Nationalsozialist in diese
Klage nicht einzustimmen, sondern er hat die Methoden anzuwenden,
die wir früher anwandten, als wir noch in der Opposition standen: näm¬
lich dem Gegner gleich mit den Leistungen unseres Regimes ins Gesicht
zu springen! [Bravo-Rufe, Beifall.]
Wir stehen jetzt in einem Jahr, in dem — man kann das ohne Über¬
treibung sagen — die kühnsten historischen Leistungen vollbracht wor¬
den sind, die es in der deutschen Geschichte überhaupt gibt [Beifall], Die
preußische Aufrüstung nach den Niederlagen von Jena und Auerstedt*
war ein Kinderspiel gegen die Aufrüstung, die wir unter Herausforde¬
rung der ganzen Welt in den vergangenen zweieinhalb Jahren durchge¬
führt haben! [Bravo- und Heilrufe, anhaltender Beifall.] Die wenigen
Männer, die dafür die Verantwortung zu tragen hatten, besaßen nicht
die Möglichkeit, sich hinter einer parlamentarischen Majorität zu ver¬
kriechen, sondern sie mußten jeden Tag gewärtig sein, daß sie das Risiko
eines feindlichen Aufmarsches auf sich nahmen! Sie waren abgeschnitten
von der ganzen Welt, besaßen keine Devisen und keine Rohstoffe und
haben trotzdem das Risiko gewagt. Sie haben zur gleichen Zeit aber
nicht etwa die soziale Frage vernachlässigt oder die Arbeitslosigkeit stei¬
gen lassen, sondern sie haben alle großen, grundsätzlichen Probleme un-
* Am 14. Oktober 1806, die entscheidende Schlad« des napoleonischen Krieges
gegen Preußen und bis zum .Freiheitskrieg" von 1813 dessen Abhängigkeit
besiegelnd.
233
serer Zeit in Angriff genommen und sie zum Teil auch gelöst! Wenn
demgegenüber nun als Folgeerscheinung dieses großen Umbauprozesses
hier und da ein Mangel auftritt oder wenn gar eine schlechte Ernte uns
die Lebensmittel verknappen läßt — schließlich können wir nicht über
das Wetter gebieten! —, und es wagt einer, der der Nutznießer all unse¬
rer anderen Leistungen ist. über diese momentane Schwäche zu kritisie¬
ren, so hat der Nationalsozialist nicht in diese Kritik einzustimmen, son¬
dern er hat dem Gegner ins Gesicht zu springen! [Heilrufe, starker Bei¬
fall.] Diejenigen, die das nicht tuen, beweisen damit nur, daß sie in der
Macht zu vornehm geworden sind. Und sie sollen auch nicht glauben,
daß sie damit das Volk gewinnen könnten, denn das Volk ist bei uns eine
andere Sprache gewöhnt: das Volk will uns nicht als vornehme Routi¬
niers sehen, sondern das Volk will, daß wir so reden, wie es das versteht!
[Rufe: „Bravo!", „Sehr richtig!" Beifall.]
Darum hat die Propaganda nicht nur aggressiv, sondern sie hat auch
revolutionär zu sein. Sie muß sich der Mittel bedienen, die durchschla¬
gend wirken. Und durchschlagend wirkt beim Volk immer das Extrem.
Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, in einer satten Gemütlichkeit
über die Dinge zu parlamentieren. Wir dürfen nicht Diskussionsredner
des Dritten Reiches werden. Sondern das Dritte Reich ist unsere Sache!
Und darüber zu disputieren heißt unsere leidenschaftlichste Überzeugung
verteidigen und sie aggressiv vorzutragen. Ich halte es gar nicht für ge¬
fährlich, daß die zehn Prozent, die in Deutschland gegen uns stehen,
über unseren Staat meckern. Ich halte es aber für gefährlich, wenn un¬
sere Parteigenossen in diese Meckerei mit einstimmen! [Beifall.]
Die Propaganda, die wir betrieben haben, ist die Bahnbrecherin der
Realpolitik gewesen. Es wäre sozusagen kein realpolitisches Ereignis der
vergangenen zweieinhalb Jahre möglich geworden, wenn wir nicht sozu¬
sagen als Stoßtrupp vorerst das Terrain erobert hätten, auf dem sich die¬
ses Ereignis abspielen sollte. Wir waren die Avantgarde. Wir waren auf
Grund unserer Aufgabe dazu verpflichtet, manchmal jene Paradoxe aus¬
zusprechen, die später in Gesetzen zu Trivialitäten geworden sind — wie
Schopenhauer einmal sagte 4 . Heute ist das leicht, eine fertige Armee zu
begrüßen, — schwer aber ist es gewesen, diese Armee aufzubauen. Heute
ist das leicht, die Hakenkreuzfahne zu hissen, — schwer aber ist es gewe¬
sen, sie mit einer verzweifelten Minderheit gegen die kompakte Majori¬
tät eines ganzen Volkes durchzusetzen! [Beifall.] Heute ist das leicht,
von Volksgemeinschaft zu reden, — schwer aber war es, diesen Begriff
4 Die Welt als Wille und Vorstellung, Vorrede zur 1. Auflage: [. . . daß der
Wahrheit] nur ein kurzes Siegesfest beschieden ist, zwischen den beiden langen
Zeiträumen, wo sie als paradox verdammt und als trivial geringgeschätzt
wird.
234
zu prägen in einem klassenzerrissenen Staat, in dem diese Überzeugung
überhaupt keinen Raum zu haben schien.
Das war unsere Aufgabe und wird auch immer unsere Aufgabe blei¬
ben. Wir müssen sozusagen der Tagespolitik immer um ein halbes Jahr
voraus sein [Heiterkeit], Und es liegt nun im Wesen dieser Tatsache, daß
wir manchmal Dinge aussprechen müssen, die unpopulär sind. Aber
immer in der Hoffnung, daß sie durch unsere Arbeit einmal populär
werden. Das ist ja überhaupt das Geheimnis unseres Erfolges. Man kann
auf zwei Arten versuchen, im Staat ein gewichtiges Wort mitzureden.
Entweder man redet der Masse nach dem Munde und macht sich popu¬
lär, indem man Populäres sagt, — das wird aber meistens immer nur von
kurzer Dauer sein; dann nämlich wird das beseitigt werden, wenn die
Masse die Durchsichtigkeit dieser populären Argumente durchschaut hat.
Oder aber man hat den Mut, unpopulär zu sein, aber mit so wirksamen
Mitteln das Unpopuläre zu beweisen, daß es am Ende den breiten Mas¬
sen eingeht, — das heißt mit anderen Worten: daß es populär wird.
Die nationalsozialistische Regierung war nun und ist nun und wird
nun in der Zukunft gezwungen sein, eine ganze Reihe von unpopulären
Maßnahmen zu treffen. Wenn wir die Absicht gehabt hätten, nur drei
oder vier Jahre zu bleiben, dann hätten wir von dem auch selbst nach
fünfzehn Systemjahren noch übriggebliebenen Rest des deutschen Volks¬
vermögens eine Weile lang zehren können, hätten uns damit beliebt
machen können und wären dann abgedankt. Das wollten wir nicht. Son¬
dern wir hatten die Absicht, die Dinge an sich und generell zu bereini¬
gen. Dazu mußten wir eine Reihe von Maßnahmen treffen, die schwer
und mit großen Opfern verbunden waren. Diese Maßnahmen galt es dem
Volke klarzumachen. Denn die Maßnahmen konnten auf die Dauer nicht
von Wirkung sein, wenn das Volk sie selbst nicht als richtig erkannte.
Wir waren allerdings dabei insofern etwas im Nachteil, als wir zu ge¬
wissen Zeiten über gewisse Dinge nicht sprechen durften. Wenn wir uns
beispielsweise im vergangenen Jahre, als die Löhne sehr knapp waren
und die Lebenshaltung außerordentlich beschränkt erschien, uns hätten
vor die Nation hinstellen können, um jene Proklamation zu verlesen, die
ich am 16. März bei der Herausgabe des Wehrgesetzes vor der Öffent¬
lichkeit verlesen habe 5 , dann hätten wir es sehr einfach gehabt. Wenn
wir damals gesagt hätten: Jawohl, die Löhne sind knapp, aber wir müs-
4 Die Proklamation der Reichsregierung „An das deutsche Volk!", mit der das
„Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht", d. h. also die Einführung der allge¬
meinen Wehrpflicht, bekanntgegeben wurde, war von Goebbels am f6. März
1935, 16 Uhr, den Hauptschriftleitern der Berliner Presse und den Vertretern
der auswärtigen Presse mitgeteilt worden. Die „Öffentlichkeit" erfuhr davon
am späten Nachmittag durch Extrablätter und Rundfunk.
235
sen eine Armee aufbauen, — so hätte das jedermann verstanden. So aber
mußten wir die Löhne knapp lassen, ohne zu sagen, was wir mit den
daraus resultierenden Geldsummen machen wollten! Im Gegenteil —
[Bravo-Rufe, Beifall], im Gegenteil: Wir durften das nicht nur nicht
sagen, sondern wir mußten, wo es gesagt wurde, es abstreiten. Denn es ist
naiv zu glauben, daß man plötzlich vor die Welt hintreten kann und
sagen: Wir haben die Absicht, jetzt entgegen dem Versailler Vertrag eine
Armee aufzubauen [Heiterkeit], — das macht nur eine sehr kurzsichtige
Regierung. Wenn man der Welt etwas mitteilt, daß man etwas beabsich¬
tigt zu tuen, dann muß man es meistens schon getan haben [stürmische
Heiterkeit, Beifall]. Und zwar muß die Welt in diesem Augenblick auch
wissen, daß man es getan hat, damit es darüber gar keine Diskussion
mehr geben kann [Heiterkeit. Beifall].
Nun lagen die Dinge doch so, daß wir die deutsche Aufrüstung nicht
auf einen beliebigen Zeitraum verteilen konnten. Wir konnten nicht etwa
sagen: Na, wir nehmen uns — sagen wir: fünfzehn, zwanzig Jahre. Das
machen wir langsam und peu ä peu [Heiterkeit], eine Kanone nach der
andern und einen Tank nach dem andern und ein Regiment nach dem
andern. Nein, nein. Solange wir noch nicht den vollen Umfang unserer
Rüstungen erreicht hatten, solange waren wir immer dem Angriff unse¬
rer Gegner ausgesetzt! [Rufe: „Sehr richtig!"] Das heißt also: Das Ver¬
säumnis der fünfzehn Jahre von 1918 bis 1933 mußten wir in einem
möglichst kurzen Zeitraum einzuholen versuchen. Das kostete Geld und
Anstrengung, kostete Mut und Initiative, kostete Verantwortungsfreu¬
digkeit, und was das Schlimme war: Wenn nun die Folgen, die ganz un¬
ausbleiblichen und von uns selbstverständlich auch vorausgesehenen Fol¬
gen dieses Vorgehens eintraten, dann hatten wir nicht die Möglichkeit,
dem Volke dafür die Gründe klarzulegen. Wir mußten darüber schwei¬
gen. Immer in der Hoffnung: Es kommt einmal der Tag, dann dürfen
wir reden. Der Tag ist dann am 16. März gekommen, die Armee war
sozusagen fertig [Heiterkeit, Beifall].
Ich halte es nun für maßlos unfair, eine Regierung, die zweieinhalb
Jahre lang dieses Risiko auf sich genommen hat, in dem Bewußtsein: Wir
spielen damit nicht nur mit unserer eigenen Existenz, sondern mit der
Existenz des ganzen Volkes, — ich halte es für [der Redner klopft wie¬
derholt auf das Pult] maßlos unfair, nachdem diese Regierung zweiein¬
halb Jahre lang diese Verantwortung in vielen schlaflosen Nächten —
das kann ich bei Gott sagen — getragen hat, nach den zweieinhalb Jah¬
ren zwar die Armee als selbst\’erständlich hinzunehmen und der Regie¬
rung dann die Dinge zum Vorwurf zu machen, die als Auswirkungen
dieses Vorgehens ganz unausbleiblich gewesen sind [Pfui-Rufe], Und ich
halte es von unseren Leuten für maßlos feige, wenn sie sich in diesen Ton
236
der allgemeinen Kritik mit hineinziehen lassen. [Rufe: „Sehr richtig!" Bei¬
fall.]
Wir haben auf dem Kongreß ein Rechenschaft-, eine, eine Rechen¬
schaft abgelegt über die Leistungen des vergangenen Jahres. Ich glaube,
es gibt in der ganzen Welt keine Regierung, die so offenen Auges vor ihr
Volk hintreten kann. Und man kann nicht sagen, daß wir auf der faulen
Bärenhaut gelegen hätten, sondern wir haben schon unsere Pflicht getan.
Es wäre erklärlich gewesen, wenn wir uns eine gewisse Zeit ausgeruht
hätten, denn wir waren abgekämpft im Kampf um die Macht. Das
haben wir nicht getan, sondern wir sind gleich wieder an unsere harte
und sorgenvolle und verantwortungsreiche Arbeit herangegangen. Ich
halte es nun für unfair, wenn Menschen einer Regierung das vorwerfen,
was zwangsläufig ihr Nachteil wird, ohne das und das nicht wahrhaben
wollen, was zu ihrem Vorteil angerechnet werden muß. Und da nun,
meine Parteigenossen, setzt unsere Propaganda ein. Sie muß wieder zu
diesen alten Idealen zurückkehren. Sie darf keine Art von Fortbildungs¬
schule werden, sondern sie muß sich der Mittel bedienen, deren sie sich
bediente, als wir noch um die Macht kämpften. Man darf mir auch nie¬
mals sagen: Ja, das kann ich dem Volke nicht klarmachen. Wir haben
dem Volke immer alles klargemacht, was wir klarmachen wollten. Und
wenn es Dinge gibt, die nicht klargemacht werden können, weil sie
falsch sind, dann müssen sie allerdings richtiggemacht werden.
Selbstverständlich hat es auch in Zeiten unserer Opposition Depres¬
sionsperioden gegeben. Und selbstverständlich waren dann immer diesel¬
ben Leute an der Spitze in der Kritik. Selbstverständlich gibt es solche
Menschen nicht nur in der Partei, sondern sie gibt es viel mehr auch
außerhalb der Partei. Wenn man ihnen nachgegeben hätte, dann hätten
wir erst überhaupt gar nicht angefangen! Denn am meisten haben sie
kritisiert — wenn sie uns überhaupt beachteten —, als wir mit einer
Handvoll Menschen anfingen, die nationalsozialistische Bewegung auf¬
zubauen. Wir kennen ja all die Redensarten: Nein, das kann man doch
nicht, was hat das denn für einen Zweck, so viele Parteien sind schon da,
jetzt noch eine Partei — noch eine Splitterpartei, was wollt Ihr denn
damit, und dann mit Brachialgewalt, und warum immer m it den R oten
sich herumschlagen, wendet Euch doch an gebildete Kreise [Hei¬
terkeit]. Und alles, was wir unternahmen, wurde uns dann von ihnen auf
die Schuldenseite geschrieben. Es ist nicht so, als wenn diese Menschen
heute erst darauf gekommen wären, unsere großen Bauten oder unsere
monumentalen Feste zu kritisieren, — nein, sie haben ja früher auch kri¬
tisiert, wenn wir eine neue Schreibmaschine kauften [Heiterkeit], Sie
haben immer kritisiert, wenn wir etwas taten, weil sie nämlich selbst
Faulenzer sind! [Bravo-Rufe, Beifall.] Und weil es ihrer Natur am mei-
237
sten entsprechen würde, wenn man überhaupt nichts täte — in der siche¬
ren Gewißheit, daß man dann auch keinen Fehler machen könnte [Hei¬
terkeit], Nein, nein, wir haben uns da an das breite Volk gewandt, und
das breite Volk hat uns verstanden. Denn der kleine Mann von der
Straße steht ja immer in seinem sozialen Leben einer so ausweglosen
Lage gegenüber, daß er resignieren und verzweifeln müßte, wenn er
nicht mit Mut und Kraft und Initiative dem allgemeinen Elend sich ent¬
gegenstellt. Der kleine Mann weiß, was man aus Nichts machen kann.
Und er glaubt deshalb auch lieber daran, daß man aus Nichts eine große
Bewegung und aus einer großen Bewegung einen großen Staat machen
kann, als der, der in einem satten Wohlleben die primitivsten Urgründe
eines kämpferischen Daseins vergessen hat.
Anders als mit der Propaganda ist es allerdings mit der Volksaufklä¬
rung, die auch ihren ihr zukommenden Platz in der Staatspolitik bean¬
spruchen darf. Man darf nicht immer trommeln. Denn wenn man immer
trommelt, dann gewöhnt das Publikum sich allmählich an den Trommel¬
ton und überhört ihn dann. Man muß die Trommel in Reserve haben, —
genauso, wie ein Auto eine Hupe in der Reserve hat. Nicht, als wenn es
immer hupen wollte, aber wenn es hupen muß, dann muß es Möglichkei¬
ten haben, auch zu hupen [Heiterkeit], Wollte man an einem Auto eine
Sirene immer pfeifen lassen, so würde sich der Fußgänger allmählich an
diesen heulenden Sirenenton gewöhnen und gar nicht mehr beiseite ge¬
hen, wenn er ihn hört. Man gewöhnt sich an alles. Wenn einer vor einem
Bahnhof wohnt, dann gewöhnt er sich nachts daran, daß die D-Züge
durch die Halle brausen. Wenn man aber auf dem Lande wohnt und
man ist dazu verurteilt, einmal eine Nacht in einem Hotel am Bahnhof
zu wohnen, dann hört man jeden Zug.
In der Propaganda ist es ähnlich. Wenn wir immer schreien und kra-
keelen wollten, dann würde sich die Öffentlichkeit allmählich an dieses
Geschrei gewöhnen. Nein, das muß man klug dosieren! Man muß abwar-
ten, bis eine Gelegenheit kommt, — wenn sie aber kommt, dann muß
man ein Gebrüll anstimmen, daß keiner es überhören kann [große Hei¬
terkeit, Beifall], Im übrigen aber bedient man sich einfacherer Mittel.
Genauso, wie das Auto nämlich an sich nicht ohne Geräusch läuft und
man dieses Geräusch schon auch als Warnungssignal auffassen kann, ge¬
nauso wird auch die nationalsozialistische Aufklärung nicht ohne Ge¬
räusch laufen, aber sie wird nicht hupen [Heiterkeit].
Diese Art von Volksbehandlung ist bis zu einem gewissen Grade er¬
lernbar. Sie ist nicht dazu da zu begeistern, sondern sie ist dazu da zu be¬
lehren. Sie gibt dem Menschen die Argumente an die Hand. Sie bedient
sich der Presse, sie bedient sich des Rundfunks, sie bedient sich des Flug¬
blatts oder der Broschüre oder des Buches. Sie begeistert nicht, sondern
238
sie belehrt. Sie bringt Wissen und Einsicht und Kenntnisse. Sie greift
auch nicht an, sondern sie sucht in einer methodischen Arbeit die Men¬
schen zu überzeugen. Man muß nun, wenn man eine kluge, volkspsycho¬
logische Führung an die Spitze der Propaganda stellen will, beide Dinge
gesund miteinander mischen. Und das ist eigentlich das Wichtigste, was
ein Propagandist verstehen muß: zu wissen: Wann kann ich es mit der
Belehrung ihr Bewenden sein lassen und wann muß ich angreifen!
Auch diese Belehrung darf nicht besserwisserisch auftreten. Es gibt so
eine gewisse Art von Belehrung, die das Volk in der Seele nicht ausstehen
kann. Es ist diese Art von Belehrung, die wir schon haßten, wenn uns
unser Oberlehrer mit dieser hochmütigen Arroganz entgegentrat [Hei¬
terkeit, Beifall], Es gibt so Menschen, die reden mit dem Volk, als wenn
sie dauernd Kinder vor sich hätten [Heiterkeit]. So naiv und dumm¬
dreist und herablassend, auf die Schultern klopfend und jovial. Das kann
das Volk nicht vertragen. Sondern man muß sich mit dem Volk auf sei¬
nem Plafond unterhalten. So, wie das Volk selbst spricht, so muß man
mit ihm sprechen, man muß sich in seine Diskussion mit einmischen.
Dann wird man zum Erfolge kommen. Luther hat einmal gesagt: Man
muß dem Volk aufs Maul schauen, wenn man mit dem Volke
reden will*. Und das wollen wir Nationalsozialisten niemals vergessen,
nicht in unserer Propaganda und auch nicht in unserer Aufklärung. Ich
sehe nun manchmal aufklärerische Aktionen, um mich einmal dieses
nicht ganz richtigen Ausdruckes zu bedienen, die die wesentlichen Merk¬
male einer volkspsychologischen Aufklärung vermissen lassen. Sie kommt
mir manchmal so vor wie viele redende Menschen, die nicht auf das
Wesen kommen können. Es gibt so Menschen, wenn man sie fragt: Ja,
wie war's denn gestern beim Fußballspiel? — dann erzählen die tausend¬
undeins, nur nichts vom Fußballspiel. Oder wenn man sie fragt: Wie ist
denn draußen das Wetter? — dann erzählen sie von Wetterlagen und
von Tief und von Hoch und von atmosphärischen Störungen —, sie
sagen nur nicht, ob es regnet oder ob's schneit oder ob die Sonne scheint
[Heiterkeit], Man hat ja auch manchmal im Wetterbericht diesen Ein¬
druck [Gelächter, Beifall],
Es gibt Menschen, die haben die Gabe, die einfachsten Dinge zu kom¬
plizieren [Heiterkeit], Sie handeln nach dem Grundsatz: Warum ein¬
fach, wenn es kompliziert geht [Heiterkeit], Sie meinen damit besonders
geistreich zu sein. Sie dünken sich erhaben über den kleinen Menschen¬
verstand. Diese Art von Volksaufklärung darf die nationalsozialistische
Propaganda sich niemals angewöhnen, sie muß ganz primitiv sein, ganz
einfach, ganz klar. Beispielsweise: Wenn wir eine große Aktion andrehen
• Vgl. Nr. 5, Anm. 3.
239
zur Belehrung des Publikums über Verkehrsdisziplin, dann ist es falsch,
nun ein paar Ministerialräte aus dem Verkehrsministerium dazu aufzu¬
fordern, gelehrte Aufsätze über den Verkehr zu schreiben. Richtig aber
ist es, die wesentlichsten Sünden des Verkehrslebens — sagen wir: in
zehn Geboten, die jeder versteht, zusammenzufassen und sie dann dem
Publikum so lange einzuhämmern, bis sie diese Gebote wie die Zehn Ge¬
bote herunterbeten können. Das nenne ich wirksame Volksaufklärung.
Die Dinge nun aus der Komplikation zu vereinfachen, — das ist Auf¬
gabe des Propagandisten und nicht, sie aus der Einfachheit zu verkom¬
plizieren. Je einfacher und je primitiver, desto wirkungsvoller. Denn un¬
sere Propaganda und Aufklärung soll ja den letzten Mann im Volk er¬
fassen! Man muß sich mit dem letzten Mann im Volke unterhalten, man
muß den letzten Mann kennen, diesen Schnitter von einem pommerschen
Getreidefeld oder diesen Bergmann aus dem Ruhrgebiet oder diesen Stra¬
ßenarbeiter aus Berlin, man muß ihn kennen, man muß mit ihm reden,
oder dieses Dienstmädchen aus Köln. Man muß sich einmal mit ihnen
unterhalten, um zu sehen, wie primitiv und wie klar diese einfachen
Menschen denken und wie weit sie von diesem ganzen Phrasenschwall
entfernt sind, der manchmal — sehr zum Leidwesen aller einsichtigen
Männer — manchmal auch unsere eigene Bewegung zu überwuchern be¬
ginnt.
Früher haben wir das gar nicht gekannt, früher haben wir einfach,
klar, primitiv gesprochen, und das Volk hat uns verstanden. Heute mit
einem Male wollen wir alle Gelehrte geworden sein. Wenn ich manchmal
einen nationalsozialistischen Redner höre, kommt es mir vor, als hörte
ich einen Universitätsprofessor [Heiterkeit], Deshalb müssen wir auch
wieder zu den bewährten Mitteln unserer nationalsozialistischen Propa¬
ganda und Volksaufklärung zurückkehren. Und das beste Mittel ist und
bleibt immer noch die Versammlung. Ich halte es auch nicht für richtig,
wenn unsere Redner immer mehr und mehr an den Rundfunk flüchten.
Das kann bei einzelnen Gelegenheiten notwendig sein, es ist aber nicht
das — äh. Normale. Denn es ist etwas anderes, ob der Zuhörer den Red¬
ner sieht oder ob er ihn nur hört. [Rufe: „Sehr gut!"] Und es ist bekannt,
daß das optische Vermögen im breiten Volk viel stärker ausgeprägt ist
als das akustische Vermögen. [Rufe: „Sehr gut!"] Wenn Sie das Volk in
eine Oper hineinführen, so wird es die Musik vielleicht erst beim dritten
oder vierten Hören verstehen, die Schau versteht es sofort. Denn das
optische Vermögen ist das primitivste. Und deshalb muß dieses optische
Vermögen auch weiterhin in unserer Propaganda gezüchtet werden 7 .
7 Das damals in der ersten Erprobung befindliche Fernsehen wurde daher von
Goebbels entsprechend gefördert.
240
Und deshalb ist heute noch wie ehedem die stärkste Säule unserer Arbeit
der Redner!
Darum haben wir auch zum erstenmal in einem Stoßtrupp die besten
Redner unserer Bewegung zusammengefaßt, damit wir sie bei entschei¬
denden Aktionen einwerfen können 1 ', wie man an der Front einen Sto߬
trupp —, einen Stoßtrupp einwarf, wo es besonders brenzlig geworden
war. Es ist nicht an dem, als wenn immer Kanonen reden müßten. Sie
müssen auch die kleinen Redner sich üben lassen. Denn auch bei den an¬
deren Organisationen reden ja nicht immer Kanonen; man kann nicht
sagen, daß jeder katholische Pastor eine Rednerkanone sei [Heiterkeit,
starker Beifall], Aber er besitzt ein gewisses handwerkliches Können, das
ihn in die Lage versetzt, die katholischen Dogmen wenigstens nicht
falsch darzulegen [Heiterkeit], Man nimmt es ihm auch gar nicht übel,
wenn er nicht in jeder Rede nun einen grundlegend neuen Gedanken dar¬
legt. Die Katholische Kirche hat seit 2000 Jahren keinen neuen Gedan¬
ken gehabt, sondern — [große Heiterkeit, Beifall], sondern sie hat es nur
klug verstanden, die alten Gedanken immer neu abzuwandeln. Das
Leben jedes großen Mannes vollzieht sich eigentlich in ganz wenigen
Grundsätzen, — die aber müssen fundamental sein. Auch das Programm
jeder Revolution ist eigentlich nur ein Grundsatz, — der allerdings, der
muß grundstürzend 9 sein. Es ist grundfalsch, wenn die Revolution been¬
det ist, plötzlich tausend neue Gedanken zu fassen, nur um 'was Neues
zu bringen. Man sagt: Ja, die Masse will 'was Neues haben, — nein, das
will die Masse durchaus nicht. Ja, die Masse kann das andere nicht mehr
hören, — die Masse hat 2000 Jahre das gehört, was die Katholische Kir¬
che ihr gepredigt hat, immer dasselbe, und heute noch und morgen noch,
in hundert Jahren noch, weil die Katholische Kirche das Volk versteht,
weil sie es kennt. Und weil sie an sich nicht volksfremd ist, sondern weil
ihre Pastöre immer wieder aus dem Volk herauskommen und weil sie des¬
halb in die Geheimnisse der Volksseele hineinzuschauen vermögen.
Das müssen wir auch lernen. Ich sehe manchmal in unserer Bewegung
ganz übereifrige Propagandisten am Werke, die die Meinung haben: Es
muß jeden Tag 'was Neues kommen. Und die jeden Tag etwas in der Be¬
wegung ändern möchten. Wenn wir in diesem Jahre etwas sehr schön ge¬
macht haben, dann sagen sie: Das können wir doch im nächsten Jahre
nicht mehr machen, das haben wir doch voriges Jahr gemacht. Nein, das
9 Es gab auch hier eine Hierarchie und feste Titulaturen, — neben dem „Kreis¬
redner", dem „Gauredner" und dem „Reichsredner" noch diesen „Stoßtrupp¬
redner", eine Art mobile Eingreifreserve für Schwerpunkte.
9 Offenbar versprochen für „umstürzend". Das Wort ist allerdings nicht ganz
eindeutig zu verstehen, wie Goebbels in dieser Rede überhaupt meist schnell,
oft sogar sich überstürzend spricht.
241
Volk erwartet geradezu, das wir es wiedermachen. Das Volk will nicht
immer neue Eindrücke, sondern es will nur die alten Eindrücke in immer
verfeinerterer Form.
Und da muß man auch maßhalten und Nuancen kennen. Man darf
nicht bei jedem Zusammensein von fünf Nationalsozialisten eine kulti¬
sche Feier veranstalten [Heiterkeit], Die Katholische Kirche liest ja auch
nicht jeden Tag ein Hochamt mit Tedeum, nur bei bestimmten Festtagen.
Sonst gibt's eine Stille Messe — [Heiterkeit] oder nur eine Andacht. Das
müßten wir uns zum Vorbild nehmen. Wir dürfen nicht bei jeder ge¬
wöhnlichen Versammlung oder bei einem einfachen Sprechabend das
Zeremoniell einer großen kultischen Feier auffahren lassen. Das ist für
unsere Feiern da. Und wir dürfen nicht glauben, daß wir eine Art von
Gottesdienst künstlich am Schreibtisch zusammenreimen könnten [Bei¬
fall] ; so etwas muß wachsen! Und das kommt nicht von heute auf mor¬
gen; die katholischen Riten, die sind auch nicht in den Katakomben
schon so gewesen — so, wie sie heute sind, sondern sie sind durch die
Jahrhunderte allmählich geworden. Ich möchte deshalb nur wünschen,
daß wir für mindestens zehn Jahre Worte wie Kult oder Thing 10 oder
Mystik einmal aus unserm Sprachschatz entfernten [Beifall], Die Dinge
sollen wir nicht entfernen, aber wir sollen nicht davon reden.
Man redet ja meistens von dem, was man nicht hat. Menschen, die
Geld in Hülle und Fülle besitzen, die haben ja keine Veranlassung, über
Geld zu sprechen. — die haben's ja. Nur der, der kein Geld hat, der
spricht vom Geld [Heiterkeit], Menschen, die Geschmack haben, die
reden nicht vom Geschmack, sondern sie betätigen den Geschmack in
ihrem Leben. Aber die keinen Geschmack haben, die reden immer von
neuer Geschmacksbildung, vom Geschmack unseres Jahrhunderts, —
ein untrügliches Zeichen dafür, daß sie keinen Geschmack besitzen
[Heiterkeit], Es gibt Menschen, die tragen ein inneres Stilgesetz in
sich, ohne das Wort Stil überhaupt zu kennen; und es gibt Menschen,
die reden den ganzen Tag von Stil und haben keine Ahnung, was es
überhaupt ist.
10 Das „Thing-Theater", Weihespiele auf Freilichtbühnen, war ein Experiment
der ersten Jahre des Dritten Reiches und sollte die künstlerische Repräsen¬
tation der „Volksgemeinschaft" darstellen, eine Art säkularisiertes Ober¬
ammergau. Vielerorts, möglichst auf „historisch geweihtem" Boden, schössen
die Thingstätten aus dem Boden; die erste eröffnete Goebbels am 5. Juni 1934.
Schon im Jahr darauf, zur Zeit dieser Rede, war die rechte Freude dahin.
Auch nur einigermaßen akzeptable Stücke fehlten, denn alle Förderung brachte
nur dilettantisches Machwerk zutage und das Publikum langweilte sich. 1937
mußte Goebbels dann das mit so großen Hoffnungen begonnene Unternehmen
offiziell abblasen. (Vgl. Hildegard Brenner, Die Kunstpolitik des National¬
sozialismus. Reinbek bei Hamburg 1963, S. 95 ff.)
242
Wenn da so ein hochgelehrter Literat einen Vortrag über nationalso¬
zialistischen Stil hält, dann kann einem ja das Erbrechen kommen [Ge¬
lächter], Wenn man aber einen einfachen deutschen Arbeiter bei der
Arbeit sieht, wie er sie ganz selbstverständlich tut, ohne irgendwie über
— äh, die — sagen wir: die soziale Note dieser Arbeit nachzudenken,
ohne sich etwa als ein getretenes Menschenkind zu empfinden, als ein de¬
klassierter Sohn der Gesellschaft, — wenn er seine Arbeit einfach tut, so,
wie sie eben getan werden muß, oder wenn der Bauer mit ewig gleich¬
bleibenden, weit ausholenden Schritten durch die Furchen geht und seine
Saat hineinwirft, so muß ich sagen: das ist Arbeitsstil. Und die beiden
Menschen würden Sie wahrscheinlich sehr verwundert anschauen, wenn
Sie ihnen jovial auf die Schultern klopfen würden und sagten: Na, Sie
haben aber wirklich Stil, Mann! [Gelächter.]
Und deshalb bin ich der Meinung, daß wir nicht mehr davon reden
sollen; um so eher wird's kommen. Plötzlich wird's dasein. Beispiels¬
weise unsere Nürnberger Tage, das ist für mich — ich möchte fast sagen:
eine religiöse Handlung. Wenn — [Beifall], wenn im Luitpoldhain unter
dem Donner der Kanonen die neuen Standarten in das Tuch unserer
Blutfahne 11 hineingetaucht werden, so ist das für mich etwas — Religiö¬
ses. Wir haben aber nicht, ehe wir anfingen, nun den Luitpoldsfestakt zu
gestalten, nun gesagt: Wir müssen 'was Religiöses erfinden! — nein, das
ist gekommen, von selbst. Plötzlich war's da, und jetzt findet jeder es
selbstverständlich. Es wäre nun falsch, wenn wir dieses Jahr etwas Neues
gemacht hätten, weil wir sagten: Das haben wir doch schon im vorigen
Jahr gemacht! Jeder Zuschauer würde dann sagen: Nanu, wo bleibt
denn das? Kommen denn dies' Jahr keine Kanonen, voriges Jahr waren
doch die Kanonen dabei. Nein, diesmal —, diesmal heulen die Sirenen
[Heiterkeit]. Das ist Unsinn! Und so ist es auch bei unseren Versamm¬
lungen. Nicht jeder Ortsgruppenleiter soll den Ehrgeiz haben, eine —,
einen neuen Thingkult zu erfinden, sondern er soll das den Leuten über¬
lassen, die dazu berufen sind und die aus innerer Schau und innerer Not¬
wendigkeit so etwas schaffen.
Wir dürfen uns überhaupt nicht dieser bequemen Mittel bedienen, um
Propaganda zu machen. Das ist ja heute viel bequemer als früher. Früher
mußten wir unser Gehirnschmalz in Bewegung setzen, um zu Erfolgen zu
kommen; heute brauchen wir das nicht mehr. Heute brauchen wir nur zu
sagen: Also, Parteigenosse Meier, schreiben Sie mal einen Aufsatz — äh,
11 Die Fahne des an der Feldherrnhalle gescheiterten Putschzuges vom 9. No¬
vember 1923, mit deren Berührung — durch Hitler persönlich — jeweils auf
dem Reichsparteitag neue Fahnen und Standarten der Partei und ihrer Glie¬
derungen „geweiht" wurden. In jenem Jahre hatte dies am Vortage, am.
15. September, in der Luitpoldarena stattgefunden.
243
und der Kreisleiter wird dafür sorgen, daß das morgen ins Kreisblatt
hereinkommt. Früher konnten wir das nicht. Früher hätte das Kreisblatt
gesagt: Wieso? Wieso? Wie kommen wir dazu? Wir denken ja nicht
daran! Heute ist das einfach. Heute redet man einmal, und man läßt das
über alle Sender übertragen, und die ganze Nation, glaubt man, hat das
nun gehört. Die ganze Nation hat gar nicht gehört, sie hat abgedreht
[Beifall]. Solche monumentalen Mittel wendet man an, wenn es sich um
monumentale Dinge handelt. Wenn der Führer im Reichstag spricht,
wenn der Führer im Luitpoldhain spricht, wenn der Führer zur Jugend
oder zu den Frauen spricht: da ist die ganze Nation am Lautsprecher!
Aber wenn Parteigenosse Meier aus Kötzschenbroda [Gelächter] über
lokale Angelegenheiten spricht, so interessiert das nicht Sachsen und in¬
teressiert nicht das Reich und ist gar nicht Grund genug, über Richt¬
strahlen nach Asien und Afrika übertragen zu werden [Gelächter, Bei¬
fall],
Ebenso ist es auch mit der Presse. Der Staatssekretär in meinem Mini¬
sterium 11 ' hat einmal ein richtiges Wort geprägt: Die Presse ist keine
Drehorgel. Das soll heißen: Es ist nicht eine Drehorgel, aus der nun jeder
die ihm beliebigen Töne herausquetschen kann. Auch die Presse ist ja ein
feines Instrument, ebenso wie der Rundfunk. Man muß damit umgehen
können, man muß das dosieren können. Man muß Abwechslung schaffen
können. Jetzt beispielsweise, wenn wir acht Tage aus Nürnberg übertra¬
gen haben, dann weiß jeder Volkspsychologe: Jetzt wird das Volk sicher
gesättigt sein. Es darf nun nicht übermorgen oder am Donnerstag oder
Freitag ein neuer Vortrag angesetzt werden über „Der Gedanke der
Volksgemeinschaft" — oder „Parteigenosse Sowieso spricht über das
Thema: Gemeinnutz geht vor Eigennutz". Das ist jetzt zwecklos. Das
muß jetzt einmal ein paar Wochen hintangestellt werden, jetzt muß man
die Leute wieder sich erholen lassen. Man muß sie aus der Politik wieder
in Ferien schicken.
Das ist ja überhaupt das Geheimnis des Lebens: Man muß arbeiten zu¬
zeiten, und man muß zuzeiten sich erholen. Und wer das nicht tut, ist dumm.
Das sind nicht die besten Arbeiter, die sagen: Also, früher hatte ich noch
sechs Stunden zum Schlafen, jetzt arbeite ich zwei Stunden mehr, ich
komme und muß auch mit vier Stunden auskommen. Das ist falsch! Er
wird nicht mehr leisten, er wird nervös werden, er wird mit jedermann
Krach bekommen, diese Nervosität überträgt sich auf seine Arbeit, und
die ganze Sache leidet darunter nur Schaden. Man muß richtig abwech¬
seln können zwischen Arbeit und Erholung. Man muß auch in der Pro¬
paganda richtig dosieren zwischen Belehrung und zwischen Aufklärung
11 Walther Funk, der spätere (1938) Reichswirtschaftsminister.
244
und zwischen Propaganda und zwischen gewissen Erholungspausen 18 .
Glauben Sie, weil wir im Monat Juli und zum Teil sogar noch im August
eine Versammlungspause eingelegt haben, — deshalb kämen die Leute im
September nicht mehr zu den Versammlungen? Nein, sie kommen viel
lieber. Sie sind jetzt ausgeruht, sie haben jetzt das Bedürfnis: Jetzt
möchte ich mal wieder in eine Versammlung! Das ist das Richtige. Es ist
nicht richtig, wenn die Leute sagen: Ach Gott, schon wieder mal eine
Versammlung!
Ebenso ist es mit den andern Mitteln, die wir anwenden — mit Plakat,
Flugblatt, Demonstration, Rede. Das sind alles die bewährten Mittel, die
wir im Kampfe gebraucht haben, und das sind weiterhin die bewährten
Mittel, die wir heute, nachdem wir die Macht besitzen, gebrauchen müs¬
sen. Sie müssen aber gebraucht werden in demselben Stil, in dem wir
sie... früher gebrauchten. Ich habe manchmal den Eindruck, als wenn
wir die Dinge zu gut könnten. Wir organisieren zuviel. Wir — [Beifall],
wir übertreiben das so, daß das Wort „organisieren" bei uns schon ein
Scherzwort geworden ist. Man sagt: Organisieren Sie mir mal —, mir
mal ein Auto! — oder: Organisieren Sie mir mal eine Zigarette! [Heiter¬
keit.] In diesem Scherzwort liegt eine tiefere Bedeutung. Der das sagt,
der weiß —, nicht gerade bei ’ner Zigarette, aber wenn es etwas mehr
wäre, dann könnte ich davon überzeugt sein: Der sagt's jetzt seinem Ad¬
jutanten, der Adjutant sagt's seinem Sekretär, und der Sekretär sagt's —,
sagt's seiner Sekretärin, die sagt's zum Portier, und der sagt's seiner Frau
— und die Frau, die holt dann die Zigaretten! Es wird eine Maschine in
Bewegung gesetzt, um ein kleines Resultat herbeizuführen. Oder, um es
mit einem geflügelten Wort auszudrücken: Die Berge müssen kreißen,
damit ein Mäuslein geboren wird.
Ich halte das nicht für richtig. Ich halte das nicht für richtig, daß wir
alles so systematisieren und daß wir in allen diesen Dingen so ausgespro¬
chene Routiniers werden. Ich erlebe das auch manchmal, wenn ich zu
einer Versammlung komme. Ich frage dann: Na, wie wird's denn heute
abend? — Och, wie wird's werden! Klar wird das gut! — Und wenn ich
mir dann die Vorbereitungen schildern lasse, so sehe ich, daß der Mann
das so gut kann, daß am Ende die Versammlung etwas ganz Kaltes und
Gekonntes bekommen hat. Genauso, wie, wenn ein Schauspieler zwei-
hundertmal dieselbe Rolle spielt, man das Empfinden hat: Der kann's zu
gut! Das ist so poliert und so geleckt und so sauber gestrichen, daß man
11 Am gleichen Tage ordnete Goebbels für die Wochen nach dem Parteitag im
Rundfunk die „stärkste Einschränkung aller politischen Sendungen" an mit
vier angekündigten Ausnahmen: Erntedankfest, Eröffnung des Winterhilfs¬
werkes, 8./9. November und Sendungen aus dem Saargebiet. Die freigewor¬
denen Sendezeiten sollten „ausschließlich für Musikdarbietungen bereitgestellt"
werden.
245
gar nicht mehr das Empfinden hat, daß es aus dem Herzen kommt. Das
dürfen wir uns nicht angewöhnen, meine Parteigenossen! Sondern wir
müssen weiterhin — ich möchte fast sagen: an den Urquell der Dinge
herangehen, und wir müssen sie immer vor neuem erschaffen. Wir dürfen
uns nicht der fertigen Resultate bedienen, sondern wir müssen selbst an
ihrer Schöpfung unmittelbar mitwirken.
Und damit komme ich auf eine sehr wichtige Frage, die vor allem in
Beziehung gesetzt werden soll zu den gestern angenommenen Gesetzen.
Ich erlebe vielfach in der Partei, daß sie sich damit beschäftigt, aus einer
gewissen inneren Unruhe heraus radikale Forderungen aufzustellen, nur
um sie aufzustellen. Obschon der Mann, der sie aufstellt, ganz genau
weiß, daß die Regierung das im Augenblick überhaupt nicht durchführen
kann. Selbst wenn sie es wollte, könnte sie es nicht. Beispielsweise: Wenn
einer nun glaubt, besonders Nationalsozialist zu sein, wenn er erklärt:
Man darf einem Juden nichts verkaufen! Oder: Juden sind hier überall
unerwünscht! Sie sind in Dörfern unerwünscht, in Städten unerwünscht,
sie sind in den Provinzen unerwünscht, in Seebädern und in Gebirgsbä-
dern und —, ja, wo sollen sie denn hingehen 14 ? Sie müssen doch
irgendwo bleiben. Der Führer hat mit Recht gestern abend auf einem
Empfang der Gauleiter gesagt: Wir haben gar kein Interesse daran, die
Juden zu Asketen zu machen. Denn die sind gefährlich! Dicke und poröse
Juden, die sind nicht mehr gefährlich, aber diese — [Beifall], diese ge¬
härteten und haßerfüllten Asketen, die könnten uns einmal gefährlich
werden. Wir haben auch gar kein Interesse daran, die Juden zu zwingen,
ihr Geld im Auslande auszugeben, — sie sollen es hier ausgeben. Man soll
sie nicht in jedes Bad hineinlassen, aber man soll sagen: Wir haben hier
oben an der Ostsee — sagen wir einmal : hundert Bäder; eins davon, da
kommen die Juden hin, da kriegen sie jüdische Kellner und jüdische Ge¬
schäftsdirektoren und jüdische Badedirektoren und da können sie ihre
jüdischen Zeitungen lesen, da wollen wir gar nichts von wissen; das soll
nicht das schönste Bad sein, sondern vielleicht das schlechteste, das wir
haben, das geben wir ihnen [Heiterkeit], — und in den anderen, da sind
wir unter uns. Das halte ich für richtig. Denn wir können ja die Juden
nicht wegschieben, sie sind ja da. Wir besitzen ja keine Insel, auf die wir
die —, auf die wir sie transportieren könnten 15 . Wir müssen ja damit
rechnen.
14 Schon ein paar Jahre danach erschien das nicht mehr problematisch und die
Juden konnten ruhig überall „unerwünscht" sein, — noch bevor man dann
1941 das Problem gelöst hatte, wo die Juden „hingehen” sollten.
15 Hier also schon die Idee eines Insel-Gettos, die dann nach dem Frankreidi-
feldzug vorübergehend ernsthaft ventiliert wurde (Madagaskar), bis der Ost¬
feldzug näherliegende Möglichkeiten für die „Endlösung" eröffnete.
246
Es ist deshalb nicht richtig, wenn die Propaganda darauf hinausläuft,
am Ende einer Regierung Schwierigkeiten zu machen, weil sie das gar
nicht erfüllen kann, was die Propaganda fordert! Sie untergraben damit
ja die Autorität der Staatsführung! Denn glauben Sie nicht, daß Sie nun
mit diesen radikalen Forderungen die Massen auf Ihre Seite bringen; die
Massen sagen nur: Warum tut Ihr's denn nicht! Ihr habt ja die Macht!
Warum redet Ihr nur davon, — tut's doch! Da kennen Sie das Volk
schlecht, wenn Sie glauben, mit so radikalen Forderungen das Volk auf
die Dauer auf Ihre Seite zu bringen. Das ging, als wir noch in der Opposi¬
tion standen und keine Macht besaßen. Da lief das Volk hinter uns her,
weil es sich sagte: Die Nazis, die reden nicht nur, sondern wenn die die
Macht haben, tun sie das! Wenn Sie heute aber Forderungen aufstellen
und Sie können sie nicht erfüllen und Sie werden sie deshalb auch nicht
erfüllen, dann werden Sie auf die Dauer das Volk nur unruhig und unsi¬
cher machen. Und auch die eigenen Parteigenossen.
Es ist ja nicht notwendig, daß wir unsere eigenen Parteigenossen radi¬
kaler machen, als sie ohnehin schon sind! Sondern es ist richtig, daß wir
die Millionen Menschen, die der Partei noch fernstehen, allmählich an
unsere an sich radikalen Ziele heranziehen. Es reicht auch nicht aus,
wenn unsere Parteigenossen die Judengesetze, die gestern angenommen
worden sind, verstehen, sondern das Volk muß sie verstehen. Denn wir
wollen ja keine Pdrteiregierung sein, sondern wir wollen eine Volksregie¬
rung sein.
Ich halte es deshalb auch nicht für richtig, bei unserer Propaganda all¬
zusehr auf die Macht zu pochen. Ich möchte überhaupt bitten, daß das
Wort Macht aus unserer Argumentation nach Möglichkeit herausgestellt
wird. Mit der Macht operiert die Polizei, mit der Überzeugung aber ope¬
riert die Propaganda! Die Polizei, die kann sich — [Beifall], die Polizei,
die kann sich auf Panzerwagen beziehen, die Propaganda tut das nicht.
Die Propaganda muß überzeugen, auch nicht beleidigen. Es ist eine
schlechte Oberzeugungsmethode, wenn ich den, den ich überzeugen
möchte, erst dreimal mit dem Knüppel auf den Kopf schlage [Heiter¬
keit], Und glauben Sie, die Menschen werden deshalb — äh, energische
Verfechter des Nationalsozialismus werden, weil wir beispielsweise an
Betriebe ein Rundschreiben schicken: Morgen abend findet da und da
eine Versammlung statt, Ihr Betrieb hat zu dieser Versammlung soundso¬
viel Mann zu entsenden.
Das ist nicht richtig; das haben wir früher nicht gekonnt und haben es
deshalb auch nicht nötig gehabt. Ich glaube, wir haben's auch heute noch
nicht nötig und wir dürfen's deshalb eigentlich auch nicht können. Wir
müßten heute der Überzeugung sein: Wir —, wir Propagandisten, wir
wenden überhaupt keinen Zwang an. Wenn Zwang angewendet werden
247
muß, dann überlassen wir das andern. Wir tuen das nicht, das ist Auf¬
gabe von anderen Ressorts. Wir müssen den Zwang des Herzens zum ge¬
bieterischen Gebot des Handelns im deutschen Volke machen [Beifall].
Es leidet daran —, darunter ja auch die Güte unserer Darbietungen.
Wenn die Leute sowieso kommen, dann gibt der Redner sich gar keine
Mühe mehr und sagt: Die kommen ja sowieso. Wenn er aber weiß: Wenn
ich jetzt schlecht rede, kommen sie nicht mehr wieder, rede ich aber gut,
dann werden das nächste Mal doppelt so viele Menschen hier sein, —
dann wird er sich Mühe geben.
Vor allem dürfen wir in schwierigen Fragen keinen Dilettantismus ob¬
walten lassen, vor allem in so kolossal komplizierten Fragen, wie es etwa
die Judenfrage oder die Kirchenfrage ist. Es soll nicht jeder darüber
reden, der nichts davon versteht. Vor allem sollten wir uns da nicht mit
billigen Schlagworten zufriedengeben, sondern wir sollen die Dinge
schildern so, wie sie sind. Ich glaube beispielsweise, wenn ich — äh, in
meiner Kongreßrede 14 den Bolschewismus — äh, zerlegte und ihn nun in
dem Personenkreis umschrieb, der fast ausschließlich jüdisch ist, — ich
glaube, daß das eine sehr wirksame antisemitische Propaganda ist. Und
ich glaube, wenn wir uns dieses Materials bedienen, daß wir damit
durchschlagender wirken, als wenn wir uns nur mit allgemeinen Rede¬
wendungen begnügen. Vor allem gilt das für die Kirchenfrage. Nicht
jeder Redner hat die Möglichkeit, darüber lichtvolle Ausführungen zu
machen, nicht jeder, wenn ich mich dieses Ausdrucks bedienen darf, ist
ein Kirchenlicht [Heiterkeit], Deshalb soll nur der darüber reden, der
etwas davon versteht und der vor allem auch diese Delikatesse besitzt,
um eine so schwierige Frage so zu behandeln, daß sie kirchengläubige
Menschen nicht vor den Kopf schlägt.
Glauben Sie mir, meine Parteigenossen: Wenn wir heute Menschen ge¬
gen uns stehen haben, die wir eigentlich gewinnen könnten, so ist das
zum großen Teil an der Ungeschick-, aus der ungeschickten Behandlung
der Kirchenfrage zu erklären [Rufe: „Sehr richtig!", „Bravo!" Beifall].
Wir brauchen da gar keine Kompromisse zu machen. Sie dürfen mich nicht
für einen Opportunisten halten. Aber ich muß die Dinge klar sagen. Ich
darf nicht gegen den Katholizismus wettern, sondern ich muß gegen den
politischen Katholizismus zu Felde ziehen. Und zwar muß ich, wenn ich
eine Wunde schlage, — dann muß ich gleich die Watte zur Hand haben,
um sie wieder über die Wunde zu breiten. Denn es ist nicht richtig, dem
Gegner überhaupt keine Chance mehr zu lassen. Denn da bleibt ihm ja
nichts anders übrig, als zu kämpfen.
14 Vgl. Anm. 2. Sein Thema: „Der Bolschewismus — die Internationale des
Grauens"; die Rede liegt in der Tagespresse (14. September 1935) sowie in den
Sammelwerken über die Reichsparteitage gedruckt vor.
248
Wenn ich in der Propaganda zum Ausdruck bringe: Die Juden haben
überhaupt nichts mehr zu verlieren! — ja, dann dürfen Sie sich nicht
wundern, wenn sie kämpfen. Oder wenn ich sage: Die Kleriker haben
gar nichts mehr zu verlieren, es gibt keinen Pardon! —, dann haben Sie
die Kirchen eben grundsätzlich gegen sich, zu jeder Stunde. Wenn Sie
ihnen keine Chance mehr bieten , nein, man muß das immer offen¬
lassen. Wie zum Beispiel gestern in meisterhafter Weise der Führer das in
seiner Rede getan hat: Wir hoffen, daß — äh, mit diesen Judengesetzen
nun die Möglichkeit besteht, ein erträgliches Verhältnis zwischen dem
deutschen und dem jüdischen Volk herbeizuführen und — [Heiterkeit].
Das nenne ich Geschick! Das ist gekonnt! Wenn man aber gleich dahin¬
ter gesagt hätte: So, das sind die heutigen Judengesetze; Ihr sollt nun
nicht glauben, daß das alles ist, im nächsten Monat — da ist gar nichts
mehr dran zu ändern —, nächsten Monat kommen die nächsten, und
zwar so, bis Ihr bettelarm wieder im Getto sitzt —, ja, dann dürfen Sie
sich nicht wundern, wenn die Juden die ganze Welt gegen uns mobilma¬
chen. Wenn Sie ihnen aber eine Chance geben, eine geringe Lebensmög¬
lichkeit, dann sagen sich die Juden: Ha, wenn die jetzt im Ausland wie¬
der anfangen zu hetzen, dann wird's noch schlimmer; also Kinder, seid
doch mal still, vielleicht geht's doch 17 ! [Heiterkeit, Beifall.]
Und vor allem: die Juden laufen uns ja nicht weg. Auch die Kirchen
laufen nicht weg. Glauben Sie nicht, daß — äh, der Erzbischof von Köln
nachts mit dem Kolpingverein den Kölner Dom heimlich über die
Grenze schafft und kann dann sagen: So! [Gelächter.] Nein [der Redner
klopft wiederholt auf das Pult], die sind ja da. Die Kirchen sind auch da
und die Gläubigen sind auch da und die Juden sind auch da. Und ihr
Vermögen ist auch da. Das ist ganz gut, wenn sie dasind. Es könnte ein¬
mal möglich sein, daß in einer kommenden schwierigen Auseinanderset¬
zung sie uns als sehr gutes Faustpfand dienen könnten 18 [Beifall]. Wir
müssen endgültig aus unserem Gehirn jenes bürgerliche, dumme Wort
herausbringen: Viel Feind', viel Ehr'. Möglichst nach allen Seiten schla¬
gen; ja, und gar nicht richtig schauen, wohin man schlägt, sondern: Von
hier in einem Umkreis von fünf Metern — wehe, wer hineinkommt, ob
Freund oder Feind! [Heiterkeit.] Nein, wir müssen uns unsere Feinde
wählen. Und zwar dann, wenn wir wissen: So, jetzt geht's auf seine Ver¬
nichtung aus. Dann werden wir auch die Macht behalten, — vor allem,
17 Diese diabolische Rechnung, die Goebbels hier im vertrauten Kreise aufmacht,
ist denn auch ziemlich aufgegangen.
18 Dieser immerhin noch rationalen Bösartigkeit stand dann freilich der patholo¬
gische, irrationale Vernichtungswille Hitlers gegenüber, der ein solches .Faust¬
pfand" nicht glaubte nötig zu haben. Lediglich gegen Kriegsende hat dann
Himmler mit den Restbeständen des .Faustpfandes" ein paar kleine, schäbige
Geschäfte zu machen versucht.
249
wenn wir diese Aktionen so anlegen, daß sie immer kommen, wenn das
Volk sie erwartet.
Die nationalsozialistische Bewegung hat alle diese Bestrebungen zu¬
sammengefaßt unter dem Wort „Propaganda" und hat die Propaganda
damit wirklich zu einer Kunst erhoben. Sie war die Waffe, mit der wir
den Sieg erkämpften, sie ist die Waffe, mit der wir heute den Sieg be¬
haupten. Wenn der Führer diese Art der Politik in einem besonderen
Ministerium konzentrierte, so hat er damit zum Ausdruck gebracht, daß
sie im modernen Staatsleben einfach unabdingbar ist. Und es war nun
meine Aufgabe, diese Flomogenität zwischen Staat und Partei nach un¬
ten hin weiter durchzuführen.
Ich glaube, ich kann von meinem Ministerium mit Stolz sagen, daß es
eine der wenigen Behörden ist, in denen Staat und Partei absolut inein¬
ander übergegangen sind 1 ' [Beifall]. In meinem Ministerium selbst sit¬
zen [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] 92 Prozent Nationalso¬
zialisten, und zwar Nationalsozialisten — für mich gilt als Nationalso¬
zialist immer nur der, der vor dem 30. Januar 1933 zu uns gekommen ist
[Bravo-Rufe, Beifall]. In meinem Ministerium sitzen über 300 Parteige¬
nossen mit der Mitgliedsnummer unter 100 000; sämtliche Landes-
[Bravo-Rufe, Beifall], sämtliche Landesstellenleiter sind alte Parteige¬
nossen, fast alle mit der Mitgliedsnummer unter 100 000; alle ihre Mitar¬
beiter sind alte Nationalsozialisten, und wenn bei uns ein Neuer einge¬
stellt ist: mein erster Blick fällt auf die Mitgliedsnummer. Man kann
also hier sagen, erstens einmal: Es ist möglich, Staat und Partei miteinan¬
der in ein erträgliches Verhältnis zu bringen, — und zweitens: Es gibt
auch in der Partei Parteigenossen, die etwas können und die man zu sol¬
chen Ämtern berufen kann. Die sagen: Es gibt keine mehr, — die sind
nur zu faul zu suchen oder sie scheuen sich, mit solchen kantigen Men¬
schen umzugehen. Denn diese Menschen sind nicht so einfach zu behan¬
deln wie ein Ministerialrat bürgerlicher Prägung, die haben ihre —
[Rufe: „Sehr gut!", starker Beifall], Wenn ich einem bürgerlichen Mini¬
sterialrat einen A uftrag gebe, dann verbeugt er sich: Jawoll, Herr Mini¬
ster, und damit ist es aus. Wenn ich das einem nationalsozialisti¬
schen Ministerialrat sage, sagt er: Verzeihen Sie, Herr Doktor, — oder:
Verzeihen Sie, Parteigenosse Goebbels, das kann ich so nicht machen, das
ist falsch; denn aus den und den Gründen. Mit den Menschen kann
man nicht so leicht umspringen, sie sind hart und kantig und manchmal
auch grob, und sie sind ungebärdig und manchmal sind sie auch nicht
sehr freundlich und nicht sehr zuvorkommend und [Heiterkeit] setzen
19 Die im folgenden gegebene Beschreibung der Aufbauprinzipien und inneren
Struktur des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda ist in
den wesentlichen Zügen zutreffend.
250
sich mal. wenn sie ins Zimmer kommen, zuerst und warten nicht, bis
man sich selbst gesetzt hat und — [Gelächter], Das ist aber nicht das
Wichtige! Sondern wichtig ist, daß sie ihr Herz auf dem rechten Fleck
haben und daß sie ihre Sache verstehen [Bravo-Rufe, starker Beifall],
Wenn also die nationalsozialistische Propaganda in einem Ministerium
verankert wurde, so möchte ich eindringlichst darum bitten, nicht zu
glauben, daß sie damit vom Volke oder von der Partei weggegangen
wäre, sondern die Partei und das Volk ist damit in die Regierung einge¬
zogen. Es ist umgekehrt [Beifall], Die Gleichschaltung des Partei- und
Staatsapparates ist hier hundertprozentig vollzogen und wird Tag für
Tag mehr vollzogen. Und ich bin der Überzeugung, daß wir auf diese
Weise uns vor der Gefahr schützen, daß die Propaganda bürokratisiert
wird. Der alte Staat hat nie etwas von Propaganda verstanden; ich kann
deshalb im alten Staate keine Menschen finden, die mich in dieser Arbeit
unterstützen könnten. Ich habe das auch allen andern Ministern bürger¬
licher Prägung gegenüber immer wieder betont: Ich weiß mit diesen
Menschen nichts anzufangen, — was soll ich damit! Wenn sie mir sagen,
sie wollen mir einen alten Ministerialrat aufzwingen —. was soll ich
damit? Da habe ich lieber gar keinen als den [Gelächter, starker Beifall],
Denn was wir hier betreiben, das ist eine spezifische Kunst, und die
muß man können. Daß der alte Staat mit seinen Mitarbeitern sie nicht
konnte, das hat er ja bewiesen, und daß wir sie können, haben wir auch
bewiesen, und deshalb müssen wir dieses Ministerium haben, und zwar
hundertprozentig sitzen die hier. Hier und da gibt es einen Verwaltungs¬
posten, — den überlasse ich den Bürokraten, weil die das besser können.
Ich verstehe mich nicht gut auf Geld und — [Bravo-Rufe] solche Dinge,
ich will auch gar nichts damit zu tuen haben. Das machen sie auch ganz
ordentlich, sie sind sehr sauber und sehr akkurat — [stürmisches Geläch¬
ter und Beifall], sie sind sehr sauber und sehr akkurat und — sehr inte¬
ger, sie — würden nie einen Pfennig wegnehmen, sie sind in diesen wirk¬
lich großen Tugenden des Preußentums aufgezogen worden, — das be¬
herrschen sie, das sollen sie deshalb auch tuen.
Aber Politik machen: das Geschäft besorgen wir! Da lassen wir uns
nicht hineinpfuschen. Es ist bei mir nicht so, daß, wenn ich etwas tuen
will, ich dann etwa einen Juristen des Ministeriums kommen lasse und
sage: Sagen Sie, ist das gesetzlich zulässig zu tuen? [Heiterkeit.] Sondern
wenn ich etwas tuen will, dann ist die Tatsache, daß ich es tue, unum¬
stößlich. Ich lasse dann höchstens einen Juristen kommen und sage:
Suchen Sie mir ein Gesetz, mit dem ich das begründen kann [Heiterkeit].
Das ist der Unterschied. Es ist mir natürlich lieber, etwas gesetzmäßig zu
tuen als gesetzlos. Und wenn es ein Gesetz gibt, das man mit einigem
Zähneknirschen für irgendeine Handlung in Anspruch nehmen kann, —
251
warum soll man das nicht tuen? [Heiterkeit, Beifall.] Aber die Gesamt¬
führung der Propaganda liegt damit bei der Partei, denn wir sind ja alle
Partei. Ich bin Partei, meine Mitarbeiter sind Partei, die Propagandalei¬
tung 20 in München ist eigentlich nur eine Dependance von uns und wir
sind eine Dependance von München. Wir sind durch Fernschreiber mit¬
einander verbunden, wir können jeden Augenblick miteinander verkeh¬
ren; und zwar verteilen wir die Aufgaben und sagen: Das eine, das kann
der Staat besser, — und das andere, das kann die Partei besser. Was der
Staat besser macht, das macht der Staat, und was die Partei besser kann,
das macht die Partei. Es wird zuerst überlegt: Welcher Gruppe geben
wir's? — und die macht's dann.
Zum Beispiel die Beherrschung der Presse: das besorgen wir durch den
Staat. Denn das kann die Partei nicht, sie hat ja nicht die Mittel und die
gesetzlichen Grundlagen dazu. Die Presse gehorcht mir als Minister.
Wenn ich als Reichspropagandaleiter zu ihr käme, würde sie sagen:
Wieso, Sie haben ja gar keine gesetzlichen Unterlagen dafür. Wenn wir
aber — sagen wir: das Tempelhofer Feld füllen wollen, das besorgt
wieder die Partei. Wenn wir im Volk einen Propagandakampf entfesseln
durch Versammlungen, das macht die Partei; wenn wir einen Propagan¬
dakampf entfesseln durch die Presse, das macht das Ministerium. Darum
muß auch die gesamte öffentliche Meinungsbildung in unserer Hand
bleiben. Die Propaganda darf nicht zersplittert werden, und sie muß sich
weiterhin auf einige ganz wenige Ziele konzentrieren und muß die ganz
scharf und unerbittlich durchfechten.
Ich komme damit ein Thema —, auf ein Thema zu sprechen, meine
Parteigenossen, das in letzter Zeit in unseren Reihen akut geworden ist.
Das ist das Thema der Verbände. Ich halte ja dieses Sammelsurium von
Verbänden überhaupt für überflüssig. Ich bin auch in keinem Verein
Mitglied und ich will auch nie in einem Verein Mitglied sein; ich bin in
meinem ganzen Lebenn überhaupt nur in einem Verein Mitglied gewesen,
das ist der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterverein' 1 . Das genügt
auch vollkommen, denn in dieser Bewegung kann sich alles Leben ent¬
wickeln. Wenn die Verbände nun plötzlich zu uns kommen, so wollen sie
selbstverständlich von uns nur profitieren. Sie sind früher nicht gekom¬
men, als wir in der Opposition standen, sondern jetzt, wo sie wissen, wir
sind der Staat, — und sie möchten gerne bei uns Vorteile haben. Sie ver-
14 Die Reidispropagandaleitung in München war Goebbels' Dienststelle in seiner
Eigenschaft als Reichspropagandaleiter der Partei. In den Regionalinstanzen,
den — schließlich 41 — Reichspropagandaämtern (zugleich Gaupropaganda¬
leitungen), waren dann staatlicher und NSDAP-Bereidi kaum mehr entwirr¬
bar zusammengefaßt.
21 Die Bezeichnung, unter der die NSDAP im Vereinsregister eingetragen war,
gewissermaßen ihre juristische Form (gegründet am 30. September 1920).
252
folgen in ihrer Zusammenarbeit mit uns nur Sonderinteressen, und im ge¬
heimen sehen sie in uns nur erst die Trommler, die wir früher für sie
waren. Wenn sie zum Beispiel sagen: Was, ich verstehe gar nicht, daß Sie
das nicht machen: wir berufen eine Versammlung ein, und dann laden
wir Sie als Redner ein, dann können Sie bei uns reden über den Natio¬
nalsozialismus. Da muß ich sagen: Das ist für die Partei ganz unwürdig.
Wie kommen wir dazu? Wenn wir reden wollen, berufen wir selbst eine
Versammlung ein; wir haben doch nicht etwa da irgendeinen Krieger¬
verein nötig, um uns Menschen zuzuführen. Wir kommen die dazu? Über
Nationalsozialismus zu reden — dazu sind wir da, und dafür das
Podium zu schaffen — das ist unsere Aufgabe.
Wenn die Partei nun durch einen großen Reichsring" alle diese pro¬
pagandistischen Bestrebungen in anderen Verbänden zusammengefaßt
hat, so nur, um sie zu kontrollieren und dafür zu sorgen, daß das eine
Einheit bekommt, daß da nicht jeder herumschwafeln kann, was er will.
Denn gerade das schafft uns so großen Schaden! Die Parteigenossen sind
zu diszipliniert, um über schwierige und delikate Fragen in aller Öffent¬
lichkeit zu reden, aber die, die da in diesen Verbänden sitzen und
nicht mit der Disziplin der Partei verwachsen sind, die machen uns
die größten Schwierigkeiten, und das werden wir deshalb in der
Zukunft zu unterbinden wissen [Bravo-Rufe, Beifall], Die Verbin¬
dung, den Kontakt mit dem Volke aufrechterhalten, das werden wir
selbst besorgen.
Was nun die Presse anlangt, meine Parteigenossen, gestatten Sie mir
darüber ein offenes Wort zu sagen. Ich sehe [der Redner klopft mehr¬
mals auf das Pult] vielfach in unserer Presse ein Bestreben, das ich für
verhängnisvoll halte. Und zwar aus folgenden Gründen. In einem natio¬
nalsozialistischen Ministerium muß — sagen wir: ein Kompromiß ge¬
schlossen werden, und zwar nach Lage der Dinge. Dieses Kompromiß
wird hin und her überlegt, und schließlich und endlich kommt man unter
gereiften, alten, erprobten Nationalsozialisten — meistens ist ja noch der
Führer dabei — zu dem Entschluß: So machen wir's! Ich halte es dann
für verhängnisvoll, wenn ein paar Wochen später in einer nationalsozia¬
listischen Zeitung zu lesen ist, im Briefkasten „N.N. Magdeburg Nr.
113": Es entspricht den Tatsachen, daß das Ministerium das und das ge¬
tan hat oder das und das tuen läßt — warum, das müssen Sie beim Mini¬
sterium selbst zu erfahren versuchen. Ich halte das für unfair. Denn wir
tuen's doch nicht — —, sagen wir einmal: Man läßt irgendwo einen
12 Im „Reichsring für nationalsozialistische Volksaufklärung und Propaganda",
einem Amt der Reichspropagandaleitung (vgl. Anm. 20), sollten die Propa¬
gandafunktionäre von Verbänden und Vereinen einheitlich „ausgerichtet"
werden.
253
Halbjuden aus irgend einem G runde, den man nun vor der Öffentlichkeit
nicht entwickeln kann , oder sagen wir: Man läßt einen Schauspie¬
ler, der mit einer Jüdin verheiratet ist, sagen wir: zehn Jahre mit einer
Jüdin verheiratet ist, den läßt man weiterhin auf einer Bühne auftre-
ten M . Doch nicht, weil man nun der Jüdin einen Gefallen tuen will, son¬
dern weil man sich überlegt hat: Wenn wir diesem Schauspieler nun die
Lebensmöglichkeit nehmen, dann bleibt ihm ja nichts anderes übrig, als
nach Wien zu gehen; in Wien wird er mit offenen Armen empfangen.
Wir stärken damit also das Kulturzentrum Wien: Wir haben kein Geld
und keine Mühe gescheut, den Wienern große deutsche Künstler abspen¬
stig zu machen, — so treiben wir eine eigene Kanone nach Wien heraus.
Ich sage: Es ist ein Kompromiß, — aber man ist zu dem Ergebnis ge¬
kommen: Beim Kompromiß hat das deutsche Volk mehr Nutzen als
Schaden.
Ich kann natürlich diese Überlegungen nicht in der Öffentlichkeit dar¬
legen. Ich kann nicht sagen: Also Pardon, Parteigenossen, das ist nicht
so, wie Ihr me int, das tue ich nicht der Jüdin zuliebe, sondern das tue
ich, weil , damit decke ich ja meine ganze Taktik auf. Da ist es nun
notwendig, daß unsere Parteigenossen Disziplin halten und daß sie einse-
hen, daß ein nationalsozialistischer Minister das nicht aus Spaß tut, son¬
dern daß er dabei seine Überlegungen hat, daß er dabei seine Motive hat
und daß die stichhaltig sind. Und daß man die als [der Redner klopft
wiederholt auf das Pult] gegeben hinnehmen muß. Ich möchte deshalb
darum bitten, daß auch unsere Presse in diesen Dingen schärfere Diszi¬
plin hält, wenn sie sich nicht vor sehr großem Schaden bewahren will!
Denn Sie dürfen davon überzeugt sein: auf die Dauer wird das nicht ge¬
duldet, daß die Menschen, die nun zu der undankbaren Aufgabe verur¬
teilt sind, hier und da einen [der Redner klopft wiederholt auf das Pult]
Kompromiß zu schließen, weil es anders gar nicht geht, — daß diese
Menschen dann deshalb in der Öffentlichkeit angegriffen werden. Wie
ich überhaupt für falsch halte, daß Nationalsozialisten andere National¬
sozialisten in der Öffentlichkeit angreifen, — das gibt's nicht! [Beifall.]
Auch nicht, wenn sie Fehler machen.
Ich halte es auch für falsch, wenn ein hoher Amtswalter des Staates
oder der Partei in einer Rede Dinge sagt, die vom Ausland gelobt wer¬
den; das halte ich für falsch. Das wird auch nicht geduldet werden. Daß
einer sich da das Recht herausnimmt, eine Rede zu halten, in der über
" Es gab in der Tat solche Fälle, — der des Schauspielers Joachim Gottschalk,
dessen Schicksal nach 1945 auch verfilmt worden ist (.Ehe im Schatten", Defa),
ist am bekanntesten geworden. Und gerade Goebbels war es, der hier längere
Zeit die Taktik vor der Ideologie rangieren ließ und dadurch einen liberalen
Anschein erweckte; später, insbesondere im Kriege, radikalisierte sich natürlich
auch das.
254
die Partei losgezogen wird, — das gibt's nicht! Vor allem nicht, wenn
das in einer schnodderigen Weise vor sich geht [Beifall]. Wir müssen uns
da alle, meine Parteigenossen, den Führer zum Vorbild nehmen. Sie wer¬
den nie erleben, daß der Führer einen Mitarbeiter desavouiert, selbst
wenn er einen Fehler gemacht hat 24 . Der Fehler wird abgestellt, aber
der Parteigenosse wird dabei nicht desavouiert und nicht gekränkt, denn
man schadet damit ja nicht dem Parteigenossen, sondern man schadet
nur der Autorität der Partei! [Rufe: „Sehr richtig!" Beifall.] Glauben
Sie nicht, wenn der Parteigenosse Göring oder Heß oder ich einen Fehler
gemacht haben und wir würden dafür vom Führer öffentlich gerügt, —
glauben Sie nicht, daß das nur uns schadete, — nein, das würde der Par¬
tei schaden. Die ganze Auslandspresse würde sich mit Wonne darüber¬
stürzen und würde daraus eine Staatskrise machen. Wir dürfen nicht nur
sagen, wir seien ein Orden, sondern wir müssen auch tatsächlich ein
Orden sein. Glauben Sie, in der katholischen Kirche passiert nichts?
[Heiterkeit.] Ich bin nicht so naiv — [Beifall], ich bin nicht so naiv, das
zu glauben! Aber hören Sie einmal etwas darüber? Nein, ich nicht. Das
ist ein Orden! Das machen die unter sich aus. Nach außen — eine Ein¬
heit; nach innen gibt's Verschiedenheiten, gibt's Sünden, gibt's Schwä¬
chen: das dringt nie an die Öffentlichkeit 25 !
Wenn wir auch ein Orden sein wollen, dann müssen wir auch so han¬
deln! Und müssen uns als Ordensmitglieder auch einen bestimmten
Ordensstil allmählich angewöhnen. Wenn ich heute mit Leuten aus dem
Volke rede und sie äußern sich begeistert über den Führer und ich frage
sie: Ja, warum nun eigentlich seid Ihr vom Führer so begeistert?, — da
bekomme ich niemals die Antwort: Na, der Führer hat das Flottenab¬
kommen abgeschlossen, — oder: Der Führer hat die Erwerbslosen wieder
in Arbeit gebracht, — oder: Der Führer hat die Wehrfreiheit prokla¬
miert; nein, man hört immer eine Antwort, nämlich: Der Führer ist so
einfach geblieben! [Starker Beifall und Bravo-Rufe.] Das ist eigentlich
die stärkste Kraft, die im Führer steckt. Daß man ihm nachsagen kann:
Er ist in der Macht derselbe wie vor der Macht, er hat sich nicht geän¬
dert! [Bravo-Rufe. Beifall.]
Und da vor allem muß der Führer unser Beispiel sein; wir dürfen
nicht plötzlich in einen Größenwahnsinnsfimmel verfallen. Und dürfen
nicht nach bestimmten Stellen schauen und sagen: Na, wenn der das
kann, muß ich das doch auch können! Der ist mit fünf Autos aufge-
: * Das ist im wesentlichen zutreffend. An dieser „Treue" krankte jedoch das
ganze System: eine Armee von unfähigen „alten Parteigenossen" saß in den
Amtsstellungen, weil Hitler sich von den Veteranen nicht trennen konnte.
" Man war gerade dabei, das abzustellen: Im Mai 1936 begannen die „Sittlich¬
keitsprozesse", die den Nachholbedarf der Öffentlichkeit an Wissen über Sün¬
den in Klerus und Kloster mehr als befriedigten.
255
kreuzt, also — vier müssen's bei mir mindestens sein [Heiterkeit], Alles
geht nur mit Pomp und Prunk und mit großer Aufmachung, daß man
sich zum Schluß überhaupt nicht mehr auskennt. Und dann stehen dann
meistens bei diesen Parteigenossen die Reden in einem diametralen Ge¬
gensatz zum Handeln [Beifall], Und das ist es, meine Parteigenossen,
was uns so schadet. Denn was das —, was wir wollen, das weiß das Volk
allmählich; das Volk beobachtet nur mit dem Fernstecher, wie wir's tuen
[Rufe: „Sehr richtig!"]. Wie wir es persönlich durchführen und wie wir
uns persönlich dazu stellen.
In der nationalsozialistischen Bewegung ein führendes Amt bekleiden
— das ist eigentlich ein dauernder Verzicht auf das Leben. Am stärksten
ist das beim Führer ausgeprägt, im verminderten Umfang bei uns allen.
Wenn ich Ihnen das vorrechnen wollte, auf was ich alles im Leben ver¬
zichten muß, weil ich eben das bin, was ich bin, so käme dabei heraus,
daß ich auf achtzig —, daß ich achtzig Prozent dessen, was jeder andere
tuen kann, selbst nicht tuen kann 2 ®. Ich kann in kein Restaurant gehen,
ich kann in kein Hotel gehen, ich kann in keine Bar gehen, ich kann in
kein Variete gehen, ich kann mich nicht beleibig da aufs Auto setzen und
ins blaue Land hineinfahren, ich kann nicht auf der Straße Spazierenge¬
hen und ich kann mich nicht meiner Familie widmen, und wenn ich mir
einen neuen Anzug kaufe, dann muß ich ihn erst untersuchen: Ist das —
äh, ist die Firma jüdisch? Nein. Ist sie fraumauerisch? Nein. Ist es ein
alter Parteigenosse? — Ja, das alles muß ich bei mir in der Tat, — ich
darf kein Äragercknöpfchen kaufen, ohne daß ich nicht vorher genau
mich orientiert habe, bei welcher Firma ich es kaufe 27 . Es gibt tausen¬
derlei Dinge, auf die jeder von uns verzichten muß. Ja, dafür, meine
Parteigenossen, sind wir aber auch die Führer dieser Bewegung! Daß das
nicht nur Vorteile mit sich bringt, sondern auch Nachteile, das ist doch
selbstverständlich. Und daß das Volk uns beobachtet, — ja, wer wollte
sich denn darüber wundern? Der [der Redner klopft wiederholt auf das
Pult] kleinste Amtswalter ist für die Haltung der Partei verantwortlich!
Ihn — [Rufe: „Sehr richtig!" Beifall], ihn sieht man unten im Volke!
Uns sieht man nur in Berlin.
Und da werden auch manchmal Fehler begangen aus Unbedachtsam¬
keit, die wir zu vermeiden suchen sollten. Was eigentlich gar keine Feh¬
ler sind, aber es sind Ungeschicklichkeiten. Beispielsweise: Wenn vor
Obwohl im Prinzip richtig, so dodi wohl gerade bei Goebbels selbst etwas zu
hodi gegriffen, wenn man an seinen Lebensstil und seine Amouren denkt.
27 An sich erwartete das die Partei von allen ihren Mitgliedern, ja eigentlich
jetzt schon von jedem „anständigen Volksgenossen". Die Zahl derer, die — in
Organen wie „Der Stürmer" oder „Das Schwarze Korps" — als abschrek-
kende Beispiele öffentlich angeprangert wurden, weil sie das nicht beachtet
hatten, war nicht unbeträchtlich.
256
meinem Hause ein Untergrundbahntunnel einstürzt 18 und unter den
Erdmassen liegen neunzehn Arbeiter begraben und die Bergung dauert
zwei Wochen lang, dann ist es selbstverständlich, daß ich in diesen zwei
Wochen lang nicht — äh, bei mir die Rollos herunterlassen kann und
sagen: Mein Familienleben hört auf. Es ist aber auch selbstverständlich,
daß ich in dieser Zeit — selbst wenn alle anderen das nicht brauchen —,
daß ich in dieser Zeit nicht mein Familienleben im regulären Stil weiter¬
führen kann. Ich kann keinen Besuch empfangen, ich darf mir nicht
abends etwa einen Film vorführen lassen 8 * — selbst wenn es mein Amt
ist! Selbst wenn ich zur Prüfung — sagen wir: einen ausländischen Film
ansehen muß, weil kein anderer entscheiden kann, ob er genehmigt wer¬
den darf, dann gehe ich ins Ministerium und schaue ihn mir an, aber
nicht zu Hause. Ich kann ja nicht zu jedem Arbeiter hingehen und sagen:
Pardon, da ich —, das ist mein Beruf! Nein, der Arbeiter sagt nur: Na,
also unten liegen die Toten — und der spielt Film!
Sie sehen daran, meine Parteigenossen: Es gibt Dinge, die an sich gar
nichts an sich haben und die trotzdem nicht getan werden dürfen. Und
wir, die wir nun die Meister der Volkspsychologie sind, wir müssen das
alles überlegen. Ich lasse mir selbstverständlich, wenn da 500 Arbeiter —
äh, an dieser Einsturzstelle arbeiten, — lasse ich mir dann nicht bis an
die Einsturzstelle mein Auto kommen, um dann pomphaft da mit dem
Auto abzubrausen. Obschon ich selbstverständlich für meinen Dienst ein
Auto nötig habe, — ich kann ja doch nicht diesen Dienst — äh, zu Fuß
abmachen. Trotzdem lasse ich das Auto zweihundert Meter vorher hal¬
ten, denn ich weiß, daß der einfache Arbeiter sich sagt: Na, wir sitzen
hier und schuften und suchen hier unsere toten Kameraden aus dem
Lehm heraus — und der Herr Minister fährt im Auto weg! Es ist ebenso
selbstverständlich, daß ich jedesmal, ob ich abends oder mittags oder
nachts oder morgens aus meinem Hause komme oder in mein Haus hin¬
eingehe, — daß ich mich zehn Minuten oder eine Viertelstunde hier
damit beschäftige: Wie steht jetzt der Stand' 0 ? Man könnte sagen: la,
Sie haben's doch vor zwei Stunden , ja, aber vor zwei Stunden war
'ne andere Belegschaft da. Die neue Belegschaft weiß das ja nicht.
Das heißt also, meine Parteigenossen, wir dürfen nicht nur das Rich¬
tige tuen, sondern wir müssen auch das —, das Zweckmäßige tuen. Wir
dürfen nicht sagen: Ja, ich hab' mir doch nichts zuschulden kommen las¬
sen! Denn ich garantiere Ihnen, meine Parteigenossen, daß [der Redner
M Vgl. oben Nr. 26. Goebbels' Dienstwohnung in der damaligen Hermann-
Göring-Straße lag unmittelbar an der Ungliicksstelle.
29 Goebbels hatte sich in seiner Wohnung einen eigenen Vorführsaal einrichten
lassen.
511 Die letzten Worte sind nicht deutlich zu verstehen.
257
klopft wiederholt auf das Pult] von all diesen vielen tausend Arbeitern,
die da an dieser Unglücksstätte gearbeitet haben, — daß von jedem die¬
ser —, daß jeder dieser Arbeiter für mich durchs Feuer gehen würde.
Und zwar aus diesen Kleinigkeiten heraus. Daß ich sage: Hier muß für
Essen gesorgt werden, hier muß für Zigaretten gesorgt werden, dafür ist
das Geld da! Und wenn es nicht da ist, muß es beschafft werden! Da
muß die Nation eintreten, und nicht hier die armen vierhundert Men¬
schen sollen hier allein zu leiden haben, — da muß man sich einsetzen!
Beispielsweise die Firma, die dieses Einbruchunglück zum großen Teil
sogar verschuldet hat, — die wollte, als die Arbeiten fertig waren — äh,
äh, zwei Drittel der beschäftigten Arbeiter entlassen. Man muß sich das
nun vorstellen! Man hat ja gar keine Worte dafür: Man hätte ja Men¬
schen zu Anarchisten mit Gewalt gemacht! Da kommt ein einfacher
Arbeiter zu mir und sagt mir das; es ist da selbstverständlich, daß ich da
einschreiten muß. Und zwar augenblicklich. Ich kann doch nicht sagen:
Ja, also ich hab' keine Zeit, ich muß —, ich muß zu einer Chefbespre¬
chung. Nein, hier geht das vor! Da soll die Chefbesprechung warten!
[Starker Beifall.]
Und das, meine Parteigenossen, müssen wir uns alle vornehmen. Wir
machen ja sowieso Fehler, oder es wird ja immer etwas Vorkommen, was
das Volk nicht versteht. Aber man soll das auf ein geringstmögliches
Maß zurückdrängen. Und soll sich so innerlich und äußerlich zusammen¬
nehmen, daß man an unserm persönlichen Leben gar nichts aussetzen
kann, — es sei denn, es geschieht aus Böswilligkeit oder aus Verleum¬
dung. Denn wir selbst sind durch unser eigenes Leben die besten Propa¬
gandisten unserer Sache. Wir sind — [Bravo-Rufe, Beifall], Denn was
Nationalsozialismus ist, das wird nicht nur in unseren [der Redner un¬
terstreicht jedes betonte Wort durch Klopfen] Gesetzen niedergelegt, son¬
dern das wird auch in unserer Haltung und in unserer Lebensführung
niedergelegt. Und zwischen Gesetz und Haltung darf es keinen Wider¬
spruch geben, denn dieser Widerspruch, der könnte für uns tödlich wer¬
den.
Ich darf Ihnen, meine Parteigenossen, zur Verdeutlichung dieses Tat¬
bestandes ein paar Beispiele anführen. Ich war vor einigen Wochen in
einer Stadt. Ich machte in dieser Stadt einen Besuch. Und ich wurde in
der Stadt von braven, alten Parteigenossen empfangen, von —. die kei¬
nen Makel und keinen Fehl an sich tragen, so sauber und so einfach und
so klar. Und diese Parteigenossen mußten nun meinem Wagen voraus¬
fahren, weil ich den Weg nicht wußte; und es drängte sich dann noch ein
anderer Wagen mit einer Begleitmannschaft davor, so daß ich also der
dritte Wagen war. Und ich hatte nun Gelegenheit, während einer ein-
stündigen Fahrt zu beobachten, wie diese drei Autos auf das Publikum
258
wirkten. Das erste war, daß fast dauernd die Sirene gezogen wurde, so
daß ich zum Schluß ganz nervös war. Es wurde ein wahnsinniges Tempo
angeschlagen, daß die Leute also erschreckt an die Seite sprangen. Dann
fuhren wir — äh, durch eine Fabrikstadt, wo grade irgendein Betrieb
ausging; Arbeiter mit ihren Fahrrädern wurden an die Seite gequetscht,
ich hörte hinter —, ich hörte dann die Schimpfworte. Und zwar hatten
die gar keine Ahnung, worum es sich handelte, denn ich war ja inkognito
in der Stadt, ich wollte nicht erkannt werden, weil ich nicht die Zeit
hatte. Das zweite Auto vor mir stellte sich nun — äh, blieb nun — äh,
verlangsamte sein Tempo bei jedem Lastauto, bei jeder Straßenbahn und
bei jedem anderen Automobil, winkte ab und schrie irgend etwas, was
man natürlich in dieser Eile gar nicht verstehen konnte, schrie und — äh,
gestikulierte in der Gegend, — das sollte heißen — äh: Es kommt hier
ein Ministerauto dahinter. Der Betreffende wußte gar nicht, was los
war; der setzte seinen Wagen mitten in die Straße, so daß wir erst recht
eingeklemmt wurden, der ganze Straßenverkehr stand still, und mitten
in diesem Straßenverkehr stand ich [Heiterkeit], Die Parteigenossen hat¬
ten das sehr gut gemeint, und sie haben's sehr schlecht gemacht!
Wir müssen daraus lernen. Wenn der Beruf uns zwingt, ein Auto zu
benutzen, so müssen wir das so volkstümlich machen, als das eben mög¬
lich ist. Es vergibt sich keiner von uns etwas dafür —, dabei, wenn er
einmal auf der Landstraße abends vom Dienst zurückkehrt oder nach¬
mittags irgendwohin fährt und es —, es steht da eine Bäuerin auf der
Straße, die nicht mehr weiterkann, oder ein BDM-Mädel oder ein Hit¬
ler-Junge oder ein SA-Mann, — wenn er ruhig dann einmal anhält und
sagt: Also los, Kamerad, einsteigen! Und wenn er ihm zum Schluß [Bei¬
fall], und wenn er ihm zum Schluß eine Schachtel Zigaretten schenkt
oder ein Zehrgeld mitgibt. Das macht sich ja alles bezahlt, meine Partei¬
genossen, das ist das beste Kapital, das man anlegen kann. [Rufe:
„Bravo!", „Sehr richtig!"] Das wird Ihnen mit Zins und Zinseszins zurück¬
gezahlt! So ein [der Redner klopft mehrmals auf das Pult] reisender
Handwerksbursche ist Ihr bester Apostel! Er wird es Mann und Frau er¬
zählen: Ja, das sind anständige Leute! Das sind anständige Leute, da ist
mir doch . Wenn dem einer entgegenbringt: Ja, die Nazis, die rasen
mit den Autos —, s agt der : Nein, nein, es gibt auch anständige darunter,
mir ist mal passiert . Und das geht wie ein Lauffeuer durch eine
Provinz.
Und aus all diesen kleinen Einzelzügen ergibt sich zum Schluß das,
was man persönliche Popularität nennt. Es gibt Menschen, die sind von
Natur aus populär, und es gibt Menschen, die können machen, was sie
wollen, die werden nicht populär, das Volk hat kein Faible für sie. Sie
haben nicht diese charmante Art, mit dem Volk umzugehen. Sie verste-
259
hen es nicht, sie können sich auch mit dem Volk nicht unterhalten. Als
ich bei uns dieses Einsturzunglück hatte, — ich habe mich stundenlang
mit den Arbeitern unterhalten. Der Führer ist hingekommen, wir sind
mit dem Führer bis in den tiefsten Stollen hinuntergestiegen, haben die
Leute gefragt: Wie geht's? Wie ist's? Sie haben uns das erklärt, — die
Leute waren glücklich, daß sie uns das explizieren konnten. Wie, glauben
Sie, spricht sich das nun in einer Stadt wie Berlin um! Und wie, glauben
Sie, würde es wirken, wenn sich kein Mensch hätte sehen lassen und kein
Mensch darum gekümmert hätte!
Ich möchte daher bitten, daß —, wenigstens für meine Person möchte
ich Sie alle bitten: Wenn ich in irgendeiner Stadt bei Ihnen Besuch
machte —, ich möchte Sie um zweierlei bitten: erstens, daß ich nicht von
einer Herde von Autos empfangen werde [Bravo-Rufe], und Nummer
zwei, daß Sie für mich kein Staatsessen arran-, zusammen- [Bravo-
Rufe, Beifall], Ich habe das früher nicht getan und mache das heute
nicht. Ich möchte mit meinen alten Parteigenossen zu Abend essen und
nicht mit —, mit wohllöblichen Senatoren oder hohen Stadtverordneten
oder Wirtschaftsführern oder was weiß ich was für —, ich möchte bei
meinen alten Parteigenossen bleiben [Bravo-Rufe, Beifall], Und ich
möchte weiterhin essen, was mir schmeckt, und nicht jeden Tag etwas,
was mir vorgesetzt wird, wenn es auch noch so gut ist. Und Nummer
drei: Ich möchte das auch zahlen, was ich esse. Und Nummer vier: Ich
möchte mir von niemandem im Volke auch —, vorwerfen lassen, daß ich
von seinen Steuern Festmähler mache.
Wenn das notwendig ist im internationalen Verkehr, ist das etwas an¬
ders. Das ist zweckentsprechend, das dient auch wieder dem Volke.
Wenn wir einen internationalen Filmkongreß geben und veranstalten da
einen Filmball und geben dafür soundsoviel tausend Mark aus und wis¬
sen: Dafür kommt es millionenweise hier an Devisen wieder für abge¬
setzte deutsche Filme herein, — dann sage ich: Das ist notwendig, das
mache ich. Und das bringt dem Volk auch wieder Geld. Aber für mich,
unter uns? Nein! Wir sind keine —, keine Spitzen der Behörden, wie es
so schön in den Zeitungen heißt [Heiterkeit, Beifall]. Ich möchte auch
nicht, daß, wenn ich komme, nun bestimmte Grade des Empfanges in —,
in — äh, getippten Programmen, das —, die an alle Behördenstellen ge¬
hen, nun dargelegt werden: großes Gepränge oder mittleres Gepränge
oder kleines Gepränge, — bei mir soll überhaupt kein Gepränge sein, son¬
dern was bei mir ist, das soll durchs Volk kommen, aber nicht durch die
Behörden. Daß die Behörden, wenn es befohlen ist, großes Gepränge
machen, das weiß ich [Heiterkeit], Daß sie sich aber ebensowenig dabei
denken, wenn sie kleines Gepränge machen müssen, das weiß ich auch.
Ich will weder kleines noch mittleres noch großes Gepränge der Behör-
260
den, aber ich möchte, daß ich mit warmer Sympathie im Volke empfan¬
gen werde [Bravo-Rufe, Beifall].
Ich habe kürzlich so ein Programm' 1 gelesen, in dem wurde also ge¬
nau an alle Beamten in einer ganzen Stadt, an Gegner und an Freunde
und an Anhänger und Parteigenossen, — wurde dargelegt: Um soundso¬
viel Uhr kommt der, dann —, alles bis ins einzelne, als wenn wir nur —
äh, Maschinenfiguren wären. Dann meldet der Herr Sowieso, meldet —
und zwar folgendes: Melde gehorsamst das und das und das und das.
Dann: Um soundsoviel Uhr betritt der — äh, der Parteigenosse Sowieso
das Rathaus, steigt eine Treppe hoch, in Klammern : Parteigenosse
Sowieso wäscht sich die Hände, Klammer zu [Gelächter], Ja,
meine Parteigenossen, ich komme mir ja dann vor, als —, als wenn die
Partei meine Gouvernante wäre! Wann ich —. wann und wo ich mir die
Hände zu waschen das Bedürfnis habe, das möchte ich bestimmen [Bra-
vo-Rufe], Und das braucht dann auch nicht in einem schriftlich gedruck¬
ten Programm — äh, sämtlichen Beamten dieser betreffenden Stadt mit¬
geteilt zu werden, so daß dann also das niedere Volk und der be¬
schränkte Untertanenverstand beim Blicken auf die Uhr sagt: Haah,
jetzt wäscht er sich die Hände! [Starkes Gelächter.]
Das gilt auch, meine Parteigenossen, im Umgang mit dienstbarem Per¬
sonal. Wenn ich ein reicher Kommerzienrat bin, der das Geld ausgibt
und dafür Leistungen verlangt, da kann ich mich in jedem Hotel darüber
beschweren, wenn etwas nicht klappt; wenn ich Nationalsozialist bin,
dann tue ich das zweckmäßigerweise nicht. Dann schnauze ich den Kell¬
ner nicht an: Ja. was ist das für eine Schweinerei hier! Ich kann sagen:
In dieses Hotel gehe ich nicht mehr hin, das ist mir zu unsauber. Aber
den Kellner da anschnauzen, eine Szene da vor dem Publikum machen,
vieleicht noch auf die [der Redner klopft auf das Pult] Macht pochen,
— das halte ich nicht für richtig. Da müssen wir größtmögliche Zurück¬
haltung —, auch wenn uns Unrecht geschieht; dann müssen wir großzü¬
gig darüber hinwegsehen. Das ist keine Sache, mit der wir uns — äh, ab¬
geben können. Sie wissen, wie unangenehm das wirkt, wenn da so ein
schreiender Kommerzienrat in einem Hotel herumkreuzt, den Portier an¬
schnauzt und das Telefonfräulein und den Oberkellner und den Zimmer¬
kellner und das Stubenmädchen —, macht keinen guten Eindruck. Dafür
sind wir in Deutsch-, wir Deutsche vielfach auch im Ausland so unbe¬
liebt geworden, weil wir das so meisterhaft verstehen: Na. das würde
sl So, wie Goebbels das hier schildert, sehen die sogenannten »Minutenpro¬
gramme", die vor jedem Staatsbesuch oder Staatsakt angefertigt werden, tat¬
sächlich aus. Es ist eigentlich kaum anzunehmen, daß ausgerechnet der große
Feier-Regisseur Goebbels so wenig von diesem dabei unerläßlichen Hilfsmittel
gehalten haben soll, wie er hier glauben macht.
261
doch bei uns in Berlin nicht Vorkommen! Oder: In Magdeburg wäre das
unmöglich!
Dann: Die Uniform immer nur anziehen, wenn man bestimmt weiß,
daß man in eine Umgebung kommt, in der die Uniform nicht deplaziert
wäre. Ich halte es nicht für richtig, wenn ein Parteigenosse einmal nach
des Tages Last und Müh' abends in ein Kabarett gehen will, um sich zu
erheitern, — daß er da ausgerechnet seine Amtswalteruniform anzieht
[Heiterkeit]; da soll er in Zivil gehen. Ich halte es auch nicht für richtig,
daß, wenn irgendeine große Feier stattfindet, — daß die —, die größte
Sorge des Parteigenossen ist: Wo ist mein Platz? Diese Platz- und Rang¬
frage, die spielt in unsern Kreisen heute vielfach eine Rolle, die geradezu
grotesk wirkt [Beifall]. Das ist mir ganz gleichgültig, wo ich sitze. Bis¬
marck hat einmal gesagt, als er bei einem Abendessen eingeladen war
und sich an einen falschen Platz gesetzt hatte und die Hausfrau ihm
sagte: Exzellenz, Sie sitzen ja eigentlich hier, hier oben, — da hat Bis¬
marck geantwortet: Wo ich sitze, ist immer oben! [Heiterkeit.]
Wie gesagt, meine Parteigenossen: Dieser nationalsozialistische Stil
muß uns in Fleisch und Blut übergehen. Dann werden wir die großen
Aufgaben meistern. Wir hatten diese Aufgaben und haben sie gelöst —
und haben neue Aufgaben und werden sie lösen. Wir mußten die Wehr¬
freiheit schaffen, wir mußten Arbeit beschaffen. Beide Fragen kosteten
in ihrer Lösung Devisen, die mußten geschafft werden, es mußten dafür
andere Aufgaben hintangestellt werden. Wir blieben dabei nicht von
Rückschlägen verschont, aber man kann doch auch die Erfolge nicht ab¬
leugnen, nämlich: daß wir fünf Millionen Menschen in Arbeit brachten
und daß die Wehrfreiheit Tatsache geworden ist! Man darf also, wenn
sich momentane Rückschläge zeigen, die Erfolge nie vergessen, auch
nicht in der Propaganda! Man darf sich nicht auf das schlüpfrige Gebiet
dieser Rückschläge locken lassen, sondern man muß sofort wieder in die
positive Zone vorstoßen. Man muß klarmachen, daß das natürlich ist,
daß das zwangsläufig war, man braucht das auch gar nicht abzustreiten,
sondern man muß es erklären, warum es so ist, warum es gar nicht an¬
ders sein konnte.
Und dafür, meine Parteigenossen, muß die nationalsozialistische Pro¬
paganda sorgen. Wir dürfen unsere großen Versammlungsschlachten nie¬
mals schlagen über die Frage: Warum ist momentan das Schweinefleisch
knapp? — oder: Warum sind die Eier teurer geworden? Glauben Sie
doch nicht, daß [der Redner klopft längere Zeit auf das Pult] es unsren
Gegnern darauf ankommt. Sie wollen uns auf dieses Gebiet locken, weil
sie wissen: Da können wir 'was machen. Denen geht's nicht darum, daß
die Eier siebzehn Pfennig kosten; wenn sie fünfzehn kosten, würden sie
sagen: Warum kosten sie nicht zehn?, — und wenn sie zehn kosten, wür-
262
den sie sagen: Warum kosten sie nicht fünf?, — und wenn Sie sie ihnen
umsonst gäben, würden sie fragen, warum sie nicht einen Sechser darauf¬
bekommen. Nein, nein: das sind nicht die Kardinalprobleme unseres
Landes, das sind Probleme, die tauchen immer an den Rändern und an
den Seiten auf. Die müssen wir auch behandeln, wir müssen uns damit
auch beschäftigen, aber wir müssen sie immer in die große allgemeine
Linie unserer politischen Auseinandersetzung hineinheben und müssen
uns vor allem davor hüten, selbst in diesen skeptischen Ton mit einzu¬
stimmen, — mit anderen Worten und kurz zusammengefaßt: Wir dür¬
fen keine defensive Partei sein, sondern wir müssen eine offensive Partei
sein, wir müssen angreifen, wir müssen Vorgehen, wir müssen uns wehren!
[Beifall.]
Und das ist nun das, meine Parteigenossen, was ich „aktive Propa¬
ganda" nenne. Aktive Propaganda besteht darin, daß man selbst zum
Angriff vorgeht, daß man selbst revolutionäre Argumente gebraucht,
daß man sich selbst nicht ins Bockshorn jagen läßt vom Gegner, sondern
daß man den Gegner angreift und daß man ihm an der Kehle bleibt!
Das nenne ich aktive Propaganda, — so, wie wir sie früher in unserem
Kampfe betrieben haben. Wir dürfen das heute nicht verlernen, nachdem
wir die Macht besitzen, sondern wir müssen diese Kunst erst recht gestal¬
ten und müssen sie ausbauen und müssen sie virtuos in die neuen Mög¬
lichkeiten hineinheben. Niemals darf unsere Propaganda bürokratisieren
und niemals dürfen wir die Routiniers der Propaganda werden, sondern
wir müssen das lebendige Leben in unserer Propaganda fassen. Wir dür¬
fen nicht nur Propaganda organisieren, sondern wir müssen der Propa¬
ganda ein aktives, modernes Tempo einhauchen und müssen ihr Leben
und Atem geben.
Und dazu, meine Parteigenossen, glaube ich, hat uns auch dieser Par¬
teitag wieder mit neuer Kraft erfüllt. Ich weiß: Viele von uns waren wie¬
der einmal kopfhängerisch geworden. Das ist immer so im Sommer. Jeder
Sommer hat seine reguläre Krise [Heiterkeit], Das war früher in der
Partei so und ist jetzt im Staate so. Wenn die Monate Juli und August
kommen, dann scheint die Sonne — [Heiterkeit] und dann haben die
Menschen weniger Sorgen und wenn sie weniger Sorgen haben, haben sie
mehr Zeit, und wenn sie mehr Zeit haben, benutzen sie die Zeit nicht da¬
zu, sich einmal auszuruhen, sondern da benutzen sie die Zeit zum Meckern
[Heiterkeit], Das war auch früher in der Partei so. Früher in der Partei,
da hofften wir immer, im Sommer Ferien machen zu können, — in
Wirklichkeit reisten wir mit dem Minimax durchs Land und löschten
überall die kleinen Parteifeuerchen aus, die sich da entfacht hatten [Hei¬
terkeit], So ist es heute auch im Staate.
Am Anfang der Herbst- und Winterarbeit nun steht dieser Parteitag.
263
Jetzt wird's ein paar Wochen dauern, dann* 2 kommt das große Bauern¬
fest, ein paar Tage später wird das Winterhilfswerk wieder in Bewegung
gesetzt, dann rollt unsere Versammlungs- und Propagandalawine an.
Dann werden wir im Dezember und Januar die schwersten Wintermo¬
nate zu überwinden haben; dann haben wir die Aufgabe, dem deutschen
Volke ein würdiges und anständiges Weihnachtsfest zu bereiten und auch
die Ärmsten in unsere Fürsorge miteinzuschließen, — dann wird es unse¬
rer ganzen Intelligenz und unserer ganzen Überzeugungsskala zu bedür¬
fen, um die Menschen zu erneutem Opfern anzuregen. Kurz und gut: Wir
haben dann wieder so viel zu tuen, meine Parteigenossen, daß wir gar
keine Gelegenheit mehr haben, unsere Köpfe hängen zu lassen. Und des¬
halb möchte ich Sie bitten, mit frischem Mut, — mit [der Redner klopft
wiederholt auf das Pult] jenem frischen Mut, den wir uns alle auf diesem
Parteitag wieder geholt haben, an die neue Arbeit zu gehen für Volk und
Reich und Führer! [Heilrufe, starker Beifall.]
DRA Nr. C 1279 (106' 25"). In der Presse (18. September 1935) wurde nur eine
kurze Inhaltsangabe der Rede gebradit; in den Sammelbänden über den Reichs¬
parteitag wurden die — internen — Sondertagungen, wo die Parteifunktionäre
nach ihren jeweiligen Arbeitsgebieten zusammengefaßt und .ausgeriehtet" wur¬
den, lediglich angeführt.
" Vgl. dazu Anm. 13.
264
Nr. 28
31. 10. 35 — Berlin, Theater am Horst-Wessel-Platz — Trauerfeier für
den verstorbenen Präsidenten der Reichstheaterkammer, Ministerialrat
Otto Laubinger
Wir stehen alle in einem harten und erbarmungslosen Leben. Seine Fülle
und Dichte umgibt uns in den Stunden des Glücks und der Sorge, der
Freude und des Schmerzes. Viele Menschen sehen wir um uns herum, die
gemeinsam mit uns an einem großen Werke arbeiten. In diesem wilden
und lauten Dasein, das gelebt und gestaltet sein will, bleibt uns allen
kaum Zeit zum Atemholen. Der Alltag verschlingt uns mit gierigem
Munde, er verbraucht die Herzen und die Gehirne, unersättlich fordert
er täglich und stündlich von uns das Opfer der persönlichen Hingabe an
die Größe und Unerbittlichkeit des Werkes, dem wir fast willenlos Un¬
tertan sind.
Wir kommen dabei nur selten dazu, Dankbarkeit an den einzelnen zu
verwenden. Gerade diejenigen, die uns am liebsten und wertvollsten sind,
sind meistens auch der gemeinsamen Aufgabe so ganz und gar verhaftet,
daß wir sie kaum noch als besonders und auffällig empfinden. Sie sind
zur Selbstverständlichkeit geworden, um uns am Ende in Arbeit und
Dienst, in Freude und Leid unentbehrlich zu werden.
Was sie uns aber sind und was sie für die große Aufgabe bedeuten, das
bemerken wir meistens dann, wenn der Tod sie mit grausamer Hand mit¬
ten aus unserem Kreise herausnimmt. Dann empfinden wir plötzlich die
ungeheure Leere, die sich auftut an der Stelle, an der der Freund und
Kamerad stand. Dann überfällt uns die grausame Erinnerung an die vie¬
len und kleinen Begebenheiten des Alltags, bei denen wir — verbraucht
und aufgerieben in Dienst und Arbeit — es wohl hier und da auch an
1 L. war Schauspieler gewesen, seit 1920 am Berliner Staatstheater. Im April
1933 hatte Goebbels ihn zum Leiter der Abteilung IV (Theater) in sein neu¬
geschaffenes Propagandaministerium berufen und ihn im November (vgl.
Nr. 18) zum Präsidenten der Reichstheaterkammer ernannt.
265
der Liebe und Sorgfalt fehlen ließen, mit der wir dem Kameraden mehr
noch als üblich sein Werk und sein Leben hätten erleichtern können. Wir
haben dann das Bedürfnis, ihm noch einmal die treue und liebe Hand zu
drücken, aber sie ist nun kalt und starr geworden. Was wir an Dankbar¬
keit in uns tragen, kann dann nicht mehr zum Ausdruck gebracht wer¬
den. Das Herz des Freundes schlägt nicht mehr, sein Mund ist stumm ge¬
worden, der Wohllaut seiner Stimme verklungen, der Glanz seines Auges
gebrochen. Und in der Stille, die uns umgibt, steigt dann plötzlich und
schmerzhaft jenes unabwendbare und trostlose Gefühl der Einsamkeit
um uns auf, das den Menschen erfaßt, wenn die Erkenntnis an ihn her¬
antritt, daß die Reihen seiner engsten und liebsten Freunde sich nun all¬
mählich zu lichten beginnen.
An uns allen sind die Jahre des Kampfes nicht spurlos vorübergegan¬
gen, sie haben ihre harten Zeichen in unserer Gesichter hineingeschrieben.
Viele schon mußten von uns gehen, die Genossen und Kameraden des ge¬
meinsamen Weges waren. Jeder von ihnen hat ein Andenken und eine
Erinnerung für uns zurückgelassen, die sich wie ein Schleier der Wehmut
über die Arbeit des Alltags legt. Es gibt unter ihnen Menschen, die uns
wie Brüder waren. So nah sie uns im Leben standen, so eng bleiben sie
mit uns im Tode verbunden.
Zu diesen Menschen gehört Otto Laubinger, dem wir heute diese letzte
Feierstunde bereiten, um ihn dann in den Schoß der mütterlichen Erde
zurückzulegen. Was er uns als Mensch war, das wissen nur die, die jahre¬
lang vertrauten Umgang mit ihm hatten. Selten sahen sie einen, der mit
glühenderem Idealismus als er seiner Aufgabe diente, dessen Kämpfer¬
mut unerschrockener, dessen rührende Güte größer und unerschöpflicher,
dessen kameradschaftliche Verbundenheit bedingungsloser und dessen
soziale Hilfsbereitschaft wärmer und opferfähiger gewesen wäre als die
seine. Er war ein Freund unter den Freunden in des Wortes wahrster und
tiefster Bedeutung. Als der Tod ihn zu sich nahm, riß er damit eine
Lücke nicht nur in unseren Mitarbeiter-, sondern auch in unseren Freun¬
deskreis.
Der Künstler Otto Laubinger zog seine Lauterkeit und prägnante
Schlagkraft aus der tiefen Menschlichkeit, die ihn erfüllte. Seine Künst¬
lerschaft war aktives Bekennertum. Er war von Hause und Natur
aus ein echter Bühnenmensch, ein Fanatiker der Überzeugung, besessen
von seiner Aufgabe bis zum inneren Verzehren. Für ihn war das Theater
nicht Stätte des Luxus oder des Amüsements. Er sah in ihm eine Erzie¬
hungsanstalt für das ganze Volk, und sein Leben und Wirken diente der
Erreichung dieses Zieles.
Es schien, als sei mit dem Durchbruch der nationalsozialistischen
Revolution nun auch die Erfüllung seines Lebenstraumes gekommen.
266
Jetzt hatte er die Möglichkeit, seine kühnen und weitreichenden Pläne in
die Wirklichkeit zu übersetzen; Ideen blieben nicht mehr Ideen, sondern
wurden Realitäten. Gedanken wie die der Reichs-Theaterfestwoche 2
oder der Heidelberger Nationalfestspiele 3 entsprangen seiner unermüd¬
lichen Phantasie. Die Zusammenfassung aller theaterschaffenden Kräfte
in einer einheitlichen Organisation war sein Lebenswerk. Im Aufbau
des deutschen Nationaltheaters im Schillerschen Sinne wollte er ihm die
letzte Krönung geben. Mitten im Werk und kurz vor seiner Vollendung
ist er nun in den Sielen gestorben.
Wie grausam und sinnlos mutet uns dieses Schicksal an, das nicht zu¬
ließ, daß vollendet wurde, was so mutig, idealistisch, kühn und beharr¬
lich begonnen worden war. Tiefe Traurigkeit erfüllt uns alle, die wir
hier um seine Bahre versammelt stehen. Von den Brettern, die die Welt
bedeuten, auf denen er so oft in der Nachschöpfung großer tragischer
Figuren der Weltliteratur die Menschen erschütterte und erhob, will er
ein letztes Mal Abschied von uns allen nehmen.
Nun steht er nicht mehr im Kostüm des Faust oder Hamlet 4 , im Ge¬
wände des Peer Gynts vor uns, —jetzt ist er der einsame Wanderer zwi¬
schen zwei Welten 5 und überschreitet eben die Brücke, die das Gestern
mit dem Morgen verbindet. Aufgerieben in Kampf und Arbeit, verzehrt
und verbrannt vom Dienst an seiner Aufgabe, wurde der Griff seiner
Hand schwach, brach sein Auge und sank sein müdes Haupt. Die Sorge,
die wir ihm angedeihen ließen, die Pflege, die ihm die letzten Monate
seines schmerzvollen Leidens lindern sollte, blieben am Ende doch um¬
sonst. Er ist von uns gegangen und hat uns nur seine Aufgabe als Ver¬
mächtnis hinterlassen.
In dieser Stunde, da wir nun Abschied von ihm nehmen müssen, ist es
mir ein Bedürfnis, ihm das zu sagen, was ich ihm zeitlebens nur selten
sagen konnte: wie menschlich nahe und vertraut er mir als Freund und
Mitarbeiter stand, wie rührend und erhebend mir seine stete Hilfsbereit¬
schaft erschien, wie wärmend und wohltuend seine persönliche Nähe auf
uns alle wirkte.
Wenn ich ihm aus tiefergriffenem und schmerzerfülltem Herzen meine
Dankbarkeit zum Ausdruck bringe für die Arbeit, die er dem großen
Werke widmete und in der er sich aufbrauchte und verzehrte, so weiß
* Vgl. Nr. 25. Bei diesen — jährlich in einer anderen Stadt abgehaltenen —
Festwochen sollten „Meisterwerke deutscher Theaterschöpfung" aufgeführt
werden.
' Jeweils in den Sommermonaten im Hof des Heidelberger Schlosses.
4 Dies spricht Goebbels englisch aus: Hemlet.
5 Bezug auf das damals vielgelesene Kriegsbuch des im Ersten Weltkrieg ge¬
fallenen Walter Flex: „Der Wanderer zwischen beiden Welten", das Buch vom
„Leben und Sterben des Kriegsfreiwilligen Ernst Wurche".
267
ich, daß es auf den deutschen Bühnen nicht einen gibt, vom Intendanten
bis zum letzten Maschinisten, der sich diesem Bekenntnis nicht an¬
schlösse. Die deutschen Künstler danken einem Künstler, der ihnen
Freund und Führer war und, auch auf der Höhe seines Lebens und seines
Erfolges stehend, ihrer nicht vergaß.
Wenn ich ihm aber persönlich danke für die Treue und Anhänglich¬
keit, die er mir in allen Stunden des Glücks und der Sorge erwiesen hat,
für seine Lauterkeit und für seine Zuverlässigkeit, für seine unwandel¬
bare und niemals wankende Gefolgschaft, für das Übermaß an Vereh¬
rung, das er mir geschenkt hat, so stehe ich damit ganz allein, weil er
alles das nur auf mich verschwendete. Ich drücke ihm im Geiste ein letz¬
tes Mal die gute, liebe Hand, rufe ihm ein letztes Mal den Gruß des
Freundes und Kameraden auf seinem langen, schweren Weg nach. Sein
Andenken wird bei mir und bei allen, die ihn kannten, unvergeßlich sein,
sein Leben und Wirken steht unauslöschlich in unserem Gedächtnis einge¬
schrieben.
Nun lebe wohl, Du guter Kamerad, unsere Trauer und Wehmut be¬
gleiten Dich. Alle stehen wir um Dich versammelt, da Du von uns gehen
mußt. Ich aber, dem (Du) die Kraft und Stärke, den Glauben und den
Idealismus, die Treue und die Anhänglichkeit Deiner besten Mannesjahre
geschenkt hast, möchte über dem Hügel, der nun in einigen Stunden
Deine sterbliche Hülle bedecken wird, die Worte der ergreifenden Toten¬
klage schreiben, mit der Matthias Claudius von seinem Vater Abschied
nahm:
Friede sei um diesen Grabstein her!
Sanfter Friede Gottes! Denn sie haben*
Einen guten Mann begraben,
Und mir war er mehr.
DRA Nr. C 1287 (13' 35"). Ein Auszug abgedruckl in der Tagespresse (VB vom
1. November 1935).
• Richtig: Ach, sie haben (Bei dem Grabe meines Vaters, Asrnus omnia I
und II.)
268
Nr. 29
4. 12. 35 — Saarbrücken, „Wartburg" (Nauwieser Straße*) — Eröffnung
des Reichssenders Saarbrücken
Meine Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Es ist eine festliche Gelegenheit, die uns zu dieser Stunde hier alle ver¬
eint, tritt doch zum ersten Male der Reichssender Saarbrücken in den
Kreis der großen anderen deutschen Sender. Und bekundet damit die in¬
nere geistige und politische Verbundenheit der Westmark mit der eini¬
gen, großen deutschen Nation. Ich sage mit Absicht: der Reichssender,
denn die Zeit der föderalistischen Zersplitterung ist nun im ganzen deut¬
schen Rundfunk überwunden. Wir haben keine bayerischen und keine
preußischen und keine württembergischen und badischen Sender mehr
—, wir haben nur noch Sender des deutschen Geistes.
Es hat lange gedauert, bis wir diese innere Zersplitterung überwinden
konnten. Wir waren ein Volk, das seine politische Einigung nicht zu fin¬
den vermochte, und haben deshalb vielleicht zwei, drei Jahrhunderte un¬
serer Geschichte überhaupt verspielt. Während die anderen Völker an die
Verteilung der Welt gingen, haben wir uns in innerer Zwietracht und in
völkischem Hader verbraucht. Es war die historische Tat Adolf Hitlers,
diese innere Zersplitterung zu überwinden und dem Reich wieder jene
seelische Kraft zurückzugeben, die Voraussetzung der Kraft der Kano¬
nen und der Kraft der Waffen ist! Denn ein Volk, das sich nicht auf
seine inneren Werte besinnt, kann äußere Werte nicht wirksam zur
Schau tragen. Deshalb war es uns auch nicht nur nationale Pflicht, son¬
dern nationale Herzenssache, den Kampf um dieses Gebiet aufzunehmen
und siegreich durchzuführen.
Und ich glaube, genauso, wie wir im Reich gedacht haben, so haben
1 Im gleichen Saal hatte im Januar nach der Saarabstimmung die Auszählung
der Stimmen durch die internationale Abstimmungskommission stattgefunden.
1 Vgl. Nr. 13, Anm. 15.
269
die deutschen Menschen hier gedacht. Es ging hier nicht um Lohn und
um —, um materiellen Vorteil, — es ging darum, ob das Reich in seinem
unversehrten Bestand erhalten bleiben konnte. Es ist deshalb mehr als
eine formale Danksagung, wenn ich mich hier zum Dolmetsch der deut¬
schen Reichsregierung, der nationalsozialistischen Bewegung und des
ganzen deutschen Volkes mache und dem ganzen Saarvolk über die
Ätherwellen hinweg den Dank all dieser Organisationen und jedes deut¬
schen Volksgenossen offiziell zum Ausdruck bringe. Das Saarvolk hat
sich zum Reich bekannt 8 , es hat nicht auf die lockenden Versuchungen
und glitzernden Betörungen gehört, die von den anderen Seiten an es
herantraten: dieses Volk ist dem Gebot des Gewissens und dem Ruf sei¬
nes Blutes gefolgt und hat sich wieder in den Kreis seiner Brüder zurück¬
gestellt!
Wenn ich in dieser festlichen Stunde nun den neuen Reichssender des
Saarlandes in den Kreis der anderen Sender hineinführen kann, so be¬
wegt uns dabei eine stolze Freude und eine tiefe Genugtuung: ist das
doch die Einlösung eines der Versprechen, die wir dem Saarvolke und
dem Saarlande gegeben haben. Denn als wir damals um dieses Volk und
um dieses Land kämpften, da wußten wir, daß damit überhaupt der gute
Ruf des Nationalsozialismus auf dem Spiel stand. Die ganze Welt schien
sich gegen uns verschworen zu haben, die ganze Welt machte die Saar¬
frage zu einer Kampffrage, und es war uns nicht möglich, zu jedem ein¬
zelnen zu sprechen, wir konnten nicht über die Grenze kommen, wir
konnten nur auf das Herz, auf das innere Gewissen und auf den Ruf des
Blutes der Brüder im Saarlande und im Saarvolke vertrauen.
Der Saarsieg war der erste große außenpolitische Erfolg, den die
nationalsozialistische Regierung und den der Führer zu verzeichnen hat¬
ten. Ihm verdanken wir die Wiederherstellung auch des außenpolitischen
Rufes des Deutschen Reiches, und damals, als wir nicht kommen konnten
und durften, da sind die Ätherwellen unsere Brücken gewesen, auf denen
wir zum Saarland hingelangen konnten. Wir haben das Saarland nicht
im Stich gelassen, und das Saarland hat uns nicht im Stich gelassen. Wir
haben die Stimme des Reiches über die Grenze hinweg gesendet, wir
haben über die Ätherwellen hinweg mit den Brüdern und Schwestern an
der Saar gesprochen und haben die infamen Versuche der Losreißung
dieses Gebietes vom Reiche damit zunichte machen können.
Die große Phase der Wiedereroberung dieses Gebietes ist längst abge¬
schlossen, wir stehen schon mitten im Aufbau, stehen schon mitten in der
Neuordnung des Saargebietes und in der Wiedereingliederung dieses gro¬
ßen Land- und Volkskomplexes in das einige Deutsche Reich. Es ist uns
das nicht leicht gemacht worden, denn selbstverständlich gibt es bei so
3 Vgl. Nr. 19, Anm. 14.
270
großen Krisen immer Übergangsschwierigkeiten. Wir sind uns dieser
Ubergangsschwierigkeiten auch immer bewußt gewesen. Ich bin nicht
hierhergekommen, um Illusionen zu machen, und ich halte es für unter
der Würde eines Nationalsozialisten, Versprechungen zu geben, von de¬
nen er weiß, daß sie später nicht eingehalten werden können. Denn ich
habe nicht die Absicht, heute die süße Unwahrheit zu sagen, um damit
ein für allemal zu verschwinden, sondern ich habe die Absicht, wiederzu¬
kommen und immer und immer wieder .. , 4 ! [Starker Beifall.]
Selbstverständlich sind diese Übergangsschwierigkeiten da! Aber
Schwierigkeiten sind dazu da, daß man sie überwindet, und nicht, daß
man vor ihnen kapituliert! Wir sind mit anderen Schwierigkeiten fertig¬
geworden, und es geht nicht an, nur die Schwierigkeiten zu sehen und die
Erfolge zu «^ersehen. Es gibt Menschen, die möchten am liebsten das
Licht ausblasen, weil es einen Schatten wirft 5 [Heiterkeit, Beifall], Sie
sind nicht fähig, politisch, geschweige historisch zu denken. Sie beurtei¬
len die Weltsituation vom Horizont des Buttereinkäufers 6 [Gelächter,
Beifall]. Und dabei geht es ihnen nicht einmal um die Butter, sondern es
geht ihnen nur darum, dem nationalsozialistischen Reiche Schwierigkei¬
ten zu machen. [Rufe: „Sehr richtig!", „Bravo!" Beifall.] Die wütendsten
Vegetarier werden aus Opposition gegen uns zu radikalen Schweine¬
fleischfressern! [Gelächter, starker Beifall.] Sie kritisieren auch nicht, um
zu bessern, sondern sie kritisieren nur um der Kritik willen. Es sind Men¬
schen, die sich nicht einmal selbst leiden mögen — wie können sie uns
leiden mögen! [Gelächter, Beifall.] Sie sagen: Kritik ist not. — nein:
Arbeit ist not! [Bravo-Rufe, Beifall.]
Wir nehmen gerne [der Redner klopft wiederholt auf das Pult] Rat¬
schläge an von Menschen, die etwas besser verstehen als wir. Aber ist das
rechtens, daß der Klügere sich vom Dümmeren kritisieren lassen soll?
Und daß die anderen dümmer sind als wir, das wird dadurch bewiesen,
daß sie sich von uns aus der Macht heraus haben setzen lassen [Geläch¬
ter, Beifall], Denn wären sie schlauer gewesen als wir, hätten sie vermut¬
lich Verstand genug gehabt, uns daran zu verhindern [Heiterkeit], Denn
sie hatten ja die Macht! Sie hatten den Staatsapparat und die Bürokratie
und die Polizei und die Beamten und die öffentliche Meinung und die
4 Die letzten Worte dieses Satzes gingen im Beifall unter.
5 So schon oben Nr. 18, S. 133. Auch manches andere Argument dieser Rede hatte
man bereits in — hier abgedruckten — früheren Reden gehört.
6 Die — schon frühzeitig, lange vor der Lebensmittelbewirtschaftung des Krieges
— rationierte Butter war das Symbol des im aufrüstenden NS-Staat kärger
werdenden Konsumangebots und ein ständiges „Mecker"-Objekt der immer
wieder einmal zu beschwichtigenden Bevölkerung (man denke an die damals
in aller Munde befindliche und Göring zugeschriebene Sentenz: „Kanonen sind
wichtiger als Butter", die in Wirklichkeit von Goebbels stammt; vgl. Nr. 35,
Text zu Anm. 12).
271
Mehrheit und das Geld, — wir hatten gar nichts, nur — Köpfchen.
Köpfchen [Gelächter, starker Beifall],
Selbstverständlich muß eine Regierung sich mit der Opposition ausein¬
andersetzen. Das haben wir ja gemacht, als wir in der Opposition stan¬
den [Heiterkeit], Aber das kann doch nicht immer so fortgehen, einmal
muß das doch ein Ende finden — vor allem, wenn sich haargenau nach-
weisen läßt, daß die Regierung der Opposition haushoch überlegen ist
[Heiterkeit], Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch d och frü¬
her die Meinheit —, die Freiheit der Meinung zugebilligt , ja. Ihr
uns, das ist ja kein Beweis, daß wir das Euch auch tuen sollen! [Geläch¬
ter.] Eure Dummheit braucht doch nicht auf uns ansteckend zu wirken!
[Gelächter.] Daß Ihr das uns gegeben habt, — das ist ja ein Beweis
dafür, wie dumm Ihr seid! [Gelächter.]
Nein, wenn wir Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit bemerken, so
mühen wir uns an diesen Schwierigkeiten ab. Wir haben in diesen zwei¬
einhalb Jahren, da wir regieren, nichts anderes als Sorgen gehabt. Aber
wir haben auch einige Probleme gelöst [Bravo-Rufe], Und zwar haben
wir sie gelöst, obschon die Inangriffnahme dieser Probleme am Anfang
unpopulär gewesen ist. Wir haben uns nicht nach der öffentlichen Mei¬
nung gerichtet, sondern wir haben das getan, was wir für notwendig
hielten, und wir hatten dabei auch nicht die Möglichkeit, uns hinter
irgendeiner Majorität zu verstecken. Wenn's schiefgeht, müssen wir
mit unserem Kopf für unsere Politik bürgen 7 ! Wir können nicht
am Ende sagen: Der Reichstag hat es beschlossen [Gelächter], Oder:
Die Parteien wollten es so. Sondern was wir tuen, müssen wir selbst
verantworten! Wir scheuen diese Verantwortung nicht [Bravo-Rufe,
Beifall],
Und daß wir jung sind, ist kein Beweis dafür, daß wir diese Verant¬
wortung besonders leicht-, sondern höchstens dafür, daß wir sie beson¬
ders schwernehmen. Denn wenn wir alt wären, dann könnten wir uns ja
auf den Standpunkt stellen: Nach uns die Sintflut! [Heiterkeit.] Aber
wir haben nicht nur die Absicht, in der Regierung zu sitzen, sondern wir
haben darüber die Absicht, in der Regierung sitzenzubleiben! [Gelächter,
Beifall.] Und zwar wollen wir die Macht nicht mit der Macht, sondern
wir wollen sie mit der Idee verteidigen: Wir sitzen nicht auf Bajonett¬
spitzen, sondern wir ruhen in der Liebe und in der Anhänglichkeit des
deutschen Volkes [Bravo-Rufe. Beifall],
Wenn wir eine Armee aufbauten, Kanonenrohre pressen und Granaten
drehen, — so nicht, um diese Macht gegen unser eigenes Volk einzuset¬
zen, sondern um mit dieser Macht die deutschen Grenzen zu beschützen
7 Nur sind dies bedauerlicherweise nicht die einzigen Köpfe, die in einem solchen
Falle „bürgen" müssen.
272
[Bravo-Rufe, Beifall], Wenn mir von jenseits der Grenze entgegengehal¬
ten wird: Ihr betont ja immer so Eure Friedensliebe, weshalb braucht Ihr
eine Armee? — Wir brauchen diese Armee nicht, um Krieg zu führen,
sondern um den Frieden zu erhalten [Zustimmung], Wenn mir von jen¬
seits der Grenze gesagt wird: Das besorgt der Völkerbund [Heiterkeit]
—, so kann ich darauf nur zur Antwort geben: Mag sein, aber doppelt
genäht hält besser! [Starkes Gelächter, Beifall.] Sicher ist sicher, und was
man hat, das hat man! [Gelächter.] Mag sein, daß wir sie einmal nicht
gebrauchen. Vielleicht aber wä ren wir einmal froh, wenn wir sie haben
[Heiterkeit], Jedenfalls [Heiterkeit], wir decken uns ein [starkes
Gelächter, Bravo-Rufe, Beifall]. Vielleicht kommt irgendeiner einmal auf
den Gedanken, uns mit Bomben und Flugzeuggeschwadern die Zivilisa¬
tion zu bringen [Heiterkeit], Ich weiß nicht — vielleicht. Und vielleicht
halten wir das, was er uns bringen will, gar nicht für Zivilisation, —
vielleicht wollen wir das gar nicht haben. Wir möchten aber nicht durch
andere entscheiden lassen, was wir haben wollen [Gelächter], sondern
darüber wollen wir uns die letzte Entscheidung selbst Vorbehalten. Und
wenn auch heute der Spießer brummt und schimpft, daß er ein Zehntel¬
pfund Butter weniger bekommt [Heiterkeit] und wenn er hin und wie¬
der an einem Tage kein Schweinefleisch hat, — eins aber muß er doch
zugeben: Wenn er heute abends über seinem Hause Motorengebrumm
hört, dann weiß er ganz bestimmt, ohne hinzuschauen: Das sind deutsche
Flugzeuge! [Jubel, Beifall.] Das ist nicht immer so gewesen [Gelächter];
es gab Zeiten, wo das ein seltener Ausnahmefall war [Heiterkeit], Diese
Zeiten sind Gott sei Dank vorbei.
Jetzt kommt man Deutschland auch wieder freundlicher entgegen
[Heiterkeit]. Denn jede Nation ruht so, wie sie sich selbst bettet! [Ge¬
lächter, Bravo-Rufe, Beifall.] Wenn ein Volk nichts auf sich selbst hält
—, wie sollten die andern etwas von ihm halten können! [Heiterkeit.]
Eine Armee aufbauen aber, das kostet Geld. Wir haben diese Armee auch
nicht zum Spaß aufgebaut. Es ist doch nicht eine Armee, die Geld¬
schränke beschützen soll, — es ist eine Armee für das deutsche Volk. Wir
haben folgendermaßen kalkuliert: Wir fangen jetzt an, die deutsche
Arbeit anzukurbeln, fünf Millionen kommen wieder in Arbeit, eine
große Erzeugungsschlacht ist im Gange, wir fabrizieren auf synthetische
Weise eigene Rohstoffe 8 , wir machen uns damit mehr und mehr unab¬
hängig vom Auslande, — es könnte vielleicht im Auslande irgendeinen
Vor allem die Produktion von künstlichem Kautschuk (Buna) und Benzin
wurde von Hitler im Rahmen des allgemeinen Autarkie-Programms besonders
forciert, da er sie für seine kriegerischen Abenteuer am dringendsten benötigte;
daneben spielten im Entwicklungsprogramm auch künstliche Zellwolle (Vistra)
und anderes eine Rolle. (Vgl. auch Nr. 35, Anm. 24.)
273
geben, der nicht nun händereibend und freudig konstatierte: Gott sei
Dank, die Deutschen helfen sich selbst!, — sondern es könnte vielleicht
möglich sein, daß einer sich darüber ärgerte und über uns neidisch wäre
[Heiterkeit], Und daß er aus einem gewissen Minderwertigkeitskomplex
heraus sich sagte: Wir können die Deutschen mit dem Köpfchen nicht
einholen, vielleicht können wir es mit den Kanonen. Und dagegen —
[Bravo-Rufe], dagegen wollen wir uns schützen.
Diese Armee ist da, damit der Bauer wieder in Ruhe seinen Pflug
durch die Scholle ziehen und der Arbeiter wieder in Ruhe seine Maschine
in Gang setzen soll. Alle können jetzt wieder der Überzeugung sein: Der
große Aufbau, der in Deutschland auf Jahre und Jahrzehnte geplant ist,
der vollzieht sich im Schatten eines neugeschliffenen deutschen Schwer¬
tes; die Sicherheit der Nation ruht wieder in der eigenen Kraft, und das
Volk hat wieder seinen eigenen Stolz zurückerobert, und es erhärtet sich
an seinen eigenen Idealen, und es ist auch bereit, mit eigener Kraft wie¬
der die Sicherheit seiner Grenzen und die Sicherheit seiner Arbeit und
seines nationalen Lebens zu gewährleisten. Das ist nicht einfach gewesen.
Es ist immer einfach, Bravo zu klatschen, wenn eine Armee fertig ist, —
es ist aber immer sehr schwer, eine Armee aufzubauen. Es ist immer ein¬
fach, sein Jawort zu geben, daß eine Nation aus dem Völkerbund ausge¬
treten ist, wenn sich nun die Vorteile bemerkbar machen, — es ist aber
immer sehr schwer, den Entschluß dazu zu fassen.
Vor allem ist das sehr schwer, wenn man das alleine verantworten
muß und wenn man gar nicht weiß, was darauf folgt, sondern wenn
man nur auf seine eigene Kühnheit und auf sein eigenes Glück vertrauen
muß. Unsere Gegner sagen: Ja, Ihr habt eben Glück gehabt! [Heiter¬
keit.] Ja eben, eben: Glück muß man haben! [Heiterkeit.] Wenn eine
Regierung kein Glück, sondern dauernd Pech hat, — ja, was hat das
Volk denn davon? [Heiterkeit.] Daß wir uns durchgemausert haben
[Gelächter] und daß der liebe Gott dabei ein bißchen nachgeholfen hat
—, das spricht doch nicht gegen uns, das spricht doch für uns! [Heiter¬
keit.] Wir sind zwar nicht dauernd damit hausieren gegangen und haben
nicht so getan, als ob der liebe Gott unser Fraktionsvorsitzender wäre
[Gelächter], wie das so bei andern Parteien Mode war, aber immerhin —
[starker Beifall], aber immerhin: es macht doch nicht den Anschein, als
wenn er uns gerade »«gnädig gesonnen sei.
Wenn man uns also von der Gegenseite entgegenhält: Ihr seid Heiden!
—, so kann ich nur sagen: Soso —, wieso? [Heiterkeit.] Worum —,
warum? [Heiterkeit.] Führen wir uns so heidnisch auf? Ist das heidnisch,
daß man ein Wint-, ein Winterhilfswerk aufzieht und damit Millionen
Menschen ernährt? Ist das heidnisch, daß man einem Volke seinen inne¬
ren Frieden zurückgibt? Ist das heidnisch, daß man dem armen Bruder
274
und Nachbarn hilft? Ist das heidnisch, daß man die —, das Ethos der
Familie wiederherstellt? Und auch dem Arbeiter wieder einen Sinn und
einen Zweck seines Lebens gibt? Ist das heidnisch, einen Staat wieder auf
moralischen Prinzipien aufzubauen, die Gottlosigkeit auszutreiben,
Theater und Film von der Verseuchung und von der Verpestung des
jüdisch-liberalen Marxismus zu reinigen, — ist das heidnisch? Wenn das
heidnisch ist, dann allerdings bedanken wir uns für ein Christentum, das
das Gegenteil getan hat! [Bravo-Rufe, stürmischer Beifall.]
Die Kirchen sagen: Es steht in Eurem Programm, daß Ihr religiös auf
positiv-christlichem Boden steht*. Einverstanden! Aber wir möchten nur
wünschen, daß so, wie wir religiös positiv-christlich, die Kirchen poli¬
tisch positiv-nationalsozialistisch sein möchten. [Bravo-Rufe, Beifall],
Dann sind wir einig, dann trennt uns gar nichts mehr [Heiterkeit], Wir
wollen dann den Kirchen auch gar nicht ins Gehege kommen. Niemand
von uns verspürt in sich das Zeug zum politischen Reformator, sondern
wir sind alle sehr irdisch gesonnen. Wir beschäftigen uns auch nicht mit
dem Jenseits, sondern wir beschäftigen uns mit dem Diesseits [Heiter¬
keit, Beifall], Wir wollen also diese beiden Ressorts ganz klar voneinan¬
der trennen: Der eine sorgt für den Himmel und der andere sorgt für die
Erde [Heiterkeit], Die nationalsozialistische Bewegung hat sich von die¬
ser Linie nicht entfernt. Sie hat auch nicht die Absicht, sich davon zu
entfernen. Sie sorgt für die Wohlfahrt des Volkes nach innen und nach
außen. Sie hat dazu ein gesundes und kräftiges und moralisch hoch¬
stehendes Volk notwendig. Sie läßt kein Mittel unversucht, das Volk ge¬
sund und stark und moralisch hochstehend zu machen. Sie hat an diesem
Volk eine ungeheure Erziehungsarbeit schon geleistet, und sie hat die Ab¬
sicht, diese Erziehungsarbeit weiterhin fortzusetzen.
Es ist deshalb ein glatter Unfug, wenn man uns heute sagt: Die ande¬
ren Parteien habt Ihr aufgelöst, warum löst Ihr Eure eigene Partei nicht
auf? Die anderen Parteien sind aufgelöst worden, weil sie überflüssig
waren, und unsere Partei bleibt, weil sie nötig ist! [Starker Beifall.]
Wenn man mir sagt: Ja, wir sind doch alle nationalsozialistisch! — dann
kann ich nur zur Antwort geben: Ich hoffe es [Heiterkeit], Die Botschaft
hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube 111 ! [Heiterkeit.] Aber wenn
schon: Die nationalsozialistische Bewegung ist ja nicht nur dazu da, alle
Menschen nationalsozialistisch zu machen, sondern alle Menschen auch
nationalsozialistisch zu handeln zu lehren. Wenn in einer Stadt alle Men¬
schen katholisch sind —, löst sich dann die Katholische Kirche auf? [Hei¬
terkeit.] Sagen dann etwa die Pfarrer: Na, die sind ja doch alle katho¬
lisch, was sollen wir mit der Kirche? [Heiterkeit, Beifall.] Nein, die Kir-
» Vgl. Nr. 19, Anm. 8.
18 Goethe: Faust, 1. Teil, Nacht.
275
che bleibt, damit die Menschen katholisch bleiben! Und wenn das ganze
Land nationalsozialistisch ist: die Partei bleibt, damit die Deutschen
nationalsozialistisch bleiben! [Bravo-Rufe, starker Beifall.]
Denn wir sind nicht gekommen, um in der deutschen Politik ein kur¬
zes, aber unverbindliches Gastspiel zu geben, sondern wir sind gekom¬
men, um die Dinge an uns zu nehmen und sie in unseren Händen zu be¬
halten! Nicht umsonst sprechen wir von der säkularen Bedeutung unserer
Bewegung, sie soll Geschichte machen und sie hat schon Geschichte ge¬
macht! Denn das deutsche Volk von heute ist ein anderes als das deut¬
sche Volk, das wir bei der Machtübernahme mit übernehmen mußten.
Wir haben diesem Volk einen anderen Kern gegeben, eine andere Hal¬
tung. Wir haben durch eine unermüdliche Erziehung dieses Volk im In¬
nersten aufgewühlt und haben seine guten Teile zueinandergefügt! Und
man kann jetzt wirklich wieder von einer deutschen Nation sprechen.
Und zwar von einer Nation, die, von einem einheitlichen Willen beseelt,
auch einheitlich zu denken und einheitlich zu handeln sich entschließen
kann.
Und damit hat Deutschland es leicht, für den Frieden einzutreten.
Denn der Frieden wird dauerhaft und fair immer nur unter Gleichbe¬
rechtigten abgeschlossen. Der Frieden, den wir von 1918 bis 1933 genos¬
sen, war in Wirklichkeit ein i/nfrieden. Dieser Frieden hat die europä¬
ischen Probleme nicht gelöst, sondern er hat diese Probleme nur verkom¬
pliziert.
Eines dieser Probleme war das Problem des Saargebietes. Und man hat
in jenem Vertrag, den man fälschlicherweise einen Friedensvertrag
nannte, dieses Gebiet zwischen Deutschland und Frankreich gelegt, um es
immer als Zankapfel zwischen Paris und Berlin gebrauchen zu können.
Daß diese löbliche Absicht mißlungen ist und daß dieses Gebiet eindeutig
sich zu seinem Mutter- und Heimatlande bekannte, das ist das Verdienst
der deutschen Männer und Frauen an der Saar gewesen [Bravo-Rufe,
Beifall], Sie haben damit nicht nur in —, ihrer Heimatprovinz gedient,
sondern sie haben dem europäischen Frieden einen Dienst getan. Sie
haben sich für die Stabilität und für die Konsolidierung Europas einge¬
setzt. Und daß es dem Führer möglich war, eine neue Armee aufzu¬
bauen, und daß es uns auf Grund der beiden Tatsachen, daß wir nicht
mehr im Völkerbund sind und eine neue Armee besitzen, — daß es uns
auf Grund dieser beiden Tatsachen möglich ist, Deutschland aus den
Händeln und Krisen der Welt herauszuhalten, das ist mit auf die Tat¬
sache der Wiederdeutschmachung des deutschen Saargebietes zurückzu¬
führen. Die Männer und Frauen an der Saar sind damit im besten Sinne
des Wortes Pioniere der deutschen Einigkeit und Bahnbrecher des europä¬
ischen Friedens geworden. Sie haben einen gut Teil der Schuld mit daran.
276
daß Deutschland sich wieder als Weltmacht erhoben hat und daß es
heute im Konzert der Völker wieder ein Instrument mitspielen kann.
Die deutsche Nation spricht dafür dieser Provinz ihren Dank aus.
Dieser Dank ist um so wärmer und um so herzlicher, als uns ein Blick in
die Welt davon überzeugen kann, wie wohl wir an den großen Ent¬
schlüssen der deutschen Außenpolitik getan haben. Denn diese Welt
macht keinen friedlichen Eindruck, sie ist versunken in Händeln und
Irrungen und Wirrungen. Es scheint, als habe sie den Weltkrieg längst
vergessen. Schwere Krisen erschüttern Europa. Aus den Hauptstädten
vieler Länder werden Streiks, Aufruhr, Barrikadenkämpfe gemeldet. Die
Völker selbst sind in die tiefsten seelischen Wirrnisse hineinverfallen.
Parlamentarische Regierungen kommen und gehen. Deutschland aber hat
heute die Kraft und die Macht, aus diesen Händeln herauszubleiben. Es
ist nicht mehr Mitglied des Völkerbundes und besitzt eine Armee, um
seine Grenzen zu beschützen. Deutschland kann sein eigenes Schicksal
selbst in die Hand nehmen, und damit besitzt es die Möglichkeit, eine In¬
nen- und Außenpolitik auf weite Sicht zu betreiben.
Ist es nicht eine Insel des Friedens und der Wohlfahrt, die wir besie¬
deln? Und kann nicht jeder Deutsche mit Stolz von sich sagen, daß es
sich heute wieder zu leben und zu arbeiten verlohnt? Hat man das schon
vergessen, daß wir fünf Millionen Menschen wieder ins Erwerbsleben zu¬
rückgebracht haben? Will man denn die Augen verschließen vor den
grandiosen Projekten der deutschen Reichsbahnen —, Reichsautobahnen?
Will man denn jene wunderbare Organisation des Arbeitsdienstes 11 nicht
sehen? Und wagt man noch zu bezweifeln, daß die Dinge sich in
Deutschland geändert haben? Ehedem lungerte die Jugend unseres Lan¬
des faulenzend auf den Arbeitslosenämtern herum, heute marschiert sie
mit den Liedern der Nation auf den Lippen durch die Straßen unserer
Städte, — wage einer zu sagen, es sei alles beim alten geblieben! Nein,
sehr vieles hat sich geändert und sehr Grundsätzliches hat sich geändert.
Man vergißt nur allzuleicht das Böse der Vergangenheit, um aus ihr
das Gute zu bewahren, und sieht nur allzuleicht in der Gegenwart das
Böse, um das Gute zu vergessen. Aber selbst der böswilligste Kritiker
kann doch nicht bestreiten, daß das Deutschland von heute mit dem
“ Durch Gesetz vom 2. Juni war ab 1. Oktober jenes Jahres die Reichsarbeits¬
dienstpflicht eingeführt worden, die freilich für grolle Teile der Jugend de
facto schon seit 1934 bestanden hatte. Freiwilligen Arbeitsdienst, begründet
in sozialpolitischen, karitativen oder militärischen Motiven, hatte es schon in
den Weimarer Jahren gegeben; in der Zeit der großen Arbeitslosigkeit war
er dann auch wesentlich vom Staat gefördert worden. Ebenfalls war die Frage
.Freiwilliger oder Pflichtarbeitsdienst" schon alt, — daß die NS-Regierung
so lange mit der Einführung der Dienstpflicht gezögert hatte, war — abgesehen
von personellen Rivalitäten — vor allem in außenpolitischen Rücksichten be¬
gründet gewesen; jetzt, nach Verkündung des Wehrgesetzes, war der Weg frei.
277
Deutschland von gestern überhaupt nicht mehr verglichen werden kann!
Sehen wir ab von allen materiellen Erfolgen, schauen wir nur dem Volke
ins Auge — und konstatieren, daß das deutsche Volk wieder lachen und
leben gelernt hat und daß es sich seines Daseins wieder freut und daß es
wieder mit Mut an seine Arbeit herangeht und daß es Vertrauen zu sei¬
ner Regierung und zu seiner Führung besitzt. Dieses Volk ist wieder
glaubensfähig und glaubensbereit geworden. Dieses Volk hat wieder
einen inneren Halt, es schwankt nicht mehr wie ein Rohr im Winde.
Und kann auch nicht mehr als Spielball im Spiel der internationalen
Weltmächte benutzt werden, sondern fest und sicher steht es wieder auf
seinen eigenen Füßen.
Selbstverständlich haben wir Sorgen, wir werden immer Sorgen haben.
Wir sind mit Sorgen groß geworden und werden einmal mit Sorgen alt
werden. Das ist nichts Unehrenhaftes, sich für das Schicksal eines Volkes
zu sorgen. Und es ist keine Schande, sich nicht 12 für ein Volk einzuset¬
zen und ihm zu helfen zu versuchen. Ich glaube nicht, daß wir uns des¬
halb schämen müssen, weil wir uns die Nächte in der Sorge um das Volk
um die Ohren schlagen. Ich glaube, daß das Volk uns schon verzeiht,
daß wir uns um das Volk Sorgen machen! [Bravo-Rufe, Beifall.] Es
kommt auch gar nicht darauf an, daß ein Volk oder daß eine Regierung
Sorgen haben. Es kommt nur darauf an, was sie mit den Sorgen anfan¬
gen. Ob sie vor den Sorgen ausweichen oder gar vor ihnen kapitulieren
— oder ob sie die Sorgen in Angriff nehmen. Und man kann uns alles
vorwerfen, aber daß wir keinen Mut gehabt hätten, an die Probleme
heranzugehen, — das kann man uns bei Gott nicht vorwerfen! Wir
haben schon — [Bravo-Rufe, Beifall], wir haben schon den Stier bei den
Hörnern gepackt!
Selbstverständlich, man kann uns hundertundeinen Fehler nachweisen.
Wenn eine Regierung tausenderlei tut, dann wird sie hier und da einen
Fehler machen, — keinen Fehler machen nur diejenigen, die überhaupt
nichts tuen [Heiterkeit], Wir haben gehandelt, haben schnell und durch¬
greifend gehandelt und mußten deshalb auch manchmal hier und da eine
Niederlage erleiden und werden das auch in Zukunft erleiden müssen.
Wer aber ist der Pharisäer, der den ersten Stein auf uns wirft? Wer
wollte uns zum Vorwurf machen, daß wir bei dem Vielen, was wir
taten, auch hier und da einmal geirrt haben? Unsere Vorgänger konnten
nicht irren, denn sie haben die Dinge laufenlassen, wie sie liefen. Dazu
allerdings besaßen wir nicht den Mut, wir haben nicht die Stirne gehabt,
dem Zusammenbruch unseres Volkes tatenlos und mit verschränkten
Armen zuzuschauen, sondern wir haben zugefaßt. Und haben mit einer
übermenschlichen Kraft diese zu Tale rollende Lawine zum Halten ge-
12 Dieses „nicht" natürlich ein Versprechen.
278
bracht und müssen sie jeden Tag wieder halten, damit das Volk nicht in
den Abgrund hineinstürzt.
Will man uns deshalb einen Vorwurf machen und glaubt die Welt des¬
halb über uns zu Gericht sitzen zu können? Die Welt soll uns in Ruhe
lassen — so, wie wir sie in Ruhe lassen. Und die Welt soll sich mit ihren
eigenen Sorgen beschäftigen. — sie hat deren genug, daß sie ihre Zeit
damit ausfüllen kann [Bravo-Rufe, Beifall]. Und unsere eigenen Sorgen
soll sie ruhig uns überlassen. Wir machen der Welt keine Vorschriften,
wie sie sich regieren soll, aber die Welt soll uns auch mit ihren Ratschlä¬
gen, wie wir uns regieren sollen, vom Leibe bleiben [Zustimmung],
Wir haben nicht die Absicht, den Nationalsozialismus in andere Län¬
der zu exportieren; wir haben tausendmal erklärt, daß der Nationalso¬
zialismus kein Exportartikel sei 13 [Heiterkeit], Im Gegenteil: Wenn es
nach uns ginge, wir wollten ihn am liebsten unter Gebrauchsmuster- und
Patentverschluß setzen [Heiterkeit], Wie sollten wir andere Völker —,
anderen Völkern den Nationalsozialismus aufzwingen! Wir sind nämlich
der Meinung, daß ein Volk durch den Nationalsozialismus stärker wird.
Keine Veranlassung, andere Völker stärker zu machen, als sie ohnehin
schon sind! [Heiterkeit, Beifall.] Nein, wir werden mit uns selbst fertig,
und die Welt soll auch mit sich selbst fertigwerden. Als einige Nationen
können wir miteinander verkehren. Wenn die Welt sich mit ihren Sorgen
beschäftigt, so läßt sie uns die Möglichkeit, uns mit den unseren uns zu
beschäftigen. Die Nationen selbst aber werden dann am besten, wenn sie
sich auf ihre Eigenart und auf ihre völkische Rasse besinnen, die Brücke
zueinander finden.
Um diese Brücke zu schlagen, auch von Deutschland zum Westen her¬
über, haben wir in Saarbrücken den Sender eingerichtet. Nicht nur, daß
wir im Reiche einen geistigen Zugangsort zum Saargebiet haben, sondern
auch, damit das Saargebiet einen geistigen Überschlag zu anderen Län¬
dern hat. Sie sollen von hier aus die Brücke schlagen — nicht mit einer
verwaschenen Zivilisation, sondern mit der Betonung unserer Eigenart,
die am Ende auch die beste Repräsentation des deutschen Geistes ist.
Denn dieser Sender soll Brücke in die Welt sein! Und er soll der Welt die
Einheit des Reiches zeigen, er soll der Welt den Spiegel unseres Lebens
Vorhalten! Gerade weil hier einmal die Einheit des Reiches von den Geg¬
nern des Reiches bedroht wurde, deshalb soll hier die Einheit des Reiches
erster und letzter Programmpunkt der funkischen Arbeit sein. Denn —
[Bravo-Rufe, Beifall], denn in dieser Einigkeit liegt unsere Kraft, in un-
13 Das stimmt, hielt jedoch nicht davon ab, ihn dann, als die Gelegenheit günstig
war (vor allem nach den siegreichen Feldzügen der ersten Kriegsjahre), trotz¬
dem mit Macht wenigstens in die „artverwandten" besetzten Gebiete im Nor¬
den und Westen zu „exportieren".
279
serer Kraft ruht der Frieden, und im Frieden ruht unser Glück und die
Wohlfahrt des Reiches! [Bravo-Rufe, Heilrufe, stürmischer Beifall.]
DRA Nr. C 1290 (42'). In der Tagespreise (VB vom 6. Dezember 1935) re¬
ferierend mit kurzen Zitaten wiedergegeben.
280
Nr. 30
6. 6. 37 — Donaustauf, Walhalla — Aufstellung einer Anton-Bruckner-
Büste 1
Mein Führer! [Heilrufe.]
Wir alle haben uns heute mit Ihnen, mein Führer, an einer weihevollen
Stätte versammelt, um einen der größten Meister deutscher Tonkunst 1 zu
ehren. Mit uns fühlt sich in dieser Stunde das ganze deutsche Volk auf¬
gerufen, in Dankbarkeit des Genies zu gedenken, das uns und der Welt,
wie einst Beethoven vor ihm, in neun gewaltigen Symphonien ein künst¬
lerisches Vermächtnis hinterlassen hat, das zu den stolzesten Reichtü-
mern unserer nationalen Musikkultur gehört. Aber nicht nur das Werk
allein spricht aus diesem Meister der symphonischen Kunst, — neben ihm
erscheint in Anton Bruckner unverkennbar und stark die Linie unserer
besten musikalischen Überlieferung, die in seiner Persönlichkeit im vori¬
gen Jahrhundert die sichtbarste Ausprägung erfahren hat.
Vor uns steht der deutsche Kantor, der — Lehrer und Musikant zu-
1 Nachdem die Walhalla, eine nach Plänen Leo v. Klenzes durch König Lud¬
wig I. von Bayern als Ruhmeshalle und «Tempel deutscher Ehren" auf dem
Donauhochufer bei Regensburg errichtete Parthenon-Kopie (1842 eingeweiht),
bislang bayerischer Staatsbesitz gewesen war, hatte sie Ministerpräsident Sic¬
hert am 21. Mai 1936 „in die Obhut des Führers" gegeben. Seitdem be¬
stimmte Adolf Hitler, wer (durch Aufstellung einer Büste) in die Reihen der
bis dahin 176 „Großen des deutschen Volkes" aufgenommen werden sollte.
Zuletzt hatten sich 1928 Franz Schubert und der Turnvater Jahn, 1931 Joseph
v. Görres den „Walhalla-Genossen" zugesellt — in schlichten Feierstunden,
über die sich die nunmehrigen Staatsakt-Regisseure entsprechend mokierten.
* Anton Bruckner (1824—1896), oberösterreichischer Komponist und Kirchen¬
musiker, ursprünglich Dorfschullehrer, wurde — zu Lebzeiten meist verkannt
und zurückgesetzt — erst nach seinem Tode, etwa ab 1910, in seiner Bedeu¬
tung als Sinfoniker gewürdigt. Hitler schätzte seinen Landsmann, nur bereitete
es dem System etwas Mühe, den tiefgläubigen B. aus seiner Verankerung in
der katholischen Kirchenmusik einigermaßen herauszuinterpretieren. Einige —
in B.s Milieu nahezu selbstverständliche — antisemitische Äußerungen halfen,
solchen Makel zu kompensieren.
281
gleich — das kirchenmusikalische Erbe der Vergangenheit treulich pflegt
und nährt, ohne von den eigenen Werken, die er in gewissenhafter Aus¬
übung seines bescheidenen Amtes dazu beisteuert, sonderlich viel Aufhe¬
bens zu machen, der aber ebenso liebevoll und mit der gleichen Selbst¬
verständlichkeit sich auch der heimatlichen Volksmusik annimmt, mit
der sein vielseitig-lebensnahes Wirken außerhalb der Kirche ihn auf das
engste verknüpft. Es ist ein besonderer Glücksfall unserer Musikge¬
schichte, daß in einem Zeitalter, das auch in der Kunst wie auf allen
übrigen Gebieten des geistigen Lebens durch ein unaufhaltsames Vordrin¬
gen des Spezialistentums gekennzeichnet war, sich in Anton Bruckner die
verschieden gearteten Grundkräfte deutschen Musikschaffens noch ein¬
mal auf das kraftvollste vereinigt haben. Der Symphoniker und der
Kantor sind in der Gestalt Anton Bruckners wiederum in einer fruchtba¬
ren Synthese zusammengefaßt.
Dabei ist es seinen Zeitgenossen nicht leichtgefallen, das zuerst viel¬
leicht verwirrende Bild seiner Persönlichkeit als Ganzes zu begreifen.
Wie seine körperliche Erscheinung, so wirkte auch seine Kunst manchmal
seltsam und fast unverständlich. Es dauerte geraume Zeit, bis Bruckners
Tonsprache in ihrer Originalität und inneren Folgerichtigkeit von weite¬
ren Kreisen überhaupt verstanden wurde. Es ist völlig verfehlt, in Bruck¬
ners Musik, wie es heute noch vielfach in gewissen Kreisen geschieht,
nichts anderes als eine ins Symphonische übertragene Abwandlung Wag¬
nerscher Kunst sehen zu wollen. Wie jedes Genie ist Bruckner etwas
durchaus Einmaliges und Eigengewachsenes. Und um ihn zu begreifen,
muß man auf die Wurzeln seines Daseins, die blut- und rassebedingten
Grundkräfte seines Menschentums, zurückgehen.
Er kommt aus einem alten Bauernstamm, den wir jetzt bis zum Jahre
1400 zurückverfolgen können 1 . Sein ganzes Leben hindurch, auch als
seine berufliche und gesellschaftliche Stellung ihn längst in eine ganz an¬
dere Sphäre getragen hatte, verleugnet er niemals die typischen Merk¬
male des bäuerlichen Menschen. Seine fast mystisch wirkende Naturver-
bundenheit, seine harte und vollkommen phrasenlose Liebe zum heimat¬
lichen Boden und zum großen deutschen Vaterlande, die schlichte Gerad¬
linigkeit seines Charakters, die sich mit echter Demut paart und doch ein
stolzes Bewußtsein der eigenen Leistung in sich trägt, seine kindhaft
reine Weltfreudigkeit, die auf dem Boden eines von keinen Verstandes¬
zweifeln angekränkelten Gottglaubens ruhte, — alles das läßt erkennen.
s Im letzten Teilband (1V/4) der vierbändigen Bruckner-Biographie von August
Göllerich und Max Auer, der damals gerade erschienen war, hatte sich
der Wiener Ministerialrat Ernst Sdiwanzara der Aufgabe gewidmet, die
Bruckners bis auf einen „Jörg Prukner an der Prugk" anno 1400 zurückzu-
verfolgen, — was seinerzeit sehr wichtig war.
282
wie stark und unversehrt er in einer so andersgearteten Zeit das bäuer¬
liche Ahnenerbe in sich bewahrt. Man muß die Strenge des Lebenskreises,
dem er entstammt, kennen, um zu verstehen, daß es für ihn, das älteste
von elf Kindern, gar keine Berufswahl geben konnte. Wie selbstverständ¬
lich wuchs er in die Laufbahn des Schulmeisters hinein. Keiner unserer
großen Meister hat sich so gern und immer wieder selbst auf die Schul¬
bank gesetzt wie er, und noch als es in seiner Kunst längst nichts mehr
für ihn zu lernen gab, unterzog er sich freiwilligen Prüfungen, um sich
von den Magistern seiner Zeit den Stand des erreichten technischen Kön¬
nens schwarz auf weiß bescheinigen zu lassen. Einer von diesen war so
ehrlich zu bekennen: Er hätte uns prüfen sollen!
Es ist hier vielleicht der Ort und die Stunde, gegen eine vielfach betrie¬
bene Veräußerlichung des Wesens und Wirkens Anton Bruckners Ein¬
spruch zu erheben. Süßliche Schlagworte wie „Der Musikant Gottes"
oder „Der Sänger Unserer Lieben Frau" müssen noch heute dazu herhal¬
ten. aus Bruckners schwerem Lebenskampf eine Art religiösen Märtyrer¬
tums zu machen. Mit Vorliebe führen die Verbreiter solcher Schlagworte
die — wie sie sagen: franziskanische Demut als seine hervorstechendste
Eigenschaft an. All diese Deutungen werden in keiner Weise der Erschei¬
nung dieses großen musikalischen Genies gerecht.
Wie die Persönlichkeit, so ist aber auch das künstlerische Lebenswerk
Bruckners vielfachen Mißdeutungen ausgesetzt gewesen und heute noch
ausgesetzt. Ein feindseliges, journalistisches Kritikastertum hat ihm
durch ununterbrochene Quälereien sein arbeitsreiches Leben verbittert.
Eduard Hanslick 4 hat einmal in einem Tischgespräch mit Anton Bruck¬
ner selbst das diese Gilde von kritischen Eintagsfliegen vollends demas¬
kierende Wort fallenlassen: „Wen ich vernichten will, den vernichte ich!"
Mit Widerwillen und Verachtung wenden wir uns heute von diesen
geistigen Freibeutern ab, die zu Bruckners Zeiten ihr angemaßtes kriti¬
sches Richteramt dazu mißbrauchten, über seine Musik, deren form¬
schöpferische Neuheit sie überhaupt nicht verstehen konnten, Sätze wie
etwa diese niederzuschreiben: „Wirklich schaudern wir vor dem Moder¬
geruch, der aus den Mißklängen dieses verwesungssüchtigen Kontra¬
punktes in unsere Nasen dringt." Oder: „Wenn hier und da dennoch eine
Seite seiner Partitur mit unseren Begriffen von musikalischer Logik über¬
einstimmt. dürfen wir ihm schwerlich die Verantwortung dafür zuschrei¬
ben; Bruckner komponiert wie ein Betrunkener." Oder: „Es ist nicht un¬
möglich, daß diesem traumverwirrten Katzenjammerstil die Zukunft ge¬
hört — eine Zukunft, die wir darum nicht beneiden."
4 Musikschriftsteller und Professor an der Universität Wien, Verehrer des
Bruckner-Antipoden Johannes Brahms und erbitterter Gegner Wagners und
Bruckners.
283
Man kann angesichts solcher Proben einer vollkommen verwilderten
öffentlichen Kritik das erschütternde Dokument verstehen, das sich von
Bruckners Hand in den Akten der Wiener Philharmoniker befindet. Sie
sollten im Jahre 1884 seine Siebente Symphonie zur Uraufführung brin¬
gen. Er aber schrieb ihnen: „Es wolle meine ergebene Bitte gestattet sein,
das hochlöbliche Comite wolle für dieses Jahr von dem mich sehr ehren¬
den und erfreuenden Projekte Umgang nehmen aus Gründen, die einzig
der traurigen Situation entspringet in Bezug der maßgebenden Kritik."
Wieviel Verbitterung, wieviel seelische Qual muß dieses Genie durchlit¬
ten haben, bis es sich zu solch einem Schritt entschloß! Wenn im neuen
Deutschland die Ausübung der öffentlichen Kunstbetrachtung von Ge¬
setz wegen in eine geordnete Bahn gelenkt worden ist 5 , so glauben wir
auch damit eine Dankesschuld an den einsam ringenden, von seinen Pei¬
nigern bis zum Tode gequälten Meister abgestattet zu haben.
Gegenüber diesen feindseligen Widerständen dürfen wir allerdings
auch die Mißdeutungen Brucknerscher Musik, die von seinen wirklichen
Anhängern und Verehrern ausgehen, nicht außer Betracht lassen. Auch
hier geistert das Schlagwort von der Nach-, Wagnernachfolge herum.
Und es ist keineswegs immer in abfälligem, sondern oft genug auch in
positivem Sinne gemeint. Sofern damit gesagt werden soll, daß Bruck¬
ners künstlerische Entwicklung ohne Wagner nicht denkbar ist, wird
man dagegen nichts einwenden können. Im Grunde ist die Meisterschaft
Bruckners erst zum Erwachen gekommen und hat er sich auch als
Mensch von äußeren Fesseln wahrhaft befreit, als er mit fast vierzig
Jahren den unmittelbarsten Eindruck von der Kunst des großen Musik¬
dramatikers Richard Wagner empfing. Dieses Erlebnis hat auf die klang¬
liche Gestalt seiner Tonsprache geradezu revolutionierend gewirkt und
ihr erst die Prägung verliehen, die wir als den eigentlichen Bruckner-Stil
kennen. Von da ab wird aus dem Kirchenkomponisten, der nunmehr mit
einem Schlage fast ganz zurücktritt, der ausgeprägte Symphoniker.
Diese für einen so treuen musikalischen Diener der Kirche fast unver¬
ständliche Wendung zur absoluten Symphonik, die ihrer Natur nach kei¬
nerlei liturgische Zweckbedingtheit kennt, ist der Schicksalspunkt in
Bruckners weiterer künstlerischer Entwicklung geworden. Hier löst sich
sein schöpferischer Genius von der Bindung an die Kirche, nun erwacht
5 Nach mehrfachen Androhungen hatte Goebbels mit Erlaß vom 27. November
1936 die „in der Zeit jüdischer Kunstüberfremdung zum Kunstrichtertum" ge¬
wordene Kunstkritik offiziell verboten und durch sogenannte „Kunstbetrach¬
tungen" ersetzt, die „weniger Wertung als vielmehr Darstellung und damit
Würdigung" zu sein hatten. Nicht die Mängel sollten mehr im Mittelpunkt
stehen, sondern das „ehrliche Wollen". Ausgelöst worden war denn auch dieses
Verdikt durch die Verkennung jenes „ehrlichen Wollens" in den Machwerken
dilettantischer Parteiskribenten.
284
die frühlingshafte Gewalt der großen Schöpfung in ihm. Er ist von
einem sieghaften Rausch des Gestaltens erfüllt, ein unbändiges Freiheits¬
gefühl durchbraust seine Seele. In diesen Werken der Reifezeit ist der
kämpferische Tatenwille, ohne den wir uns eine echte Symphonie über¬
haupt nicht vorstellen können, mitreißend wirksam. Es bedeutet eine
vollkommene Verkennung dieses Brucknerschen Stils, wenn versucht
wird, seine Symphonien insgesamt als religiöse Kunst, als eine Art abso¬
lute —, absolute Kirchenmusik zu charakterisieren, — ja, sie schlechthin
mit dem Begriff „Messen ohne Text" abzustempeln.
Es ist an der Zeit, gegen diese falschen Deutungsversuche Front zu
machen. Denn Anton Bruckner läßt sich, wie jedes große Genie, nicht in
die Fesseln einer dogmatisch bestimmten Schablone hineinzwängen. Und
wir. die wir, fern von jeder wissenschaftlichen Auslegung der Musik, das
Werk Anton Bruckners ganz einfach und unmittelbar als künstlerische
Offenbarung auf uns wirken lassen, — wir alle fühlen und wissen, daß
seine tiefe Gottgläubigkeit längst alle konfessionellen Schranken ge¬
sprengt hat und daß sie in dem gleichen heldischen Weltgefühl des ger¬
manischen Menschentums wurzelt, dem alle wahrhaft großen und ewi¬
gen Schöpfungen der deutschen Kunst entspringen.
In diesem Sinne bedeuten Anton Bruckners Symphonien für uns ein
nationales Vermächtnis. Der Führer und seine Regierung betrachten es
als ihre kulturelle Ehrenpflicht, alles in ihren Kräften Stehende zu tun,
um das ganze deutsche Volk dieses beglückenden Erbes teilhaftig werden
zu lassen und durch eine großzügige Förderung der Bruckner-Pflege
daran mitzuhelfen, daß diese in ihren Auswirkungen nicht nur in die
Tiefe, sondern auch in die Breite dringt. Aus diesen Gründen haben sie
sich entschlossen, der Internationalen Bruckner-Gesellschaft* so lange
jährlich zur Herausgabe der Originalfassung seiner sämtlichen Sympho¬
nien einen namhaften Betrag zur Verfügung zu stellen, bis das Gesamt¬
werk des Meisters in der von ihm geschauten Form vorliegt.
Lassen Sie mich, mein Führer, in dieser Feierstunde noch aussprechen,
daß Anton Bruckner als Sohn der österreichischen Erde ganz besonders
dazu berufen ist, auch in unserer Gegenwart die unlösliche geistige und
seelische Schicksalsgemeinschaft zu versinnbildlichen, die unser gesamtes
deutsches Volk umschließt. Es ist daher für uns ein symbolisches Ereignis
von mehr als nur künstlerischer Bedeutung, wenn Sie, mein Führer, sich
entschlossen haben, in diesem einst von einem großen bayerischen König
gestifteten deutschen Nationalheiligtum, das nunmehr Ihrer Obhut an¬
vertraut ist, als erstes Denkmal unseres Reiches eine Büste Anton Bruck¬
ners aufstellen zu lassen. Wir alle als Verehrer der Kunst dieses großen
Meisters, die wir uns oft und oft in den Konzertsälen von seinem mitrei-
• Gegründet 1927 in Leipzig („Br. Ges.”) bzw. 1929 in Wien („Int. Br. Ges.").
285
ßenden Genie haben erschüttern lassen, — wir möchten Ihnen, mein
Führer, für Ihren Entschluß aus tiefstem Herzen danken.
In Ehrfurcht gedenken wir der Unsterblichkeit des Brucknerschen
Werkes und wissen uns eins mit jenem Bekenntnis, das ein großer öster¬
reichischer Gelehrter ablegte, als er bei —. bei der Verleihung der Ehren¬
doktorwürde an den greisen Meister 7 ihm die Worte zurief: „Wo die
Wissenschaft haltmachen muß, wo ihr unübersteigliche Schranken ge¬
setzt sind, da beginnt erst das Reich der Kunst. Sie aber vermag auszu¬
drücken, was allem Wissen verschlossen bleibt. So beuge ich, der Rektor
der Wiener Universität, mich vor dem Unterlehrer von Windhaag 8 ."
Und so beugt sich im Sinne und Geiste dieses Wortes in dieser fest¬
lichen Stunde eine dankbare Nation vor dem unsterblichen Genie eines
ihrer größten Söhne.
DRA Nr. 52—12 074 (16' 40"). In der Tagespresse (VB vom 7. Juni 1937) ab¬
gedruckt.
7 Am 7. November 1891 durch die Philosophische Fakultät der Universität
Wien; Rektor war damals Professor Dr. Adolf Exner.
8 B.s erste Stelle: 1841—1843 Schulgehilfe in Windhaag bei Freistadt (in der
Nähe von Linz). — Goebbels zitiert ungenau; beispielsweise ist die Apposition
„der Rektor der Universität Wien" wohl des Effektes wegen von ihm hinzu¬
gefügt worden (vgl. Max Auer, Anton Bruckner. 2. Aufl. Wien 1934, S. 317).
286
Nr. 31
28. 9. 37 — Berlin, Maifeld (Reichssportfeld) — Begrüßung auf der Gro߬
kundgebung anläßlich des Besuches Mussolinis in Berlin 1
(Duce des faschistischen Italien!) [Heilrufe.]
Mein Führer! [Heilrufe.]
Ich melde: Auf dem Maifeld in Berlin, im Olympiastadion und auf den
Vorplätzen des Reichssportfeldes eine Million Menschen, dazu auf den
Anfahrtsstraßen von der Wilhelmstraße bis zum Reichssportfeld zwei
Millionen Menschen, insgesamt also drei Millionen Menschen zur histori¬
schen Massenkundgebung der nationalsozialistischen Bewegung versam¬
melt! [Heilrufe.]
In festlicher Stunde ist die Bevölkerung der Hauptstadt des Dritten
Reiches aufmarschiert. Berlin und darüber hinaus das ganze deutsche
Volk sind von tiefster Freude erfüllt! Bewegten Herzens werden in
Deutschland und in Italien mehr als hundert Millionen an den Lautspre¬
chern versammelt sitzen, um durch die Ätherwellen mit diesem einzig¬
artigen Ereignis verbunden zu sein. Ich bin glücklich und stolz, den Dol¬
metsch der Gefühle machen zu dürfen, die uns in dieser Stunde alle be¬
wegen.
Ich habe die Ehre, den Duce Italiens [Heilrufe] auf dem Boden der
Reichshauptstadt vor dem ganzen deutschen Volke auf das herzlichste
willkommen zu heißen! [Heilrufe.] Ich darf Ihnen im Namen der unge-
1 Durch seine — gegen die deutsche öffentliche Meinung durchgeführte — Unter¬
stützung des faschistischen Überfalls auf Abessinien 1935/36 hatte Hitler
einen Teilabschnitt seiner außenpolitischen Konzeption verwirklicht, der 1934
angesichts der kühlen Reaktion des heftig Umworbenen schon begraben schien:
das faschistische Italien des „Duce" Mussolini war zum Bundesgenossen ge¬
wonnen worden. Symbol dieser Verbrüderung, die den Weg freimachte für
den „Anschluß" Österreichs im kommenden Frühjahr, war der Staatsbesuch,
zu dem Mussolini am 25. September 1937 in Deutschland eintraf, der ihn
über München, Mecklenburg (als Manövergast) und Essen nach der Reichs¬
hauptstadt führte und dort in dieser Massenkundgebung gipfelte.
237
zählten Millionen Deutschen, die jetzt mit uns verbunden sind, freudigen
und begeisterten Dank sagen für Ihren Besuch. Ich darf Ihnen versi¬
chern, daß Ihr geschichtliches Leben und Wirken im deutschen Volke
tiefste Bewunderung ausgelöst hat [Heilrufe].
Sie sind in eine festliche Stadt gekommen. Sie hat sich Ihnen zu Ehren
bekränzt und geschmückt. Aber was bedeutet das angesichts der hochge¬
stimmten und jubelerfüllten Herzen, die Ihnen aus ganz Deutschland
millionenfach entgegenschlagen! [Heilrufe.] In Ihnen begrüßt die Stadt
Berlin, begrüßt ganz Deutschland den großen Duce seines Volkes und
seiner Nation, den Freund Deutschlands [Heilrufe], den mutigen und
zielbewußten Staatsmann, den überragenden Gestalter eines nationalen
Volksschicksals!
Seien Sie uns auf das herzlichste willkommen, — so rufe ich Ihnen im
Namen aller Deutschen zu, von denen nur ein gla-, ganz kleiner Aus¬
schnitt Sie am heutigen Abend umjubeln kann. Wir grüßen Ihr schönes
Land und Ihr tapferes Volk! Sie Seite an Seite mit unserem geliebten
Führer zu sehen ist eines der freudigsten Ereignisse unseres Lebens!
[Heilrufe.]
Die große, historische Massenkundgebung der nationalsozialistischen
Bewegung auf dem Berliner Maifeld ist eröffnet! (Es spricht der Füh¬
rer!)
WDR DOK 557/W 5291 (5' 46"). Abdruck in der Tagespresse (VB vom 29. Sep¬
tember 1938). Anfang und Ende der Rede nach dem Zeitungsabdruck in < -
288
Nr. 32
19. 3. 38 — Berlin, Krolloper
Tagung der Parteiführerschaft 1
. .. einstellen, und daß an diesem Tage die gesamte Versammlungstätig-
keit im gesamten Reichsgebiet zum Ruhen kommt. Die Führerkundge¬
bungen müssen selbstverständlich einheitlich aufgezogen werden. Die
Verantwortung für die Führerkundgebung übernimmt der Gauleiter des
jeweiligen Gaues, in dem diese Kundgebung stattfindet. Um aber die
Einheitlichkeit des Aufzugs dieser Versammlungen zu gewährleisten,
werden in die einzelnen Gaue Mitarbeiter der Reichspropagandaleitung
entsandt, die selbstverständlich für diese Kundgebungen nicht die Ver¬
antwortung übernehmen, die auch nicht befehlen sollen, sondern die sich
nur den Gauleitern zur Mitarbeit, zur Anregung und zum Ratschlag zur
Verfügung zu stellen haben.
Die Anwesenheit des Führers in einem Gaugebiet dient natürlich nicht
nur ausschließlich dem Zweck, daß der Führer dort eine Rede hält, son¬
dern die Anwesenheit des Führers muß zu einer großen Demonstration
1 Der Teilnehmerkreis, der hier Richtlinien für den bevorstehenden „Wahl¬
kampf" erhält, wird in der Pressenotiz darüber (VB vom 21. März) folgen¬
dermaßen umschrieben: „das Führerkorps der Partei, die Reichs- und Gau¬
leiter, die führenden Parteigenossen Deutsch-Oesterreichs, die führenden Män¬
ner sämtlicher Gliederungen, die Männer der nationalsozialistischen Propa¬
ganda und Presse". Die eigentlichen Richtlinien gab dann anschließend Hitler
persönlich in einer 65-Minuten-Rede, Goebbels steuerte nur organisatorische
Anweisungen bei. Der „Wahlkampf" galt den Reichstagswahlen samt Volks¬
abstimmung („Bekennst du dich zu unserem Führer . . . und damit zu der . . .
Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich?"), die Hitler nach
dem am vorangegangenen Wochenende erfolgten „Anschluß" für den 10. April
angesetzt hatte, — auch hier wieder, wie er das gern tat, ein vom Volke po¬
sitiv gewertetes politisches Ereignis zum Anlaß eines Plebiszits oder plebiszitärer
Reichstags-Neuwahlen benutzend (ursprünglich, durch Gesetz vom 13. März,
war nur in Österreich eine Volksabstimmung anberaumt worden; erst am Vor¬
tage, am 18. März, war diese auf das „Altreich" ausgedehnt und der Reichstag
aufgelöst worden).
2S9
der gesamten Provinz ausgestaltet werden. Es ist also nicht zweckmäßig,
es mit der Versammlung bewenden zu lassen, sondern der Führer muß in
einem ganz großen Aufzug empfangen werden 2 . Es muß eingearbeitet
werden in das Besuchsprogramm des Führers — sagen wir: ein großer,
demonstrativer Empfang im Rathaus, Spalierbildung der ganzen Bevöl¬
kerung, nicht nur der Bevölkerung der betreffenden Stadt, sondern der
Bevölkerung der ganzen Provinz, an den Straßen, so daß also diese Ver¬
sammlung ein ganz großes, demonstratives Ereignis für alle durch die
Sendegruppen zusammengefaßten Gaue der nationalsozialistischen Bewe¬
gung ist.
Da der Führer vierzehnmal in einer relativ kurzen Zeitspanne spre¬
chen muß, wird es zweckmäßig sein, jedesmal vor dem Führer noch
einen anderen Redner sprechen zu lassen, denn es ist selbstverständlich,
daß der Führer nicht vierzehnmal Tag für Tag in je einer Versammlung
am Tage zwei Stunden lang sprechen kann. Die Rede des Führers wird
also etwa 45 bis 60 Minuten umfassen. Es werden Ihnen für diese Ver¬
sammlung gute und geeignete Redner seitens der Reichspropagandalei¬
tung zur Verfügung gestellt; wo diese Aufgabe der Gauleiter selbst über¬
nehmen will und kann, ist uns das am allerliebsten.
Es hat sich als sehr wirksam erwiesen, daß die ungeheuren Tausenden
von Menschen, die den Führer an den Spalierstraßen empfangen, kleine
Hakenkreuzfähnchen schwenken. Es ist mir von allen Seiten mitgeteilt
worden, daß gerade dieser Umstand sowohl bei dem Empfang in Wien
als auch bei dem Empfang in Berlin außerordentlich wirkungsvoll sich
ausgewirkt hat 3 . Wir werden deshalb veranlassen, daß Millionen solcher
kleinen Fähnchen seitens der Reichspropagandaleitung gedruckt und un¬
entgeltlich den einzelnen Gauen zur Verfügung gestellt werden.
Was den Rednereinsatz selbst anlangt, so möchte ich gleich im vorhin¬
ein betonen, daß auch in diesem Wahlkampf wie in allen vorangegange¬
nen Wahlkämpfen — seien es nun Wahlkämpfe, seitdem wir an der
Macht sind, oder Wahlkämpfe, bevor wir an die Macht kamen —, daß
auch in diesem Wahlkampf unsere Hauptwaffe unsere Redner sind. Wir
sollen uns also nicht so sehr darauf verlassen, daß die Propaganda ohne¬
hin der Rundfunk oder daß die Propaganda ohnehin die Zeitungen
machen, sondern wir müssen uns auf unsere alte, bewährte Waffe verlas-
1 Vgl. dazu die ziemlich entgegengesetzten Anschauungen, die Goebbels zwei¬
einhalb Jahre zuvor vertreten hatte: Nr. 27, S. 260 1'. Ob er es nun wünschte
oder vielleicht auch nicht: ein System jener Art eskalierte nahezu automa¬
tisch in seinem Byzantinismus und Repräsentationsbedürfnis.
* In Wien war Hitler am 14. März eingezogen, nach Berlin war er am 16. März
zurückgekehrt. Zweimal machte der Völkische Beobachter mit der Haupt¬
schlagzeile „Triumphaler Einzug des Führers" auf — damit durchaus nicht
übertreibend, wie man sich noch heute in Bild und Film überzeugen kann.
290
sen, und diese bewährte Waffe heißt „Kampfversammlung"! Das heißt
also: Alle Parteigenossen, die bisher in der nationalsozialistischen Bewe¬
gung rednerisch tätig gewesen sind, müssen sich für diesen Wahlkampf
mindestens mit so viel Terminen zur Verfügung stellen, als der Führer sie
selbst zur Verfügung gestellt hat [Bravo-Rufe, Beifall]. Das heißt also:
Jeder Redner, er mag Partei- oder Staatsamt bekleiden — welches auch
immer, muß für diesen Wahlkampf mindestens vierzehn Termine zur
Verfügung stellen.
Es liegt nun auf der Hand, daß jeder einzelne Redner sich im weiten
deutschen Reichsgebiet nicht selbst die Städte auswählen kann, an denen
er gerne sprechen möchte. Selbstverständlich ist es ihm gestattet, Wün¬
sche zum Ausdruck zu bringen, und diese Wünsche werden, soweit das
überhaupt im Bereich der Möglichkeit liegt, erfüllt werden. Darüber hin¬
aus aber muß jeder Redner sich gefallen lassen, auch einmal in einer
Stadt oder in einem Ort angesetzt zu werden, wohin ihn nun nicht so
sehr sein eigenes Herz zieht. Und da ist uns auch der Führer ein großes
Beispiel. Denn der Führer hat bis jetzt nicht ein einziges Mal gefragt, wo
er redet, sondern er hat nur die Tage, an denen er redet, uns zur Verfü¬
gung gestellt.
Ich möchte dabei eins gleich betonen: Es ist leider nicht möglich, daß
alle reichsdeutschen Redner in den nächsten drei Wochen in Wien spre¬
chen können [Gelächter], Es gibt außer Wien im österreichischen Reichs¬
gebiet noch eine ganze Reihe von anderen Städten, und außer den Städ¬
ten gibt es Orte und Dörfer — Orte und Dörfer, die zum großen Teil
noch niemals einen reichsdeutschen —, einen Redner aus dem alten deut¬
schen Reichsgebiet gehört oder gesehen haben. Und ich glaube, es ist
denn gar kein Opfer, wenn sich unsere Redner aus dem alten reichsdeut¬
schen Gebiet auch für diese große und gewiß auch sehr verlockende Auf¬
gabe zur Verfügung stellen [Bravo-Rufe, Beifall].
Was den Rundfunkeinsatz anbetrifft, so müssen wir uns hier auch
nach der Praxis der vergangenen Wahlkämpfe eine gewisse Mäßigung
auferlegen. Denn es liegt auf der Hand, meine Parteigenossen, daß, wenn
wir jetzt am Montag gleich anfingen, jeden Abend drei, vier oder fünf
Stunden über alle Sender zu übertragen, — daß dann in der letzten
Woche das deutsche Hörerpublikum vollkommen übermüdet wäre. Und
wir liefen dann Gefahr, daß wir für die ganz große, demonstrative
Schlußkundgebung des Wahlkampfes, auf der der Führer in Wien spre¬
chen wird, das deutsche Hörerpublikum nicht mehr in dem Maße mobili¬
sieren könnten, wie das eigentlich wünschenswert erscheinen müßte. Wir
werden uns deshalb im Ansatz des deutschen Rundfunks zur Übertra¬
gung unserer Wahlkundgebungen größte Mäßigung auferlegen. Der Füh¬
rer selbst hat den Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß seine Versamm-
291
lung nur einmal über alle Sender übertragen wird und sonst seine Ver¬
sammlungen übertragungsmäßig zu einzelnen Sendegruppen zusammen¬
gefaßt werden.
Wir müssen also versuchen, außerhalb der Übertragungen der Redner
noch den Rundfunk auf andere Weise einzusetzen; dafür sind auch die
notwendigen Vorbereitungen schon getroffen worden. Ich möchte darum
bitten, auch dafür Verständnis zu haben, wenn wir außerhalb der Über¬
tragungen reiner Wahlkundgebungen oder reiner Wahlpropaganda im
Rundfunk sonst in den vergang-, in den kommenden drei Wochen ein
möglichst aufgelockertes Rundfunkprogramm zu Gehör bringen. Denn es
ist selbstverständlich, daß der Hörer, wenn er abends ein oder zwei oder
manchmal drei Stunden politische Reden angehört hat, dann auch das
natürliche Bedürfnis besitzt, nun durch ein aufgelockertes Unterhal¬
tungsprogramm möglichst durch den Rundfunk erfreut zu werden 4 .
Der Presseeinsatz geht nach denselben Methoden vor sich wie im ver¬
gangenen Wahlkampf. Das heißt: Die ganze deutsche Presse steht uns in
den kommenden drei Wochen für die Wahlpropaganda zur Verfügung.
Ich habe aber davon abgesehen, der gesamten deutschen Presse einheit¬
liche Aufsätze oder Aufrufe für den Wahlkampf zur Verfügung zu stel¬
len. Denn das würde das Bild der deutschen Presse nur sehr eintönig ge¬
stalten können. Die Presse arbeitet nach von uns in Berlin ausgegebenen
Stichworten selbständig, und ich möchte die hier anwesenden Haupt¬
schriftleiter der nationalsozialistischen Tageszeitungen eindringlich bit¬
ten, nach diesen Stichworten möglichst frei zu gestalten. Es ist der Phan¬
tasie und der Initiative des einzelnen hier keinerlei Grenze gezogen. Nur
an die großen Richtlinien unseres nationalsozialistischen Wahlkampfes
zum 10. April haben sich die einzelnen Zeitungen zu halten.
Wir geben vom Völkischen Beobachter eine Sondernummer, vierseitig,
in einer Höhe von zwanzig Millionen Exemplaren heraus. Wir geben
darüber vom Angriff eine Sondernummer, vierseitig, wiederum in zwan¬
zig Millionen Exemplaren heraus. Die einzelnen Gauzeitungen sind ge¬
halten, von sich aus nach den von uns herausgegebenen Richtlinien Son¬
dernummern herauszugeben. Wir haben weiterhin hier bei der Zentrale
des Wahlkampfes eine sogenannte Maternkorrespondenz 5 eingerichtet,
4 Hier wieder Goebbels' Programm-Grundsatz Nr. 1 für den Rundfunk (vgl.
dazu Nr. 27, Anm. 13). Auch im Krieg hat er (und sah sich deshalb einiger
Kritik ausgesetzt) dieses Prinzip unbeirrt befolgt, so daß man beinahe schon
sagen kann: je ernster die Lage wurde, um so beschwingter wurde das Rund-
funkprogramm.
5 Mater (Matrize) nennt man die Papier- oder Pappform mit dem eingeprägten
Negativabdruck einer fertig gesetzten und umbrochenen (Zeitungs-)Seite.
Durch Ausgießen mit Blei entstehen dann die — positiven — Drudeformen
für die Rotationsmaschine. Da die Matern leicht transportabel sind, ergibt sich
die Möglichkeit, Satz und Druck an verschiedenen Orten vornehmen zu lassen.
292
denn es gibt, wie Sie wissen, in Deutschland fast zweitausend Zeitungen,
die keine eigene Politik betreiben, sondern die Politik nur von den gro¬
ßen Korrespondenzbüros fertig überliefert bekommen. Damit diese Zei¬
tungen auch tatkräftig in den Wahlkampf eingreifen können, bekommen
sie von uns fertige Matern, die sie nur abzudrucken brauchen.
Weiterhin gibt die Nationalsozialistische Parteikorrespondenz 8 unter
der Leitung unseres Parteigenossen Dr. Dietrich 7 eine täglich ersch-,
einen täglich erscheinenden Sonderdienst heraus. Dieser Sonderdienst ist
von den besten Federn der nationalsozialistischen Journalistik geschrie¬
ben, und er wird den nationalsozialistischen Tageszeitungen eindring¬
lichst zum Gebrauch empfohlen.
Darüber hinaus ist es selbstverständlich, daß die Kundgebungen des
Führers selbst, sowohl im alten als auch im großdeutschen Reichsgebiet,
in den deutschen Zeitungen einen möglichst breiten Spielraum einneh¬
men. Es werden über diese Kundgebungen einheitliche Berichte herausge¬
geben, und es ist selbstverständlich, daß nicht nur alle nationalsozialisti¬
schen Zeitungen, sondern daß alle deutschen Tageszeitungen diese Be¬
richte ungekürzt zur Veröffentlichung bringen.
Es ist bis zum 10. April ganz unwichtig, daß die einzelne Zeitung
eigene Politik betreibt. Es soll überhaupt die allgemeine Politik — die
Auseinandersetzung über internationale Fragen, polemische Auseinander¬
setzungen mit Frankreich oder mit der Tschechoslowakei oder mit Polen
oder mit Rußland — in den Hintergrund treten, soweit diese Auseinan¬
dersetzungen nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der
Wahlbewegung selbst stehen. Und ich möchte weiterhin betonen, daß es
für alle — nicht nur nationalsozialistischen, sondern für alle — deut¬
schen Zeitungen verboten ist, bis zum 10. April überhaupt ein Thema an¬
zuschneiden, das heiß ist, das heikel ist, das die Öffentlichkeit verstören
oder irritieren könnte und das in irgendeiner Weise dem großen Ergebnis
der Wahlkampagne Abbruch tuen könnte.
Darüber hinaus werden wir dieses Mal zum erstenmal in ganz großem
Umfange die illustrierte deutsche Presse in den Wahlkampf einspannen.
Wir werden selbst eine 24seitige Wahl-Illustrierte herausgeben. Sie wird
So beziehen Regionalausgaben oder Kopfblätter gematerte Seiten von ihrem
Stammhaus, aber auch kleinere Provinzzeitungen von größeren Organen oder
darauf spezialisierten Lieferanten unterschiedlicher Art und Interessen („Ma-
tern-Presse").
• NSK, die parteioffizielle Nachrichtenagentur neben der des staatlichen Sektors,
dem Deutschen Nachrichtenbüro (DNB).
7 Dr. Otto D., Reichspressechef der NSDAP (seit 1931) und Pressechef der
Reichsregierung sowie Staatssekretär im Propagandaministerium (seit 1937,
soeben berufen), daneben (seit 1933) 1. Vorsitzender des Reichsverbandes der
deutschen Presse und Vizepräsident der Reichspressekammer, Gründer und
Leiter der NSK.
293
aufgelegt in einer Auflage von dreißig Millionen Stück. Darüber hinaus
werden Wahl Sondernummern zweimal herausgegeben vom Illustrierten
Beobachter 8 , von der Berliner Illustrirten, von der Stuttgarter und von
der Münchner Illustrierten. Wir haben dafür Vorsorge getroffen, daß die
Tageszeitungen in weitestem Umfange von uns mit Bildmaterial, vor
allem mit Bildmaterial über den Führer selbst, bedient und versehen wer¬
den. Und zwar haben wir Vorsorge getroffen, daß dieses Bildmaterial
nicht eintönig ist, — das heißt: daß nicht an einem Tage in allen deut¬
schen Zeitungen dasselbe Bild erscheint, sondern daß die Veröffentli¬
chung von Illustrationen aus der Bewegung oder aus dem Leben oder aus
der Tätigkeit des Führers selbst ein möglichst mannigfaltiges Bild der
Tätigkeit des nationalsozialistischen Staates und des Führers selbst erge¬
ben.
Darüber hinaus haben wir die sogenannten Familienzeitschriften auch
zum erstenmal bei diesem Wahlgang mit in den Wahlkampf eingespannt.
Ich möchte Sie bitten, meine Parteigenossen, das verstehen zu wollen.
Denn es handelt sich heute darum, nicht die Nationalsozialisten von der
Richtigkeit dieses Wahlganges zu überzeugen, sondern eine möglichst
hundertprozentige positive Beteiligung des deutschen Volkes an diesem
Wahlgang zu beteiligen. Es müssen uns deshalb alle die Mittel recht sein,
die zur Beeinflussung des deutschen Volkes dienen können. Es gibt heute
in Deutschland Familienzeitschriften, die Viele-Millionen-Auflagen
haben, und diese vielen Millionen-Auflagen müssen wir in den Dienst
dieser großzügigen Wahlkampagne stellen. Und es ist dann auch selbst¬
verständlich, daß die Familienzeitschriften auf ihr Lesepublikum in der
Art und Weise zu wirken versuchen, wie das der Mentalität ihres Lese¬
publikums entspricht. Ich möchte deshalb also bitten, daß nicht unsere
nationalsozialistischen Zeitungen etwa über eine Familienzeitschrift wie
Heim und Kind nun höhnen und lächeln und ihre Glossen darüber
machen, wenn sie in einer — sagen wir: bürgerlichen und gemäßigten
Form zum Wahlgang — äh, Stellung nimmt [Heiterkeit] als etwa der
Völkische Beobachter oder der Angriff oder eine Gauzeitung der natio¬
nalsozialistischen Bewegung.
Die Wahlkampfleitung wird drei große Schrift-, drei große Bildpla¬
kate herausgeben, und zwar enthält das erste Bildplakat eine Darstellung
des heutigen großen Deutschen Reiches landkartenmäßig. In diese Land¬
karte wird eine Fotomontage der deutschen Erfolgsarbeit hineinmontiert.
Das zweite große Bildplakat enthält nur eine künstlerische fotografische
Wiedergabe des Führers selbst und die Unterschrift „Ein Volk, ein Reich,
8 Die von der Partei herausgegebene Illustrierte, gegründet 1926.
* In Berlin erscheinende nationalsozialistische Abendzeitung, 1927 von Goebbels
gegründet und in der „Kampfzeit" sein Organ als Gauleiter von Berlin.
294
ein Führer!" — sonst gar nichts. Das dritte Bildplakat enthält den Wahl¬
zettel mit dem Ja-Kreis und einem eingezeichneten Pfeil. Diese Bildpla¬
kate werden in Riesenauflagen herausgebracht, und zwar nicht nur in
der großen Größe, sondern in mittlerem Format und in kleinem Format,
so daß sie auch in den kleineren Städten und auf dem Dorfe zu verwen¬
den sind 111 .
Darüber hinaus bringen wir sechs Schriftplakate heraus; und zwar
werden sowohl Schriftplakate als Broschüren als auch Flugblätter weni¬
ger polemischen als positiven Charakter zeigen. Das hat der letzte Wahl¬
kampf vor zwei —, vor drei Jahren erwiesen 11 , daß man sehr wohl die
ganze Nation mobilisieren kann mit —, mit positiven Zielen. Es sollte
also dieser Wahlkampf nicht dazu herhalten, nun möglichst viele Feinde
heranzuschaffen und damit möglichst viel Ehre einzulegen, sondern das
große, grandiose Aufbauwerk des nationalsozialistischen Staates in den
vergangenen fünf Jahren möglichst primitiv, einfach, populär und für
den letzten Volksgenossen verständlich dem einzelnen zu Gesicht und zu
Gehör zu bringen. So werden auch die von uns herausgegebenen fünf
Flugblätter aufgezogen sein.
Darüber hinaus werden wir wirksame Tagesparolen auf Transparen¬
ten drucken lassen und den einzelnen Gauen zur Verfügung zu stellen.
Und ich kann zu meiner großen Freude gestehen, daß uns bei diesem
Wahlkampf so großzügige Geldmittel zur Verfügung gestellt worden
sind, daß wir bei alle diesen Dingen mit Millionenauflagen rechnen kön¬
nen, wie sie uns in bisherigen Wahlkämpfen noch niemals zur Verfügung
gestanden sind [Bravo-Rufe, Beifall].
Seitens der Wahlkampfleitung wird eine Erfolgsbroschüre ausgearbei¬
tet, — das heißt: eine Broschüre, die etwa 25 Seiten umfaßt und ganz
populär und einfach das nationalsozialistische Aufbauwerk schildert.
Diese Broschüre wird herausgebracht in einer Auflage von rund dreißig
Millionen Exemplaren und den Gauen zur Verfügung gestellt.
Das soll nicht heißen, daß das die einzige Broschüre oder daß das die
einzigen Flugblätter oder Plakate seien, die für den Wahlkampf heraus¬
gegeben werden sollen. Das ist nur das Material, das seitens der Zentrale
herausgegeben wird. Es ist darüber hinaus der Initiative, der Phantasie
und der Unternehmungslust des einzelnen Gauleiters und seiner propa¬
gandistischen Berater und Mitarbeiter keinerlei Grenze oder Schranke
gezogen. Vor allem also muß die ganze Propaganda auf den Erfolg ein¬
gestellt sein. Wir müssen mit Zahlen arbeiten, mit Statistiken, mit Daten,
10 Das Plakat-Prinzip „Große Städte — großes Format, kleine Städte — kleines
Format" ist etwas seltsam.
11 „Zwei" war richtig: den jetzt aufgelösten Reichstag hatte Hitler am 29. März
1936, nach seinem erfolgreichen, obschon riskanten Bruch des Locarnovertrages
durch Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland, wählen lassen.
295
mit Vorgängen, die dem deutschen Publikum längst aus dem Gedächtnis
entschwunden sind und die wir dem deutschen Publikum wieder in das
Gedächtnis zurückrufen wollen. Da es uns möglich gewesen ist, schon seit
einigen Tagen an der Vorbereitung des Wahlkampfes zu arbeiten, wird
es auch diesmal wahrscheinlich sein, daß wir rechtzeitig unsere Plakate,
Flugblätter und Broschüren den einzelnen Gauen zur Auf-, Ausliefe¬
rung bringen können.
Auch der Film wird dieses Mal zum erstenmal in großzügiger Weise
eingesetzt. Zwei bekannte deutsche Filmregisseure sind schon an der
Arbeit, je einen großen deutschen Erfolgsfilm zusammenzuschneiden 11 .
Diese Filme behandeln das deutsche Aufbauwerk; sie werden in viertau¬
send Kopien hergestellt, so daß es uns möglich ist, also beim ersten Ein¬
satz gleich bis in die letzte Stadt und bis in das letzte Dorf vorzudrin¬
gen. Besondere Filme werden für das österreichische Reichsgebiet herge¬
stellt, denn es hat sich als notwendig erwiesen, hier besondere Maßnah¬
men zu treffen deshalb, weil eine ganze Reihe von Dingen und Umstän¬
den, die dem deutschen Volk im alten Reichsgebiet durchaus bekannt
und vertraut sind, dem deutschen Volke im österreichischen Reichsgebiet
nicht so bekannt und vertraut sind. Wir werden deshalb für das österrei¬
chische Reichsgebiet eine Reihe von Erfolgen —, von Erfolgsfilmen zu¬
sammenstellen, die lediglich für dieses Gebiet gedacht und geplant sind.
Darüber hinaus ist es wünschenswert, daß alle Gliederungen der Partei
in der letzten Wahl-, Wahlwoche große Aufmärsche veranstalten. Es
muß der Öffentlichkeit gezeigt werden, daß diese Wahl eine Angelegen¬
heit nicht nur der ganzen Partei, sondern des ganzen Volkes ist. Und Sie
wissen es ja aus unserer vergangenen Tätigkeit, daß gerade große, de¬
monstrative Aufmärsche auf das Publikum geradezu faszinierend wir¬
ken 1 '. Wir haben vor einigen Jahren den sogenannten Reichsring 14 ge¬
gründet. Der Reichsring hat die Aufgabe, über die Grenzen der national¬
sozialistischen Bewegung alle Vereine, alle Verbände, seien sie unterhal¬
tenden oder spielmäßigen Charakters, für bestimmte Gelegenheiten zu¬
sammenzubasteln 15 . Eine solche Gelegenheit ist jetzt gekommen. Lachen
18 Mit den „beiden Erfolgsfilmen" scheint es nicht so recht geklappt zu haben —
oder aber sie waren nur für Kleinstädte und Dörfer bestimmt. In Großstadt¬
zeitungen der folgenden drei Wochen jedenfalls sucht man vergebens eine Spur
vom Wirken jener zwei „bekannten Filmregisseure", denn die damaligen
Erstaufführungen „Die fromme Lüge" und „Roman eines Schwindlers" dürf¬
ten kaum gemeint gewesen sein.
" In der Tat war dies, der an sich sinn- und ziellose, lediglich demonstrative
„Aufmarsch", das möglichst machtvoll wirkende und dröhnende Erscheinen auf
der Straße, ein wichtiges und bemerkenswerterweise auch erfolgreiches Propa¬
gandainstrument der NSDAP in der „Kampfzeit" gewesen.
14 Vgl. Nr. 27, Anm. 22.
15 Ob dies ein Versprechen ist (zusammenzu/disen?) oder aber Goebbels' oben
erwähnte Verachtung für diese Vereine ausdrücken soll, muß offenbleiben.
296
Sie also nicht darüber, meine Parteigenossen, wenn in der letzten Wahl¬
woche nun alle Vereine — seien es Kegelvereine oder Skatklubs oder
Rauchklubs oder wie sie alle heißen — nun praktisch mit in Angriff ge¬
nommen werden, wenn sie mit an die Öffentlichkeit treten, wenn sie mit
sich für den Wahlkampf zur Verfügung stellen, wenn sie Resolutionen
fassen, wenn sie an die Öffentlichkeit appellieren, — was weiß ich was
[Heiterkeit], Man mag darüber lachen, aber es geht ja jetzt, wie ich
schon betonte, nicht um die Wahl, bei der sich der Nationalsozialist
allein zu beteiligen habe, sondern es geht um eine Wahl, bei der sich das
ganze Volk beteiligen muß.
Ich möchte in diesem Zusammenhang zum Schluß nur noch ein paar
Worte über die Finanzierung des Wahlkampfes sprechen. All das Mate¬
rial, was ich eben hier zitiert habe und was seitens der Zentrale der
Wahlkampfleitung gedruckt und verschickt wird, geht Ihnen kostenlos
zu [Bravo-Gemurmel], Das erfordert eine ungeheure Millionensumme.
Ich möchte Sie also bitten, meine Parteigenossen, nicht deshalb, weil es
Ihnen kostenlos zugeht, nun in einer Unmenge solches Material anzufor¬
dern und es dann liegenzulassen, sondern jeder hat sich darüber Verant¬
wortung zu geben, daß das letzte Flugblatt, die letzte Broschüre vertrie¬
ben und verteilt werden und das letzte Plakat auch wirklich zur Ankle¬
bung gelangt. Es darf am 10. April in Deutschland nicht ein Stück unse¬
rer Wahlpropaganda übriggeblieben sein! Was darüber hinaus an Wahl¬
propaganda betrieben wird, das muß der einzelne Gau selbst finanzieren.
Es ist deshalb notwendig, meine Parteigenossen, daß jeder Gauleiter
gleich morgen schon ein Wahl-Aktionskomitee gründet. In diesem Wahl-
Aktionskomitee sitzt der Gauleiter als Leiter, und unter ihm arbeiten der
Gaupropagandaleiter, der Gauorganisationsleiter und vor allem der
Gauschatzmeister [Zustimmung, Zwischenruf und Heiterkeit],
So ungefähr, meine Parteigenossen, denken wir uns den Wahlkampf.
Es ist selbstverständlich, daß im Verlaufe des Wahlkampfes eine Reihe
von Schwierigkeiten auftreten, — das ist immer so gewesen und wird
auch diesmal so sein. Heute aber leben wir im Zeitalter der Technik: uns
stehen Fernschreibe-Apparate, Telefone, Telegramme, Flugzeuge und
was weiß ich was zur Verfügung. Ich bitte Sie also, in jedem Falle, wenn
der Wahlkampf irgendwie in seinem Erfolge bedroht ist, an uns heranzu¬
treten, — in jedem Falle, wenn Sie bemerken, daß irgendwo in einer
Provinz oder in einem Gau Gerüchte herumlaufen, von denen Sie glau¬
ben, daß sie von einer bestimmten Zentrale ausgegeben werden, uns zu
benachrichtigen, damit wir nun den gesamten Apparat zum Einsatz brin¬
gen können, um diese Gerüchte nach und nach zu erdrücken.
Ich betone noch einmal: Das, was wir Ihnen zur Verfügung stellen, ist
nur zusätzlich! Der Wahlkampf selbst muß der Phantasie und der Initia-
live der Gauleitung und insbesondere des Gauleiters selbst überlassen
bleiben. Der Gauleiter selbst aber nimmt die —, übernimmt damit auch
die Verantwortung dafür, daß der Wahlkampf im Rahmen der sogleich
vom Führer auszugebenden Richtlinien verläuft. Ich halte es deshalb für
zweckmäßig, daß jeder Gauleiter sich die Mühe macht, jede in sei-,
jedes in seinem Gau zur Herausgabe gelangende Flugblatt und jede Bro¬
schüre selbst durchzustudieren, sie abzuzeichnen und sie zu überprüfen,
ob sie nun mit den hier vom Führer ausgegebenen Richtlinien nun tat¬
sächlich auch in Übereinstimmung ist. Ich glaube, wenn wir so den
Wahlkampf praktisch zur Durchführung bringen, dann wird es uns ge¬
lingen, ungefähr hundert Prozent der deutschen Wählerschaft hinter den
Führer zu bringen 18 .
Wir müssen allerdings arbeiten, von selbst kommt das nicht. Wir dür¬
fen uns nicht auf die mechanischen Mittel der Propaganda verlassen, als
da sind Rundfunk oder Presse, — bequeme Mittel, an de-, bei denen
man nicht viel arbeiten braucht, sondern wir müssen uns auf die Waffen
verlassen, mit denen wir bisher immer unsere großen Siege erfochten
haben: das sind die Waffen unserer Redner, das sind die Waffen unserer
Versammlungen und das sind die Waffen unserer großen nationalsoziali¬
stischen Demonstrationen. Wenn wir uns auf diese Waffen verlassen,
dann bin ich der Überzeugung: dann wird es uns gelingen, durch Fleiß,
durch Phantasie, durch Initiative und durch die alte, große Begeisterung
unserer nationalsozialistischen Bewegung das große Ziel zu erreichen!
[Beifall.]
DRA Nr. C 1181 (26' 10”). Der Anfang der Rede fehlt; in der Sprache ist sie
(für seine Verhältnisse jedenfalls) eine der liederlichsten, die Goebbels über¬
haupt gehalten hat, mit zahlreichen Schnitzern in Stil und Syntax und häufigem
(hier vielfach nicht angemerktem) Versprechen.
" Dieses Ziel wurde erreicht: bei einer Wahlbeteiligung von 99,6% .bekannten"
sich 99,01% der gültigen Stimmen zu Hitler (bei der Reichstagswahl 99,08%).
Damit waren die 98,8% von 1936 wunschgemäß überschritten und das Non¬
plusultra erreicht.
298
Nr. 33
9. 4. 38 — Wien, Hotel Imperial — Reportage vom Besuch Hitlers 1
Meine deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Nun ist die Stunde gekommen, da durch die Straßen von ganz Deutsch¬
land die Millionenmassen marschieren. Schwarze Menschenzüge bewegen
sich durch Stadt und Land: das große Heer der Deutschen ist aufgebro¬
chen, um sich auf den Plätzen und in den Sälen unseres neuen Reiches zu
versammeln. Hier will ganz Deutschland den letzten Generalappell des
Führers vor seinem Volke entgegennehmen.
Der Führer selbst ist am heutigen Morgen bereits in Wien eingetroffen.
Durch ein unübersehbares Menschenspalier fuhr er, in seinem Auto ste¬
hend, vom Bahnhof zum Wiener Rathaus, um hier die Huldigung der
Stände dieser schönen Stadt entgegenzunehmen 2 * * . Vom Balkon des Rat¬
hauses aus wurde dann um zwölf Uhr der „Tag des Großdeutschen Rei¬
ches" proklamiert 5 . Nach einigen Sekunden atemloser Stille heulten in
1 Nach seiner Wahlreise durch Deutschland (vgl. Nr. 32, S. 289 f.), die ihn von
Königsberg über Leipzig, Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt, Stuttgart und
München nach Graz, Klagen furt, Innsbruck, Salzburg und Linz geführt hatte,
war Hitler am Vormittag dieses 9. April auf seiner letzten Station, in Wien,
eingetroffen, wo er am Abend in der Halle des ehemaligen Nordwestbahnhofs
seine letzte Kundgebung abhalten wollte. Über den Rundfunk und in diese
Nordwestbahnhalle übertragen, wo über 20000 Kundgebungsteilnehmer war¬
teten, berichtet hier Goebbels über Hitlers Abfahrt von seinem Wiener Quar¬
tier, dem Hotel Imperial am Kärntner Ring.
2 Im Rathaus, wohin Hitler nach seiner Ankunft in Wien gegen 11 Uhr zuerst
gefahren war, hatten ihn die drei Bürgermeister der Stadt begrüßt, außerdem
schritt er hier die Reihen der österreichischen Parteiführer und Pateimärtyrer
ab, — von irgendwelchen „Ständen" ist in den Presseberichten nicht die Rede.
' Goebbels, hinter seinem Führer auf dem Rathausbalkon stehend, war, als der
Minutenzeiger auf die Zwölf rückte, vorgetreten und hatte verkünden dürfen:
„Deutsche, ich proklamiere den Tag des Großdeutschen Reiches! Heißt Flag¬
gen!" Dem waren dann einige weitere Regieeinfälle gefolgt: Sirenengeheul,
Brieftaubenstart, Verkehrsstille.
237
ganz Deutschland die Sirenen auf, und die Nation erstarrte wie auf ein
Zauberwort zu einer zweiminütigen, schweigenden Verkehrs stille. Es gab
wohl keinen Deutschen im ganzen Reich, der sich in diesem Augenblick
nicht der schicksalhaften, geschichtlichen Bedeutung der Zeit bewußt ge¬
worden wäre, die wir gerade durchleben. Über dem Rathausvorplatz in
Wien stiegen wie auf Kommando 30 000 Brieftauben hoch, die schwir¬
rend und suchend in die Luft flogen, um dann den Weg zu ihren Hei¬
matorten in ganz Deutschland anzutreten. Sie sollen dorthin die Bot¬
schaft vom geeinten Reich bringen. Ergreifend war der Augenblick, als
mitten im Heulen der Sirenen über Wien die Geschwader der jungen
deutschen Luftwaffe erschienen und über dieser wunderbaren Stadt ihr
donnerndes Motorenlied erklingen ließen. In diesem Augenblick betrat
dann der Führer den Rathausbalkon — von einem einzigen, jubelnden
Aufschrei der Hunderttausende, die unten vor ihm versammelt standen,
begrüßt.
Vom frühen Morgen an bis zu dieser Stunde stehen vor dem Hotel
Imperial, in dem der Führer abgestiegen ist, die Menschenmassen und
fordern immer wieder aufs neue in dröhnenden Sprechchören, den Füh¬
rer zu sehen. Die Stadt Wien selbst hat über Nacht vollkommen ihr Ge¬
sicht verändert. — Soeben [im Hintergrund stürmischer Jubel, der die
nächste Minute anhält] betritt der Führer den Balkon! Tausende und
Zehntausende von Menschen jubeln ihm zu. Ein einziges wogendes Men¬
schenheer ist drunten vor dem Hotel Imperial versammelt, um dem Füh¬
rer entgegenzurufen, um ihm zu danken, um ihm die Heilgrüße des wie¬
der zum Reich zurückgerufenen deutschen Österreich entgegenzurufen.
Die Stadt Wien hat ihr festlichstes Kleid angelegt; von allen Häusern —
ja, man kann sagen: von allen Fenstern grüßen die Fahnen des neuen
Reiches. An den großen Prachtstraßen sind Triumphbogen in bunter
Fülle aufgestellt. Von ihnen herab leuchten die großen Parolen dieses
historischen Ereignisses, die auf dem Boden und in der Atmosphäre dieser
Stadt — so möchte man glauben — eine ganz andere, noch tiefere Be¬
deutung haben als anderswo im Reiche.
Sie hören unten vom Platz die Heilrufe der Massen zum Balkon ent¬
gegenstellen 4 [die Jubelrufe enden]. Die Straßen selbst werden vom frü¬
hen Morgen an bis zu dieser Stunde von immer stärker anschwellenden,
jubelnden Menschenzügen durchzogen. Man kann sagen, daß die ganze
Millionenstadt auf den Beinen ist: jung und alt und arm und reich, ohne
Ansehen von Klassen, Ständen und Berufen. Es ist das Volk selbst, das
sich hier am Vortage eines großen nationalpolitischen Ereignisses ein Fest
von wahrhaft monumentalen Ausmaßen bereitet. Alles fiebert nun der
immer näher rückenden Stunde entgegen, da der Führer von Wien aus
4 Offenbar versprochen, gemeint vermutlich „emporhallen" o. ä.
300
zum letzten Male vor dem geschichtlichen 10. April das Wort ergreift,
um zu seinem ganzen Volke zu sprechen.
Es ist das wohl die größte nationale Demonstration, die jemals in der
Welt stattgefunden hat. Wo sah man irgendwo und irgendwann 75 Mil¬
lionen Menschen um einen Mann versammelt, bereit und entschlossen,
sein Wort anzuhören, — mehr noch: sein Wort als Richtschnur und Be¬
fehl für eine große nationale Handlung entgegenzunehmen. Was bedeu¬
ten demgegenüber demokratisch-parlamentarische Wahlkämpfe, wie wir
sie aus einer furchtbaren Vergangenheit noch in der Erinnerung haben!
Damals appellierten Dutzende von Parteien an das Volk. Keine von
ihnen sprach von vollbrachten Leistungen, alle sprachen sie nur von Ver¬
sprechungen, die wiederum keine von ihnen einzulösen bereit oder auch
nur in der Lage war.
Das ist nun vorbei. Es geht bei diesem Wahlkampf nicht mehr um All¬
tagsfragen oder parlamentarische Nichtigkeiten, — das große Schicksal
unserer Nation, die Zukunft des ganzen Volkes ist zur Entscheidung ge¬
stellt. Und eben dieses Volk selbst soll darüber sein geschichtliches
Votum abgeben. Es ist damit eine wahrhaft historische Wahl, die das
deutsche Volk morgen vollziehen soll. Unser Jawort ist nicht nur die Er¬
füllung eines Dankes dem Führer gegenüber, sondern vor allem auch
einer Pflicht ihm gegenüber, der Nation gegenüber und gegenüber unse¬
rer völkischen Zukunft.
Eine gewisse Auslandspresse ist in den vergangenen Wochen nicht
müde geworden, den Weg der deutschen Volkspolitik hämisch zu kriti¬
sieren oder mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten zu verdäch¬
tigen. Wie wenig dieser Versuch durchschlagend und stichhaltig ist, das
kann man feststellen, wenn man in dieser Minute einen Blick zum Fen¬
ster hinaus wirft und auf die jubelnden Menschenmassen hinunterschaut,
die unten wie eine dichte Mauer vor dem Hotel Imperial stehen und
immer wieder aufs neue nach dem Führer rufen. Das ist das deutsche
Volk, — ein kleiner Ausschnitt nur aus jenem 75-Millionen-Volk, das in
dieser Stunde in ganz Deutschland zum Generalappell des Führers auf¬
marschiert.
Man hat früher oft in der Welt mit einer gewissen Verachtung vom
deutschen Volk als einem unpolitischen Volk gesprochen. Die Zeiten sind
nun vorbei, das deutsche Volk ist im höchsten Sinne des Wortes politisch
geworden. Die Fragen, die der Führer in Angriff genommen und zum
großen Teil schon gelöst hat, sind Fragen, die das Volk seihst angehen
und die deshalb auch vom Volke selbst als seine großen, nationalen
Schicksalsprobleme aufgefaßt werden. Sie betreffen heute keine Klassen,
Stände, Berufe oder Konfessionen mehr: die Nation als politische Einheit
tritt unter der Führung Adolf Hitlers an diese Probleme heran — nicht,
301
um sie zu debattieren, sondern um sie zu lösen. Es ist das einige, große
Deutschland von Flensburg bis Klagenfurt und von Aachen bis Tilsit, das
heute in diesem Sinne zum Tage des Großdeutschen Reiches aufmarschiert.
Im Geiste sehen wir nun, wie sich in dieser Stunde das Bild des ganzen
Landes verändert hat. Sind diese 75 Millionen nicht ein drastischer Be¬
weis für die Vollendung jener germanischen Demokratie, die wir Natio¬
nalsozialisten gewollt und herbeigeführt haben, — einer Demokratie, in
der sich das Volk um seinen Führer versammelt, um aus seinem Munde
die Befehle zu seiner nationalen Schicksalsgestaltung entgegenzunehmen!
Man kann sich vorstellen, welches Glück das für den Führer selbst be¬
deutet. In dieser Stadt Wien hat er einmal als Bauarbeiter gelebt 5 , unbe¬
kannt unter Millionen, aber getrieben von einer übermächtigen Sehn¬
sucht zum größeren Deutschland, das nun seine Erfüllung durch ihn ge¬
funden hat. Die glücklichste Stunde seines Lebens soll nun auch die
glücklichste Stunde des ganzen Volkes sein. Und von diesem stolzen Tag
des Großdeutschen Reiches wollen wir alle erhobenen Hauptes in den
stolzeren Tag der endgültigen Bestätigung seines geschichtlichen Han¬
delns eintreten.
Das, was wir an diesem 10. April zu vollziehen haben, — das ist keine
Wahl mehr im alltäglichen Sinne, weil die Deutschen im ganzen Lande
vor der geschichtlichen Frage, die ihnen gestellt ist, keine Wahl mehr
haben. Die Stimme des Volkes hat sich schon kundgetan. Und wenn die
Stimme des Volkes Gottes Stimme ist, dann treten wir Deutschen morgen
zu einem Gottesgericht an, um Ja zu sagen! So ist aus den unendlichen
Qualen des deutschen Volkes in Österreich am Ende doch die Erlösung
gekommen. Tränen des Leidens sind zur Tränen der Freude geworden!
Der Ruf „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!", der zum ersten Male in die¬
sem deutschen Lande angestimmt wurde, hat eine herrliche Bestätigung
für das ganze Großdeutsche Reich gefunden.
Unten auf dem weiten Platz rufen die Massen nach dem Führer. Der
Augenblick ist gekommen, wo er das Hotel verläßt, um sich durch
jubelnde, unübersehbare Menschenspaliere zum Nordwestbahnhof zu be¬
geben, von woher aus er seinen letzten Appell an alle Deutschen richten
wird. Die Segenswünsche des ganzen Volkes begleiten ihn dabei, das
ganze Volk (wird sein Zuhörer sein. Zum)* erstenmal in der Geschichte
wird dann am Ende seines Schlußappells das Bitt- und Dankgebet von
ungezählten Millionen von Wien aus angestimmt zum nächtlichen
Himmel emporsteigen.
* Ob Hitler in diesen Wiener Jahren (Februar 1908 bis Mai 1913) allerdings je
auf dem Bau gearbeitet hat, dafür haben schon die Historiker und Archivare
seiner eigenen Partei keinen anderen Zeugen auftreiben können als ihn selbst.
• Fehler in der Aufnahme, ergänzt nach dem Pressebericht.
302
Wenn dann in die dröhnenden Akkorde dieses nationalen Gebetes die
Glocken von allen deutschen Kirchen eher-, ihre ehernen Münder
mischen, wenn auf allen Höhen die Freudenfeuer entzündet werden,
wenn in die Herzen aller Deutschen der Glaube an unsere große natio¬
nale Zukunft wunderbar und festlich einzieht, dann laßt es uns sagen
und laßt es uns bekennen: Deutschland ist neu erstanden! Es lebe das
Großdeutsche Reich, es lebe unser Volk und unser Führer 7 !
DRA Nr. 52—8970 (11' 45"). Zusammenfassung mit Auszügen abgedruckt in
der Tagespresse (VB vom 11. April 1938).
7 In der Norwestbahnhalle boten im Anschluß an die Goebbels-Reportage Orgel
und Chöre Beethovens „Die Himmel rühmen . . dar, dann sang man ge¬
meinsam „Zu Mantua in Banden", anschließend zogen zum Einzugsmarsch aus
„Tannhäuser" die Standarten und Sturmfahnen auf, und dann — Baden¬
weilermarsch sowie als Novum in der Parteiliturgie die (sonst erst den Ab¬
schluß bildenden) Nationalhymnen — kam ER.
303
Nr. 34
237
28. 7. 38 — Breslau, Schloßplatz — Appell des Deutschtums im Ausland
anläßlich des Deutschen Turn- und Sportfestes 1938 1
Ausländsdeutsche Männer und Frauen!
Es ist fünf Jahre her, daß ich das letzte Mal vor Euch sprach. Es war
das im Sommer 1933 beim Deutschen Turnerfest in Stuttgart. Wir stan¬
den damals am Anfang unseres nationalsozialistischen Aufbauwerkes.
Das Fest in Stuttgart war noch ein Fest der Hoffnung und des Glaubens.
Wir waren soeben an die Macht gekommen und schickten uns an, die
größten Aufgaben in Angriff zu nehmen, die jemals einer deutschen
Staats- und Volksführung aufgetragen wurden. Im Innern waren Reich
und Volk noch nicht ausgerichtet, und nach außen war die Nation auf
das schwerste bedroht. Trotzdem versammelten wir damals Zehntau¬
sende von glücklichen Menschen um uns. Und wenn diese Menschen sich
auch nicht von den Erfolgen unseres Regimes schon nähren konnten, —
sie nährten sich von nationalen Hoffnungen. Ein neuer Stern war über
dem Reich aufgegangen. Ein neuer Glaube war im Volke hochgestiegen.
Eine Nation begann, sich aus ihrem tiefsten Verfall wieder zu erheben.
Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Das Fest der Hoffnung vom Jahre
1933 ist im Jahre 1938 ein Fest der Erfüllung geworden! [Heilrufe.] Aus
dem Glauben von damals wurde die Gewißheit von heute! Das Reich
steht, und nimmermehr wird es vergehen! [Heilrufe.] Aus Niederlage
und Verfall wurde der größte Triumph unserer deutschen Geschichte!
[Heilrufe, Beifall.] Wir haben den Krieg verloren, aber die Revolution
1 Diese Feierstunde wurde am späten Abend (Beginn 22 Uhr) abgehalten. Sie
stand, wie damals die gesamte Politik, im Zeichen der vom nationalsoziali¬
stischen Deutschland zunehmend geschürten Sudetenkrise. Goebbels' Vor¬
redner war denn auch Konrad Henlein, der Führer der Sudetendeutschen
Partei, und mit Fackeln hatte „sudetendeutsche Jugend einen feurigen Saum
um das gewaltige Rechteck" des auf dem Platz versammelten „Menschen¬
blocks" gezogen
haben wir gewonnen! [Heilrufe.] Und was wir von 1918 bis 1933 aufge¬
ben mußten, das haben wir von 1933 bis 1938 doppelt und dreifach wie¬
deraufgeholt! [Heilrufe.]
Ich würde aber nun einem faden Illusionismus das Wort reden, wenn
ich vor Euch Männern und Frauen, die Ihr aus allen Teilen der Erde
hierhergekommen seid, — wenn ich vor Euch den Anschein zu erwecken
versuchte, als seien nun alle unsere deutschen Fragen gelöst [Heilrufe].
Nur ein Bruchteil von ihnen ist gelöst, ein größerer Bruchteil in Angriff
genommen und der größte Teil erkannt, aber noch nicht in Angriff ge¬
nommen [Heilrufe]. Noch steht das Reich in einem schweren wirtschaft¬
lichen und politischen Existenzkampf. Wir leben als totalitärer Staat in
einer demokratischen Umwelt, und es bleibt uns nichts anderes übrig, als,
weil diese demokratische Umwelt uns zum Geisteskampfe herausgefor¬
dert hat, uns gegen diese Welt zur Wehr zu setzen! [Heilrufe, Beifall.]
Wir haben diesen Kampf der Geister nicht gewollt, aber wo man ihn uns
aufgezwungen hat, da nehmen wir ihn auf! [Heilrufe.]
Man wirft uns vor, wir seien von der infamen Absicht geleitet — wie
man sagt: den Nationalsozialismus in andere Länder zu exportieren
[einzelne Pfui-Rufe], Wir denken nicht daran. Das fehlte noch! [Ge¬
lächter.] Der Nationalsozialismus ist kein Exportartikel, sondern eine
deutsche Patentware! [Heilrufe.] Denn wir sind im Gegensatz zu unseren
politischen Gegnern der Meinung, daß der Nationalsozialismus ein Volk
stärker, aber nicht schwächer macht. Und andere Völker durch Export
des Nationalsozialismus uns gegenüber noch stärker zu machen, als sie
ohnehin schon sind, — dazu besteht keine Veranlassung [Heilrufe, Bei¬
fall]. Diese demokratische Umwelt kann uns nicht verstehen, aber sie
will uns auch manchmal nicht verstehen. Denn hier sitzen die bösartig¬
sten Gegner des nationalsozialistisch-totalitären Staatsprinzips! [Pfui-
Rufe.] Sie wären bereit, Europa in seinen blutigsten Krieg zu verstricken,
wenn sie damit in Deutschland den Nationalsozialismus beseitigen könn¬
ten! [Heil- und Pfui-Rufe.]
Ich sage: Sie würden das tuen, wenn sie es könnten! [Heiterkeit.]
Aber sie kommen zu spät mit ihrer Absicht! [Heilrufe, Beifall.] Im Jahre
1933 hätten sie's gekonnt, aber da haben sie uns nicht ernst genommen
[Gelächter], Im Jahre 1938 können sie es nicht mehr, weil wir ernst —
ja, weil wir blutigernst genommen werden müssen! [Heilrufe, Beifall.] Und
da sie zu feige sind, die Maschinengewehre und Kanonen in Bewegung
zu setzen, überfallen sie das Reich mit Druckerschwärze [Gelächter, Bei¬
fall], In Millionen und Abermillionen Exemplaren lassen sie ihre Lügen¬
presse durch die Rotationsmaschinen jagen [einzelne Pfui-Rufe] und
überschwemmen die Welt mit einer Schmutzflut von Verleumdung und
übelster, verlogenster Heuchelei [Pfui-Rufe], Sie spielen sich dem Welt-
305
gewissen gegenüber als /v«/t«rapostel auf. Sie wollen die Kultur retten!
Da sie selbst keine besitzen, beschäftigen sie sich damit, die unsere zu ret¬
ten! [Gelächter, Beifall.] Wenn man ihnen glauben wollte, dann wäre
das Reich heute ein Toll- oder ein Irrenhaus [Heiterkeit], ein Gefängnis
oder ein Zuchthaus. Sie tuen so, als sei ganz Deutschland mit Stachel¬
draht umgeben und das Reich ein Konzentrationslager [Gelächter], Sie
spielen sich uns gegenüber als die patentierten, waschechten Demokraten
auf, während wir die Vertreter einer totalitären Diktatur seien s .
Nun braucht man sich nur anhand von Filmwochenschauen oder
Fotografien vor Augen zu führen, wie — sagen wir beispielsweise: ein
Staatsbesuch in Berlin oder einer in Paris vor sich geht, um zu sehen, wo
die Diktatur und wo die Demokratie herrscht! [Beifall.] Wir müssen
dafür sorgen, daß unsere Staatsmänner nicht mit Blumen, und sie müssen
dafür sorgen, daß ihre Staatsmänner nicht mit faulen Eiern beworfen
werden! [Gelächter, Beifall.] Diese Demokratie haben wir gerne! [Hei¬
terkeit.] Darauf haben wir gewartet! Und deshalb nehmen wir selbstver¬
ständlich ehrerbietigst die demokratischen Lehren unserer westlichen
Nachbarn entgegen [Heiterkeit], Im übrigen aber sind wir der Meinung:
So, wie wir ihnen ihre Demokratie, so sollen sie uns doch unsere Auto¬
kratie gönnen!
Wir beneiden sie nicht um ihr Regime. Wir haben da nur ein mitleidi¬
ges Achselzucken dafür übrig, wenn beispielsweise eine große westeuro¬
päische Zeitung schrieb, ein Beobachter habe festgestellt, daß in Deutsch¬
land nicht mehr gelacht werde! [Gelächter, Zurufe.] Logischerweise
müßte er behaupten, daß Sie alle dafür bezahlt werden, daß Sie lachen
[Gelächter], — damit wir dem Ausland ein Schauspiel bieten. Sie spotten
ihrer selbst und wissen nicht, wie!
In dieses Reich nun, von der Welt verleumdet, mit Haß, Lüge und
Bosheit überschüttet, sind in diesen Tagen Zehntausende unserer aus¬
landsdeutschen Brüder und Schwestern hineingeströmt 5 . Sie kommen aus
1 Zum totalitären Staatsprinzip hat sich Goebbels noch wenige Minuten zuvor
selbst bekannt.
5 Turnfeste waren schon im vergangenen Jahrhundert keine rein sportlichen Ver¬
anstaltungen gewesen, sondern konnten auf eine reiche völkisch-chauvinistische
Tradition zuriickblicken. Der antiquierten Deutschtümelei einigermaßen ent¬
kleidet und nationalsozialistisch „ausgerichtet", wurden sie vom Dritten Reich
freudig adoptiert. Das — tatsächlich oder manipuliert — in seiner „völ¬
kischen Substanz" bedrohte Auslanddeutsehtum spielte dabei, wie seit langem
in der gemeinsamen Turnerei, eine hervorragende Rolle. Neben all den Volks¬
gruppen aus Nordschleswig, Eupen-Malmedy, Polen und Memelland, aber auch
aus Estland, Lettland, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien, ja sogar aus
Argentinien, Brasilien, Chile, Venezuela, USA, Kanada und Südwestafrika
war dieses Mal eine „gewaltige Armee deutschen Volkstums" aus dem po¬
litisch aktuellen Sudetenland über die nahe Grenze gekommen und wurde ge¬
bührend im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit plaziert.
306
allen Teilen der Erde, und sie, die sie von West und Ost und Nord und
Süd zu uns kamen, — sie, von denen Ungezählte ihr deutsches Vater-
und Mutterland überhaupt noch nicht gesehen haben, — sie wollen wir
in diesen festlichen Tagen in Breslau ganz besonders fest in unser deut¬
sches Herz hineinschließen. Glauben Sie nicht — [Beifall], glauben Sie
nicht, daß wir für Ihre Gefühle kein Verständnis hätten. Ich kann es mir
sehr wohl vorstellen, daß Sie alle mit einem Schauder der Ergriffenheit
die deutsche Staatsgrenze überschritten haben [Heilrufe]. Die vor sieben
oder acht oder zehn Jahren auch schon im Reich waren, — die wissen zu
ermessen, was sich in den vergangenen fünf Jahren bei uns geändert hat.
Damals sind sie vielfach wieder nach Hause gegangen mit einem Gefühl
der Scham im Herzen über ihre Heimat! Heute ist jeder von ihnen der
Uber-, davon überzeugt, daß er sich des Reiches und des Volkes nicht
mehr zu schämen braucht! [Heilrufe.]
... 4 haben wir neu aufgerichtet, eine stürmische Revolution ist über
dieses Land hinweggebraust! Werte wurden gestürzt und neue Werte
aufgerichtet! Eine neue Gesinnung ist entstanden, und dieses Volk ist
heute Träger einer neuen Weltanschauung. Dieser geistige Umwälzungs¬
prozeß hat seine Folgen auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet
hinter sich hergezogen. Ohne zu übertreiben, kann man heute sagen: Aus
dem geknechteten und unterlegenen Volk von 1918 ist heute eine neue
Großmacht geworden! [Heilrufe, Sprechchöre.]
Einig im Innern und stark nach außen: so stehen wir der Welt gegen¬
über. Im Inneren haben wir den Bolschewismus vernichtet, den Partikula¬
rismus zu Paaren getrieben, auf wirtschaftlichem Gebiet die Arbeitslosig¬
keit beseitigt und in einem gigantischen Vierjahresplan die deutsche Roh¬
stoffnot in Angriff genommen. Auf dem Gebiete der Sozialpolitik zeu¬
gen Winterhilfswerk und „Kraft durch Freude" 5 vom starken, sozialisti¬
schen Verantwortungsbewußtsein des neuen Staates. Auf dem Gebiet der
Kulturpolitik haben wir das ganze Volk an die Sp . .
DRA Nr. 52—8967 (24'). Der Schluß der Rede fehlt. Inhaltliche Wiedergabe
mit Auszügen in der Tagespresse (VB vom 31. Juli 1938).
4 Fehler in der Aufnahme.
s „Nationalsozialistische Gemeinschaft ,Kraft durch Freude" (KdF), eine Sparte
der „Deutschen Arbeitsfront", der die kulturelle Betreuung der deutschen
Volksgenossen während Arbeit, Freizeit und Urlaub oblag. Bekannteste KdF-
Unternehmen: die billigen Seereisen mit KdF-Dampfern nach Madeira usw.,
die Aktion „Schönheit der Arbeit" in den Fabriken und Büros, das Amt
„Feierabend" mit eigenen „Theatern des Volkes" in verschiedenen Städten
(vgl. oben Nr. 23, Anm. 18) sowie der „KdF-Wagen" (= Volkswagen).
4 Hier bricht das Tondokument ab. Uber den Schluß der Rede berichtete der VB:
„Unter Hinweis auf das gigantische Werk, das der Nationalsozialismus in den
vergangenen fünf Jahren auf allen Gebieten schuf, stellte Dr. Goebbels fest,
daß noch größer als die Wandlung beim Reiche die Wandlung beim Volke
307
gewesen sei. .Dieses Volk, das 1918 verzweifelt und pessimistisch nicht mehr
an seine eigene Kraft glaubte, stellt sich jetzt erhobenen Hauptes in den Kreis
der übrigen Weltmächte. Wir sind uns unserer Kraft voll bewußt, wir wissen,
was wir wollen, aber wir wollen auch, was wir wissen! [Stürmische Kund¬
gebungen.] Wir reden nicht nur, sondern wir lösen auch die uns gestellten
Aufgaben.' Wieder erhob sich die jubelnde Zustimmung der Zehntausende,
geboren aus dem Stolz, sich zum deutschen Volk von heute zählen zu dürfen.
Noch einmal befaßte sich der Minister mit den Gegnern des Reiches, deren
Motive heute in erster Linie Angst und Neid seien. Wir fürchteten ihren Haß
nicht, uns genüge es, zunächst ihre Achtung errungen zu haben, die sie alle
dem Deutschland von heute nicht mehr versagen könnten. Das aber habe
Deutschland nur einem einzigen Manne zu danken. ,Ist es nicht wie ein Wun¬
der, daß ein unbekannter Weltkriegsgefreiter heute die Geschicke des Reiches
leitet und Wortführer des Volkes ist? Ist es nicht wie ein Wunder, daß in die¬
sem Manne das deutsche Volk sein Schicksal selbst in seine eigenen Hände ge¬
nommen hat? Und ist es für uns nicht eine tiefe Beglückung, in diesem Mann
die nationale Hoffnung unseres ganzen Volkes verkörpert zu sehen? Wie oft
haben wir erlebt, daß, wenn er die Nation aufrief, sie ihm einschränkungslos ihr
Ja-Wort und ihre Gefolgschaft zur Verfügung stellte? Das ist die Demokratie,
wie wir sie verstehen, eine Demokratie der tiefsten Verbundenheit zwischen
Führer und Volk! In diesen festlichen Stunden, in denen Teile unseres ganzen
deutschen Volkstums um uns versammelt sind, in diesen Stunden, da wir uns
der großen politischen und kulturellen Mission des Deutschtums in aller Welt
bewußt werden, gedenken wir am Anfang und Ende des Mannes, der unseren
nationalen Glauben erfüllte und unsere nationale Hoffnung wahr machte. Der
Führer läßt euch durch midi seine Grüße überbringen!' Unbeschreiblicher Jubel
dankte Dr. Goebbels für diese Mitteilung, ein Jubel, der sich noch steigerte, als
Dr. Goebbels ankündigen konnte, daß der Führer am Sonntag selbst als Ver¬
treter der deutschen Nation vor ihnen stehen würde. ,Ihr werdet aus seinem
Antlitz', schloß Dr. Goebbels unter Stürmen der Begeisterung, .neuen Glauben
und neue Hoffnung schöpfen, die ihr nötiger habt als irgend jemand anders,
die ihr mitnehmen mögt, in den schweren Kampf des Alltags für die Größe
unseres Volkstums und die Ehre unseres Blutes.'"
Und abschließend veranlaßte die Kundgebung das Parteiorgan noch zu folgen¬
den Betrachtungen: „Die einzigartige Feierstunde hatte ihr Ende gefunden.
Wir haben schon viele Großkundgebungen erlebt und oft gemeint, nun ließe
sich Inhalt und Ausdrucksform nicht mehr steigern. Die heutige Feierstunde
des Auslandsdeutschtums aber stell[t]e für alle, die an ihr teilnahmen, ein
unvergleichliches Erlebnis dar. Wie ein Kraftstrom ungeheurer Freude durch¬
zuckte es gerade jene Tausende von Teilnehmern aus dem Auslande .
308
Nr. 35
19. 11. 38 — Reichenberg, Messehalle — Eröffnung des Wahlkampfes für
die Ergänzungswahlen zum Großdeutschen Reichstag 1
Meine deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen!
Es ist für uns alle, die wir aus dem alten Reich nach hierher kommen
und den heiligen Boden dieses Landes betreten, eine tiefe und große
Freude, mitten unter diesem Volk zu weilen. Vor allem ist diese Freude
besonders tief und besonders groß für diejenigen, die dieses Land noch
nicht kannten und vom Schicksal dazu berufen gewesen sind, schwere
Sorgen und große Verantwortung für dieses Land und für dieses Volk
auf sich zu nehmen.
Es ist wohl selten eine Entscheidung von der deutschen Staatsführung
gefällt worden, die von so weitreichender Bedeutung gewesen ist als die,
die der Führer am 28. Mai dieses Jahres fällen mußte 1 . Denn darüber
' Nach dem „Münchener Abkommen" zwischen Hitler, Mussolini und den eng¬
lischen und französischen Regierungschefs Chamberlain und Daladier vom
30. September 1938 waren in der ersten Oktoberdekade die von der Tsche¬
choslowakei abzutretenden Gebiete besetzt worden. Nach seiner Gewohnheit
hätte Hitler den erfolgreichen Abschluß dieses Unternehmens für Reichstags¬
auflösung und plebiszitäre Neuwahlen nützen müssen, er begnügte sich jedoch
damit, nur die neuen Reichsbürger am 4. Dezember „nachwählen" zu lassen (ver¬
mutlich im Hinblick auf die gerade erst ein Jahr zurückliegenden „Anschluß" -
Wahlen, deren Ergebnis sowieso kaum übertroffen werden konnte, war doch
die „Heimkehr" Österreichs viel populärer gewesen, während das Volk sein
riskantes Sudetenland-Abenteuer zum Teil recht kritisch aufgenommen hatte).
— Im übrigen ist es auffällig, wie — jedenfalls im Verhältnis zu den früher
„heimgekehrten" Saarländern und Österreichern — relativ frech Goebbels hier
mit den neuen Landsleuten aus Böhmen umspringt, denen nur noch wenig
gedankt, die vor allem aber an die Opfer des Reiches und an ihre eigene Pflicht
und Schuldigkeit erinnert werden. Ob das spezielle Gründe hatte oder ob die
„Heimholung" lediglich zur Routine verflachte, muß dahingestellt bleiben.
1 Um die vom 22. Mai bis 12. Juni stattfindenden Gemeindewahlen im deutsch¬
besiedelten Gebiet unter militärischen Druck zu setzen, andererseits aber auch,
um die Westmächte an seine Seite zu zwingen, hatte der CSR-Präsident am
21. Mai zwei Reservejahrgänge mobilisiert. Der sich dadurch wie durch die
237
sind wir uns damals alle im klaren gewesen: daß es nun hart auf hart ge¬
hen würde, daß sich nun die Gegensätze in Europa miteinander messen
müßten und daß in dieser Auseinandersetzung dann auch über die wei¬
tere Zukunft des Reiches bestimmt werden würde. Wenn man diese
schweren Wochen und Monate mitgemacht hat, wenn man manchmal bis
in späte Abende und tiefe Nächte hinein von den Sorgen um dieses Land
und um dieses Volk fast bis in den Traum hinein begleitet worden ist,
dann kommt in ein —, kommt es einem fast wie ein Märchen vor, nun
über eine ehemalige Grenze hinüberzufahren, mitten in diesem Lande
und unter diesem Volke zu weilen und dabei das Bewußtsein haben zu
dürfen, daß es unser Land und unser Volk ist.
Ich weiß, daß manch einer sich vielleicht die Frage vorlegt: Warum ist
denn hier überhaupt noch eine Wahl notwendig? Was soll denn hier noch
plebiszitär festgelegt werden, wo das Schicksal selbst gesprochen hat?
Eine Wahl ist aus zweierlei Gründen notwendig: Erstens soll das sude¬
tendeutsche Volk auch seine Vertretung im Deutschen Reichstag besitzen,
und zweitens soll ihm Gelegenheit gegeben werden, vor der ganzen Welt
darüber Zeugnis abzulegen, wie gerechtfertigt unser Anspruch auf dieses
Land und auf dieses Volk gewesen ist [Beifall],
Es gibt Leute, die behaupten, es sei ein Wunder mit diesem Land ge¬
schehen. Es sind das dieselben, die während unseres ganzen nationalpoli¬
tischen Aufbauwerkes im Reiche nicht müde geworden sind, immer und
immer wieder die nationalsozialistische Staatsführung zu kritisieren,
dann aber, wenn ihre Erfolge gar nicht mehr übersehen werden konnten,
sich damit herauszureden versuchten, Hitler habe eben Glück gehabt, —
ja, eben, eben, das ist nämlich das Ausschlaggebende bei einer Politik
[Gelächter, Beifall], Denn ohne Glück kann schließlich eine Staatsfüh¬
rung auch nichts zuwege bringen [Heiterkeit], Und endlich ist es für ein
Volk angenehmer, von einer Regierung regiert zu werden, die Glück, als
die dauernd 3 Pech hat [Gelächter, Beifall], Man hätte ja eigentlich an¬
nehmen müssen, daß unsere Gegner mehr Glück gehabt hätten als wir
[Heiterkeit], denn sie haben ja immer behauptet, daß wir unchristlich
und gottlos und heidnisch und Wotansanbeter seien, daß sie dagegen die
prononcierten Vertreter eines christlichen und eines gottesgläubigen An-
schau-, einer gottesgläubigen Anschauungswelt seien. Manchmal ver¬
suchten sie sozusagen den Eindruck zu erwecken, als sei der liebe Gott so
Reaktion der Weltpresse provoziert fühlende Hitler hatte daraufhin den end¬
gültigen Entschluß gefaßt, die CSR mit Gewalt zu zerschlagen und am 28. Mai
seinen engsten Mitarbeitern seine Pläne verkündet und entsprechende Wei¬
sungen gegeben. Aus der Tschechoslowakei war damit der „Fall Grün" ge¬
worden.
s Immer noch „daurend", wie auch im folgenden wieder „Bauren" (Bauer: Bube
oder Unter im Kartenspiel) und nochmals „daurend".
310
eine Art von Fraktionskollege von ihnen [Gelächter, Beifall]. Nun hat¬
ten wir das Glück! Und es muß deshalb wohl jene Art von Glück gewe¬
sen sein, von der der große preußische Feldherr Moltke einmal sagte 4 5 ,
daß es auf die Dauer nur der Tüchtige habe! [Stürmische Fleilrufe, Bei¬
fall.]
Im übrigen kann von Glück in diesem Zusammenhang nur der spre¬
chen, der die Verhältnisse nicht kennt. Herr Benesch 3 hat sie auch nicht
gekannt [Gelächter], Er stand der Entwicklung vollkommen verständ¬
nislos gegenüber. Als er am 21. Mai dieses Jahres mobilisierte und damit
eine große Nation herausforderte, mußte er sich von vornherein darüber
im klaren sein, daß diese Provokation vom Reich nicht unbeantwortet
bleiben würde. Ob die Antwort nun sogleich oder später erteilt werden
sollte, das stand ganz dahin [Heiterkeit. Beifall], Das sind nicht die be¬
sten Skatspieler, die vorzeitig ihre Trumpfkarten abwerfen! [Gelächter,
Beifall.] Im Gegenteil: Die gewinnen meistens die großen Spiele, die die
Bauern für die Schlußstiche aufbewahren [Heiterkeit, Beifall],
Und deshalb haben wir auch nach dem 21. Mai nicht in einer über¬
quellenden Wut oder in einem uns überkommenden Zorn gehandelt, son¬
dern wir haben ganz logisch und ganz realpolitisch unsere Vorbereitun¬
gen getroffen [Bravo-Rufe], Die Tschechoslowakei lief uns nicht weg!
[Starkes Gelächter, Beifall.] Am 28. Mai dieses Jahres hat der Führer
den Entschluß gefaßt, noch im Laufe dieses Jahres das sudetendeutsche
Problem zu lösen [Heilrufe]. Und er hat in dieser Konferenz auf den
Tag genau bestimmt, wann es gelöst werden sollte [stürmischer Beifall],
Und hat dafür dann auch seine Vorbereitungen getroffen [Gelächter],
Erste Voraussetzung war die Betonierung der We